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Organisation und Welterschließung (eBook)

Dekonstruktionen
eBook Download: PDF
2008 | 2. Aufl. 2008
VIII, 334 Seiten
VS Verlag für Sozialwissenschaften
978-3-531-90921-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Organisation und Welterschließung - Günther Ortmann
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Organisationen sind Veranstaltungen der Welterschließung. Ihr Sinn ist die organisierte Fest-Stellung von Bedeutungen und Handlungsweisen angesichts unabstellbarer Mehrdeutigkeit und Veränderlichkeit. Kann angesichts dessen der Diskurs um die so genannte Postmoderne die Organisationstheorie bereichern? Das Buch gibt eine entschiedene Antwort, nicht nur programmatisch, sondern durch dekonstruktive Analysen der wichtigsten Organisationsprobleme. Themen sind:
• der Diskurs um die Postmoderne zwischen Habermas, Giddens und Derrida;
• organisationale Regelwerke und die Notwendigkeit ihrer Verletzung in der Anwendung;
• die Paradoxien der Entscheidung;
• die Ressourcen und ressourcenorientierte Ansätze des strategischen Managements;
• Vertrauen, Geld und Macht als Medien der Koordination und Kooperation;
• die Evolution der Kooperation.



Dr. Günther Ortmann ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Dr. Günther Ortmann ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Inhalt 6
Vorwort zur 2. Auflage 10
Organisation und Welterschließung. 11
1 Tour d’horizon: Über die Riesen, auf deren Schultern wir stehen, und über die Fähigkeit des Erstaunens 11
2 Organisationssoziologie und Theorie der Unternehmung 14
3 Mehrdeutigkeit 15
4 Strukturation und Dekonstruktion 16
5 Welterschließung und Verriegelung 17
I Dekonstruktion 25
1. Wiedergänger der Moderne Derrida, Giddens und die Geister der Aufklärung 27
1 Déjà vu 27
2 Finish Move 29
3 Schachteln in Schachteln 30
4 Reflexivität und Rekursivität 32
5 Strukturation und Organisation 37
2. Post mortem? Nachrufe auf die Postmoderne Eine Polemik 40
1 Fünf Topoi eines common sense 40
2 Sokal‘s hoax 42
Postscriptum, 2007 45
3 Post mortem? 47
4 Im Reich des Bösen und des Guten: Mark Lilla 52
5 Quiescant in pace? 57
3. Derrida, Habermas und der Strudel der Geschichte 59
1 Kannitverstan 59
2 Noch ein Déjà vu 61
3 Ein institutionalisierter Denkstil 63
4 Der Strudel der Geschichte 65
5 Bedeutungsrelativismus? 68
6 Einebnung des Gattungsunterschieds zwischen Philosophie und Literatur? Performative Selbstwidersprüche? 70
7 Noch ein Gattungsunterschied: „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse“ 73
8 Warum es sich lohnt, Derrida zu lesen – sogar, um Organisationen besser zu verstehen 74
4. „Postmodernes“ Denken und neoliberale Politik Habermas in organisationstheoretischer Lesart 85
1 Freihandel und „Postmoderne“ 85
2 Universalismus, Relativismus, Neoliberalismus 90
5. Deconstructing Tony Strukturation und Dekonstruktion 96
1 „... this threefold connotation of différance“ 97
2 Die anwesende und abwesende Struktur 100
3 „... dead traditions of thought“ 105
II Organisation 113
6. Organisation und Dekonstruktion. 115
1 Ein Hammer, ein Nagel und ein Pudding 115
2 Anything goes? 117
3 Organisation und Dekonstruktion – state of the art 120
4 Entscheidungsprozesse – eine dekonstruktive Analyse 122
5 Die Logik des Supplément 127
6 Das eingeschlossene Ausgeschlossene der Organisation 139
7 Zonen tolerierter Differenz 141
7. Buridans Esel verhungert nicht Notiz zur Paradoxie des Entscheidens 145
8. „Für Unbefugte verboten“ Über nahezu, aber nicht vollkommen tautologische Regeln. 148
9. Rollentheorie: Eine dekonstruktive Denkbewegung 150
10. Verträge, Standards, Private Governance Regimes Die Différance der Globalisierung und die Globalisierung der Différance 162
1 Soft Law Corporate Governance, Private Governance Regimes, Compliance 162
2 Contracting worlds 172
3 Standardisierung und Selbstorganisation 179
11. Eine stille Produktion Über Ressourcen und ihre Veränderung im Gebrauch 185
1 Wildern. Die Produktion von Gebrauchsweisen 187
2 Technik und Anwendungskontexte. Rekursionen 193
3 Produktion und Konsumtion 195
4 Trajektorien des Gebrauchs 197
5 Erzeugung und Erzeugnis 199
6 Der Zement der Gesellschaft. Ressourcen und Regeln Regeln und Regelmäßigkeiten
7 Ressourcen, Organisation und strategisches Management 206
12. Organisationen als Placebo-Responder 211
1 Gute Besserung. Consulting als Placebo 211
2 Placebo als Metapher 214
3 Beispiele 215
4 Organisationen als Placebo-Responder 218
13. Organisationen und die Fabrikation von Identität 219
1 Etwas als etwas – die Identität von Dingen 219
2 Menschliche Identität 225
3 Die Identität von Organisationen 229
4 Identitätsfabrikation in und durch Organisationen 236
14. Richtigstellung, betreffend die Realität Zu Dirk Baeckers Rezension des Buches „Als Ob“ 239
III Evolution und Kooperation Vertrauen, Geld, Macht 243
15. Die Ehre der Prizzis, oder: Vertrauen ist nicht der Anfang von allem Über Vertrauen und Relianz 245
1 Relianz, Vertrauen und die Ehre der Prizzis 245
2 Der zu clevere Agent 252
3 Pascals Wette 253
4 Vertrauen ist nicht der Anfang von allem 254
5 Zeugenschaft 258
16. „... die Natur, rot an Zähnen und Klauen“ Notiz über Evolution, Konkurrenz und Kooperation 259
17. Spandrillen der Organisation 263
18. „... die mysteriöse Einheit der Operation“ – Für und wider Niklas Luhmann. 268
19. „... ein neues Amalgam von Geld und Macht“ Briefwechsel mit Niklas Luhmann. 276
20. Anything goes. Rien ne va plus. Organisationswelten als Sinnprovinzen 279
1 Eindeutigkeit, Mehrdeutigkeit 279
2 Anything goes. Rien ne va plus. 281
3 Eine Welt, viele Welten? 284
21. „Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug“? 289
1 Parsifal 289
2 Sisyphos. Ein Happy End 292
Literatur 295
Personenregister 317
Sachregister 323

4 Strukturation und Dekonstruktion (S. 16)

Tatsächlich verfolgt Derrida keine, oder kaum, sozialwissenschaftliche Interessen. Seine Insistenz aber auf der „dissemination", der nicht stillstellbaren Vervielfältigung und Zerstreuung der Bedeutung von Texten, brauchen wir nur auf die allseits doch völlig unbestrittene Sinndimension allen sozialen Handelns zu beziehen (Ricœur 1978), um die Relevanz seiner Arbeiten und Denkfiguren für die Organisationstheorie zu sehen.

Organisation können wir ja geradezu als die Arbeit an der Fest-Stellung von Bedeutungen (auch: der Bedeutung des Handelns) auffassen – mit Derrida wäre zu ergänzen: eine immer notwendige und niemals gelingende, niemals zu Ende zu bringende Arbeit. Organisation ist das organisierte Ringen um die Absorption von Unsicherheit und Mehrdeutigkeit, um die Entfaltung, Bearbeitung, Verschiebung und oszillierende Veränderung von Paradoxien, mit der Zuflucht zu immer nur vorläufigen „Lösungen" mit eingebauten Folgeproblemen.

Wir setzen auf „rule following", aber handeln uns den Starrsinn der Bürokraten ein und sagen dann: „First, break all the rules" (Buckingham, Coffman 1999), wir puffern den technischen Kern einer Organisation, aber sehen uns mit dann doch einsickernder Kontingenz aus der Umwelt in den technischen Kern konfrontiert, wir setzen auf Hierarchie statt auf Markt, aber in Gestalt von profit centers, intrapreneurship oder Unternehmungsnetzwerken kommt es irgendwann zu einem re-entry des Marktes in die Unternehmung.

So etwas heißt bei Derrida: Différance, eine zugleich aussetzende, verschiebende, aufschiebende und verändernde Kraft. Man lese Erhard Friedbergs Buch über den beständigen Aufschub, das Aussetzen und die Veränderung organisationaler Regelwerke (Friedberg 1995, dazu: Ortmann 2003). Das alles endet, auch bei Derrida, nicht in einem Bedeutungsrelativismus. Es platziert aber die Figur des Wandels – der beständigen Différance organisationaler Strukturen – im Innersten allen Geschehens in Organisationen.

Wer sich an Derridas Rekurs – Reduktion? – auf „den Text" stört, bedenke: in der Rede vom Kontext haben wir alles Handeln, alles Kommunizieren, alles Interpretieren und jede Organisation längst selbst unter die Metapher des Textes gebracht. Dito mit der Rede vom „pretext" – Vorwand –, der ja von Meyer/Rowan bis Brunsson eine so dominante Rolle in der neo-institutionalistischen Organisationstheorie spielt.

Der gesamte Kontext-Determinis- mus der Kontingenzforschung hätte sich vermeiden und ein Vierteljahrhundert situative Organisationsforschung einsparen lassen, wäre nur von Uexkülls Umwelt- und Batesons Kontext-Konzept zur Kenntnis genommen worden. Das Gleiche gilt von den wirkmächtigen deterministischen Versionen der evolutionstheoretischen Organisationsforschung, etwa des population-ecology-Ansatzes. Damit aus dem Rekurs auf den Text keine Reduktion wird, brauchen wir einen Begriff der Ressourcen und des Eingreifens in die Welt, den ich – durchaus mit Derrida – im 11. Kapitel entwickle.

Organisationen operieren zur Fest-Stellung von Bedeutung mit dem, was Gregory Bateson (1983, 374 ff) „Kontext-Markierung" genannt hat. Hamlet spricht zu Ophelia über Selbstmord, aber wir rufen nicht die Polizei. Eintrittskarten, Vorhang, Sitzordnung und viele andere Zeichen markieren den Kontext. Organisationsanweisungen, Unternehmungsphilosophien, strategische Planungskonzepte, Gratifikationen zum Beispiel sind auch Kontext- Markierungen (Bateson 1983, 168).Mehr noch: Die Anwendung von Regeln, die Einhaltung von Gesetzen impliziert, einigermaßen paradox, ihre situative Aussetzung, Verletzung, Modifikation und Rekreation.

Erscheint lt. Verlag 14.5.2008
Reihe/Serie Organisation und Gesellschaft
Organisation und Gesellschaft
Zusatzinfo VIII, 334 S.
Verlagsort Wiesbaden
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte Evolution • Macht • Nation • Organisation • Organisation und Gesellschaft • Postmoderne • Regeln • Ressourcen • Vertrauen
ISBN-10 3-531-90921-5 / 3531909215
ISBN-13 978-3-531-90921-9 / 9783531909219
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