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Der Weibmann (eBook)

Kultischer Geschlechtswechsel im Schamanismus. Eine Studie zur Transvestition und Transsexualität bei Naturvölkern
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
200 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560502-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Weibmann -  Gisela Bleibtreu-Ehrenberg
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Die Studie besteht aus zwei Hauptteilen. Teil I bietet ausführliche begriffliche und historische Erläuterungen zu den Phänomenen Bisexualität, Homosexualität, Transvestismus und Transsexualität, ferner über die Unterscheidung zwischen Intersexualität und Androgynität. Teil II bringt den ethnosoziologischen Beitrag: Es werden allgemeine Strukturfragen des Schamanismus sowie die wichtigsten Theorien darüber dargestellt. Anhand zahlreicher Beispiele aus naturvölkischen Ethnien folgt dann die Analyse der individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung von Transvestition und Transsexualität im Rahmen der schamanistischen Religionskategorie. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Fernschreiberin, Telefonistin, Abitur über den 2. Bildungsweg, Studium der Ethnologie und Soziologie, Religionswissenschaft und Psychologie in Bonn (Dr. phil., M. A.), nach längerer Tätigkeit in politischen Organisationen, Pressearbeit und in der Begabtenförderung Publikationen zu völkerkundlichen und sexualwissenschaftlichen Themen. Mitarbeit an ethnologischen, sexualwissenschaftlichen und feministischen Lexika und zahlreichen Readern.

Fernschreiberin, Telefonistin, Abitur über den 2. Bildungsweg, Studium der Ethnologie und Soziologie, Religionswissenschaft und Psychologie in Bonn (Dr. phil., M. A.), nach längerer Tätigkeit in politischen Organisationen, Pressearbeit und in der Begabtenförderung Publikationen zu völkerkundlichen und sexualwissenschaftlichen Themen. Mitarbeit an ethnologischen, sexualwissenschaftlichen und feministischen Lexika und zahlreichen Readern.

Teil I: Begriffliche Erläuterungen


§ Eins Unterscheidungen zwischen physischer und psychischer ›Devianz‹ des sexuellen Verhaltens


Vor zehn Jahren las ich in der seinerzeit vielbeachteten Veröffentlichung eines Autorenkollektivs[7] im Beitrag Peter Gorsens über ›Intersexualismus und Subkultur‹ folgenden Absatz, der in gleich mehreren Aspekten die Fragen beleuchtet, die in diesem Kapitel behandelt werden sollen. Er lautet: »Eine ausgeführte Theorie des Intersexualismus, d.i. aller Formen einer psychosexuellen und organischen Inversion bei Männern und Frauen, die von den extremen Fällen des Pseudo-Hermaphroditismus, einer zwittrigen Körperlichkeit … über die Verkleidungslust der Transvestiten bis zu den heute fast alltäglichen Erscheinungen der Geschlechternivellierung in Kleidung und Benehmen effeminierter Jugendlicher wie den Hippies reicht, gibt es noch nicht. Die Psychiatrie und die kaum hundert Jahre alte Sexualwissenschaft blieben schon insofern auf ihren Krankheitsfällen und deren pluralistischer Interpretierbarkeit sitzen, als ihre Versuche, genetische und endokrine Ursachen für intersexuelles Verhalten nachzuweisen, ausnahmslos scheiterten und ihre verbohrte Suche nach dem unbekannten konstitutionellen Faktor den Blick auf andere als anthropologische Quellen der Intersexualität verstellte.«

Gorsen ist zuzustimmen, wenn er (besonders unter Bezug auf die Krankheitsfälle, die der Psychiatrie zu Gesicht kamen) bemerkt, gerade dort liege eine ›pluralistische Interpretierbarkeit‹ vor. Andererseits wird er dem bescheidenen Kenntnisstand der Psychiatrie des vorigen Jahrhunderts einfach nicht gerecht, indem er die damalige Suche nach einem konstitutionellen Faktor als ›verbohrt‹ abqualifiziert. Denn im Vergleich mit der Auffassung z.B. des Mittelalters, als man jede Form von Sexualität, die von den kirchlicherseits gesetzten Normen abwich, für ›teufliche Unflätherey‹[8] hielt, muß im Gegenteil besagte Suche progressiv genannt werden. Es trifft auch nicht zu, daß Ansätze der Medizin und ihrer Nachbarwissenschaften, für Intersexualität bzw. intersexuelles Verhalten (im weitesten Wortsinne) genetische oder endokrine Ursachen verantwortlich zu machen, sämtlich gescheitert wären: vielmehr nehmen gesicherte Erkenntnisse aus diesen Forschungsbereichen stetig und ständig zu. Freilich kann man Gorsen (dessen Aufsatz ich übrigens für den mit Abstand besten des betreffenden Buches halte) durchaus konzedieren, daß es in der Tat eine ›ausgeführte Theorie des Intersexualismus‹ in der Breite, wie sie ihm vorzuschweben scheint, nicht gibt.

Es kann sie jedoch auch nicht geben. Wie so häufig, treten hier zwei Phänomene auf, die irrtümlich für identisch gehalten werden, weil ihre beobachtbaren Manifestationen sich überschneiden und teilweise decken. Um dies an einem etwas primitiven Beispiel zu erläutern: ›Fieber‹ ist keine Krankheit, sondern ein Zeichen, daß der Fiebernde, was seine Körpertemperatur angeht, vom Gesunden abweicht. Die Ursachen für das Fieber als solches aber können extrem verschieden sein. Dasselbe ist nun der Fall bei ›Intersexualismus‹: ebenso, wie jemand vor Aufregung, d.h. aus einem psychischen Grund, Fieber bekommen kann oder aber aus Gründen, die rein körperlicher Art sind, so gibt es ›Intersexualismus‹ aufgrund seelischer Bedingtheiten und Intersexualität aufgrund körperlicher. Der Wunsch des zitierten Autors nach einem auf beide Phänomene anwendbaren Erklärungsansatz ist deshalb schlechthin unerfüllbar. Übrigens ist es inzwischen mit Fortschreiten der wissenschaftlichen Erkenntnisse sehr viel leichter, somatisch bedingte Intersexualität zu diagnostizieren und ihre jeweilige Ursache abzuklären, als jene seelische Gestimmtheit nachvollziehbar zu interpretieren, in der ein Mensch die Empfindung hat, seine Seele stecke im falschen Körper, nämlich in einem, der dem Geschlecht, zu dem er sich persönlich zugehörig fühlt, nicht entspreche – d.h. die Transsexualität.

Es muß mit Nachdruck betont werden, daß es sich bei der Abgrenzung von Intersexualismus (der im extremsten Fall bis zur Transsexualität geht) und Intersexualität – i.S. einer Unterscheidung zwischen ›seelisch (psychisch) bedingt‹ versus ›körperlich verursacht‹ – um ein heuristisches Erklärungsschema handelt: diese Einteilung wird allgemein deshalb gemacht, weil sie sich anbietet und keine bessere zur Verfügung steht. Vielleicht wird man in einigen Jahren manche Fälle von Transsexualität, Transvestismus u.ä., für die gegenwärtig keine somatische Erklärung zu entdecken ist, sehr wohl als physisch determiniert begreifen können.

1. Intersexualität (Hermaphroditismus, Pseudo-Hermaphroditismus)


Die Kunstfigur des Hermaphroditen wird uns in einem späteren Abschnitt begegnen. Von dem ihn bezeichnenden Wort leitete man seit etwa der Renaissance[9] im Prozeß einer begrifflichen Umformung die Vorstellung eines Individuums ab, das über mehr oder weniger ausgeprägte Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter verfügt. Mit diesem ›gebildet‹ (und darum weniger anstößig) klingenden Fremdwort ersetzte man faktisch die alte deutsche Bezeichnung ›Zwitter‹, die völlig dasselbe gemeint hatte. Viele bis heute in der Literatur anzutreffende Ungereimtheiten gehen auf diesen Prozeß zurück: Es ist immer mißlich, eine jedermann klar verständliche Bezeichnung aus der Muttersprache durch ein (in diesem Fall auch noch mehrdeutiges) Fremdwort zu ersetzen. Das Dilemma trat in anderen Ländern ebenfalls auf, deshalb lautet die internationale Bezeichnung für die somatisch als Syndrom betrachtete Zwitterhaftigkeit heute ›Intersexualität‹ (als Oberbegriff). Der Ausdruck ›Syndrom‹ bezeichnet einen Symptomenkomplex, d.h. eine Gruppe von gleichzeitig zusammen auftretenden Krankheitszeichen; er betont die multifaktorielle Ätiologie eines Leidens.

Denn Intersexualität ist ein Leiden. Kein Zwitter ist gesund, nicht wenige haben schwere und oft schmerzhafte Ausfallserscheinungen, die sich keineswegs auf die anormale Ausbildung der Geschlechtsorgane beschränken, sondern etwa den Knochenbau, das ganze System der hochkomplizierten hormonellen Steuerung etc. beeinträchtigen können. Intersexualität tritt in verschiedenen Graden auf, vor allem aber aus verschiedenen Gründen. Gerade während der letzten Jahre hat der medizinische Fortschritt es ermöglicht, eine Einteilung nach ursachenspezifischen Kriterien vorzunehmen. Früher wurde die Einteilung der Intersexualität nur nach dem Verhältnis zwischen Gonaden (d.h.Keimdrüsen, also Eierstöcken und Hoden) und den sog. ›primären Geschlechtsmerkmalen‹, d.h. den Genitalien vorgenommen. Jetzt führt man das Vorhandensein von Merkmalen beider Geschlechter bei ein- und demselben Menschen ursächlich auf eine Diskrepanz zwischen seinem chromosomalen und gonadalen (also von den Keimdrüsen abhängigen) Geschlecht sowie auf den jeweiligen Hormonstatus zurück; erst das mangelnde bzw. anormale Zusammenspiel dieser drei Faktoren führt dann zu weiteren, ebenso anormalen Ausprägungen des Geschlechtlichen, nämlich der Entwicklung der inneren und äußeren Genitalien (dem ›genitalen‹ Geschlecht) und schließlich der sekundären Geschlechtsmerkmale. Das Mischungsverhältnis kann so verschieden sein, daß es auf diesem Sektor der Medizin zwar genau umrissene Krankheitsbilder gibt (etwa das Klinefelter- und das Turner-Syndrom), die auftretenden Schäden aber zu mannigfaltig sind, um allesamt namentlich bezeichnet zu werden. Man begnügt sich mit der diagnostischen Feststellung, welche Ursachen im Einzelfall für die Ausbildung der Intersexualität vorliegen.

Führt man sich vor Augen, wie viele Organe mit dem Reproduktionsapparat, der zur Fortpflanzung nötig ist, bei Mann und Frau mittelbar verbunden sind, nimmt die Pluralität der vorkommenden Anomalien und deren Ursachen nebst den gleichzeitig auftretenden Beschwerden und Schmerzen nicht Wunder. Intersexualität ist eine Behinderung, und zwar eine Mehrfachbehinderung. Weil Intersexe nur höchst selten eine volle Ausprägung beider äußerer Genitalien besitzen (also sowohl eine Scheide als auch Hoden und Penis – immerhin kommt es vor), werden sie bei der Geburt meist als weiblich eingestuft, erleben eine sozial unauffällige Jugend und heiraten später normale Männer, können aber keine Kinder bekommen. So ist Kinderlosigkeit der Ehefrau einer der häufigsten Anlässe, bei dem schließlich Intersexualität der ›Frau‹ diagnostiziert wird, und zwar öfter, als man noch vor wenigen Jahrzehnten auch nur für denkbar gehalten hätte.

Übrigens ›hat‹ man Intersexualität leider so, wie man etwa eine Hasenscharte oder eine angeborene Hüftluxation oder Klumpfüße hat – all dies sind Leiden, gegen die die Medizin heute einiges tun kann, aber zu ›heilen‹ sind sie nicht: denn Mißbildungen sind keine Krankheiten, welche kommen und bei richtiger Behandlung auch wieder weggehen.

Betrachten wir nun das heute aktuelle Einteilungsprinzip des Krankheitsbildes Intersexualität genauer. Im Rahmen dieses Buches ist das wichtig, weil hier viele Ausdrücke an ihrem richtigen Platz stehen, die bis zur Gegenwart sogar in der ernstzunehmenden Sexualwissenschaft nicht selten undifferenzierend, ja so falsch benutzt werden, daß man den einen (manchmal anscheinend rein um des Stils willen) durch den anderen ersetzt. Was das für die medizinische Präzision bedeutet, die ja stets auf die Beurteilung des Sozialen abfärbt, kann man sich leicht ausmalen, wenn man zwecks besserer Interpretation dieses Sachverhalts einmal...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Amerika • Anähnelung • Androgynie • Besessenheitsschamanismus • China • Geschlechtswandel • Geschlechtswechsel • Hans Findeisen • Hermaphroditos • Homosexualität • Indien • Intersexualismus • Intersexualität • Jenseitsreise • Mircea Eliade • Peter Gorsen • Sachbuch • Schamane • Schamanismus • Sibirien • Südamerika • Transsexualität • Transvestismus • Transvestition
ISBN-10 3-10-560502-9 / 3105605029
ISBN-13 978-3-10-560502-8 / 9783105605028
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