Große Königreiche Afrikas (eBook)
416 Seiten
Theiss in der Verlag Herder GmbH
978-3-534-61018-1 (ISBN)
John Parker lehrte von 1998 bis 2020 Geschichte Afrikas an der SOAS University of London. Er ist Mitautor von African History: A Very Short Introduction (2007), Mitherausgeber von The Oxford Handbook of Modern African History (2013) und Autor von In My Time of Dying: A History of Death and the Dead in West Africa (2021). Thomas Bertram arbeitet als selbstständiger Lektor, Übersetzer, Autor und Herausgeber. Er studierte an der Ruhr-Universität Bochum Geschichte und Philosophie.
John Parker lehrte von 1998 bis 2020 Geschichte Afrikas an der SOAS University of London. Er ist Mitautor von African History: A Very Short Introduction (2007), Mitherausgeber von The Oxford Handbook of Modern African History (2013) und Autor von In My Time of Dying: A History of Death and the Dead in West Africa (2021). Thomas Bertram arbeitet als selbstständiger Lektor, Übersetzer, Autor und Herausgeber. Er studierte an der Ruhr-Universität Bochum Geschichte und Philosophie.
Einleitung
Könige, Königtum und Königreiche in der afrikanischen Geschichte
John Parker
Im Jahr 2018 beschloss König Mswati III. von Swasiland, den fünfzigsten Jahrestag der Unabhängigkeit seines Landes zum Anlass zu nehmen, es in Eswatini umzubenennen. Eingezwängt zwischen Südafrika und Mosambik und mit einer Fläche von nur 10 789 Quadratkilometern und einer Bevölkerung von 1,1 Millionen, ist Eswatini einer der kleinsten Staaten Afrikas. Außerdem ist es die letzte absolute Monarchie des Kontinents. Mitte des 18. Jahrhunderts als eigenständiger Staat entstanden und seine Stellung ein Jahrhundert später unter der energischen Führung von Mswati II. festigend, war das Königreich des Volkes der Swasi oder Umbuso weSwatini eines der wenigen Reiche in Afrika, das die europäische Kolonialherrschaft überdauerte und im Zeitalter erneuter Souveränität in den 1960er-Jahren unversehrt als moderner Staat in Erscheinung trat. Sobhuza II., der 1899 im Alter von vier Monaten König wurde und der diesen Übergang moderierte, ist sogar einer der am längsten regierenden Monarchen in der Weltgeschichte; nach einem kurzen Experiment mit der Demokratie im Anschluss an die Unabhängigkeit von Großbritannien setzte er die Verfassung nach dem Westminster-System aus und regierte bis zu einem Tod 1982 per königlichem Dekret. Mswati III., der seit 1986 auf dem Thron sitzt, herrscht weiter als König oder Ngwenyama (»Löwe«), in Abstimmung mit seiner Königinmutter oder Ndlovukati (»große Elefantin«). Zusammen stehen sie den jährlichen heiligen Ritualen ncwala und umhlanga vor — das Letztere gab in den vergangenen Jahren Frauenrechtsaktivistinnen zunehmend Grund zur Sorge, weil dem König jedes Jahr just zu diesem Anlass eine junge Braut zur Mehrung seines Gefolges aus Ehefrauen zugeführt wurde.
Heute gehört Eswatini zu der Handvoll absoluter Monarchien — Regierungssysteme, in denen ein erblicher Herrscher die exekutive Gewalt innehat oder dominiert —, die in der modernen Welt noch übrig sind. Weiter verbreitet sind sogenannte konstitutionelle Monarchien, wie etwa das Vereinigte Königreich oder Japan. In diesen politischen Systemen symbolisieren oder verkörpern Könige oder Königinnen weiterhin als »Staatsoberhaupt« die Nation, aber die eigentlichen Regierungsbefugnisse sind repräsentativen Körperschaften wie Parlamenten übertragen worden. Allerdings ist der Verfall der Königsmacht ein relativ junges Phänomen in der Weltgeschichte: Dynastische Könige tauchten als die Herrscher der frühesten Einheitsstaaten im Vorderen Orient, in Afrika, in Asien, in Europa und auf dem amerikanischen Doppelkontinent auf und übten meist über Tausende von Jahren Macht aus, bis die Idee der absoluten Monarchie vom 17. Jahrhundert an allmählich immer stärker unter Beschuss geriet. In Afrika erlebte das Königtum, wie anderswo auch, seinen endgültigen Niedergang im 20. Jahrhundert, und in einigen Fällen ist dieser Prozess heute noch im Gange: In Marokko, das im Anschluss an seine Unabhängigkeit 1956 die Restauration der alteingesessenen Dynastie der Alawiden erlebte, stimmte König Mohammed VI. in dem Bestreben, die Proteste der Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling zu beschwichtigen, erst im Jahr 2011 einer Beschneidung seiner autokratischen Macht zu. Die gegenwärtige Richtung dieser Reformen ist allerdings unklar. In großen Teilen des übrigen Kontinents funktioniert zudem das »traditionelle« Königtum im Rahmen moderner Nationalstaaten weiter. Seiner politischen Souveränität weitestgehend entkleidet, bleibt es ein Kristallisationspunkt für ältere und stärker lokal begrenzte Formen von Identität, Kultur und sakraler Macht. Das soll nicht heißen, dass zentralisierte Reiche die vielfältigen politischen Landschaften Afrikas zu allen Zeiten beherrscht hätten: Wie wir sehen werden, ist die Fähigkeit vieler der Völker des Kontinents zur Selbstregierung ohne Rückgriff auf Könige möglicherweise genauso wichtig wie die Staatsbildungsversuche irgendwelcher dynastischen Möchtegernherrscher. Dennoch haben afrikanische Zivilisationen vom antiken Niltal über die Savannen des mittelalterlichen Westafrika bis zum Hochland von Äthiopien und weiter bis zu den sich nach Süden erstreckenden Wäldern und Grasländern einige der eindrucksvollsten Königreiche der Welt hervorgebracht. Die Geschichte dieser Königreiche und das Wesen der Königsmacht in ihrem Kern sind das Thema dieses Buches.
Afrika hat im Lauf von etwa fünftausend Jahren Geschichtsschreibung den Aufstieg und Niedergang hunderter großer und kleiner Reiche erlebt. Diese wurden von zahllosen Königen regiert: Die große Mehrzahl von ihnen waren Männer, aber auch Königinnen spielten eine Rolle in der afrikanischen Vergangenheit, ebenso die einflussreichen »Königinmütter«, wie etwa die Ndlovukati von Eswatini. Sie alle zu berücksichtigen, kann ein einzelnes Buch nicht leisten, sodass der vorliegende Band mit Aufsätzen sich auf neun Schlüsselregionen konzentriert, in denen zu verschiedenen Zeiten Einheitsstaaten und expansive Großreiche entstanden und die politische Landschaft dominierten. Einige der neun Kapitel beschäftigen sich mit der Geschichte eines einzigen berühmten Reiches, während andere eine umfassendere und längere politische Tradition nachzeichnen, die eine Reihe von Staaten hervorbrachte. Der vielleicht bekannteste dieser regionalen Entwicklungsverläufe ist die Abfolge von drei großen Reichen im mittelalterlichen Westafrika: Ghana, Mali und Songhai, die in Kapitel 2 von Rahmane Idrissa untersucht werden. Im ersten Kapitel widmet sich David Wengrow ebenfalls einem umfassenderen regionalen Kontext, indem er die Geschichte der Entstehung der frühesten Reiche Afrikas wegverlagert von ihrem gängigen Hauptaugenmerk auf dem pharaonischen Ägypten hin zu einem Diskurs entlang des Niltals, zwischen Ägypten im Norden und Nubien im Süden. Diese Analyse ist bestimmend für die nachfolgenden Kapitel: Sie wollen nicht einfach nur chronologische Erzählungen bieten oder überlieferte Weisheiten wiederkäuen, sondern neue Einsichten in die Rolle von Königreichen und Königsherrschaft in der afrikanischen Geschichte berücksichtigen. Die Auffassungen zu diesem Schlüsselaspekt der Vergangenheit Afrikas haben sich erheblich gewandelt, seit die Geschichte des Kontinents Mitte des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand kontinuierlicher wissenschaftlicher Erforschung wurde. Was die Rekonstruktion und Interpretation der Geschichten über Staatsbildung in Afrika anbelangt, so ist im Lauf dieser Zeit viel erreicht worden: Die tiefe Vergangenheit des Kontinents ist nicht länger eine verschwommene Sphäre »verlorener Reiche«. Dennoch ist die afrikanische Vergangenheit nach wie vor schlecht in die der restlichen Welt integriert — eine Marginalisierung, die, wie Michael A. Gomez in seiner aktuellen Studie über Großreiche in Westafrika meint, mit der noch nicht lange zurückliegenden Herausbildung des Fachgebiets »Globalgeschichte« nur noch betont worden ist.1 Dieses Buch möchte einen Beitrag zu der Aufgabe leisten, diese Marginalisierung zu beheben, indem es einem allgemeinen Lesepublikum einige der aufregendsten jüngsten Entwicklungen in Bezug auf das Verständnis von Staaten und Gesellschaften in der afrikanischen Vergangenheit präsentiert.
Sich wandelnde Auffassungen über Königsherrschaft in Afrika
Was genau ist ein König, und was unterscheidet ihn von gewöhnlichen Sterblichen? Bauen Könige — und Königinnen — ihre eigene Macht als autonome, eigenverantwortliche historische Akteure auf, oder werden sie durch umfassendere soziale Strukturen und Prozesse geschaffen? Sind sie Profiteure und Aasgeier oder Friedensstifter, und funktionieren die Systeme dynastischer Herrschaft, denen sie vorstehen, durch Zwang oder durch Zustimmung? Oder wie es in einer Studie über die Rituale des Königtums heißt: Wie »werden Menschen überzeugt, sich einer politischen Ordnung zu fügen, in der die Macht offenkundig ungleich und ungerecht verteilt ist, wie es ständig der Fall ist?«2 Die verschiedenen Völker Afrikas hatten lange ihre eigenen Debatten über diese Fragen. Wie überall wurde das Wesen politischer Macht nach und nach herausgearbeitet, man hat damit experimentiert, es wurde im Lauf der Zeit modifiziert und angefochten. Außerdem entwickelten die Afrikaner ihre eigenen Methoden, die Geschichte dynastischer Staaten und der über sie herrschenden Könige aufzuzeichnen und zu feiern — und manchmal auch zu kritisieren. Wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, bleibt die Rekonstruktion und Interpretation dieser politischen Überlieferungen eine zentrale Aufgabe für die heutigen Historiker des Kontinents. Um die verwirrende Vielfalt der historischen Erfahrungen Afrikas überhaupt zu verstehen, müssen wir jedoch zunächst darüber nachdenken, wie die wissenschaftlichen Vorstellungen von afrikanischer Königsherrschaft im weiteren Sinne Gestalt angenommen haben. Mit anderen Worten, welche Faktoren haben geprägt, was man als die »Produktion von Wissen« über Afrika in der modernen Welt bezeichnen kann?
Zunächst gilt es anzumerken, dass die Produktion von Wissen über Afrika und seine Völker in einem bestimmten historischen Kontext stattfand, nämlich der zunehmend ungleichen Begegnung zwischen dem Kontinent und der Welt jenseits davon im Zeitalter des europäischen Imperialismus. Diese Begegnung kulminierte in der Gewalt und den Enteignungen im Zuge der europäischen Eroberung und Aufteilung Afrikas im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert — ein Prozess,...
Erscheint lt. Verlag | 8.10.2024 |
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Übersetzer | Thomas Bertram, Elsbeth Ranke, Oliver Lingner |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Afrika • Afrika Geschichte • Afrikanische Hochkulturen • Benin-Bronzen • Kolonialisismus |
ISBN-10 | 3-534-61018-0 / 3534610180 |
ISBN-13 | 978-3-534-61018-1 / 9783534610181 |
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