Deutsch für Dichter und Denker (eBook)
312 Seiten
Ase Gmbh (Verlag)
978-3-948287-11-5 (ISBN)
Daniel Scholten hat historische Sprachwissenschaft studiert, arbeitet als Schriftsteller und führt seit zehn Jahren seinen Sprachpodcast Belles Lettres.
2 Wie klingt gutes Deutsch?
1 Schreckliches Deutsch
Gutes Deutsch entsteht von allein, wenn man auf schlechtes Deutsch verzichtet. Darunter verstehen wir gewöhnlich schlampige Grammatik, durchtränkt mit Formulierungen aus der Umgangssprache oder gar mundartlichen Nuscheleien. Wörter werden willkürlich groß- und kleingeschrieben, die Kommasetzung ist grotesk. Wer sich in dieser Weise äußert, denken wir, würdigt seine Mitmenschen nicht.
Solches Deutsch gibt es, aber man findet es nur da, wo Menschen ohne Geläufigkeit im schriftlichen Ausdruck schreiben, wie sie sprechen. In komponierten Texten findet man es so selten, wie man auf der Straße Menschen mit wild wachsendem Haar begegnet. Selbst Albert Einstein hätte das Kämmen nie und nimmer drangegeben, wenn Alfred Nobel einen Haarschnitt als Voraussetzung für seinen Preis im Testament mit einem Wort erwähnt hätte.
Der Mensch möchte etwas hermachen oder zumindest nicht unangenehm auffallen, und damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Wer einen Brief an die Geliebte oder das Finanzamt schreibt, seine Kollegen im Büro mit Memos terrorisiert, eine wissenschaftliche Arbeit oder nach Feierabend einen Eintrag für seinen Blog verfasst, will sich durch Sprache profilieren.
Dieses Profil liegt gewöhnlich irgendwo zwischen Thomas Mann und einem Kanzlisten aus der Zeit, als Bürger noch Untertanen waren und Backenbärte trugen. Und es klingt grauenhaft. Obwohl wir solches Deutsch selbst nur unter Qualen lesen, steuern wir beim Schreiben geradewegs darauf zu.
„Was ist deutsch?“ ist eine politisch virulente Frage, die, medial aufbereitet, auch tagespolitische Diskussionen bestimmt. Das Buch versucht eine Antwort auf dem Weg einer Vergewisserung über die Verhältnisse, aus denen unser heutiger Umgang mit Sprache in Deutschland hervorgegangen ist.
Aus einem Buch über die deutsche Sprache
Halleluja! Der erste Absatz dieses Buches hat gerade erst angefangen, und schon bekommt man Lust auf ein Nickerchen oder denkt ans Fensterputzen.
Der Verfasser schreibt, wie wir alle schreiben. Ich habe dieses Beispiel nur wegen seines Themas gewählt und um nicht meine eigenen Ergüsse aus der Zeit noch einmal lesen zu müssen, ehe ich mich der Schriftstellerei hingab und mir ernstlich überlegen musste, wie man Texte schreibt, die andere gerne lesen.
Was lässt intelligente und einfühlsame Menschen in die Rolle eines Ideals schlüpfen, das keine Ähnlichkeit mit ihnen hat? Oder glauben Sie, dass der Verfasser so mit seiner Frau und seinen Kumpels spricht?
Es ist die Gelegenheit.
Schriftsteller oder Kolumnisten wissen vielleicht nicht, was sie am zweiten Dienstag im kommenden September schreiben werden, sie wissen jedoch, dass sie an diesem fernen Tag etwas schreiben werden. Schriftsteller wollen schreiben und erfinden dafür Anlässe, wie es ihnen gefällt. Als Berufsautoren können sie es sich nicht erlauben, die Wünsche ihres Publikums zu ignorieren, und lernen deshalb früh, ihren Text mit den Augen ihrer Leser zu betrachten: Bereitet ihnen das Lesen Freude?
Alle anderen Menschen sind Gelegenheitsautoren: Sie schreiben, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Ein Wissenschaftler schreibt, wenn er etwas entdeckt hat. Ein Enthüllungsjournalist recherchiert monatelang an einer Story, ehe er sie niederschreibt. Ein Klempner verfasst einen Brief ans Finanzamt, wenn ihm das Amt auf den Pelz rückt.
Wie häufig sich eine solche Gelegenheit ergibt, spielt dabei keine Rolle. Das Kriterium lautet: Zuerst ergibt sich eine Sache. Der Gelegenheitsautor greift nur zur Feder, um darzustellen, wie sich diese Sache verhält.
Wer bei Gelegenheit schreibt, neigt dazu, diese Gelegenheit für eine besondere zu halten. So besonders wie eine Beerdigung im Bekanntenkreis. Dort kann man sich nicht in Jeans und Pulli blicken lassen. Deshalb durchwühlt man den Kleiderschrank nach schwarzen Klamotten und muss vielleicht sogar hinunter in den Keller, um den alten Konfirmandenanzug zu reaktivieren. Darin geht man dann steif wie eine Statue hinter dem Sarg her, schüttelt Hände und fühlt sich unbehaglich und selbstfremd. Einer Beerdigung sind solche Empfindungen durchaus angemessen.
Nicht jedoch einem Text. Hier kommt es nicht darauf an, wie sich der Verfasser fühlt. Nur der Empfänger zählt. Dass der beim Schreiben abwesend ist, macht alles nur noch schlimmer.
Gelegenheitsautoren machen sich vor, sie müssten für die besondere Gelegenheit ein Feinerer und Professionellerer werden, als sie normalerweise sind. Doch wer wird man, wenn man ein Feinerer wird? Eine feinere Ausgabe seiner selbst, ein anderer Mensch? Man wird ein Homunkulus, eine Gestalt, die wie in einer Schauergeschichte von E. T. A. Hoffmann äußerlich einem Menschen nahekommt, im Inneren jedoch aus Gestänge und Drähten besteht. Und das hört man beim Lesen rattern und quietschen.
Wer feiner klingen will, als er ist, gibt seine Lebendigkeit und Eigenart preis. Am Ende steht ein Text, der weder von Menschen handelt noch wie von einem Menschen geschrieben klingt.
Als Gelegenheitsautor ersetzen wir unsere Menschlichkeit durch ein Ideal. Es gründet auf der Annahme, es gäbe zwei deutsche Sprachen: gesprochenes und geschriebenes Deutsch. Die Schriftsprache halten wir für das wahre Deutsch, für sachlich, professionell und für seit Jahrhunderten bewährt – das Sprechen für einen Abklatsch davon, voll von abgebrochenen Sätzen und grammatischen Bezügen, die nicht zusammenpassen. Und voll von subjektivem Erleben, das wir beim Schreiben für unprofessionell halten.
2 Der Mensch ist ein Erzähler
Dabei können wir Menschen eigentlich gar nicht anders, als zu erzählen. Zuerst erschaffen wir einen Schauplatz:
Du kennst doch den Weg vorn am Fluss!
Klar kennen wir den! Was ist damit?
Da lief ich gestern Abend entlang. War schon stockdunkel. Plötzlich fünfzig Schritte vor mir ein großer, schwarzer Hund. Schnüffelte herum, und kein Mensch weit und breit!
Fokuswechsel! Wir lenken den Blick des Zuhörers vom Hund auf den Protagonisten:
Ich gehe zu dem Hund hin und sage so: Wo ist denn dein Herrchen? Mich beschleicht langsam ein komisches Gefühl, weil das Viech nicht auf mich reagiert und einen Buckel hat. Sah merkwürdig aus für einen Hund.
Beim Schreiben wollen wir lieber sachlich und objektiv klingen. Das Ergebnis ist ein Text ohne Stimme, der entmenschlicht und menschenleer klingt. Er zeigt eine Welt, in der sich Gegenstände wie von Geisterhand bewegen. Wenn sich überhaupt etwas bewegt.
Montagabend ereignete sich eine erneute Sichtung eines Bibers.
Dabei ist es uns ein Kraftakt, das Erleben der Welt in eine statische Konstruktion zu verschachteln, ein Geflecht aus Genitiven, Parenthesen und rückbezüglichen Nebensätzen, das der Leser erst wieder entwirren und dann als inneres Bild zum Leben erwecken muss.
Das Kalkül lautet: Je leidvoller die Lektüre für den Leser, desto höher wird er den Text und seinen Autor schätzen.
Dabei lesen wir selbst Texte niemals, um uns einen Eindruck von der Klugheit des Verfassers zu verschaffen. Uns gefällt ein Text, wenn er gut zu verstehen ist und es etwas zu erleben gibt. Am besten ist er spannend. Spannung entsteht durch Emotion. Die kann es aber in menschenleeren Texten nicht geben.
3 Die Mär von der Hochsprache
Deutsch ist, wie wir sprechen. Was wir heute sprechen, ist eine Weiterentwicklung der gesprochenen Sprache von gestern. Die gesprochene Sprache hat Kontinuität.
All das fehlt der Schriftsprache. Sie ist in Buchstaben fixiert und kann nicht live kommunizieren. Sie lebt nicht, wie Sprachen leben, und zwar indem sich ihre Sprecher dauernd gegenseitig beeinflussen.
Abbildung 2-1 — Alle Werke der Dichtkunst sind nur Stilisierungen aus der gesprochenen Sprache ihrer Zeit. Auch wenn sich Dichter von ihren Vorgängern inspirieren lassen, sind sie als Punkte nicht verbunden.
Wir halten die Starre des Schriftdeutschen für die wahre Konstante des Deutschen und erklären sie zur Tugend.
Man darf sich selbstverständlich von Thomas Mann inspirieren lassen, solange man ihn nicht für die Vergangenheit unserer Schriftsprache hält. Oder gar für die ideale Gegenwart. Denn Thomas Mann ist nicht die Vergangenheit unserer Schriftsprache, sondern einfach nur ein toter Schriftsteller. Wer beim Schreiben zu Thomas Mann werden will, erschafft einen Homunkulus.
Wahrscheinlich erkennen Sie sich in diesem Streben nicht so ganz wieder oder überhaupt nicht, denn tatsächlich sitzt niemand mit nass gescheiteltem Haar vor dem Computer und schreibt willentlich auf die Buddenbrooks zu oder auf irgendein anderes Vorbild.
Die Wirklichkeit vollzieht sich in Kleinigkeiten: Ein Onlineredakteur leitet Relativsätze mit statt mit ein. Beim Sprechen würde er das nie tun, er will schließlich nicht für einen Lackaffen gehalten werden. Aber wenn er beruflich schreibt, tut er es.
Die Rede ist von all den kleinen Stilweisheiten, die wir in der Summe für bestes Deutsch halten, obwohl niemand so spricht. Täten wir es, wären sie keine Weisheiten.
Diese Stilweisheiten sind nichts anderes als totalitäre Ideen, nach denen die Welt und andere Menschen beurteilt werden: So regen sich manche darüber auf, wenn ihre Zeitgenossen nicht ordentlich deklinieren, also statt oder einfach nur sagen. Korrekt und althergebracht heiße es das kürzere sei eine Schlampigkeit der Umgangssprache.
Jeden von uns bringt irgendein Sprachgebrauch von anderen auf die Palme, ohne dass wir...
Erscheint lt. Verlag | 11.8.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Schulbuch / Wörterbuch ► Lexikon / Chroniken |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft | |
Technik | |
Schlagworte | Deutsch • Genitiv • Grammatik • Konjunktiv • Stilistik |
ISBN-10 | 3-948287-11-2 / 3948287112 |
ISBN-13 | 978-3-948287-11-5 / 9783948287115 |
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