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Dhammapada

Dhammapada

Buddhas zentrale Lehren - Eingeleitet und übersetzt von Eknath Easwaran
Buch | Softcover
288 Seiten
2006
Goldmann Verlag
978-3-442-21764-9 (ISBN)
CHF 11,10 inkl. MwSt
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Das Dhammapada gilt als das Herzstück der buddhistischen Literatur. Es soll unmittelbar auf Aussprüche Gautama Buddhas zurückgehen. Seine poetische Kraft wie seine Prägnanz und Weisheit ziehen jeden Leser in seinen Bann. Eknath Easwaran hat dieses beeindruckende Werk in eine zeitgemäße Sprache übertragen und durch eine um fassende Einführung in Buddhas Leben, Gedankenwelt und Lehre erschlossen.


Diese Übertragung mit dem Kommentar von Eknath Easwaran wird als gelungenste neuzeitliche Ausgabe des Dhammapada gerühmt.






EKNATH Sri Eknath Easwaran wurde 1910 in Kerala in Südindien geboren. Nach einem Studium der Englischen Literatur wurde er Professor in Nagpur/Zentralindien. 1959 kam er als Universitätslehrer nach Kalifornien. Dort wurde er bald als Buchautor, Übersetzer, als spiritueller Lehrer und vor allem als Meditationslehrer bekannt. 1961 gründete er das Blue Mountain Center of Meditation. Während er als Lehrer kleine Gruppen und den unmittelbaren Kontakt mit seinen Zuhörern bevorzugte, erreichten seine mehr als zwei Dutzend Buchveröffentlichungen weltweit ein riesiges Publikum. Er starb 1999.

Einführung: Das Dhammapada Wenn das Neue Testament fast vollständig verloren gegangen und davon nur die Bergpredigt über diese zweitausend Jahre der Geschichte erhalten geblieben wäre, so hätten wir, wie manche sagen, doch immer noch alles, was notwendig ist, um die Lehren Jesu Christi zu befolgen. Das Korpus des buddhistischen Schrifttums ist weitaus umfangreicher als die Bibel, aber ich würde ohne Bedenken eine ähnliche Behauptung aufstellen: Wenn davon bis auf das Dhammapada alles andere verloren gegangen wäre, würde dieses schmale Schriftwerk uns völlig reichen, um dem Weg des Buddha zu folgen. Das Dhammapada enthält keine der Geschichten, Gleichnisse und ausgedehnten Unterweisungen, die für die buddhistischen Hauptschriften, die Sutras, so kennzeichnend sind. Es ist eine Sammlung anschaulich-lebendiger, praxisbezogener Verse, wahrscheinlich von direkten Jüngern übermittelt, die das bewahren wollten, was sie von dem Buddha selbst gehört hatten. In der mündlichen Überlieferung des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts war dieser Text ganz gewiss die genaue Entsprechung zu einem Handbuch: ein stets parates Zeugnis der Lehren des Buddha, verdichtet in packender Poesie und thematisch angeordnet – Zorn, Gier, Angst, Glücklichsein, Denken. Doch diese Anthologie hat nichts Zusammengestückeltes an sich. Sie ist eine durchgestaltete Komposition, in sich stimmig und ganz, die die lebendige Gegenwart eines inspirierten Lehrers vermittelt. Dhammapada bedeutet so etwas wie »der Pfad des Dharma« – der Wahrheit, der Rechtschaffenheit, des zentralen Gesetzes, dass alles Leben eins ist.1 Der Buddha hinterließ kein statisches Glaubensgefüge, das wir bestätigen und ad acta legen können. Seine Lehre ist ein fortlaufender Pfad, ein »Weg der Vervollkommnung«, dem jedermann bis zur höchsten Vollendung folgen kann. Das Dhammapada ist eine Karte für diese Reise. Wir können starten, wo immer wir sind, aber wie auf jeder Straße ändert sich die Szenerie – unsere Werte, unsere Ambitionen, unser Verständnis des Lebens rings um uns –, während wir vorwärts kommen. Man kann diese Verse einfach nur als weise Philosophie lesen und wertschätzen; so gesehen gehören sie zur großen Literatur der Welt. Aber für diejenigen, die ihm bis zum Ende folgen möchten, ist das Dhammapada ein verlässlicher Führer zu nichts Geringerem als dem höchsten Ziel, das einem das Leben bieten kann: der Selbst-Verwirklichung. Die Welt des Buddha Das Erbe Als Prinz Siddhartha in der Mitte des sechsten Jahrhunderts v. Chr. geboren wurde, war die indische Zivilisation bereits uralt. Ungefähr 1500 Jahre war es her, seit wandernde Arierstämme aus Mittelasien, die entlang des Indusflusses in den indischen Subkontinent eindrangen, eine bereits tausend Jahre alte Zivilisation vorgefunden hatten. In ihr war das, was ich als die entscheidenden Merkmale des hinduistischen Glaubens bezeichnen würde – die Ausübung der Meditation und die Verehrung Gottes als Shiva und göttliche Mutter – offenbar schon voll etabliert. Die Arier brachten eine Gesellschaftsordnung mit, die von Priestern oder Brahmanen beherrscht wurde, den Sachwaltern uralter Hymnen, Rituale und Gottheiten, die mit denen anderer Länder verknüpft waren, insbesondere mit denen Persiens, wo sich Arierstämme ausgebreitet hatten. Indien ist mit dieser neuen Religion offenbar so umgegangen, wie es seit eh und je mit kulturellen Importen umging: Es hat das Neue in das Alte absorbiert. Folglich finden wir schon in den frühesten der indischen heiligen Schriften – dem Rigveda, dessen älteste Hymnen mindestens bis 1500 v.Chr. zurückreichen –, dass arische Naturgötter mit den erhabensten Konzeptionen der Mystik verbunden sind. Diese Verbindung birgt nichts Widersprüchliches in sich, nur eine sehr frühe Erkenntnis, dass die höchste Wirklichkeit des Lebens auf vielerlei Weise beschrieben wird. »Die Wahrheit ist eine einzige«, heißt es in einer Hymne des Rigveda, »die Weisen bezeichnen sie mit verschiedenen Namen.« Von Beginn an flossen also zwei Grundströmungen durch den breiten Fluss des vedischen Glaubens. Die eine, von der großen Mehrheit der Menschen verfolgte, ist die soziale Religion der Vedas, bei der die Brahmanen dafür verantwortlich sind, die alten heiligen Schriften zu bewahren und eine vielschichtige Gruppe von Ritualen zu beherrschen. Aber eine zweite, mindestens genauso alte Überlieferung lehrt, dass es jenseits von Ritual und priesterlicher Vermittlung möglich ist, durch das Ausüben spiritueller Disziplinen den göttlichen Urgrund des Lebens direkt zu realisieren. Dieses Ideal wird in der vedischen Religion als die höchste Berufung des Menschen sanktioniert. Jedermann steht die Möglichkeit offen, gesellschaftliche Verpflichtungen zu beenden und sich in einen Ashram im Himalaja oder in die Wälder am Ganges zurückzuziehen, um von einem erleuchteten Lehrer zu lernen, wie man Gott realisiert. Diese Wahl wird oft als Weltverdrossenheit missverstanden, und wir wissen, dass Indien schon in jener urältesten Epoche Asketen besaß, die ihren Körper marterten in dem Verlangen, ihren Geist zu befreien. Aber das ist nicht Indiens klassische Tradition, und der typische Ashram der damaligen Zeit war eine Rückzugsstätte, wo junge Männer und sogar Frauen bei einem Lehrer als Mitglieder seiner Familie wohnten und hier ein Leben äußerster Einfachheit führten, um sich auf inneres Wachstum zu konzentrieren. Hin und wieder wurde ein Absolvent einer dieser Waldakademien daraufhin selbst ein Lehrer. Aber es war mindestens genauso wahrscheinlich, dass er, körperlich und geistig gleichermaßen geschult, in die Gesellschaft zurückkehrte, um auf irgendeinem weltlichen Feld einen Beitrag zu leisten. Manche wurden, der Legende zufolge, Berater von Königen; einer, Janaka, war tatsächlich ein König. Diese Männer und Frauen wandten sich nach innen – aus demselben Grund, weshalb sich Wissenschaftler und Abenteurer nach außen wenden: nicht um vor dem Leben davonzulaufen, sondern um es zu meistern. Sie gingen in die Wälder des Ganges, um Gott zu finden, wie ein Poet sich der Poesie zuwendet oder ein Musiker der Musik, weil sie das Leben so inbrünstig liebten, dass nichts genügte, als es im innersten Kern zu erfassen. Sie sehnten sich danach, zu wissen: zu erkennen, was der Mensch ist, was das Leben ist, was der Tod bedeutet und ob er bezwungen werden kann. Um 1000 v.Chr. oder noch früher begann man mündliche Textzeugnisse ihrer Entdeckungen zu sammeln, in Fragmenten, den Upanischaden. Sehr individuell in ihrer Ausdrucksweise, doch vollkommen universal, gehören diese ekstatischen Dokumente keiner spezifischen Religion, sondern der ganzen Menschheit. Sie sind keine systematische Philosophie; sie sind überhaupt keine Philosophie. Jede Upanischad enthält den Bericht von einem Darshana, wörtlich: von etwas Gesehenem, einem Ausblick, nicht auf die Welt der Alltagserfahrung, sondern auf die Bereiche unterhalb der Sinneswelt, die in tiefer Meditation zugänglich sind: Das Auge kann es nicht sehen; der Verstand kann es nicht erfassen. Das Unwandelbare hat weder Augen noch Ohren, weder Hände noch Füße. Weise sagen, es sei unendlich im Großen und im Kleinen, immerwährend und unveränderlich, die Quelle allen Lebens. Wie das Gewebe aus der Spinne herauskommt und zurückgezogen wird, wie Pflanzen aus der Erde sprießen, wie Haare aus dem Körper wachsen, genauso, sagen die Weisen, entspringt dieses Universum dem Unvergänglichen, der Quelle allen Lebens. Mundaka I. 1.6–7 In Freiheit entstanden und geprägt von der Freude der Selbst-Verwirklichung, sind diese frühen Zeugnisse der vedischen Weisen offenkundige Vorläufer der Stimme des Buddha. Sie enthalten keine Spur von Weltverneinung, keinen Hauch von Angst, kein Gefühl mangelnden Selbstvertrauens wegen unserer Stellung in einem fremden Universum. Weit davon entfernt, die physische Existenz schlecht zu machen, lehren sie, dass Selbst-Verwirklichung Gesundheit, Vitalität, langes Leben und eine harmonische Ausgewogenheit nach innen und nach außen gerichteter Aktivität bedeutet. In triumphierendem Ton verkünden sie, dass für diejenigen, die die Leidenschaften des Geistes bezähmen, das Schicksal der Menschen letztendlich in den eigenen Händen liegt: Wir sind, was unser tiefes, treibendes Begehren ist. Wie unser tiefes, treibendes Begehren ist, so ist unser Wille. Wie unser Wille ist, so ist unser Tun. Wie unser Tun ist, so ist unser Schicksal. Brihadaranyaka IV. 4.5 Und sie dringen auf das Erkennen, nicht auf das Lernen von Fakten, sondern auf die unmittelbare Erfahrung der Wahrheit: der einen, den Mannigfaltigkeiten des Lebens zugrunde liegenden Wirklichkeit. Das ist keine verstandesmäßige Leistung. Erkenntnis bedeutet Verwirklichung. Um die Wahrheit zu kennen, ihrer inne zu sein, muss man sie wirklich machen, muss man sie in Gedanken, Wort und Tat ausleben. Daraus folgt alles andere Wertvolle: Wie durch das Erkennen eines Klumpens Gold alle aus Gold gefertigten Dinge erkannt sind, da ja der jeweilige Unterschied nur in der Bezeichnung existiert und aus der Sprache herrührt, in Wirklichkeit aber alle Gold sind – geradeso verhält es sich mit diesem Wissen, durch dessen Kenntnis wir alles erkennen. Chandogya VI. 1.5 Die Methode, der diese Weisen in ihrem Streben nach der Wahrheit folgten, wurde Brahmavidya, die »höchste Wissenschaft«, genannt, eine Übungsdisziplin, bei der man die Aufmerksamkeit intensiv auf die Inhalte des Bewusstseins konzentriert. In Bezug auf die Praxis ist dies gleichbedeutend mit Meditation. Der neuzeitliche Geist schreckt davor zurück, Meditation als wissenschaftlich zu bezeichnen, aber in dem passionierten Wahrheitsstreben dieser Weisen, in ihrer Suche nach der Wirklichkeit als etwas, das unter allen Bedingungen und aus allen Blickwinkeln ein und dasselbe ist, in ihrem Beharren auf direkter Beobachtung und systematischer empirischer Vorgehensweise finden wir die Quintessenz der wissenschaftlichen Grundeinstellung. Es ist nicht unpassend, Brahmavidya als eine – zu vorhersagbaren und wiederholbaren Ergebnissen führende – Versuchsanordnung zu bezeichnen – mit dem Geist als Versuchsobjekt und als Experimentator. Aber freilich schlugen die Weisen der Upanischaden eine andere Richtung ein als die konventionelle Wissenschaft. Ihr Augenmerk galt nicht der Welt draußen, sondern der menschlichen Kenntnis von der Welt draußen. Sie suchten invariable Gegebenheiten in den Bewusstseinsinhalten und verwarfen alles Unbeständige als letztendlich unwirklich, so wie man beim Aufwachen die Empfindungen eines Traums als unwirklich ansieht. Ihr Prinzip lautete neti, neti atma: »Dies ist nicht das Selbst; das ist nicht das Selbst.« Sie schälten die Persönlichkeit wie eine Zwiebel ab, Schicht um Schicht, und entdeckten nichts Beständiges in der Menge von Wahrnehmungen, Gedanken, Emotionen, Trieben und Erinnerungen, die wir als »Ich« bezeichnen. Doch sobald alles Individuelle entfernt war, blieb ein intensives Gewahrsein übrig: das Bewusstsein selbst. Die Weisen nannten diese elementarste Basis der Persönlichkeit Atman, das Selbst. Die wissenschaftliche Grundstimmung dieser Vorgehensweise gehört essenziell zum Hintergrund des Buddha. Wenn, wie Aldous Huxley bemerkte, Wissenschaft »die Reduzierung von Mannigfaltigkeiten auf Einheiten« ist, dann war keine andere Zivilisation wissenschaftlicher. Vom Rigveda an sind die indischen heiligen Schriften von der Überzeugung durchdrungen, dass in der ganzen Schöpfung eine allgegenwärtige Ordnung (Ritam) waltet, die sich in jedem Bestandteil widerspiegelt. Im mittelalterlichen Europa führte die Bewusstwerdung, dass es nicht eine speziell für die Erde bestimmende Reihe von Naturgesetzen geben kann – und daneben eine zweite für den Himmel bestimmende Reihe – zur Entstehung der klassischen Physik. In einer ähnlichen Einsicht stellte sich das vedische Indien die natürliche Welt – nicht nur physikalische Phänomene, sondern menschliches Handeln und Denken – als einheitlich, ausnahmslos von einem universalen Gesetz bestimmt vor. Im Sanskrit heißt dieses Gesetz Dharma, und der Buddha sollte es zum Brennpunkt seiner Lebensweise machen. Das Wort kommt von dhri, was tragen, stützen oder halten bedeutet, und in seiner Wurzelbedeutung bezeichnet es die Essenz einer Sache, einer Gegebenheit, die charakterisierende Qualität, durch die sie »zusammengehalten« wird als das, was sie ist. Im weitesten Wortsinn ist mit Dharma das zentrale Lebensgesetz gemeint: dass alle Dinge und Ereignisse Bestandteil eines unteilbaren Ganzen sind. Wahrscheinlich ist kein Wort reicher an Konnotationen. Auf dem Gebiet menschlicher Aktivität ist Dharma ein Verhalten, das mit dieser Einheit harmoniert. Manchmal ist dies Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit oder Fairness; manchmal einfach nur Pflicht, die Verpflichtungen in Bezug auf eine Religion oder Gesellschaft. Es bedeutet auch, dem getreu zu sein, was das Wesentliche des Menschen ausmacht: Würde, Ehre, Toleranz, Wahrhaftigkeit, Loyalität, Mitgefühl. Ahimsa paramo dharma, erklärt ein uralter Ausspruch: Die Quintessenz des Dharma ist, keiner lebenden Kreatur Schaden zuzufügen. Wie der Buddha fanden die Weisen der Upanischaden die Welt nicht unberechenbar. Nichts in ihr geschieht zufällig – nicht weil die Ereignisse vorherbestimmt sind, sondern weil alles durch Ursache und Wirkung miteinander verbunden ist. Gedanken sind in diese Ansicht mit eingeschlossen, denn sie verursachen einerseits, dass Dinge geschehen, und werden andererseits von Dingen, die geschehen, hervorgerufen. Was wir denken, hat Konsequenzen für die Welt rings um uns, denn es konditioniert unser Handeln. All diese Wirkungen – für andere, für die Welt und für uns selbst – liegen in unserer persönlichen Verantwortung. Früher oder später werden sie, aufgrund der Einheit des Lebens, zu uns zurückgelangen. Jemand, der ständig zornig ist, um ein einfaches Beispiel anzuführen, muss zwangsläufig Zorn vonseiten anderer provozieren. Oder subtiler: Ein Mann, dessen Fabrik die Umwelt verschmutzt, wird eines Tages Luft atmen und Wasser trinken müssen, die zu vergiften er mitgeholfen hat. Dies veranschaulicht, was Hinduismus und Buddhismus das Karmagesetz nennen. Karma bedeutet etwas Getanes, entweder als Ursache oder als Wirkung. Handlungen im Einklang mit dem Dharma bringen gutes Karma und tragen zu Gesundheit und Glück bei. Selbstsüchtige Handlungen stehen im Widerstreit mit dem übrigen Leben, sie bringen ungünstiges Karma und Leid. Bei dieser Ansicht bedarf es keiner göttlichen Instanz, um uns zu bestrafen oder zu belohnen. Dies galt nicht als eine Lehre der Religion, sondern als Naturgesetz, so universell wie das Gesetz der Schwerkraft. Keiner hat es deutlicher ausgesprochen als Jesus: »Was der Mensch sät, das wird er ernten … Nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden« (Galater 6,7; Matthäus 7,2). Nach Auffassung der altindischen Weisen konnten die Bücher des Karma jedoch nur innerhalb der natürlichen Welt bereinigt werden. Unbezahlte karmische Schulden und unerfüllte Wünsche oder Begierden verflüchtigen sich nicht, wenn der physische Körper stirbt. Sie sind Kräfte, die im Universum zurückbleiben, um das Leben zum Empfängniszeitpunkt von neuem zu entfachen, sobald die Bedingungen für die Erfüllung des vergangenen Karma passend sind. Wir leben und handeln, und alles, was wir tun, geht in das ein, was wir im jeweiligen Moment gerade denken, sodass im Tod der Geist die Summe von allem ist, was wir getan haben, und allem, was wir noch zu tun wünschen. Diese Kräftesumme hat ein Karma zu erfüllen, und wenn die passende Grundsituation kommt – die passenden Eltern, die passende Gesellschaft, die passende Epoche –, wird das Bündel Energie, das der Keim der Persönlichkeit ist, wiedergeboren. Wir sind nicht bloß begrenzte physische Geschöpfe mit einem Anfang, sagen wir mal: im Jahr 1950, und einem Ende nach achtzig, neunzig Jahren. Wir reichen Äonen zurück, und manche von den Inhalten des tiefsten Unbewussten sind die dunklen Triebe einer evolutionären Erbschaft, die viel älter ist als das Menschengeschlecht. In diesem Sinne ist die separate, gesonderte Persönlichkeit, mit der wir uns identifizieren, etwas Künstliches. Einstein zog, vom Standpunkt eines Wissenschaftlers aus, einen ähnlichen Schluss in seinem Antwortbrief an einen Fremden, der um Trostworte zum Tod seines Sohnes gebeten hatte: Ein Mensch ist Teil des Ganzen, das wir »Universum« nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Er erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle, als etwas vom Rest Getrenntes – eine Art optischer Täuschung des Bewusstseins. Diese Täuschung ist eine Art Gefängnis für uns, sie beschränkt uns auf unsere persönlichen Wünsche und auf unsere Zuneigung zu einigen wenigen, die uns am nächsten stehen. Unsere Aufgabe muss es sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien, indem wir unseren Kreis des Mitgefühls erweitern, um alle lebenden Wesen und die ganze Natur in ihrer Schönheit zu umfassen. Die Weisen der Upanischaden hätten es durchaus akzeptabel gefunden, auf solche Art ihre Vorstellung von der Persönlichkeit zu beschreiben sowie gleichermaßen das Ziel des Lebens: Moksha, Freiheit von der Täuschung des Getrenntseins; Yoga, völlige Bewusstseinsintegration; Nirvana, die Auslöschung des Gefühls von einem separaten, gesonderten Ego. Dieser Zustand ist nicht die Auslöschung der Persönlichkeit, sondern ihre Erfüllung, und er wird nicht nach dem Tode erlangt, sondern mitten im Leben. In ihren groben Umrissen muss die Weltsicht, die ich skizziert habe, der breiten Mehrheit in der Hörerschaft des Buddha vertraut gewesen sein: den Königen und Fürsten, über die wir in den Sutren lesen, den Kaufleuten und Handwerkern und sogar den Kurtisanen, und natürlich den zahllosen Dorfbewohnern, die, damals wie heute, den größten Bevölkerungsanteil Indiens ausmachten. Karma und Wiedergeburt waren für sie keine Philosophie, sondern lebendige Wirklichkeiten. Die moralische Ordnung wurde als gegeben angesehen, und alle hielten sich an den Dharma als eine generelle Verhaltensnorm. Diese Vorstellungen bilden den geistigen Rahmen im Leben des Buddha und wurden zur Grundlage seiner Botschaft. Wie Jesus kam er, um die Wahrheiten des Lebens zu lehren, und zwar nicht, um einige wenige darin zu unterweisen, sondern alle, die zuhören wollten, und die Worte, die er wählte, um diese Wahrheiten zum Ausdruck zu bringen, waren solche, die jedermann kannte. Das Zeitalter des Buddha Das sechste Jahrhundert v. Chr. war in den meisten bedeutenden Zivilisationen der Antike eine Zeit schöpferischer spiritueller Umwälzung. Innerhalb von hundert Jahren vor und nach diesem Zeitpunkt lebten und lehrten Konfuzius in China, Zoroaster in Persien, die vorsokratischen Philosophen des antiken Griechenlands und die späteren Propheten Israels. Das war auch das Zeitalter kultureller Expansion, als Zivilisationszentren in Europa und Asien über Handel und Kolonisierung ihre Einflusssphären ausdehnten. In der Zeit des Buddha lagen mindestens 16 Königreiche und Republiken längs des Ganges und vor den Himalajavorgebirgen, Bestandteil eines immer belebteren Handelsweges, der nach Westen durch das weite persische Reich von Kyros dem Großen bis hin zum Mittelmeer verlief.

Reihe/Serie Arkana ; 21764
Übersetzer Peter Kobbe
Sprache deutsch
Maße 125 x 183 mm
Gewicht 245 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Östliche Weisheit / Alte Kulturen
Schlagworte Buddhismus • Buddhismus, Religionen, Spirituelle Klassiker • Dhammapada
ISBN-10 3-442-21764-4 / 3442217644
ISBN-13 978-3-442-21764-9 / 9783442217649
Zustand Neuware
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