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Werden wir ersetzt? (eBook)

Vom Fortschrittswahn zu einer Ökonomie des gerechten Lebens
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-594-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Werden wir ersetzt? -  Robert Skidelsky
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Es ist ein alter Menschheitstraum, von Mühsal und Not befreit zu sein. Ein Traum, der durch die rasante technologische Entwicklung sowohl zu einer realistischen Perspektive als auch zu einer realen Bedrohung wird, wenn nur einige wenige von diesem Fortschritt profitieren, während er für zu viele mit Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit und Armut einhergeht. Zeit, sich die Grundfragen neu zu stellen: Kontrollieren wir die Maschinen oder kontrollieren die Maschinen - und die, denen sie gehören - uns? Was droht uns im Fortschrittswahn verloren zu gehen? Wie können wir eine gerechte Arbeitswelt und ein gutes Leben für alle organisieren? Robert Skidelsky erzählt kenntnisreich die wechselhafte Beziehung von Mensch und Maschine: Wie haben führende Denker, von der Antike bis ins 21. Jahrhundert, über den technischen Fortschritt - von den ersten Werkzeugen bis zur künstlichen Intelligenz - und seine Auswirkungen auf die Menschheit nachgedacht? Ein grundlegendes Buch zu den drängenden Fragen unserer Zeit, das uns zeigt, auf was wir jetzt achten müssen, damit wir unsere Zukunft in der eigenen Hand behalten.

Robert Skidelsky wurde 1939 in Harbin, China, geboren. Er studierte Geschichte in Oxford und lehrte als Professor für politische Ökonomie an der Universität Warwick. Bekannt wurde er durch seine monumentale, vielfach ausgezeichnete Biografie von John Maynard Keynes. 1991 wurde er als Baron Skidelsky geadelt und ist seitdem Mitglied des House of Lords. Zuletzt erschien 'Wieviel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens'.

Robert Skidelsky wurde 1939 in Harbin, China, geboren. Er studierte Geschichte in Oxford und lehrte als Professor für politische Ökonomie an der Universität Warwick. Bekannt wurde er durch seine monumentale, vielfach ausgezeichnete Biografie von John Maynard Keynes. 1991 wurde er als Baron Skidelsky geadelt und ist seitdem Mitglied des House of Lords. Zuletzt erschien "Wieviel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens".

EINFÜHRUNG


Die meiste Zeit in ihrer Geschichte nutzten die Menschen Werkzeuge und Maschinen, lebten aber nicht in einem Maschinenzeitalter. Dies soll heißen, dass Maschinen nicht ihre Lebensverhältnisse bestimmten. Heute leben wir in einer solchen Ära. Wir sind zu »verdrahteten« Komponenten eines komplexen technologischen Systems geworden, von dem wir hinsichtlich dessen, wie wir Krieg führen, arbeiten, leben und denken, inzwischen abhängig sind.

Den Anbruch des »Maschinenzeitalters« hatte 1829 Thomas Carlyle (1795–1881) angekündigt.1 Wie er es sah, hatte die Menschheit erstmals die Schwelle zu einer von Maschinen bestimmten Zivilisation überschritten, die sich über vier Elemente definiert: ein mechanistisches Weltbild, neue praktische Künste oder Gewerbe, eine systematische Arbeitsteilung und eine unpersönliche Bürokratie. Carlyles Elemente sollten sich zu dem vereinen, was ein Jahrhundert später Lewis Mumford den »technologischen Komplex« nannte. Im Maschinenzeitalter bestimmt nicht das Zusammenspiel von Mensch und Natur, sondern das von Mensch und Gerät die Bedingungen der menschlichen Existenz.

Carlyles Ansatz bietet einen nützlichen Weg für Überlegungen, wie Menschen an diesen Punkt gelangt sind. An die erste Stelle setzt er das »mechanistische Weltbild« (mechanical philosophy) – die Betrachtung der Welt als Maschine (oder, wie damals konzipiert, als ein von Gott aufgezogenes Uhrwerk). Dieser Sichtweise zufolge waren Menschen als wertschöpfende Mechanismen aufzufassen. Die wissenschaftliche Methode würde es ermöglichen, Gesetze des menschlichen Verhaltens wie die der Physik zu ermitteln und deren Kenntnis dazu zu nutzen, eine bessere Gesellschaft zu errichten. In diesem Buch bezeichne ich mit dem Ausdruck »Technologie« die Anwendung des mechanistischen Weltbilds zunächst auf die Organisation der Arbeit und dann auf die des Lebens.

An zweiter Stelle folgten die »neuen praktischen Künste oder Gewerbe«. Dies war Technologie im engeren Wortsinn als Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Herstellung nützlicher Dinge, wobei die antike Trennlinie zwischen episteme (Wissen) und techne (Können) verwischt wurde. Die Geschichte der Maschinen war bis dato eine des »Herumbastelns mit Werkzeugen« gewesen, basierend auf Erfahrung und lokalem Wissen. Mit der industriellen Revolution wurden erstmals wissenschaftliche Erkenntnisse auf die Produktion angewendet, was im 19. Jahrhundert für einen nie da gewesenen Zuwachs an materiellem Wohlstand führte, der sich im 20. Jahrhundert weiter beschleunigte.

An dritter Stelle stand die Arbeitsteilung. Das Maschinenzeitalter markierte eine grundlegende Abkehr von der Praxis, ein Produkt in Gänze (oder zu einem Großteil) von einer einzigen Person (wie dem Töpfer an der Scheibe) fertigen zu lassen, hin zu einer Produktionsweise, bei der die einzelnen Arbeitsschritte der Herstellung wie in Adam Smith’ Stecknadelfabrik klar voneinander getrennt wurden. Dies steigerte gewaltig die Effizienz der Produktion. Die Spezialisierung von Aufgaben galt nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Nationen: Eine »Weltwirtschaft« entstand, in der Staaten Handel mit Gütern und Dienstleistungen trieben, für deren Bereitstellung sie aufgrund von Klima oder Fähigkeiten als besonders begünstigt galten. Auf die Art wurden immer mehr menschliche Tätigkeiten »optimiert«, was dazu führte, dass Menschen nunmehr als die austauschbaren »Glieder« der nationalen und globalen Lieferketten konzipiert wurden. Dabei war die Spezialisierung bei der Produktion von Ideen ein bedeutender Aspekt der Arbeitsteilung. Forschungsfelder wurden zu »Disziplinen« mit eigenen Hierarchien. Gelehrte und Universitätsangehörige wurden Spezialisten in kleinteilig zersplitterten Bereichen des Denkens, ohne eine Vorstellung davon, wie diese jeweils miteinander zusammenhingen, um dem vollständigen Produkt Gestalt und Bedeutung zu geben.

Carlyles viertes Element, die »unpersönliche Bürokratie«, bezeichnet den Gehorsam gegenüber Regeln ohne Rücksicht auf Personen. Max Weber sollte dies später als »Rationalisierung« bezeichnen – der Prozess, bei dem ein auf Gewohnheit oder Gefühl basierendes Verhalten in eines überführt wird, das auf der rationalen Anpassung von Mitteln an Zwecke basiert. Weber sah die Rationalisierung als unvermeidliches Ergebnis von »Gottes Tod« an. Sie ist für das Verständnis moderner Herrschaftstechniken besonders bedeutsam. Heutzutage beherrschen uns digitale Bürokraten, deren Anweisungen durch ihre wissenschaftliche Rationalität legitimiert sind und damit jenseits der Zuneigungen, Kompromisse und Animositäten in Religion, Politik oder persönlichen Beziehungen stehen. Mit der Verbreitung von Computernetzwerken werden die Grenzen, die den traditionellen Bürokratien beim Eingreifen ins Alltagsleben gesetzt waren, überwunden, wobei sich das Laster der Undurchsichtigkeit ihres Wirkens weiter verschärft.

Während Verfechter des mechanistischen Weltbilds den Nutzen von Maschinen hervorhoben, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt rationaler und somit effizienter zu gestalten, setzte Carlyle auf eine grundlegende Unterscheidung zwischen dem Inhumanen und dem Humanen. Er verglich die oft inhumanen Bedingungen des vorindustriellen Lebens mit der inhumanen Herrschaft unpersönlicher Regeln. Ich versuche zu zeigen, dass diese Disharmonie zwischen Menschsein und Menschlichkeit eine Erklärung für die Qualen der Moderne liefert. Ich behaupte zudem, dass dies eine einzigartig westliche Disharmonie ist, die durch westliche Wissenschaft und westliche Waffen in die nichteuropäische Welt exportiert wurde.

Das Buch ist um die Anwendung des mechanistischen Weltbildes erst auf die Arbeit und dann auf die Gesellschaft herum strukturiert. Das moderne Zeitalter wird von Maschinenbauern beider Art, Ingenieuren des Körpers und Ingenieuren der Seele, sowie durch den beharrlichen Widerstand beherrscht, den Dichter, Schriftsteller und Künstler beiden entgegensetzen.

Die erste Hälfte dieses Buchs handelt hauptsächlich von den Auswirkungen von Maschinen auf die Arbeit. Der Prolog über den – antiken wie modernen – Robotik-Hype führt die bedeutende, mythologische Idee des Automaten ein, aus der sich letztlich der heutige Hype um die künstliche Intelligenz speist: die der unbeseelten Materie, die durch verborgene Mächte zum Leben erweckt wird. Dass sich solche Archetypen auf dem Weg der Menschheit vom Mythos zur Wissenschaft hartnäckig gehalten haben, ist ein zentrales Kennzeichen unserer Beziehung zu Maschinen.

Die nachfolgenden Kapitel behandeln den Aufstieg der Maschinenzivilisation, ihren materiellen und kulturellen Hintergrund, ihre materiellen Verheißungen, das Hervortreten Großbritanniens als »erste Industrienation« sowie den Widerstand gegen die Zwangsindustrialisierung. Der Protest und das Schicksal der Ludditen, der zum Untergang verurteilten Handweber im frühindustrialisierten Großbritannien, bilden den Rahmen für die gegenwärtigen Debatten um die »Zukunft der Arbeit« und die Bedeutung des »Upskillings«. Ein zentraler Diskussionspunkt dreht sich um die Frage, ob unsere Zukunft von unserer Technologie bestimmt sein wird.

Folgende Fragen beherrschen die gegenwärtige Debatte: Werden menschliche Arbeitskräfte vollständig oder nur teilweise durch Maschinen ersetzt? Wollen Menschen ihre Arbeitszeiten reduzieren oder mehr konsumieren? Welche sozialen Übereinkünfte sorgen am ehesten dafür, dass die Früchte der Produktivitätszuwächse gerecht verteilt werden? Inwieweit soll beim Streben nach Produktionsoptimierung Rücksicht auf den sittlichen Wert von Arbeit genommen werden? In dieser Erörterung werden uns das zentrale Thema der Kosten des Lernens im »Wettlauf mit den Maschinen« und die Frage begegnen, ob der Preis dafür ist, auch das zu opfern, was das Menschsein ausmacht.

Wie Carlyle schon 1829 anmerkte, betrafen Maschinen nicht nur bestimmte Gewerbe, sondern »veränderten die Grundfesten der Gesellschaft durch die Verinnerlichung mechanistischer Axiome«. Deren Effekt war, dass wir eine Reihe von Verhaltensnormen, die uns die Ingenieure der Seele von außen vorschrieben, internalisiert (uns zu eigen gemacht) haben. Wir haben dem Großen Bruder nicht deshalb gehorcht, weil er uns mit einem dicken Knüppel bedrohte oder weil wir ihn gar liebten, sondern, weil er uns auf eine unwiderstehlich rationale Weise angesprochen hat.

Die Auswirkungen des Aufstiegs des »mechanistischen Weltbilds« fasste, obwohl unbeabsichtigt, Rick Fernandez, der Chef von Googles Abteilung für Lernen und Entwicklung, klar in einer Frage zusammen: »Wie können wir, während wir unsere Technologie optimieren, unser Leben optimieren, um unser bestes Selbst zu verwirklichen?« Der Gedanke, »unser Leben zu optimieren«, ist sehr verlockend. Aber er beruht auf einer Verwechslung von Streben und Ziel. Ein optimaler Zustand kann aus Sicht des...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2024
Übersetzer Enrico Heinemann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AI • Arbeit • Arbeitslosigkeit • Artifical Intelligence • Dienstleistungssgesellschaft • Digitale Revolution • Gerechte Verteilung • Job • KI • Künstliche Intelligenz • Regulation • Roboter • Robotik • Zukunft
ISBN-10 3-95614-594-1 / 3956145941
ISBN-13 978-3-95614-594-0 / 9783956145940
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