Schuld, Verantwortung und Solidarität. (eBook)
280 Seiten
Herbert von Halem Verlag
978-3-86962-694-9 (ISBN)
Michael Haller, Jahrgang 1945, studierte an den Universitäten Freiburg i.Br. und Basel Philosophie, Politik- und Sozialwissenschaften. Er promovierte über Hegels politische Philosophie und forschte zur Rolle der Medien in westlichen Demokratien. Vor seinem Ruf an die Universität Leipzig im Jahr 1993 war Haller während 25 Jahren als Reporter und leitender Redakteur in verschiedenen Pressemedien des deutschen Sprachraums tätig. Bis zu seiner Emeritierung im Herbst 2010 hatte er den Lehrstuhl für Allgemeine und Spezielle Journalistik inne. Heute ist er wissenschaftlicher Leiter des gemeinnützigen Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) in Leipzig. Forschungsgebiete: Deliberative Theorien der öffentlichen Kommunikation in Demokratien; Ermittlung und Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz für die mediatisierte Lebenswelt, Probleme der Medien- und Kommunikationsethik.
Michael Haller, Jahrgang 1945, studierte an den Universitäten Freiburg i.Br. und Basel Philosophie, Politik- und Sozialwissenschaften. Er promovierte über Hegels politische Philosophie und forschte zur Rolle der Medien in westlichen Demokratien. Vor seinem Ruf an die Universität Leipzig im Jahr 1993 war Haller während 25 Jahren als Reporter und leitender Redakteur in verschiedenen Pressemedien des deutschen Sprachraums tätig. Bis zu seiner Emeritierung im Herbst 2010 hatte er den Lehrstuhl für Allgemeine und Spezielle Journalistik inne. Heute ist er wissenschaftlicher Leiter des gemeinnützigen Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) in Leipzig. Forschungsgebiete: Deliberative Theorien der öffentlichen Kommunikation in Demokratien; Ermittlung und Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz für die mediatisierte Lebenswelt, Probleme der Medien- und Kommunikationsethik.Hans-Peter Waldrich, Jahrgang 1944, studierte an den Universitäten München, Frankfurt am Main und Freiburg i. Br. Politikwissenschaft, Philosophie, Geographie und Germanistik. Er promovierte zur Frage des Demokratieverständnisses im Marxismus-Leninismus der Deutschen Demokratischen Republik. Beruflich tätig war er an pädagogischen Einrichtungen (Evangelische Akademie, Gymnasien) und als Lehrbeauftragter am Bundesamt für den Zivildienst und an der Universität Karlsruhe sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule. 2008 bis 2012 engagierte es sich als Landesvorsitzender der Aktion Humane Schule Baden-Württemberg (AHS) im Bereich der Reformpädagogik. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind die Fragen und Probleme atomarer Bewaffnung. Er versteht sich als Friedensaktivist. Zahlreiche Buchveröffentlichungen.
Vorbemerkung: Wie der Briefwechsel und daraus das Buch entstanden sind
Zum Auftakt
Teil 1: Wer trägt die Verantwortung?
Teil 2: Wo sind die Pazifisten geblieben?
Teil 3: Droht uns in Europa der Atomkrieg?
Teil 4: Medien im Krieg – Wie informieren wir uns?
Zwei Nachworte: Was haben wir gelernt?
Nachwort von Hans-Peter Waldrich
Nachwort von Michael Haller
Literatur
Register
Brief 3, Hamburg, Anfang April 2023
Lieber Hans-Peter,
während der Lektüre deines Antwortbriefs gewann ich den Eindruck, dass Du der Frage »Wie kommen wir vom Krieg zum Frieden?« ausweichst und stattdessen die Frage aufwirfst, ob die Weststaaten – Du meinst vermutlich die USA mit ihren Nato-Verbündeten – eine doppelte Schuld träfe: zum einen als Mitverursacher der dem Krieg vorausgegangenen Konflikte, zum andern durch ihre Verweigerung, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Ich kenne diese Positionen, sie decken sich grosso modo mit dem offenen Brief (»Manifest«) von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer an die Bundesregierung, den Du mitunterzeichnet hast. Beide Punkte kommen auch in den Reden vor, die Ihr an der Kundgebung am 25. Februar in Berlin gehalten habt. Aus meiner Sicht zielen beide Positionen am Kern des Problems vorbei. Bitte lass mich dies hier begründen.
Zur ersten Position: Du bindest die Suche nach Frieden zurück an die Ursachen des Konflikts. Diese müssten rekonstruiert werden, so verstehe ich dich, ehe der Weg zum Frieden gefunden werden kann. Diesen Ansatz halte ich für akademisch, vielleicht geeignet für ein Seminar mit angehenden Historikern. Als Handlungsziel für die Friedenspolitik erscheint er mir irreführend. Deine These, Kriege seien Ersatzhandlungen und könnten mit »einer klugen, diplomatisch gesteuerten Friedensarchitektur« vermieden werden, vertreten auch namhafte Publizisten der linksalterativen Szene. Doch aus meiner Sicht erzählen die seit dem Zweiten Weltkrieg stattgehabten Kriege eine andere Geschichte. Du sagst, dass Kriege »als Symptom für eine schlechte Außenpolitik« zu deuten seien (23). Das mag – wenn ich dem britischen Historiker Christopher Clark (deutsch: Die Schlafwandler, 2013) folge – für die Gründe des Ersten Weltkriegs zutreffen. Damals gelang es den europäischen Nationalstaaten tatsächlich nicht, »eine stabile Friedenordnung aufzurichten«, wie Du es formulierst. Wobei: Die damaligen Machtstaaten Europas standen im Widerstreit zwischen borniertem Nationalismus und imperialen Grandiositätsphantasien. Vermutlich wollten die Generalstäbe der Achsenmächte keine Friedensordnung. Kriegsführung galt ihnen noch im Clausewitz’schen Sinne als effektives Instrument zur Durchsetzung außenpolitischer Ziele. Ich meine: Jene Sturköpfe waren vermutlich in Erinnerung an »Preußens Gloria« (FISCHER-FABIAN 1976) noch immer dem eitlen Renommier-Nationalismus des 19. Jahrhunderts verhaftet, Motto: »Viel Feind, viel Ehr!«.
Das änderte sich mit den ideologisch begründeten Herrschaftsansprüchen, zuerst durch die Bolschewisten der Sowjetunion, dann durch den faschistischen Autoritarismus: Mussolini als erster, gefolgt von Franco und den Nationalsozialisten mit ihren Vasallen im Südosten. Das Münchner Abkommen von 1938 gilt bis heute als Menetekel: Die auf eine »stabile Friedensordnung« gerichtete Besänftigungspolitik Chamberlains ermutigte Hitler, ein gutes halbes Jahr später das von den Nazis »Rest-Tschechei« genannte Gebiet militärisch zu besetzen. Die Analogie zu Putin mit seiner Annektierung der Krim und der folgenden Aufwiegelei im Donbass kommt nicht von mir, sie ist vielerorts beschrieben worden.
Aus westlicher Sicht war der Koreakrieg 1950/53 der wohl letzte ideologisch begründete Krieg. In Indien, Indochina und Vietnam, Rhodesien, Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, Kongo und Algerien tobten indessen brutale Rückzugskriege der Kolonialmächte, die ihre Rohstoffressourcen sichern wollten. Daran ändert die von den US-Präsidenten Johnson und Nixon als Ideologem verkaufte Domino-Theorie nichts, der zufolge ganz Südostasien kommunistisch zu werden drohe (sozusagen eine antiideologische Ideologie). Tatsächlich ging es um die auf Ausbeutung gestützten hegemonialen Wirtschaftsinteressen der USA und ihrer Verbündeten. Der Weg zur »stabilen Friedensordnung« setzte damals die Unterwerfung unter das Regime des Dollars voraus, anfangs unter Bretton-Woods, anschließend unter dem Zepter der WTO. Die meisten im Namen der Freiheit und Menschenrechte von den USA geführten Kriege – ich spanne den Bogen vom Sturz des gewählten Regierungschefs Mossadegh 1953 im Iran, dann die Ermordung Allendes, gefolgt von der Pinochet-Diktatur in Chile 1973 bis zur Hinrichtung Saddam Husseins im Irak 2006 – dienten vor allem den Rohstoff-Interessen der kapitalistischen US-Wirtschaft. Chiles Kupfer, Irans Ölfelder und jene des Irak waren für die westlichen Energieindustrien verlockend, ähnlich wie es heute die seltenen Metalle für die Halbleiterindustrie sind. Heute zeigt China uns und der Welt, dass es auch anders geht: Peking investiert in die Infrastruktur zahlloser Staaten des globalen Südens und bewirkt auf friedlichen Wege durchaus ähnliche wirtschaftspolitische Abhängigkeiten wie damals die westlichen Kolonialmächte mit ihren terroristischen Kriegen.
Um die Hintergründe für den russischen Überfall auf die Ukraine zu verstehen, scheint mir noch eine andere Motivlage relevant. Bereits der blutige Einmarsch der USA in den Irak war neben dem wirtschaftspolitischen Interesse vor allem innenpolitisch motiviert: George W. Bush und sein Kriegstrommler Donald Rumsfeld wollten sich innenpolitisch als Sieger im selbsterklärten »Krieg« gegen Osama bin Laden und Al-Qaida feiern lassen. Da die US-Militärs in Afghanistan aber keine Erfolge vorweisen konnten, wurde der Irak kurzerhand der »Achse des Bösen« zugerechnet, den Staaten, die laut Bush »terroristische Verbündete« seien, die in seltsamer Weise die USA bedrohen »könnten«. Im September 2002 verkündete Bush, die USA müssten jetzt »weltweit« Freiheit und Gerechtigkeit verteidigen, außerdem dürften sie im Namen der nationalen Selbstverteidigung Präventivkriege auch ohne UN-Mandat führen. Ich sehe auch hier ein Muster, das Putin für seine Strategie übernommen hat: Seit 2014 macht er das, was Bush jr. der ganzen Welt vorgegaukelt hat. In Putins Reden agieren die Nato-Staaten in einer Art »Achse des Bösen«, weil sie den russischen Rückholdrang mit Eindämmung konterkarieren: Russland werde durch die Nato- Osterweiterung direkt bedroht und müsse seine Interessen mit der Annexion der (angeblich mehrheitlich von Russen bewohnten) Krim und dann mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine sichern. Ich hoffe, auch Du siehst, wie verdreht diese Rechtfertigung ist. Deren Logik entspricht diesem Muster: Weil aus dem Nachbarhaus die laute Musik immer lauter wird, darf ich jetzt das ganze Haus abfackeln.
Putin ist ein findiger Lehrling, wenn es um Machtsicherung und Propaganda geht. Das gilt auch für die Produktion von Lügengeschichten zur Manipulation der öffentlichen Meinung im Inland. Bekanntlich hat Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat 2003 mit gefakten Bildern erzählt, Saddam Hussein habe große Vorräte an C-Waffen und baue demnächst Atombomben. Ich vermute, der einstige KGB-Offizier Putin staunte nicht schlecht, wie einfach es war, mit dieser Lügengeschichte das Meinungsklima zu manipulieren, Kritik abzuwehren und neue Tatsachen zu schaffen. Die freien Medien in den USA waren so blind, dass sie Bush als großen Kämpfer für die Freiheit feierten. Dem gegenüber unterhält der Kreml große Lügenproduktionsfabriken in Moskau und in St. Petersburg. Er führt einen multimedialen Cyber-Lügenkrieg, um seine Kriegsattacken mit Bedrohungsgeschichten und Rettungsmythen – die von ukrainischen Nazis drangsalierten armen Russen im Donbass – zu rechtfertigen. Leider gehen ihm viele »Systemkritiker« auch bei uns auf den Leim (vor allem in den Neuen Bundesländern). Man liest ihre Nato-feindlichen Geschichten in den Blogs der rechten Szene und man sah sie zu Tausenden an Eurer Friedenskundgebung in Berlin die Peace-Fahnen schwenken.
Was ich damit sagen möchte: Ich sehe (auch) hier einen innenpolitisch begründeten Krieg, der dem Zweck dient, dem regierenden KGB-Clan im Kreml die Macht zu sichern, indem er dem eigenen Volk den Krieg als eine Art Notwehr verkauft und so von der Unterdrückung der Freiheitsrechte und der fortschreitenden Verarmung der Landbevölkerung ablenkt. Putin erinnert mit viel Pathos an das großrussische Reich und die mächtige Sowjetunion, ein Imperium, welches von den ausbeuterischen Kapitalisten in den Machtzentren des Westens mit bösen Täuschungsmanövern zerstört worden sei. Jetzt werde Russland durch die Nato-Osterweiterung und die wirtschaftspolitische Westorientierung der Ukraine »existenziell bedroht«. Von daher nennt er seinen Überfall auf die Ukraine – wie damals die USA den Einmarsch in den Irak – eine präventive »Maßnahme«, um die Bedrohung abzuwenden. Der für mich einzig plausible Grund für das alles: Putin darf aus innenpolitischen Machtsicherungsgründen nicht als Verlierer dastehen.
Du greifst das Thema Kriegsschuld auf und...
Erscheint lt. Verlag | 14.12.2023 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Abschreckung • Angriff • Angriffskrieg • Atomkrieg • Aufrüstung • Außenpolitik • Austin • biden • Chamberlain • Coventry • Debatte • Diskurs • EU • Frieden • Friedensordnung • Friedenspolitik • Friedensverhandlung • Gas • Gedankenexperiment • Holodomor • Kissinger • Konflikt • Kontroverse • Krieg • Krim • Nuklearwaffen • Pazifismus • Putin • Russland • schmetterlingseffekt • Schuld • Streit • Überfall • Ukraine • Ukrainekonflikt • USA • VAD • Verantwortung • Wagenknecht |
ISBN-10 | 3-86962-694-1 / 3869626941 |
ISBN-13 | 978-3-86962-694-9 / 9783869626949 |
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