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Mit Herz und Klarheit (eBook)

Wie Erziehung heute gelingt und was eine gute Kindheit ausmacht
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60705-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mit Herz und Klarheit -  Herbert Renz-Polster
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Der renommierte Erziehungsexperte und Kinderarzt Herbert Renz-Polster stellt immer wieder fest: Das Thema Autorität ist ein Knackpunkt, an dem viele Eltern den Eindruck haben, mit der bedürfnisorientierten Erziehung nicht weiterzukommen. Wie aber kann eine andere, menschliche Autorität funktionieren? In diesem Buch macht er fundiert und umsetzbar verständlich, wie sich Achtsamkeit, Respekt und Mitbestimmung mit Klarheit, Führung und Verantwortung verbinden lassen, und vermittelt ein klares Bild von einer guten Kindheit, ohne falsche Leuchttürme und Erziehungstrends.

Dr. Herbert Renz-Polster, Jahrgang 1960, ist Kinderarzt und assoziierter Wissenschaftler am Zentrum für Präventivmedizin und Digitale Gesundheit der Universität Heidelberg. Ausbildung und Forschungstätigkeit in den USA, dann in Deutschland. Herbert Renz-Polster befasst sich seit vielen Jahren mit Fragen rund um die kindliche Entwicklung und gilt als eine der profiliertesten Stimmen in der Erziehungsdebatte und bei allen Themen von Kindern, Eltern und Familien. Darüber hinaus publiziert er zu verschiedenen anderen medizinischen und gesellschaftlichen Themen.

Dr. Herbert Renz-Polster, Jahrgang 1960, ist Kinderarzt und assoziierter Wissenschaftler am Zentrum für Präventivmedizin und Digitale Gesundheit der Universität Heidelberg. Ausbildung und Forschungstätigkeit in den USA, dann in Deutschland. Herbert Renz-Polster befasst sich seit vielen Jahren mit Fragen rund um die kindliche Entwicklung und gilt als eine der profiliertesten Stimmen in der Erziehungsdebatte und bei allen Themen von Kindern, Eltern und Familien. Darüber hinaus publiziert er zu verschiedenen anderen medizinischen und gesellschaftlichen Themen.

Auf der Suche nach dem guten Kern von Erziehung


Wer weiß noch, was ein »Diener« ist? Ich selbst, 1960 zusammen mit meinem Zwillingsbruder Ulrich geboren, musste als Kind eine solche Verbeugung machen, um Fremde zu begrüßen. Meinem Vater war das wichtig. Vergaß ich die Geste, legte sich schon mal seine Hand auf meinen Hinterkopf, um nachzuhelfen. Die alte Schule war aber schon damals in die Defensive gekommen. Meine Mutter etwa, inzwischen 96 Jahre alt, schnitt Artikel aus der Tageszeitung aus, um sie meinem Vater zum Lesen vorzulegen. Es ging darin um die »Neue Erziehung«, wie sie damals genannt wurde: Weg von der autoritären Unterwerfung der Kinder, ihnen stattdessen eine Stimme zugestehen. Meine Mutter musste feststellen, dass mein Vater von diesem neuen Ansatz nicht viel hielt. Das war ebenfalls typisch für diese Zeit des Wandels: Die Väter waren oft seelisch schwer belastet, nicht nur von ihrer Erziehung zu einer tumben Männlichkeit, sondern auch von ihren Erfahrungen im Krieg. Tatsächlich bestand der segensreichste Beitrag der Väter zur Kindererziehung häufig darin, dass sie sich mit Haut und Haar an die Wirtschaftswunderfront verabschiedeten.

Wie schlimm die autoritäre Brutalität in vielen Familien noch wütete und dass auch die Mütter dagegen keineswegs immun waren, erfuhren wir Zwillinge, als wir einen neu gewonnenen Kindergartenfreund besuchen wollten. Er wohnte auf einem Hof am Dorfrand. Erwartungsvoll stiefelten wir los – in Aussicht stand nichts weniger, als die Pferde zu füttern! Was wir dann durch eine Tür zur Milchkammer sahen, war so schlimm, dass wir nie wieder zu einem Interesse an dieser Freundschaft zurückfanden: Der Bub lag auf einem Tisch, die Hosen heruntergezogen, und wurde von seiner Mutter mit einem Teppichklopfer geschlagen. Noch heute steigt bei dieser Erinnerung das damalige Grausen in mir auf.

Wenn mir also heute jemand weismachen will, wir wären in der Erziehung der Kinder nicht weitergekommen, kann ich nur sagen: Lass gut sein.

Alt und neu im Widerstreit

Tatsächlich war die damals als neu bezeichnete Erziehung eine Erfolgsgeschichte. Zwischen den Geburtsjahrgängen 1970 und 1985 verdoppelte sich in der BRD der Anteil der Kinder, die in ihrem Elternhaus nie körperliche Gewalt erfahren haben, von etwa 25 auf etwa 52 Prozent (vergleichbare Zahlen für die DDR sind nicht verfügbar).[1] Immer mehr Eltern – ich bin wieder in der BRD, wo die neue Welle früher startete als in der DDR – interessierten sich für ein kooperatives, demokratisches Miteinander in der Familie und für neue Formen des Umgangs mit Säuglingen. 1980 erschien Auf der Suche nach dem verlorenen Glück von Jean Liedloff auf Deutsch, ein optimistisch-schwärmerischer Blick auf den sanften Umgang einer indigenen Stammesgemeinschaft mit ihren Babys, ebenso die deutsche Ausgabe der Familienkonferenz. 1981 folgte Barbara Sichtermanns Leben mit einem Neugeborenen, 1993 dann die Babyjahre von Remo Largo und 1996 Dein kompetentes Kind von Jesper Juul. Pionierwerke, deren Urheberinnen und Urhebern wir nicht genug danken können.

Wie stark gleichzeitig die alte Strömung noch war, zeigte ebenfalls der Blick in die Bücherregale. Dort standen zumindest in der BRD noch bis 1987 die – kaum veränderten – Werke von Johanna Haarer, nach denen die Kinder im Nationalsozialismus erzogen worden waren (in der DDR wurde Haarer nicht weiter verlegt). Neu ins Regal kam in den 1990er-Jahren der Ratgeber Jedes Kind kann schlafen lernen, in dem Eltern erklärt wird, wie sie ihre Babys zum Durchschlafen bringen können – nämlich indem sie deren Verzweiflung einfach konsequent genug ignorieren. Selbst wenn der Säugling sich dann in seiner Not erbricht, gelte es, hart zu bleiben und das kleine Kind keinesfalls hochzunehmen. Wegwischen, fertig.

Nach der Jahrtausendwende – das Buch Jedes Kind kann schlafen lernen war inzwischen hunderttausendfach verkauft – war es vor allem der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff, der die verblichene Fahne der alten Erziehung noch einmal so richtig zum Flattern brachte. 13 Jahre lang rührte er abstruse Klagen über Kinder mit Überbleibseln aus der Freud’schen Küche zusammen: »Von 25 Kindern in einer Schulklasse« seien heute »nur noch zwei bis vier komplett unauffällig«.[2] Das läge daran, dass die Erwachsenen schon Kinder »mit ihrem kaum fortgeschrittenen Alter zwischen drei und sechs Jahren als eigene Persönlichkeit begriffen«[3] und deshalb ihre Psyche nicht formen würden. Bis zu seinem unrühmlichen Abgang war Michael Winterhoff mit seinen Thesen Dauergast in den Talkshows und der wohl gefragteste Redner auf Pädagogikkongressen im deutschsprachigen Raum. Zu manchen seiner Vorträge pilgerten mehr als siebentausend pädagogische Fachkräfte.

Autoritär wollen wir nicht erziehen – aber wie dann?

Nun könnte man sagen: Wie kann man heute, wo wir so viel Neues über Kinder wissen, diesen alten Ansagen noch immer auf den Leim gehen? Das wäre mir zu einfach. Winterhoffs Erklärungen trafen eindeutig einen Nerv, und wenn man einmal manche seiner schrillen Behauptungen beiseiteschiebt, stellt er in seinen Büchern Fragen, die vielen Eltern und pädagogischen Kräften tatsächlich unter den Nägeln brennen. Was fehlt den Kindern? Brauchen sie mehr Führung? Ja, das sind berechtigte Fragen – ich stelle sie auch.

Offensichtlich drückt der Schuh besonders dort, wo es um ein Thema geht: Autorität. Und zwar so sehr, dass auch die einfachsten Erklärungen gerne geglaubt werden. Hinter der so leicht zu entfachenden Begeisterung sehe ich zuallererst eine tiefe Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach »etwas, das wirkt«, nach Handlungsfähigkeit. Nach einer Methode, die Kinder zum Kooperieren bringt und den Stress aus der Familie nimmt.

Ich glaube, wir sollten diese Sehnsucht ernst nehmen. Michael Winterhoff kam ja nicht auf zigtausend glühende Amazon-Rezensionen, weil seine Bücher etwas Nebensächliches behandeln. Nein, er hat offenbar erkannt, was viele Eltern an ihre Grenzen bringt. Vielleicht wenden sich Eltern den alten autoritären Maschen aus Not zu und weniger aus Überzeugung? Tatsächlich höre ich einen Satz in erstaunlicher Regelmäßigkeit: Wir haben alles probiert, auch die sanfte Art – aber es hat nicht geholfen. Und unausgesprochen ergänzt wird dann oft: Vielleicht ist eben doch etwas dran an den alten Methoden.

Und genau hier – Stichwort: Erziehung neu denken – fällt mein Blick auch auf unser eigenes Angebot – dem der Autoren und Expertinnen, die heute für dieses neue Denken in der Pädagogik stehen, von Remo Largo, Jesper Juul, Fabienne Becker-Stoll, Inke Hummel, Nora Imlau, Danielle Graf und Katja Seide bis Katharina Saalfrank, Susanne Mierau, Mathias Voelchert, Olivia Asiedu-Poku, Lienhard Valentin oder Nicola Schmidt (um nur ein paar Namen zu nennen, und ohne viele von mir hochgeschätzte Ungenannte zu vergessen). Alle zusammen stehen wir für eine Pädagogik, die inzwischen mit den Etiketten »bedürfnisorientiert«, »bindungsorientiert« oder »beziehungsorientiert« belegt wird. Ist unser Angebot wirklich klar genug? Ist verständlich, was wir mit »Erziehung ohne Unterwerfung« konkret meinen? So nachvollziehbar, dass auch diejenigen etwas davon mitnehmen und lernen können, denen der beziehungsorientierte Ansatz vielleicht noch nicht selbstverständlich ist? So solide und überzeugend formuliert, dass wenigstens die allerpeinlichsten Wiedergänger der »alten Erziehung« nicht jedes Mal eine Massenhysterie auslösen?

Ich glaube, dass wir noch Luft nach oben haben. Und dass wir mit mehr Klarheit den bedürfnisorientierten Ansatz auf eine breitere Spur bringen können. Und zwar auch in der durchschnittlichen Kita um die Ecke. Und auch in der durchschnittlichen Schule.

Vielleicht ist es uns bisher nicht gelungen, verständlich genug darzulegen, wie eine andere, menschlichere Autorität gelingt? Wie sich Achtsamkeit und Respekt mit Klarheit und Orientierung verbinden lassen?

Das bedürfnisorientierte Angebot: ausbaufähig?

Gehen wir das neue Angebot, egal wie wir es nennen, dazu einmal selbstkritisch durch. Da ist zum Beispiel viel die Rede davon, was Eltern nicht tun sollen. Und das stets klar und deutlich: nicht strafen, nicht schimpfen, nicht zwingen. Alles gut ausgeleuchtet in Dutzenden von Erziehungsratgebern. Aber was dann stattdessen zu tun ist? Da ist die Botschaft...

Erscheint lt. Verlag 29.2.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte Attachment Parenting • Autoritäre Erziehung • Autorität • Autoritative Erziehung • Bedürfnisorientierte Erziehung • Bestsellerautor • Bindung • Bindungsorientiert • Elternratgeber • Erziehung • erziehungsexperte • Erziehungskompass • Erziehungstricks • Familie • Familienalltag • Fremdbetreuung • Führung • glückkliche Kindheit • Grenzen setzen • Inneres Kind • Kinder • Kinderarzt • Kindererziehung • Kindliche Entwicklung • kooperatives Kind • Kreativität • Leben mit Kindern • Mediennutzung • Mitbestimmung • Natur • Neue Autorität • Neue Medien • New Authority • nora imlau • Ratgeber • Resilienz • Respekt • Selbstfürsorge • Selbstkontrolle • Soziale Kompetenz • Soziale Medien • Streit • Verantwortung • weniger schimpfen
ISBN-10 3-492-60705-5 / 3492607055
ISBN-13 978-3-492-60705-6 / 9783492607056
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