Fotos sehen, verstehen, gestalten (eBook)
XIII, 263 Seiten
Springer Berlin (Verlag)
978-3-540-27493-3 (ISBN)
Ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte und mit dem Fotoapparat ist es leicht, sich ein oder auch viele Bilder zu machen. Martin Schuster spürt den psychologischen Aspekten der Fotografie nach: Welche Motive werden gewählt? Was verbindet Fotografen und Fotografierte? Was erleben wir beim Betrachten eigener und fremder Fotos? Er zeigt, wie Fotos genutzt werden können, um die Vergangenheit wieder lebendig zu machen und wie Presse- und Werbefotografen mit Fotos an unsere Wünsche und Sehnsüchte appellieren. Hinweise zur Alltagsfotografie ermuntern dazu, ungeachtet künstlerischer Ambitionen die Fotografie für das eigene Leben intensiver und persönlicher zu nutzen.
Die völlig überarbeiteten und aktualisierte Auflage wurde um ein Fotopraktikum erweitert, das Anregungen für Motive gibt, bei denen der Fotograf fotopsychologische Kenntnisse umsetzen kann. Ein ausführliches Kapitel zur digitalen Fotografie rundet die Neuauflage ab.
Inhaltsverzeichnis 6
Bildnachweis 12
Vorwort 14
1 Fotopsychologie: Einleitung 15
2 Die Historie der Fotografie und der Seele 19
Fotos werden zum Ritualelement 20
Fotos liefern Verhaltensmodelle 22
Die sich wandelnde Akzeptanz Fotografie 24
Die Fotografie und die Persönlichkeitsrechte 25
Die Befreiung des bildhaften Denkens 26
Ist Fotografie ein weibliches oder männliches Hobby? 29
3 Fotografie und Wahrnehmung 31
Die visuelle Wahrnehmung: wie sie abläuft 31
Wie wird der Wahrnehmungsvorgang durch Fotos verändert? 38
Räumliche Tiefe und Figur-Bildungen 38
Die Hintergründe der Redner 42
Neue visuelle Metaphern 44
Verzerrung von nahen Objekten 44
Die fallenden vertikalen Linien 45
Der »Moment« des Fotos 46
Die Fotografie und die historische Entwicklung der Wahrnehmung 49
Das neue Seherlebnis als kulturelle Leistung 55
Die Schönheit von Bildern und von Fotos 56
Fotospezifische Erschwerungen der Bildwahrnehmung 60
Malerei vs. Fotografie 63
Stört das Fotografieren die aktuelle Wahrnehmung? 65
Muss man lernen, eine Fotografie zu sehen? 68
Fotopraktikum: Wahrnehmung 71
4 Fotos und Erinnerungen 73
Blitzlichterinnerungen 74
Das Foto als Erinnerungsmarker (retrieval cue) 76
Fotos und Urlaubserinnerungen – eine empirische Studie 77
Erinnerungen und aktives Fotografieren 79
Erinnerung an geliebte Sachen 82
Fotos als Erinnerungen an geliebte Menschen 85
Vergangenes behalten wollen, Vergangenes vergessen wollen 87
Erinnerungen an sich selbst, die Identität 88
Fotos formen die weitere Erinnerung 89
Erinnerung an Fotos statt an die Wirklichkeit? 91
Das Foto-Interview 92
Fotopraktikum: Fotografie und Erinnerung 94
5 Fotos in der Fototherapie 95
Fotos sehen lernen 96
Fotos als dokumentierte Vergangenheit 98
Fotos als Stellvertreter von Personen 102
Fotos als symbolischer Gegenstand 104
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Äußeren 105
Das Wiedererinnern und Aufrufen früherer Ressourcen 108
Entwicklungsmöglichkeiten der Fototherapie 108
Fototherapie und Kunsttherapie 110
Eine Pathologie des Fotografierens? Das geheime Foto 111
Fotopraktikum: Fototherapie 113
6 Wie Fotos auf Instinkte wirken 115
Das Objektiv als Auge 115
Fotos »machen uns an« 119
Die Entwicklung der erotischen Fotografie 121
Das Auto als Ort erotischer Fantasien 125
Einflüsse der erotischen Fotografie auf das Verhalten 127
Wann sind Fotos pornografisch? 128
Die Erotik des Fotografierens 128
Kinderfotografie 130
Food-Fotografie 130
Ausdruckgesten als ritualisiertes Verhalten 131
Der untypische Moment erhält im Foto Dauer 134
Die Dauer des Fotos verändert die Bedeutung einer Mimik 135
Fotopraktikum: Instinkte 138
7 Das Porträtfoto 141
Neue Verhaltensmöglichkeiten durch das Porträtfoto 144
Eine neue Art des Ruhmes 145
Die neue Kontinuität des »Ich« über den Lebenslauf 146
Neue Möglichkeiten, ein Gesicht zu betrachten 147
»Quasi-Bekanntschaft«, »Quasi-Gemeinschaft« 148
Gesichtsausdruck und Gesichtsschönheit 148
Der aktuelle Ausdruck 149
Wie erreicht man spontanen Ausdruck? 150
Der habituelle Ausdruck und Gesichtsschönheit 152
Weitere Merkmale der Gesichtsschönheit 154
Gesicht und Charakter 155
Manipulation des Aussehens durch die Fotografie 157
Porträtähnlichkeit 159
Das untypische Foto 161
Gedanken über die Frage »Wie sehe ich aus?« 164
Moden in der Gestaltung von Porträts 167
Das Porträtfoto im sozialen Kontext, Porträtfotos in Geschäftsberichten 169
Fotopraktikum: Porträt 170
8 Soziale Beziehungen und Fotografie 173
Die Fotografie als Fortsetzung der Kommunikation mit anderen Mitteln 176
Die Rollen von Fotografen, Fotografierten und Passanten 177
Die Rolle des Fotografen 178
Die Rollenübernahme durch die Fotografierten 180
Die Rollenübernahme durch Passanten 181
Das Bild – ein fragmentarischer Sozialkontakt 181
Die Kamera – eine Liebesbeziehung 185
9 Das öffentliche Foto: Presse, Werbung, Propaganda 189
Fotografie und Demokratie 189
Bilder mischen sich in das Denken ein 192
Das psychoaktive Pressefoto 193
Stilentwicklung durch die Pressefotografie 194
Die soziale Fotografie 196
Pressebild und »Wahrheit« 199
Ereignisse für das Pressebild 201
Pressebild und Text 202
Das Foto als Beweismittel 203
Das Werbebild 204
Werbebilder als Botschaft 206
Das Propagandafoto 209
Aussehen und Wirklichkeit – das Wesen im Äußeren 213
Fotopraktikum: Das öffentliche Foto 215
10 Fotografie und Kunst 217
Das geheime Zaubermittel 218
Das Foto führt zu neuen Wahrnehmungserfahrungen 220
Fotografische Effekte dringen in die Kunst 221
Das Foto als Rohmaterial für das Kunstwerk 222
Das Foto als Materialisierung des Kunstwerks 224
Das Kunstfoto 225
Fotografen-Künstler 230
Das Problem des Originals 234
Das Foto des Künstlers 236
Der Amateur im Abglanz der Künstler 236
Ist Fotografie Kunst? 239
Fotopraktikum: Kunst 239
11 Fotopsychologie –Psychofotografie 241
Eine neue persönliche Fotografie 243
Fotos öffnen neue Welten 251
Fotopsychologie und technischer Wandel: Die digitale Fotografie 253
Bildserien 255
Notizbuchfunktion 256
Kommunikation 257
Unbemerktes Fotografieren 258
Das Bild bleibt »geheim« 259
Bilderfluten 260
Bildbearbeitung und Wahrheit des Bildes 260
Fotografie und Film 261
Fotopraktikum: Persönliche Fotografie 262
12 Zwei fotopsychologisch orientierte Interviews 265
Interview mit dem ehemaligen Model Katrin 265
Interview mit dem Kunstmaler Professor Wickert 268
Literatur 271
7 Das Porträtfoto (S. 127-128)
Schon zu Urzeiten konnte man sein eigenes Antlitz betrachten. Damals war es der Wasserspiegel, der diese Möglichkeit bot. Das bewegte Spiegelbild schien so etwas wie die Seele zu sein. So ranken sich bis heute um den Spiegel und das Spiegelbild, aber auch um das Abbild allerlei mythische Annahmen, die unsere Gedanken und Gefühle gegenüber der Fotografie beeinflussen. Aus solchen Quellen speisen sich sicher auch die Vorschriften des Feng Shui über Spiegel in Wohnungen. Der Spiegel soll z. B. genügend Platz bieten, um neben dem Gesicht auch noch die Aura aufzufangen.
Die Seele kann sich vielleicht also im Spiegel fangen? In Sterbezimmern wurden die Spiegel abgehängt, damit die Seele des Toten nicht im Spiegel festgehalten wird. Nach deutschem Aberglauben kann ein Verstorbener im Spiegel erscheinen, wenn sein Name gerufen wird (vgl. Hartlaub 1951). Und wer ein Spiegelbild »mitnimmt«, hat ein Stück Seele eingefangen. Die Fotografie ist ja – gleichsam – ein feststehendes Spiegelbild. Aus der Überlieferung heraus dürfen wir also durchaus bei den Menschen die Befürchtung erwarten, dass der Besitz einer Fotografie eine magische Einflussnahme ermöglicht. Die dem Spiegelbild ähnliche Fotografie hat dabei sicher noch eine ganz andere magische Qualität als das gemalte Bild. Spitzing berichtet (1989), dass in der Türkei ein Anschneiden des Kopfes aus einer Fotografie gefürchtet ist. Man fürchtet eine – analoge – magische Einflussnahme auf den so »Beschnittenen«.
Zum Nachweis der Bildmagie wurden sogar wissenschaftliche Studien betrieben. Büchner (1914) befestigte die Fotografie einer (anwesenden) Person zwischen zwei Metallplatten, durch die er dann Strom fließen ließ. Er schrieb das Ergebnis nieder (S. 522):
»Ohne von dem beabsichtigten Versuch unterrichtet zu sein, äußert sich die Wirkung nach Einschalten des Stromes in mannigfacher Weise. Eigenartige Gefühle in den Beinen, teils auch im Kopf und im Magen, zuweilen auch starke Müdigkeit und ein prickelndes Gefühl in den Gliedern zeigen den elektrischen Strom an.« Er glaubt, eine Fernwirkung über mehrere Kilometer nachgewiesen zu haben.
Nadar (1978) schildert uns Balzacs (1799–1850) Ansicht, die Körper bestünden aus kleinen Schuppen oder Blättchen, von denen sich eine Schicht löst und auf die fotografische Platte gebannt wird. Er fürchtete sich davor, fotografiert zu werden. Mit Pendelversuchen wird von esoterischen Forschern die Stimmung der auf Fotos abgebildeten Personen und Tieren ergründet, weil die Fotografie angeblich auch Lebenszeichen ausströme. Die Befürchtung (z. B. heutiger Eingeborenenstämme und auch islamischer Kulturen), im Akt des Fotografierens werde ein Stück Seele weggenommen, ist also tief in unserer Geistesgeschichte verankert und auch wir sehen es normalerweise keineswegs gern, von Fremden fotografiert zu werden. Das aufgeklärte 19. und 20. Jahrhundert hat diese tiefere Schicht von Befürchtungen aber schnell in einen weniger bewussten Hintergrund verdrängt und die Fotografie als technischen Fortschritt gefeiert.
Für Bildnisse von Verwandten, Freunden und prominenten Zeitgenossen gab es schon vor der Fotografie eine rege Nachfrage. Sie wurde von Malern, Kupferstechern und Lithografen befriedigt. Natürlich war es kostspielig, ein Porträtbild anfertigen zu lassen. Je mehr Köpfe darauf abzubilden waren, um so teurer war es.
Erscheint lt. Verlag | 6.12.2005 |
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Zusatzinfo | XIII, 263 S. |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie | |
Mathematik / Informatik ► Informatik ► Grafik / Design | |
Naturwissenschaften | |
Sozialwissenschaften | |
Technik | |
Schlagworte | Alltagsfotografie • Amateurfotografie • Fotografie • Fotopsychologie • Fototherapie • Hobbyfotografie • Porträt • Psychologie |
ISBN-10 | 3-540-27493-6 / 3540274936 |
ISBN-13 | 978-3-540-27493-3 / 9783540274933 |
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