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Elemente des seelischen Konflikts (eBook)

Theorie und Praxis der modernen Psychoanalyse
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
310 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-561668-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elemente des seelischen Konflikts -  Charles Brenner
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Ohne sich von vorgefaßten, zum Teil »geheiligten« Auffassungen beirren zu lassen, prüft Charles Brenner, Verfasser von Standardwerken der Psychoanalyse, alle an dem psychischen Konflikt beteiligten Motivationselemente auf ihre theoretische Schlüssigkeit und praktische Bedeutung hin. Der logische Aufbau des Buches, die didaktische Klarheit der Darstellung und die präzise Sprache machen es zu einer gewinnbringenden Lektüre auch für Leser mit nur allgemeinen Kenntnissen der Psychoanalyse. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Charles Brenner (1913-2008) absolvierte sein Medizinstudium an der Harvard University. Seine psychoanalytische Ausbildung erhielt er am Boston Psychoanalytic Institute und nach 1945 am psychoanalytischen Institut in New York. Charles Brenner war Professor für Psychiatrie an der Yale University, außerdem Präsident der New York Psychoanalytic Society und der American Psychoanalytic Association.

Charles Brenner (1913–2008) absolvierte sein Medizinstudium an der Harvard University. Seine psychoanalytische Ausbildung erhielt er am Boston Psychoanalytic Institute und nach 1945 am psychoanalytischen Institut in New York. Charles Brenner war Professor für Psychiatrie an der Yale University, außerdem Präsident der New York Psychoanalytic Society und der American Psychoanalytic Association.

Freuds Vorstellungen von der Natur und den Quellen der Triebe


Freud stellte sich die Psyche als einen Apparat vor, der von Reizen zweierlei Art aktiviert werden kann, von sensorischen Reizen aus der Außenwelt und von körperlichen Reizen einer bestimmten Qualität. Diese letzteren nannte Freud die Triebe, da sie den psychischen Apparat zur Aktivität in Übereinstimmung mit dem Lustprinzip drängen oder treiben. Das ist die Rolle, die Freud den Trieben in der psychoanalytischen Theorie zugeschrieben hat. Die Triebe sorgen für Antrieb. Sie treiben die Psyche zu Aktivität.

In Übereinstimmung mit dieser Vorstellung glaubte Freud, daß psychoanalytische Befunde allein niemals eine adäquate Basis für eine zufriedenstellende Triebtheorie sein können. Er war davon überzeugt, und an dieser Überzeugung hielt er bis an sein Lebensende fest, daß ein Trieb etwas Somatopsychisches sei, etwas, dessen Quelle somatisch und dessen Effekt psychisch sei. Der Trieb erschien ihm »als ein Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem … als ein Maß der Arbeitsanforderung, die dem Seelischen infolge seines Zusammenhanges mit dem Körperlichen auferlegt ist« (Freud, 1915b).

In der Theorie, die Freud über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren entfaltete, unterschied er zwischen zwei gesonderten Trieben: Libido und Aggression. Jedem ordnete er eine somatische Quelle zu. Im Fall der Libido sind das die erogenen Zonen, wie Freud sie nannte. Im Fall der Aggression ist die Quelle ein Todestrieb, der allem Lebenden innewohnt. Darüber hinaus schrieb Freud den beiden Trieben unterschiedliche Triebziele zu. Das Ziel der Libido sei die Erlangung von Lustgefühlen. Das Ziel der Aggression sei Tod und Zerstörung des Selbsts, des Objekts oder beider (Freud, 1905b; 1915b; 1920; 1924a).

Die primären erogenen Zonen, die Freud als Quellen der Libido bezeichnete, sind Genitalien, Anus und Mund. Die sekundären oder untergeordneten sind die Haut und die Organe spezifischer Sinne wie Augen, Ohren und die Riechorgane. Ein Teil der Anhaltspunkte, die für die Annahme sprechen, daß diese Teile des Körpers Quellen der Libido darstellen, ist nichtanalytischer Natur. Man muß kein Analytiker sein, um Libido beispielsweise mit den Genitalien in Verbindung zu bringen, oder um zu wissen, daß bestimmte Sensationen wie Berührung, Schauen, Geruch und Geräusche sexuell stimulierend sein können. Man muß sich auch nicht auf psychoanalytische Befunde stützen, um Mund und Anus zu den primären erogenen Zonen zu zählen. Es genügt, die sexuellen Perversionen zu betrachten, um zu der Überzeugung zu gelangen, daß diese Körperteile einer primären sexuellen Funktion dienen können. Beobachtungen des sexuellen Verhaltens von Kindern unterstützen ebenfalls Freuds Vorstellung von den Quellen der Libido, das heißt dem Zusammenhang von Libido und den erogenen Zonen.

Tatsächlich machte Freud in seinem Pionierwerk zu diesem Thema, den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (Freud, 1905b), von all diesen eben erwähnten Anhaltspunkten Gebrauch, um seine Behauptung zu belegen, daß Mund, Anus, Genitalien und, weniger wichtig, Haut, Geschmack, Geruch, Sehen und Hören erogene Zonen darstellen und somit die somatischen Quellen der Libido. Das soll heißen, er zog Belegmaterial heran aus allgemein zugänglichem Wissen, aus Beobachtungen über sexuelle Perversionen und aus dem Sexualverhalten von Kindern, um seine Libidotheorie zu stützen. Dem fügte er noch psychoanalytische Befunde hinzu. Er hatte entdeckt, daß die unbewußten Phantasien von neurotischen Patienten den sexuellen Wünschen und Aktivitäten von Kindern und von Perversen entsprechen. Das mittlerweile verfügbare analytische Material läßt erkennen, daß das gleiche auch für die unbewußten Phantasien von nicht-neurotischen Menschen gilt. Die oralen, analen, phallischen und andere libidinöse Wünsche der frühen Kindheit bleiben als treibende Kräfte im psychischen Leben eines jeden Erwachsenen erhalten. In der Tat waren es gerade die zuerst von Freud erhobenen psychoanalytischen Befunde, die ihn ursprünglich dazu veranlaßten, seine Libidotheorie zu formulieren. Allein psychoanalytische Daten lassen die ganze Tragweite der Rolle erkennen, welche die Libido als treibende, motivierende Kraft im psychischen Leben von der Kindheit bis ins hohe Alter spielt. Zwar wurde vor Freud sexueller Drang als Motiv nicht ignoriert – ganz sicher nicht –, aber Freud war es, der ihre Universalität offenlegte, ihre frühen Anfänge, ihre vielfältigen Maskierungen und die Bedeutung, die ihre Verbindung mit anderen Körperteilen außer den Genitalien für jeden Menschen besitzt. Um diese Merkmale deutlich zu machen, sind psychoanalytische Befunde unentbehrlich. Freud, und nur Freud, konnte sie in den Jahren 1905 bis 1915 aufzeigen, weil ihm, und ihm allein, die psychoanalytischen Daten vorlagen, die für diese Aufgabe wesentlich sind.

Indem ich einen Überblick über so geläufige Dinge gebe, möchte ich folgendes hervorheben: Für den Teil seiner Libidotheorie, der sich auf die Quelle oder den Ursprung bezieht, wollte sich Freud nicht auf psychoanalytische Befunde stützen, da er davon überzeugt war, daß die Quelle somatischer Natur sei. Er glaubte, daß hinreichend zuverlässige Daten zu diesem Sachverhalt nur aus anderen als psychoanalytischen Beobachtungen stammen könnten. Sie könnten sich zum Beispiel ergeben aus der Beobachtung des sexuellen Verhaltens, aus dem besseren Verständnis von der Natur und der Funktion der Sexualhormone, aus vergleichenden physiologischen und anatomischen Untersuchungen und ähnlichem. Aus diesem Grund war er von den – später diskreditierten – Berichten angetan, daß die Gonaden von vier- bis fünfjährigen Kindern im Verhältnis zum gesamten Körpergewicht größer sind als diejenigen von Kindern in der präödipalen Phase oder in den Latenzperioden; diese Berichte schienen die Intensität der phallischen Wünsche in der ödipalen Phase zu belegen. Selbst Ferenczis (1923) phantasievolle Erklärung der Beziehung zwischen Latenzzeit und der jüngsten Eiszeit erschien Freud ernsthafter Betrachtung wert. Es war ganz und gar nicht nach seinem Geschmack, daß psychoanalytische Befunde die wesentlichen Bestätigungen für so weite Bereiche der psychoanalytischen Libidotheorie liefern sollten. Er wünschte, es wäre anders, und er versuchte, so weit es ihm möglich erschien, sich auf andere als psychoanalytische Daten zu stützen.

Wenn man all dies bedenkt, ist es nicht schwer zu verstehen, warum Freud hormonale und andere somatische Prozesse in den erogenen Zonen als Libidoquellen postulierte. Als Psychoanalytiker sind wir mit dieser Formulierung so vertraut, daß wir sie selten in Frage stellen. Sie erscheint selbst-evident oder zumindest so plausibel, daß wir sie bereitwillig akzeptieren.

Die Verbindungen zwischen der Libido als treibender Kraft im psychischen Leben und jenen Körperteilen, die Freud als erogene Zonen bezeichnet hat, sind eng und unbestreitbar. Psychoanalytische Befunde lassen daran keinen Zweifel. Auf der anderen Seite wissen Psychoanalytiker aus wiederholter Erfahrung, daß die psychologische Bedeutung der Wünsche, die mit diesen verschiedenen Körperteilen verbunden sind, ständig bekräftigt und betont werden muß, denn es sind genau solche libidinösen Abkömmlinge, die in der frühen Kindheit Unlust erzeugen und die seitdem nachdrücklich abgewehrt werden. Aber das ist nicht dasselbe wie die Aussage, die Libido gehe vom Mund, vom Anus, von den Genitalien usw. aus. Wie wir gesehen haben, stehen bestimmte Fakten in Einklang mit der Theorie, daß es sich so verhält. Andere freilich nicht.

So stimmt zum Beispiel der verstärkte Druck libidinöser Wünsche während der Pubertät völlig mit Freuds Theorie überein. Doch für das gleiche Phänomen in der Zeit der Menopause oder des Klimakteriums gilt das nicht. Noch kann, nebenbei, Freuds Theorie das Aufblühen sexueller Wünsche während der ödipalen Phase zufriedenstellend erklären. Soweit mir bekannt ist, gibt es bis heute noch keine zuverlässigen Befunde über endokrine oder andere Veränderungen im Genitalapparat selbst, die Freuds Theorie stützten, daß die phallisch-genitale Zone die Quelle der Libido als treibender Kraft im psychischen Leben bildet. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Stimulation irgendeiner der wichtigen Zonen den Druck libidinöser Wünsche steigern kann. Aber dies anzuerkennen ist etwas ganz anderes als die Behauptung, diese Zonen seien die Quellen der Libido als treibende Kraft im psychischen Leben. Tagtägliche analytische Erfahrungen lassen zum Beispiel erkennen, daß im Kontext der Beziehung zwischen Patient und Analytiker Ereignisse eintreten können, wie etwa eine nahe bevorstehende Trennung oder der Beginn einer Analyse, die den Druck der libidinösen Wünsche kräftig steigern, das heißt stimulieren können, aber aus solchen Beobachtungen würde niemand den Schluß ziehen, daß die Beziehung zwischen Patient und Analytiker, das heißt die Übertragung, eine Quelle der Libido darstellt, geschweige denn die Quelle. Aus dem gleichen Grund ist es nicht überzeugend, aufgrund der engen Beziehung zwischen erogenen Zonen und libidinösen Abkömmlingen zu folgern, die Zonen seien die Quelle des libidinösen Triebes. Sicher, sie sind innig miteinander verbunden. Weniger sicher ist, daß die einen die Quelle der anderen darstellen.

Ich habe diese Zweifel an Freuds Libidotheorie nicht aufgeworfen, nur um anschließend auf ihrer Grundlage zu behaupten, es sei von zweifelhaftem Wert, wie Freud anzunehmen, ein spezifisches Charakteristikum der Triebe sei, daß sie ein...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2017
Übersetzer Bernadette Eckert
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Praxis • Psychoanalyse • Sachbuch • Seele • Theorie
ISBN-10 3-10-561668-3 / 3105616683
ISBN-13 978-3-10-561668-0 / 9783105616680
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