Hartmut Essers Erklärende Soziologie
Alle fünf Herausgeber sind Soziologen und begannen ihre Laufbahn als Mitarbeiter und Assistenten bei Hartmut Esser.
Inhalt
Vorwort 9
Grußwort
Hans Albert 10
Einleitung: Eine Auseinandersetzung mit Hartmut Esser
Paul Hill, Frank Kalter, Johannes Kopp, Clemens Kroneberg, Rainer Schnell 11
Soziologische Anstöße
Hartmut Esser 17
I. Handlungstheoretische Grundlagen
On axiological rationality
Raymond Boudon 31
Why framing should be all about the impact of goals on cognitions and evaluations
Siegwart M. Lindenberg 53
Weder Habitus noch Frames - Symbole und Rituale
Hans-Georg Soeffner 80
Erwiderung: "Goals", "Frames" und "Rational Choice"
Hartmut Esser 107
II. Zur Erklärungslogik der Erklärenden Soziologie
Das Aggregationsproblem - Versuch einer methodologischen Analyse
Michael Schmid 135
Lob des Modellbaus
Werner Raub, Thomas Voss 167
III. Soziale Systeme und soziale Differenzierung
Wie sich funktionale Differenzierung reproduziert - eine akteurtheoretische Erklärung
Uwe Schimank 201
Inklusion und Exklusion - Probleme einer Unterscheidung
Thomas Schwinn 227
Erwiderung: Bringing society (back) in!
Hartmut Esser 255
IV. Assimilation und Integration
Sozialtheorie und Gesellschaftstheorie - ein problematisches Verhältnis
Bernhard Nauck 289
Hartmut Essers Assimilationsmodell zwischen empirischer Sozialforschung und makrosoziologischer Theorie
Andreas Wimmer 318
Erwiderung: Die offene Gesellschaft und ihre (P)Fründe
Hartmut Esser 349
Kleines Lexikon der Kölner Schule
Hartmut Esser 384
Autoren 385
Lob des Modellbaus Werner Raub und Thomas Voss Erklärende Soziologie und formale theoretische Modelle Hartmut Esser ist in Mannheim der Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie und Wissenschaftslehre. Er hat auf diesem Lehrstuhl einen berühmten Vorgänger: Hans Albert. Ein bekannter programmatischer Aufsatz von Albert trägt den für seinen Stil charakteristischen schönen Titel "Modell-Platonismus: Der neoklassische Stil des ökonomischen Denkens in kritischer Beleuchtung". Der Beitrag ist zuerst 1963 erschienen und hat mehrere Nachdrucke erlebt. Albert hat ihn wohl noch in seiner Zeit an der Universität zu Köln verfasst. Noch ein Bezug zu seinem Mannheimer Nachfolger Esser, der in Köln als Schüler René Königs studierte, der König, den Albert in einer Fußnote seines Beitrags und auch in anderen Schriften als einen offensichtlich verwandten Denker erwähnt. In seinem Beitrag skizziert Albert in klarer Sprache ein Forschungsprogramm für die Sozialwissenschaften, das Essers "erklärende Soziologie" in mancher Hinsicht mit Weitsicht und Treffsicherheit vorwegnimmt. Albert orientiert sich bekanntlich an der Methodologie Poppers. Er plädiert daher für empirischen Gehalt als Qualitätsmerkmal sozialwissenschaftlicher Theorien. Theorien sind keine Systeme von Begriffen, sondern Systeme von Aussagen, und zwar von Aussagen, die zu empirisch prüfbaren und daher im Prinzip auch widerlegbaren Hypothesen führen. Umgekehrt gilt es, empirisch prüfbare Hypothesen in allgemeine Theorien "einzubetten", idealerweise: empirisch prüfbare Hypothesen aus allgemeinen Theorien und geeigneten zusätzlichen Annahmen deduktiv abzuleiten. Und Albert (1967 [1963]: 361) skizziert auch bereits knapp den theoretischen Kern des sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramms, das ihm vorschwebt. Diesen theoretischen Kern hat er in vielen nachfolgenden Arbeiten (zum Beispiel Albert 1977) weiter ausgearbeitet. Insbesondere geht es dabei um die Idee des "methodologischen Individualismus, das heißt: die Idee der Erklärung sozialer Tatbestände aus dem Zusammenspiel individueller Handlungen unter verschiedenen Bedingungen", "die Orientierung am Selbstinteresse [...] und die damit verbundene Vorstellung rationalen Handelns" als zentrale allgemeine Verhaltensannahme und "die Idee der Kanalisierung menschlichen Verhaltens durch den Charakter der jeweiligen Rechtsordnung - der historisch variablen institutionellen Vorkehrungen des sozialen Lebens" (Albert 1977: 183-184; Hervorhebungen getilgt). Das Programm betont die methodische und theoretische Einheit der Sozialwissenschaften und richtet sich gegen die wechselseitige Abschottung verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen. Man erkennt unschwer wesentliche Elemente der erklärenden Soziologie im Sinne Essers. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man zum Beispiel die ideengeschichtlichen Wurzeln derartiger Vorstellungen in der schottischen Moralphilosophie im Auge behält. Esser (1993: 239-244) hat das selbst hervorgehoben und an gleicher Stelle (1993: 243) den Beitrag gewürdigt, den Albert dadurch geleistet hat, dass er nicht nur den Ökonomen, sondern auch anderen Sozialwissenschaftlern dieses Programm wieder in Erinnerung brachte. Was man bei Albert unschwer erkennt, ist insbesondere Essers (1993: 94-97; vgl. auch Esser 1999) Modell der soziologischen Erklärung mit seinen drei Schritten bei der Erklärung "kollektiver Explananda" (so Essers Formulierung, bei Albert 1977: "soziale Tatbestände"). Beim ersten Schritt, den Esser mit "Logik der Situation" andeutet, geht es um die Verknüpfung der Makro-Ebene der sozialen Situation bzw. sozialer Bedingungen mit den Erwartungen und Bewertungen (Präferenzen) der Akteure. Albert verweist hier auf ein wichtiges Beispiel sozialer Bedingungen, nämlich institutionelle Regeln. Den zweiten Schritt deutet Esser als die "Logik der Selektion" an. Hier geht es um die Erklärung individuellen Handelns mittels geeigneter allgemeiner Handlungstheorien. Bei Albert finden wir entsprechend den Hinweis auf die "Vorstellung rationalen Handelns". Mit "Logik der Aggregation" deutet Esser den dritten Schritt an, wobei Aussagen über kollektive Phänomene (das "kollektive Explanandum") aus Aussagen über individuelle Handlungen und zusätzlichen Annahmen abgeleitet werden. Bei Albert ist das die "Erklärung sozialer Tatbestände aus dem Zusammenspiel individueller Handlungen". Eine frühe Form dieses Schemas findet sich bekanntlich bei McClelland (1961: 47), Lindenberg und Wippler (1978) haben es genauer ausgearbeitet und durch Coleman (1990) wurde es breit bekannt (Esser 1993: 98 weist auf diese und andere Vorarbeiten für sein Modell hin, anders übrigens als Coleman, der es nicht für nötig hielt, die Vorarbeiten von Lindenberg und Wippler namentlich zu erwähnen). Der Titel von Alberts Aufsatz von 1963 ist unter Soziologen und anderen Sozialwissenschaftlern noch immer gut bekannt, jedenfalls was die Formulierung "Modell-Platonismus" betrifft. Unter einem "formalen theoretischen Modell" verstehen wir hier, grob formuliert, eine - gegebenenfalls in irgendeiner Weise logisch "geordnete", im seltenen Idealfall axiomatisierte - Menge von Aussagen (Prämissen, Annahmen) und Konklusionen, die aus dieser Menge von Aussagen folgen, wobei die Aussagen mehr oder weniger weitgehend in einer wohldefinierten formalen Sprache formuliert werden und wobei auf wohldefinierte Regeln für die Ableitung von Konklusionen zurückgegriffen wird (vgl. zum Beispiel Opp 1995: Kap. III.6 und VII). Mit "Modell-Platonismus" ist meistens die Vorstellung verbunden, gerade auch bei Soziologen, die dem Programm einer informativen und empirisch gehaltvollen Soziologie nahe stehen, dass formale theoretische Modelle einerseits und andererseits die Ausarbeitung prüfbarer Hypothesen sowie empirische Untersuchungen jedenfalls in der Soziologie ein eher problematisches Verhältnis haben. Diese Vorstellung treffen wir in zwei Varianten an. In beiden Varianten geht es spezifisch um das Verhältnis formaler theoretischer Modelle und empirisch prüfbarer Hypothesen und empirischer Untersuchungen im Rahmen des Forschungsprogramms, das Albert skizziert und das bei Esser für die Soziologie im Detail entwickelt wird. Die erste Variante finden wir zum Beispiel in einigen informativen Arbeiten über das Werk von James S. Coleman, dem zweifellos wichtigsten Vertreter des angedeuteten Forschungsprogramms in der modernen Soziologie (Heckman/Neal 1996; Sørensen 1996; Mayer 1998). Diese Arbeiten gehen der Frage nach, wie sich Colemans empirische bildungssoziologische Untersuchungen zu seinen theoretischen Arbeiten verhalten, einschließlich seiner Arbeiten zur mathematischen Soziologie. Mayers Fazit ist: "wechselseitiger Agnostizismus". Damit meint er, dass es keinen - oder jedenfalls kaum einen - systematischen Bezug zwischen diesen drei Zweigen von Colemans Werk gibt: "Es spricht einiges für die These, dass die empirischen und theoretischen Arbeiten James Colemans im Wesentlichen voneinander getrennt und parallel verlaufen, ohne dass man wirklich davon sprechen könnte, dass die empirischen Untersuchungen theoretischen Fragestellungen entsprangen oder darauf gerichtet gewesen seien, theoretisch abgeleitete Fragen zu beantworten. Im Übrigen scheint dies ebenso für den Methodologen Coleman zu gelten. Seine mathematische Soziologie beeinflusste weder seine empirischen Untersuchungen noch [...] sein theoretisches Werk." (Mayer 1998: 187). Das Verhältnis zwischen formaler theoretischer Modellierung und empirischer Forschung ist hier in dem Sinn problematisch, dass sie jedenfalls de facto unabhängig voneinander betrieben werden und dass formale theoretische Modelle dadurch keinen positiven Beitrag zur empirischen Forschung leisten. Eine zweite, weiter gehende und radikalere Auffassung über den (fehlenden) Beitrag formaler theoretischer Modelle bei der empirischen Umsetzung eines Forschungsprogramms à la Albert und Esser läuft darauf hinaus, dass solche Modelle typischerweise keine - oder höchstens unverhältnismäßig wenige - empirisch prüfbaren Implikationen haben, geschweige denn zu neuen und für den Erkenntnisfortschritt fruchtbaren Hypothesen führen. Diese Auffassung trifft man nach unserem Eindruck vor allem unausgesprochen, jedenfalls nicht schriftlich niedergelegt, in der Folklore der quantitativen empirischen Sozialforschung an, aber wir begegnen ihr zum Beispiel auch in manchen Passagen der wichtigen Studie von Green und Shapiro (1994), etwa wenn sie formulieren: "[...] dass nach wie vor ein bemerkenswertes Ungleichgewicht zwischen analytischen Darstellungen und Anwendungen besteht. Wer versucht, aus Rational-Choice-Modellen überprüfbare Aussagen abzuleiten, stellt zudem häufig fest, dass die Theorien so konstruiert wurden, dass sie gegen ungelegene Konfrontationen mit den Tatsachen immun sind." (Green/Shapiro 1999: 52)
Erscheint lt. Verlag | 9.11.2009 |
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Co-Autor | Raymond Boudon, Hartmut Esser, Siegwart M. Lindenberg, Bernhard Nauck, Werner Raub, Uwe Schimank, Michael Schmid, Thomas Schwinn, Hans-Georg Soeffner, Thomas Voss, Andreas Wimmer |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 142 x 214 mm |
Gewicht | 480 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Allgemeines / Lexika |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Allgemeine Soziologie | |
Schlagworte | Erklärende Soziologie • Esser, Hartmut • Hardcover, Softcover / Soziologie/Soziologische Theorien • Soziologie • Soziologie/Theorie • Theorie |
ISBN-10 | 3-593-38946-0 / 3593389460 |
ISBN-13 | 978-3-593-38946-2 / 9783593389462 |
Zustand | Neuware |
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