Der gute Gott von Manhattan von Ingeborg Bachmann: Reclam Lektüreschlüssel XL (eBook)
120 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961554-7 (ISBN)
1. Schnelleinstieg
2. Inhaltsangabe
Das Verhör und der Angeklagte
Erste Begegnung und erste Station der Liebenden: das Stundenhotel
Die Stadt der Städte: Die Welt und seine Ordnung
Zweite Station der Liebenden: Im 7. Stockwerk des Atlantic Hotels
Marionetten-Theater im Central Park
Trennung und Wiederfinden
Dritte Station der Liebenden: Im 30. Stockwerk des Atlantic Hotels
Vierte Station der Liebenden: Im 57. Stockwerk des Atlantic Hotels
Bedenkzeit und Explosion
3. Figuren
Hauptfiguren
Nebenfiguren
4. Form und literarische Technik
Gattung
Aufbau
Sprache
Stil
5. Quellen und Kontexte
Der historische Kontext
Liebe und Utopie
Die Problematik der Sprache
6. Interpretationsansätze
Die "verkrustete Welt" und ihre Ordnung
Der ›andere Zustand‹ / Die Gegenzeit
Die weibliche Tragik
7. Autorin und Zeit
8. Rezeption
9. Wort- und Sacherläuterungen
10. Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen
11. Literaturhinweise/Medienempfehlungen
12. Zentrale Begriffe und Definitionen
Hauptfiguren
Der gute Gott von Manhattan: Der gute Gott ist die zentrale Gestalt dieser modernen Parabel, und er soll die Verkörperung der modernen Moralmoralische Ordnung der Gesellschaft verkörpern, die die absolute Freiheit des Individuums in der Liebe nicht dulden kann. Er tritt dabei als schrulliger alter Mann auf, nicht etwa als allwissender Gott. Mit Hilfe seiner Eichhörnchen verfolgt er alle Liebespaare, die in ihrer Beziehung gegen die gesellschaftliche Ordnung verstoßen. Zu Beginn des Stücks tritt er als Angeklagter in einem Mordprozess auf, denn er soll ein Bombenattentat auf ein junges Liebespaar verübt haben.
In seinen Aussagen vor dem Richter verteidigt er die bestehenden gesellschaftlichen Konventionen, die in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen herrschen. Er rechtfertigt sein Die Verfolgung von Liebespaarengewalttätiges Eingreifen in die Liebesbeziehung der beiden jungen Menschen damit, dass diese aufgrund ihrer sich intensivierenden Liebe gegen die bestehende Ordnung verstoßen hätten und sie somit zu zersetzen drohten.
Für dieses Attentat muss sich der gute Gott nun vor dem Gericht verantworten, wobei das Verhör im Laufe der Fragen und Antworten langsam zu einem Gespräch zwischen Gleichgestellten wird. Am Ende stellt sich dabei heraus, dass beide im Grunde genommen auf derselben Seite stehen. Auf den Hinweis des Richters, »Es gibt nicht zwei Richter – wie es nicht zwei Ordnungen gibt«, antwortet der gute Gott: »Dann müßten Sie mit mir im Im Bund mit dem RichterBund sein, und ich weiß es nur noch nicht. Dann war es vielleicht nicht beabsichtigt, mich außer Gefecht zu setzen, sondern etwas zur Sprache zu bringen, worüber besser nicht geredet werden sollte. Und zwei Ordner wären einer.« (S. 82)
In seiner Motivation und Methode hat die Figur des guten Gottes zwei reale kriminelle Zeitgenössische Vorbilder des guten GottesVorbilder, die in den 50er Jahren in Deutschland und in den USA für Schlagzeilen sorgten. Als Serienmörder von Liebespaaren weist er Ähnlichkeiten mit dem Mörder Werner Boost (geb. 1928) auf, der zwischen 1953 und 1956 in der Gegend von Düsseldorf sein Unwesen trieb. Der sogenannte ›Liebespaarmörder‹ wurde 1956 festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Das zweite kriminelle Vorbild war George Metesky (1903–1994), der 1940 und 1941 zunächst zwei Bomben und dann – nach einer auf den Zweiten Weltkrieg zurückzuführenden Pause – zwischen 1951 und 1956 dreiunddreißig Bomben in der Stadt New York legte, allein fünfmal im dortigen Zentralbahnhof, wo sich im Hörspiel Jan und Jennifer kennenlernen.
Der Richter: Diese Figur vertritt die gesetzliche Vertreter welcher Ordnung?Ordnung der Gesellschaft, im Gegensatz zur Funktion des guten Gottes als Vertreter der moralischen Ordnung. Wie der gute Gott trägt er keinen Namen, sondern wird durch seine gesellschaftliche bzw. berufliche Stellung identifiziert. In der Rahmenhandlung des Hörspiels spielt er die Rolle eines Erzählers der Binnenhandlung: Ein Großteil der Details der Liebesbeziehung – wann und wie sich Jan und Jennifer kennenlernten, wie sie in immer höhere Stockwerke des Hotels umgezogen sind usw. – wird von ihm aus einem Protokoll vorgelesen. Überraschend an dem Verhör ist nicht nur, dass der Angeklagte nichts an dem Tatbestand des Falles bestreitet, sondern auch, dass der Richter es von vornherein für sinnlos hält, dem Angeklagten Fragen zu stellen, »auf die ich die Antworten schon weiß« (S. 9). Denn der Richter kennt den guten Gott bereits, da dieser schon mehrmals wegen ähnlicher Mordfälle vor dem Gericht erscheinen musste, ohne je verurteilt zu werden. Am Ende des Verhörs wird klar, warum das so ist: Beide scheinen, wie der gute Gott meint, miteinander »im Bund [zu] sein« (S. 82).
Obwohl der Richter den Angeklagten einen »krankhafte[n] Phantast[en]« nennt (S. 81), lässt er sich von den Argumenten des guten Gottes vereinnahmen. Jedoch kann der Richter als Vertreter des Gesetzes den Mörder der zwei Liebenden nicht einfach freisprechen und so dem Ruf des Rechtsstaats schaden. Stattdessen lässt er ihn durch einen Nebenausgang das Gerichtsgebäude verlassen, obwohl die Anklage selbst aufrechterhalten wird. Die Mordfälle werden wahrscheinlich künftig fortgesetzt, was der Schweigen als Antwort auf den MordRichter mit dem Wort »Schweigen« (S. 94) – das letzte Wort des Stücks – zu akzeptieren scheint.
Jennifer: Sie ist eine amerikanische Studentin der »politische[n] Wissenschaften« (S. 18), die wie Bachmann selbst im August 1955 im Schnellzug von Boston nach New York fährt, um die Stadt zu besichtigen. Sie ist es, die die Beziehung mit Jan initiiert, indem sie ihn im New Yorker Erste Begegnung der Liebenden im BahnhofZentralbahnhof anspricht. Sie lässt ihn wissen, dass sie schon in Boston auf einer Universitätsfeier, die er auch besuchte, mit ihm tanzen wollte und ihn auch im Zug nach New York beobachtet habe. Nachdem sie sich in einem kurzen unverbindlichen Gespräch ein wenig kennengelernt haben, einigen sie sich darauf, gemeinsam essen zu gehen.
Schon in der zweiten Szene in einer Nachtbar wird deutlich, dass Jennifer sich von Jan vieles gefallen lässt, darunter auch physische und seelische Jans BrutalitätQuälereien. Nach dem ersten Tanz in der Bar klagt Jennifer: »Meine armen Hände. Meine armen, armen Schultern. Bitte, tu das nicht. Tu mir nichts« (S. 21). Kurz danach kann ihr eine Zigeunerin nicht die Zukunft aus der Hand lesen, weil Jan ihr die Handfläche mit seinen Fingernägeln verletzt hatte.
Im Gegensatz zu Jan ist Jennifer empfindlich und übernimmt auch eine entsprechende Rolle in ihrer Beziehung. Mit der fortschreitenden Stärkung und Vertiefung ihrer Liebe ist sie sogar bereit, Jan bedingungslos zu lieben, bis hin zum eigenen Jennifers IdentitätsverlustIdentitätsverlust: »Auf den Knien vor dir liegen und deine Füße küssen? Ich werde es immer tun. Und drei Schritte hinter dir gehen, wo du gehst. Erst trinken, wenn du getrunken hast. Essen, wenn du gegessen hast. Wachen, wenn du schläfst« (S. 84). Ihre Auffassung einer utopischen Liebe schließt den Umgang mit anderen Menschen außer dem Geliebten aus. Als der gute Gott ihr die Paketbombe ins Hotelzimmer liefert, sagt sie zu ihm:
»Gehen Sie, bitte, weil ich zu niemand reden darf. Ich liebe. Und ich bin außer mir. Ich brenne bis in meine Eingeweide vor Liebe und verbrenne die Zeit zu Liebe, in der er hier sein wird und noch nicht hier ist. […] Gehen Sie endlich. Sehen Sie mich nicht so an. Atmen Sie nicht diese Luft hier. Ich brauche sie. Ich liebe. Gehen Sie fort von hier. Ich liebe.« (S. 88)
Jan: Er ist ein junger Europäer, der sich als Tourist in Boston und New York aufhält. Von den zwei Liebenden ist er derjenige, der im Lauf der Handlung die größte Wandlung durchmacht. Er wirkt anfangs im Bahnhof eher passiv und desinteressiert, lässt sich dennoch von Jennifer dazu überreden, mit ihr essen zu gehen. Wegen seiner bevorstehenden Abreise per Schiff zurück nach Europa verspricht er sich von seiner Zeit mit Jennifer höchstens eine kurze unverbindliche Sommerfreundschaft, eventuell mit Intimitäten. Da er aber nicht weiß, wann sein Platz auf dem Schiff bestätigt wird und er tatsächlich auch sehr spät benachrichtig wird, bleibt er mehrere Tage mit ihr im Hotel. Während dieser Zeit wachsen in ihm allmählich Gefühle für Jennifer, die über den bloß sinnlichen Genuss hinausgehen.
Das Gespräch von Jan und Jennifer am ersten Abend im Stundenhotel – sie ziehen am folgenden Tag in das schönere Atlantic Hotel um – verrät die anfängliche primitive Natur der Affäre, in der die kalte, fast brutale Seite Jans zum Vorschein kommt. Jennifer zögert zunächst, im schmutzigen Hotelzimmer mit ihm ins Bett zu gehen. Auf ihren Vorschlag, zuerst darüber zu reden und nachzudenken, antwortet Jan brüsk: »Zieh dich aus!« (S. 26), woraufhin Jennifer weinerlich auf ihre durch Jan verletzten Hände hinweist: »Meine armen Hände. […] Sieh sie dir bloß an« (S. 26). Er entschuldigt sich mit der Bemerkung, dass Jennifer ihn zu dieser groben Behandlung aufgefordert habe. Das Hin und Her zwischen unverbindlicher Unverbindliche Zärtlichkeit und emotionale KälteZärtlichkeit und emotionaler Kälte kennzeichnet also Jan in dieser frühen Phase der Beziehung, in der er nur an den körperlichen Genuss denkt und ihr zu diesem Zweck den Rat gibt: »Denk nicht daran, mach die Augen zu. […] Man denkt nämlich nichts mehr dabei, weißt du? In Wahrheit denke ich, daß ich morgen früh aufs Schiffsbüro muß« (S. 27).
Weil das Schiff am nächsten Morgen nicht zur Abfahrt bereit ist, bekommt Jan ein schöneres Zimmer im 7. Stockwerk des Atlantic Umzug ins Atlantic HotelHotels. Mit dem Umzug in ein höher gelegenes Zimmer erreicht auch die emotionale Ebene der Beziehung ein höheres Niveau. Hier scheint Jan seine innere Kälte langsam abzubauen. Er zeigt Jennifer nun die spielerische Seite seines Charakters, wenn er zum Beispiel den Vorschlag macht, mitten in der Nacht...
Erscheint lt. Verlag | 12.2.2020 |
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Reihe/Serie | Reclam Lektüreschlüssel XL |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Schulbuch / Wörterbuch ► Lektüren / Interpretationen ► Deutsch |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Literaturwissenschaft | |
Schlagworte | Analyse • Charakterisierung • deutsch abitur • Deutsch Abitur Baden-Württemberg • Deutsch Matura • Erläuterungen • Inhaltsangabe • Interpretation • Klausur • Kommentar • Lektürehilfe • Referat • Sekundärliteratur • Textanalyse • Zusammenfassung |
ISBN-10 | 3-15-961554-5 / 3159615545 |
ISBN-13 | 978-3-15-961554-7 / 9783159615547 |
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