Menschenrechte und Volkssouveränität in Europa
Klaus Günther und Ulfried Neumann sind Professoren am Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie der Universität Frankfurt, die Juristin und Publizistin Gret Haller ist dort Gastwissenschaftlerin.
Inhalt
Vorwort
Ulfrid Neumann 7
Einführung
Gret Haller 11
Grundlagen
Von der gubernativen zur deliberativen Menschenrechtspolitik - Die Definition und Fortentwicklung der Menschenrechte als Akt kollektiver Selbstbestimmung
Klaus Günther 45
Das Menschenrecht auf Demokratie - Eine moralische Verteidigung mit einer rechtlichen Nuance
Samantha Besson 61
Die demokratische Verfassung
Richard Bellamy103
"Von oben" oder "Von unten"? Der Schutz der Menschenrechte - zwei Interpretationsansätze
Sergio Dellavalle123
Düstere Aussichten - Die Zukunft der Demokratie in der Weltgesellschaft: Sieben Thesen
Hauke Brunkhorst159
Europarat
Menschenrechte zwischen souveränem Willen und internationalen Standards
Jarna Petman179
Definition und Entwicklung der Menschenrechte im internationalen Kontext und Volkssouveränität
Inge Lorange Backer187
Menschenrechte und Volkssouveränität in der Praxis der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht ("Venedig-Kommission")
Jan Helgesen197
Europäische Union
Menschenrechte und Übertragung der Souveränität auf die Europäische Union: Folgen für die Definition und Entwicklung der Menschenrechte
Catherine Schneider203
Kommentar
Christoph Möllers239
Die Europäische Agentur für Grundrechte in der europäischen Menschenrechtsarchitektur und ihre Fortentwicklung durch den Vertrag von Lissabon
Armin von Bogdandy/Jochen von Bernstorff242
Die nationale Ebene (Beispiele)
Kombination aus theoretischer ex ante- und konkreter ex post-Prüfung: Das finnische Modell
Kaarlo Tuori279
Definitions- und Entwicklungsprozesse der Menschenrechte außerhalb der Volkssouveränität. Ein Kommentar
Richard Clayton290
Definitions- und Entwicklungsprozesse der Menschenrechte außerhalb der Volkssouveränität: Gerichtliche Prüfung als Ersatz für politische Willensbildung
Péter Paczolay293
Kommentar
Regina Kreide302
Autorinnen und Autoren308
Vorwort Der vorliegende Band enthält die Beiträge zu einer Tagung über "Menschenrechte und Volkssouveränität in Europa", die am 15. und 16. Mai 2009 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main stattfand. Organisiert wurde diese Tagung vom Fachbereich Rechtswissenschaft und dem an der Goethe-Universität institutionalisierten Exzellenzcluster "Herausbildung normativer Ordnungen" in Kooperation mit dem Center of Excellence "Foundation of European Law and Policy" der Universität Helsinki und der "European Commission for Democracy through Law" des Europarats, der so genannten "Venedig-Kommission". Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage der primären institutionellen Zuständigkeit für die Definition von Grundrechten und Menschenrechten: Soll die Aufgabe der Ausgestaltung und Ausformulierung von Grund- und Menschenrechten vorrangig den Volksvertretungen (Parlamenten), oder aber den Gerichten zugewiesen werden? Für die Erörterung dieser zentralen Frage erwies sich die Einbeziehung von Wissenschaftlern, die zugleich in justiziellen oder anderen staatlichen Institutionen an maßgeblicher Stelle Verantwortung tragen bzw. getragen haben, als besonders fruchtbar. Denn die Frage kann, wie sich in den Vorträgen und Diskussionen bestätigte, nicht allein anhand rechts- und staatstheoretischer Analysen, sie muss auch auf der Basis einer genauen Kenntnis und realistischen Einschätzung der Institutionen beantwortet werden, um deren vorrangige Zuständigkeit für die Definition von Grund- und Menschenrechte es geht. Aus der Perspektive der Rechts- und Staatstheorie ist diese Frage eng mit dem Problem der Begründung der Menschenrechte verbunden. Strikt und fast unvertretbar vereinfacht: Versteht man Menschenrechte, im Sinne naturrechtlicher Deutungsmuster, als vorgegeben, dann besteht die Aufgabe nicht in der Formulierung, sondern in der Reformulierung dieser Rechte. Es geht um einen kognitiven Akt, für den es keiner "politischen" Legitimation bedarf. Ausreichend ist eine kognitive Kompetenz, die eher den für die "Erkenntnis" des Rechts zuständigen Gerichten zuzuerkennen wäre. Werden Menschenrechte dagegen als Ergebnisse einer normativen Verständigung interpretiert, dann sind für ihre Definition primär die Institutionen zuständig, die den politischen Gestaltungswillen und die Gestaltungskompetenz des Volkes repräsentieren, also die Parlamente als die "Vertretungen" dieses Volkes. In dieser Gegenüberstellung sprechen die besseren Argumente prima facie für das zweite Modell. Versteht man die Annahme vorgegebener Menschenrechte in einem ontologischen Sinn, dann ist sie heute erkenntnistheoretisch diskreditiert. Die Berufung auf transzendente Instanzen ist dem "nachmetaphysischen" Denken verwehrt, die in Hinblick auf irdische Machthaber (Fürsten) politisch überholte Vorstellung einer "Gewährung" von Menschenrechten "von oben" also auch in ihrer religiösen Transposition obsolet. Eine Argumentation aus der menschlichen Natur würde - zumindest - dem Verdikt eines fehlerhaften Schlusses von einem Sein auf ein Sollen, eines "naturalistischen Fehlschlusses", zum Opfer fallen. Und der Versuch, Menschenrechte aus der menschlichen Vernunft abzuleiten, müsste mit dem Einwand rechnen, dass die Vernunft ohne metaphysische Zusatzprämissen nur als operatives Vermögen, nicht aber als Ursprung normativer Konstrukte in Betracht komme. Es sind aber nicht nur erkenntnistheoretische Argumente, die eine Ablehnung des naturrechtlichen Deutungsmusters und die alternative Interpretation der Menschenrechte als Ergebnis einer normativen Verständigung nahelegen. Die Idee vorgegebener Rechte stößt sich tendenziell mit dem Grundsatz, dass die Konstitution der Prinzipien staatlichen Zusammenlebens, und damit auch der fundamentalen Rechte des Einzelnen, der Entscheidung des souveränen Volkes obliegt. Die hier resultierende Spannung soll über die Idee der "Gleichursprünglichkeit von Menschenrechten und Volkssouveränität" (Habermas) abgefedert werden. Mit der Betonung der Volkssouveränität verbindet sich folgerichtig eine Option für die Volksvertretungen und gegen die Gerichte, insbesondere, soweit es um Fragen der Handhabung der Verfassung (und damit auch der Definition der verfassungsrechtlich gewährleisteten Grund- und Menschenrechte) geht. Die Verfassungsgerichtsbarkeit erscheint aus dieser Perspektive als Ausdruck eines Misstrauens gegenüber der Demokratie und als Eingriff in die Kompetenzen des Parlaments als des Repräsentanten des souveränen Volkes.
Erscheint lt. Verlag | 14.2.2011 |
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Reihe/Serie | Normative Orders ; 2 |
Co-Autor | Inge Lorange Backer, Richard Bellamy, Jochen von Bernstorff, Samantha Besson, Armin von Bogdandy, Hauke Brunkhorst, Richard Clayton, Sergio Dellavalle, Klaus Günther, Gret Haller, Jan Helgesen, Regina Kreide, Christoph Möllers, Peter Paczolay, Jarna Petman, Catherine Schneider, Kaarlo Tuori |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 142 x 214 mm |
Gewicht | 385 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Allgemeines / Lexika |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Europäische / Internationale Politik | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Politische Theorie | |
Schlagworte | Europarat • Europa-Verfassung • Gesetzgeber • Menschenrechte • Menschenrechte (MenschR) • politische Mitwirkung • Verfassung |
ISBN-10 | 3-593-39283-6 / 3593392836 |
ISBN-13 | 978-3-593-39283-7 / 9783593392837 |
Zustand | Neuware |
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