Damals nach dem Krieg
- Titel ist leider vergriffen, Neuauflage unbestimmt
- Artikel merken
Schwarzmarkt, Besatzung, Trümmerfrauen. Betrachtet man die Jahre unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, so vermitteln sie Chaos und Elend, und gleichzeitig hat man den Eindruck: So offen war Deutschlands Gegenwart und Zukunft nie. "Damals nach dem Krieg" nimmt diese ersten Jahre vor der Gründung der Bundesrepublik und der DDR in den Blick. Sven Reichardt und Malte Zierenberg lassen zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen und zeichnen ein lebendiges und anschauliches Bild von den faszinierenden Jahren unmittelbar nach dem Krieg.
Sven Reichardt, geboren 1967, ist seit 2003 Juniorprofessor für Deutsche Zeitgeschichte in Konstanz. Er ist Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift "Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus". Momentan ist er Gastprofessor an der Rutgers Univer
Als der Krieg zu Ende war - Erste Begegnungen und Neuanfänge Sieger und Besiegte: Angehörige der britischen Armee entwaffnen deutsche Wehrmachtsoldaten. Erst mussten die Waffen schweigen und die zum Teil bis zur letzten Patrone verbissenen Widerstand leistenden deutschen Soldaten entwaffnet werden. Erst dann waren erste Begegnungen zwischen den Siegern und den Verlierern des Zweiten Weltkriegs möglich, die Schritte auf dem Weg in einen immer noch prekären Frieden bedeuteten. Denn nur ohne eine Waffe in der Hand konnten sich Deutsche mit den alliierten Soldaten treffen, um sich mit Gesten und Zeichen zu verständigen, Sachen miteinander zu tauschen oder Geschenke entgegenzunehmen. Ein Bild von der Entwaffnung deutscher Wehrmachtsoldaten durch britische Truppen, wie sie die Abbildung zeigt, sagt vielerlei aus. Es steht für die Erfahrung der Niederlage der Deutschen, für das Gefühl, nicht in erster Linie von einem diktatorischen Regime befreit, sondern von den Alliierten besiegt worden zu sein. Für die meisten Deutschen war das Kriegsende eine niederschmetternde Erfahrung. Viel zu ergeben waren sie der nationalsozialistischen Führung in einen Krieg gefolgt, der Abermillionen Menschen das Leben kostete und durch nichts zu rechtfertigen war. Befreiung? Für manche ja, aber die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hatte entweder selber mitgespielt im braunen Morddrama oder aber zumindest "hingeschaut und weggesehen", wie der Historiker Robert Gellately dieses Verhalten der Deutschen gegenüber den Verbrechen des Regimes benannt hat. Die Leere im Gesicht des Soldaten, die in der Abbildung zu erkennen ist, steht für die zwischen Erschöpfung, Resignation, Enttäuschung und möglicherweise auch Schuldbewusstsein schwankenden Empfindungen vieler Deutscher damals, als der Krieg zu Ende war. Das Leben, das nun begann, war geprägt von Ungewissheit. Ungewissheit darüber, wie es jetzt weitergehen sollte. Wer wusste schon, was die nächsten vierundzwanzig Stunden bringen würden in einem Alltag, in dem alles immer wieder infrage gestellt wurde: die Ernährung, das Dach über dem Kopf - kurz: das Überleben. Doch andererseits kam dieser Fixierung auf einen schmalen Zukunftshorizont schon sehr bald auch eine entlastende Funktion zu. Denn wer sich immer nur mit dem Morgen beschäftigen konnte, der musste sich anscheinend nicht so sehr um das Gestern kümmern. Zum Symbol der Zeit wurden jetzt jene "Trümmerfrauen", die in den Straßen der zerstörten Städte den Schutt beseitigten. Wegfegen, weitermachen? Dass das nicht gelingen konnte, wissen wir heute. Im Nachhinein lässt sich das leicht sagen. Aber wie war die Situation damals nach dem Krieg - als die Waffen schwiegen, die Sieger die Besiegten entwaffneten und alles irgendwie auf "Null" gestellt zu sein schien? Davon handelt dieses Buch. Die Nachkriegszeit als "offene" Geschichte Für die meisten Zeitgenossen ist das Kriegsende die einschneidendste Erfahrung ihres Lebens - nach Jahren quälender Unruhe, nervenzerreißender Angst und Verwüstung ist der Wunsch nach Schlaf, ohne ständig durch heulende Sirenen aufgescheucht zu werden, im Augenblick das einzige Verlangen. Doch niemand kann lange ruhen, wenn der Magen knurrt, wenn hohlwangige Kinder mit dunklen Augenhöhlen einer Mutter, die allein verantwortlich ist, den Hunger unschuldiger Mäuler zu stillen, Angst einflößen. Irgendwo, vielleicht in der Gefangenschaft, vegetiert der Vater. Nachrichten sind lange schon abgerissen. Fragen über Fragen drängen sich auf: Wie soll es jetzt bloß weitergehen? Wo bekomme ich Brot und die anderen Dinge des täglichen Bedarfs her? Wo werde ich wohnen und arbeiten? Was ist mit meiner Familie? Was passiert mit uns Deutschen? Wie werden die Sieger mit uns umgehen? Werden wir bestraft werden? Der Krieg bleibt noch lange im Alltag präsent. Mit dem Kriegsende sind die Deutschen vor alte und neue Probleme gestellt. Aufwachen in Berlin im Mai 1945: "Schlaftrunken fahre ich hoch. Was ist los? Fliegeralarm? Nein, der Wecker. Mühsam ordne ich meine Gedanken. Es gibt keinen Fliegeralarm mehr, der Krieg ist zu Ende. Aber warum klingelt der Wecker? Richtig, ich will mich ja ganz früh beim Kuhstall nach Milch anstellen. Mein kleiner Junge schläft noch, als ich mich leise aus der Wohnung schleiche. Morgen werde ich mich auch um Brot bemühen, kann dann aber gleichzeitig keine Milch heranschaffen. Die ganze Zeit in Sorge, ob der Junge wohl inzwischen wach geworden ist und vielleicht Angst hat, wenn er die Wohnung leer vorfindet. Zu viel haben die Kinder in den letzten Wochen verkraften müssen. Gottlob, er wird erst wach, als ich aufschließe. Nun beginnt unser gemeinsamer Tag. Es gibt weder Wasser, Gas noch Strom. Nach dem Frühstück Wasserholen. Es ist ein herrlicher Maitag, ich nehme den Kleinen mit. Die Kinder spielen. Gesprächsfetzen dringen an mein Ohr. Es ist immer dasselbe Thema: Über die letzten Kriegstage, wie es war, als die ersten Russen auftauchten, als es mit Vergewaltigungen und Plünderungen begann." Die Frau, die das erzählt, heißt Elisabeth Jankowski, war damals fünfundzwanzig Jahre alt und schreibt dreißig Jahre nach Kriegsende ihre Eindrücke unter dem Titel nieder: "Tag aus dem Leben einer jungen Frau im Mai 1945". Elisabeth Jankowski hält ihre persönlichen Erinnerungen an das Kriegsende fest, doch ihre Erfahrungen sind in vielerlei Hinsicht typisch für die Allgemeinheit. Die Sorge um das tägliche Überleben ist allgegenwärtig - um Milch und Brot, die Angst um das Kind, um das Wohlergehen der Familie oder was davon nach Kriegsende noch übrig geblieben ist. Dann die ersten Begegnungen mit den Siegern: Worüber wird gesprochen, worüber geschwiegen, wie geht man mit Gewalt und wie mit den Besatzern um? Da ist oft von den "mongolischen" Sowjetsoldaten oder "Neger-Amis" die Rede. Wie geht es jetzt weiter? Das ist überhaupt die drängendste Frage nach dem Krieg. Denn der Krieg ist zwar aus. Aber würde das Leben je wieder in einigermaßen "normalen" Bahnen verlaufen? In den Wochen und Monaten nach Kriegsende leben die meisten Deutschen in einem ständigen Ausnahmezustand. Nahrung, Obdach, Familie, ein geregelter und friedlicher Alltag - alles, was Sicherheit vermitteln kann, ist bedroht. Die Probleme nehmen kein Ende. Als der Krieg im Mai 1945 zu Ende ist, beginnt die Besatzungszeit, und mit ihr ein Leben in den Trümmern jenes Weltkriegs, den die Deutschen angefangen haben. Die Trümmer - und mit ihnen auch ein Stück eigener Vergangenheit - muss man erst beiseiteräumen, ehe man mit dem Wiederaufbau beginnen kann.
Erscheint lt. Verlag | 9.9.2009 |
---|---|
Reihe/Serie | Goldmann Taschenbücher |
Zusatzinfo | mit Abb. |
Sprache | deutsch |
Maße | 125 x 183 mm |
Gewicht | 245 g |
Einbandart | Paperback |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Schlagworte | Besatzungszonen • Nachkriegszeit • Nachkriegszeit (nach dem 2. Weltkrieg) |
ISBN-10 | 3-442-15574-6 / 3442155746 |
ISBN-13 | 978-3-442-15574-3 / 9783442155743 |
Zustand | Neuware |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich