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Kinder im Autismus-Spektrum verstehen und unterstützen -  Ulrike Funke

Kinder im Autismus-Spektrum verstehen und unterstützen (eBook)

Ein Wahrnehmungswegweiser für Eltern und Begleitende

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 2. Auflage
184 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-044763-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Menschen im Autismus-Spektrum haben eine ganz besondere Wahrnehmung. Sie erleben viele Situationen und Impulse im Alltag 'anders' und zeigen folglich andere oder auch besondere Reaktionen. Über- und Unterempfindlichkeiten sowie zusätzlich eine vorwiegend isolierte Wahrnehmungsverarbeitung erschweren die Beobachtungs- und die Imitationsfähigkeiten, das Lernen und besonders das tägliche Miteinander. Im Buch werden beobachtbare Aktivitäten und Regulationsmechanismen von Kindern im Autismus-Spektrum erläutert, deren Bedeutungen erklärt und darauf aufbauend Hilfe- und Antwortmöglichkeiten gegeben. Die Angebote haben dabei stets das Ziel, die Lebensqualität der Familien zu verbessern und ein freudvolles und entspanntes Miteinander von Menschen mit und ohne Autismus zu ermöglichen. - Wie können Eltern den besonderen Herausforderungen im Tagesablauf begegnen? - Welche Spiele und Beschäftigungsangebote bereichern den Familienzusammenhalt? - Wie können Kommunikation und Sprache gefördert werden? - Welche Strategien erleichtern Körperpflege, Zahnpflege, Essenssituation und Arztbesuch? - Welche Hilfen ermöglichen Teilhabe im Kindergarten, in der Schule oder in der Tageseinrichtung? Das Buch möchte Eltern und Begleitenden helfen, betroffene Kinder besser zu verstehen. Dabei ist nicht eine vorwiegende Reizvermeidung das Ziel sein, sondern das Anbieten von individuell passenden Impulsen, Stimulationen (Stimmings), die in fordernden und überfordernden Situationen unterstützen. Mithilfe dieser gezielten körperlichen Regulationen sollen Bindung und Beziehung intensiviert, Entwicklung ermöglicht und vor allem Wohlbefinden, Lebensqualität und Lebensfreude verbessert werden.

Ulrike Funke ist Logopädin und seit 25 Jahren in eigener Praxis tätig. Sie gründete und leitete mehrere Jahre ein Autismuszentrum. Frau Funke entwickelte das Konzept Komm!ASS und und vermittelt ihr Wissen in Fortbildungen und Vorträgen.

Ulrike Funke ist Logopädin und seit 25 Jahren in eigener Praxis tätig. Sie gründete und leitete mehrere Jahre ein Autismuszentrum. Frau Funke entwickelte das Konzept Komm!ASS und und vermittelt ihr Wissen in Fortbildungen und Vorträgen.

1 Einführung


1.1 Was ist Autismus?


Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung. Häufig bezeichnet man Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken. (Autismus Deutschland, e. V., 2021, Absatz 1)

Das Spektrum Autismus zeigt sich durch eine Vielzahl von Symptomen wie u. a. Auffälligkeiten im sozialen Austausch, einem eingeschränkten Blickkontakt, fehlender gemeinsamer und geteilter Aufmerksamkeit und möglicher Sprachentwicklungsstörung, Auffälligkeiten in der motorischen und sensorischen Entwicklung, wie besonderen Interessen und Aktivitäten, häufiger Abwehr von Berührungsangeboten, selbst- und fremdverletzendem Verhalten sowie Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme. Diese und weitere Besonderheiten sind unterschiedlich stark ausgeprägt und variieren, je nach Tagesform oder Entwicklungsstand.

Die gemeinsame Ursache für das vielfältige Erscheinungsbild Autismus ist eine »andere« Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung. Die vielfältigen (Verhaltens-)‌Auffälligkeiten sind somit nicht nur verschiedene, beobachtbare Symptome eines Störungsbildes, sondern eine Folge der anderen Wahrnehmung. So zeigt ein Kind zum Beispiel deshalb keinen Blickkontakt und auch keinen wechselseitigen Austausch, da das Ein- und Ausschalten der Lampe, das Spiel mit einem Leuchtkreisel oder auch die eigenen Hände viel spannender sind als das Gesicht des Gegenübers. Ein Kind mit Auffälligkeiten bei der Nahrungsaufnahme nimmt zum Beispiel lieber Steine, anstatt ein Brötchen in den Mund, da diese geschmacklich sowie auch von der Spürinformation intensiver sind als das Gebäck. Die merkwürdig anmutenden Bewegungen, wie ein Flattern der Hände oder ein ständiges Wiegen des Oberkörpers, sind ebenfalls nicht nur typische Merkmale bei Autismus, sondern für Betroffene eine gezielte Aktivität, mit der sie versuchen, bedingt durch ihr besonderes Körperempfinden, sich zu regulieren. Wenn es gelingt, den Blick auf das unterschiedliche Wahrnehmen und Erleben von Menschen mit und ohne Autismus zu lenken, wird auch ein besseres gegenseitiges Verstehen möglich.

1.2 Jede Wahrnehmung ist einzigartig


Informationen über den eigenen Körper und die Umwelt werden mithilfe der Sinnesorgane aufgenommen, an das Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Dieser Prozess wird als Wahrnehmung bezeichnet, er ist individuell unterschiedlich und unterliegt zudem großen Schwankungen, je nach aktueller Befindlichkeit und situativen Bedingungen.

Welche Farben werden favorisiert, in welcher Lautstärke ist Musik angenehm? Welche Berührungen lösen ein Wohlbefinden, welche Abwehr oder Schmerz aus? Die Antworten darauf sind sehr unterschiedlich. Es ist möglich, dass die gleiche taktile Information bei zwei Menschen ganz andere Reaktionen hervorruft, wie das Spüren von Wolle auf der Haut oder ein Bündchen an einem Shirt. Auch in Bezug auf Gerüche erfolgen Bewertungen oft unterschiedlich: Manche Menschen können den Geruch von Desinfektionsmittel in einem Krankenhaus oder von Zigaretten kaum ertragen, andere nehmen ihn bei gleicher Intensität nicht oder kaum wahr.

Jede Wahrnehmung ist einzigartig! Jeder Mensch hat seine speziellen Vorlieben und Abneigungen. Wir nehmen täglich bewusst oder unbewusst eine Vielzahl von Informationen auf, welche von uns verarbeitet und miteinander verknüpft werden. Ob eine bestimmte Information Beachtung findet, ob sie bedeutungstragend ist, welche weitere Handlungen bzw. Reaktionen folgen, ist individuell und hängt unter anderem auch damit zusammen, ob es schon negative oder positive Erfahrungen dazu gibt.

Die Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung können sich zudem in besonders belastenden Situationen oder in deren Folge nochmals verändern. Während oder kurz nach einer erlebten Krankheit oder bei Migräne-Attacken sind Über- und Unterempfindlichkeiten in Bezug auf (bestimmte) Licht-‍, Geräusch- oder Berührungsimpulse beobachtbar. Aber auch nach einem Unfall oder auch in Zusammenhang mit weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Traumata oder Borderline-Störungen zeigen sich Wahrnehmungsbesonderheiten. Scheinbar harmlose Stimuli wie ein plötzlich auftretendes Geräusch oder ein bestimmter Geruch werden zu Stressfaktoren und führen zu einer Überlastung der Systeme. Andere Impulse aus der Umgebung werden dagegen kaum wahrgenommen, wie eine leichte Berührung oder Zuspruch von außen. Teilweise sind Betroffene in diesen Situationen auf der Suche nach besonders intensiven und zum Teil selbstverletzenden Impulsen, oder sie vermeiden jeden weiteren Stimulus und verfallen in Passivität. Auslöser und Ausprägung der Wahrnehmungsauffälligkeiten können sich im Laufe der Zeit verändern. Mithilfe von Medikamenten, Psychotherapien und auch Körpertherapien können Erregbarkeit, Häufigkeit und Symptome gelindert werden.

Mit dem Wissen um Unterschiede und Übereinstimmungen in Bezug auf die Verarbeitung von Sinnesinformationen, je nach situativer, körperlicher sowie neurologischer Besonderheiten in den unterschiedlichen Situationen, könnte sich auch das Verständnis für Menschen mit Autismus verbessern. Die Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der weiteren Verarbeitung soll jedoch nicht die Bedeutung der zum Teil schwerwiegenden Beeinträchtigungen von Menschen mit Autismus abschwächen. Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, verbunden mit einer lebenslangen anderen, ganz besonderen Wahrnehmung und deren weiteren Verarbeitung.

1.3 Eine ganz besondere Wahrnehmung


Nicht anders geht es autistischen Menschen in ihrem Alltag. Sie nehmen nicht nur viel mehr Reize bewusst wahr als nichtautistische Menschen, sondern reagieren auch anders, weil in ihrem Gehirn ein anderes Modell der Welt entsteht, auf das sie dann mit einem anderen, für die Umgebung unerwarteten Verhalten reagieren. [...] Sie werden mein Verhalten nicht einordnen können und als komisch oder gar abartig empfinden. Dass es innerhalb meines Systems ein korrektes Verhalten ist, spielt keine Rolle mehr. (Vero, 2014, S. 20 – 22)

Auch wenn jeder Mensch individuell wahrnimmt und diese Informationen spezifisch weiterverarbeitet, trifft dies im Besonderen auf Menschen aus dem Autismus-Spektrum zu. Die Unterschiede und das daraus folgende Verhalten führen häufig zu Verwunderung, Unverständnis und auch Unmut. In vielen Situationen sollte in Bezug auf die gezeigten Besonderheiten jedoch deutlich mehr Toleranz und Verständnis gezeigt werden, besonders wenn es dadurch zu keiner weiteren Beeinträchtigung oder Verletzung kommt. Was macht es für einen Unterschied, ob jemand zur Beruhigung auf das Meer und einen Sonnenuntergang blickt oder dem Schleudern der Wäschetrommel zuschaut?

Abb. 1.1:Jeder Mensch hat seine eigene Wahrnehmung. Für die einen ist der Blick auf die Wellen am Meer entspannend, für die anderen der Blick auf die sich drehende Wäsche in der Waschmaschine.

Die andere Wahrnehmung bezieht sich auf die Aufnahme, die Speicherung und das Einordnen der Impulse und sie unterscheidet sich in fast allen Bereichen von derer neurotypischer Menschen. Dies zeigt sich in einer Über- wie auch Untersensibilität in Bezug auf sensorische Informationen, in einer zumeist besonders schnellen Erregbarkeit sowie einer eingeschränkten Regulationsfähigkeit, was sich u. a. in den vielfältigen Autostimulationen zeigt.

Gegensätzliche Empfindungen, ein Fallbeispiel: Julian, 3,5 Jahre, Down-Syndrom

Julians Vater berichtet Folgendes: »Es ist jeden Abend ein Drama, wenn Julian ins Bett gehen soll. Er streicht seine Matratze glatt, schaut, dass auch kein Krümel oder Haar darauf zu finden ist, dann legt er sich hin. Ich decke ihn zu und singe ihm sein Schlaflied. Julian klettert anschließend wieder aus dem Bett, kontrolliert nochmals sein Bettlaken, dann bekommt er seinen Gute-Nacht-Kuss. Nun muss ich für ihn das Bettlaken mehrmals glattziehen und fest unter die Matratze stecken, bis es endlich passt. Wenn wir ihm im Winter ein wärmendes Betttuch anbieten, schreit und schimpft er so lange, bis wir wieder sein altes, glattes aufziehen. Auch das Bettinlett selbst darf nicht gewechselt werden, er bemerkt dies sofort. Wenn ich später nachschaue, ob Julian schläft, ist sein Bett oft leer. Er liegt dann eingerollt, mit seiner Bettdecke, im unteren Fach seines Bücherregals. Dabei scheint es ihn nicht zu stören, wenn dort noch ein Auto oder ein Bauklotz liegt. Es scheint, als gelten hier andere Regeln.«

Ein Erklärungsversuch: Julian zeigt in vielen Bereichen eine starke Überempfindlichkeit bezüglich taktiler Impulse. Ein weicher und kuscheliger Schlafplatz bietet ihm kaum spezifische Informationen und verunsichert ihn. Auch Krümel im Bett, eine Falte im Betttuch oder die Erbse unter...

Erscheint lt. Verlag 31.7.2024
Vorwort Gerrit Helmholz-Vero
Zusatzinfo 13 Abb., 2 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Autismus • Autismus-Spektrum • Lebensqualität
ISBN-10 3-17-044763-7 / 3170447637
ISBN-13 978-3-17-044763-9 / 9783170447639
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