Meuterei im Paradies (eBook)
304 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12313-5 (ISBN)
Simon Füchtenschnieder, geboren 1980 in Salzkotten, studierte Anglistik und Geschichtswissenschaft an der Universität Bielefeld und dem University College Dublin (Irland). Für dieses Buch forschte er u.a. in London und Sydney. Seine Arbeitsschwerpunkte gelten der britischen Seefahrtsgeschichte des 18. Jahrhunderts.
Simon Füchtenschnieder, geboren 1980 in Salzkotten, studierte Anglistik und Geschichtswissenschaft an der Universität Bielefeld und dem University College Dublin (Irland). Für dieses Buch forschte er u.a. in London und Sydney. Seine Arbeitsschwerpunkte gelten der britischen Seefahrtsgeschichte des 18. Jahrhunderts.
PROLOG
»So wisse nun also, meine liebe Betsy, dass ich die Bounty verloren habe«
Am Morgen des 28. April im Jahre des Herrn 1789 steigen, umgeben von der schier endlosen Weite der Südsee, neunzehn Seeleute von Bord ihres Schiffes in ein winziges Beiboot. Manche von ihnen tun dies aus freien Stücken, andere wiederum nur unter Zwang, unter Androhung von Waffengewalt. Unter ihnen ist auch der Kapitän des Schiffes, William Bligh. Ihm waren zuvor beide Hände fest auf dem Rücken zusammengebunden worden. Er besteigt das Boot als Letzter. Erst jetzt werden seine Hände losgemacht. Als alle Männer an Bord sind, wird das kleine Boot von der Seite des Schiffes abgestoßen. Die Männer beginnen zu rudern. Schlag um Schlag entfernt sich das Boot langsam vom Schiff – weiter aufs offene Meer hinaus.[1] So beschreiben gleich mehrere Besatzungsmitglieder – in den wesentlichen Teilen übereinstimmend – den letzten Akt der wohl berühmtesten Meuterei der Seefahrtgeschichte, der Meuterei auf der Bounty.
Meutereien waren für die europäischen Seefahrernationen des 18. und 19. Jahrhunderts durchaus nichts Ungewöhnliches. So ereigneten sich allein in den Jahren zwischen dem Ausbruch der Französischen Revolution 1789 und 1802 in der britischen, niederländischen und französischen Marine zusammengenommen 150 Meutereien auf einzelnen Schiffen. Dazu kam ein halbes Dutzend Meutereien, die jeweils die gesamte Flotte erfassten. Diese konnten eine Dauer von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen haben und brachten dabei jedes Mal zwischen 3000 und 40 000 Seeleute auf die Barrikaden.[2] Als Beispiel für letztere Kategorie sollen hier die sogenannten Meutereien von Spithead und Nore dienen, die von April bis Mai 1797 dauerten. Dabei handelte es sich jedoch weniger um tatsächliche Meutereien als vielmehr um einen Kampf von Matrosen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Der Aufstand von Spithead verlief weitgehend friedlich, wohingegen die etwas später stattfindende Revolte auf der Nore (an der Themsemündung) mit der Hinrichtung von neunundzwanzig Streikführern endete.[3] Auf einzelnen Schiffen kam es regelmäßig zu großen und kleineren Konflikten zwischen den Besatzungen und ihren Kapitänen, so wie etwa der spektakuläre Fall, der sich 1711 auf der Fox ereignete: Ihr Kapitän, George Colt, wurde von dem Leutnant James Hutchinson beschimpft, an seiner Kleidung gezerrt und mehrfach zu Boden gestoßen. Ein unerhörtes Ereignis![4] Zumeist waren Meutereien auf einzelnen Schiffen allerdings ebenfalls Arbeitskämpfe, bei denen es den Besatzungsmitgliedern darum ging, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern.[5] So reagierten Besatzungen beispielsweise unleidlich, wenn ihr täglicher Speiseplan, bestehend u. a. aus Dünnbier, Pökelfleisch, trockenen Bohnen und Käse, sich veränderte.[6] Das, was sich am 28. April 1789 früh morgens an Bord der Bounty ereignete, war jedoch nicht nur einfach beispiellos, es war schlichtweg unvorstellbar: Ein Kapitän wird mitsamt achtzehn seiner Besatzungsmitglieder in einem winzigen Boot auf offener See ausgesetzt, lediglich ausgestattet mit einigen wenigen Waffen, ein paar nautischen Instrumenten und Proviant, der gerade einmal fünf Tage reichen würde.[7] Dies kam einem sicheren Todesurteil gleich. Etwas derartiges hatte es in der europäischen Seefahrt zuvor noch nicht gegeben.
Zunächst laufen die neunzehn Passagiere des Bootes die – heute zum Königreich Tonga gehörende – Insel Tofua an. Dort wollen sie versuchen, ihre geringen Vorräte aufzubessern. Sie bleiben einige Tage auf der Insel. Immer wieder teilt William Bligh seine Männer währenddessen in Erkundungstrupps ein, die ausschwärmen, um die Insel nach Essbarem und Wasser abzusuchen. Auch kommt es auf Tofua zu mehreren Begegnungen zwischen den dortigen Bewohnerinnen und Bewohnern mit Bligh und seinen Männern. Zunächst verlaufen diese freundlich und in beiderseitigem Respekt. Es wird sogar etwas Tauschhandel getrieben: Bligh und seine Männer bekommen Brotfrüchte, Bananen, Kokosnüsse und Wasser, wofür die Inselbewohnerinnen und -bewohner von ihnen wiederum Perlen und Messingknöpfe erhalten. Sowohl William Bligh als auch John Fryer, der Master der Bounty, schreiben jedoch – ihre beiden Berichte sind die einzigen Zeugnisse – dass sich die Stimmung zwischen beiden Gruppen nach einiger Zeit merklich verschlechterte. Es wächst gegenseitiges Misstrauen.[8] Anfang Mai 1789 befiehlt Bligh schließlich, die Insel schleunigst zu verlassen. Er und seine Männer machen sich auf den Weg zu ihrem Boot. Doch die Situation eskaliert: Am Strand der Insel sehen sich die neunzehn Männer einer Übermacht von etwa zweihundert Inselbewohnern gegenüber. Alle halten sie Steine in den Händen, die sie immer wieder klackend gegeneinanderschlagen – als Drohung und als Zeichen eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs. Nur mit denkbar knapper Not erreichen Bligh und seine Männer ihr Boot und stechen in aller Eile in See, während um sie herum bereits die Steine fliegen. Ein Besatzungsmitglied schafft es nicht: Der Quartiermeister John Norton wird bei dem Versuch, in das Boot zu steigen, am Strand von den Inselbewohnern erschlagen.[9] »Dies war seine zweite Reise mit mir, auf der er als Quartiermeister mitsegelte«, notiert Bligh als eine Art kurzen Nachruf in seinem Bericht. »Sein edler Charakter lässt mich sehr um ihn trauern. Wie mir zugetragen worden ist, hinterlässt er einen betagten Elternteil, den er versorgte.«[10] Nachdem sie entkommen waren, so berichtet William Bligh, überlegte er, welchen Plan sie nun fassen sollten. Seine Männer baten darum, dass er mit ihnen doch heimwärts fahren möge. Die einzige Möglichkeit, dies zu tun, bestand in einer Fahrt nach Timor, damals ein Teil von Niederländisch-Ostindien. Bligh wusste zwar, dass sich dort eine niederländische Siedlung befand, in welchem Teil Timors genau sie lag, wusste er jedoch nicht. Diese Niederlassung war ein Stück europäische Zivilisation und bot den Männern außerdem eine Schiffspassage zurück nach Europa. Der Weg nach Timor bedeutete eine Entfernung von 3618 Seemeilen (ca. 6700 Kilometer[11]). Er und die anderen Besatzungsmitglieder einigten sich darauf, mit einer Tagesration von einer Unze Brot und einem Viertelpint (einem Siebtel Liter) Wasser für jeden auskommen zu wollen und diese Reise zu wagen.[12] Eine andere Wahl hatten sie nicht. Dennoch bedeutete dieses Vorhaben ein unkalkulierbares Risiko auf Leben und Tod: Ihr Boot war gerade einmal dreiundzwanzig Fuß (sieben Meter) lang und so heillos überfüllt, dass es weniger als zwanzig Zentimeter aus dem Wasser herausragte.[13] Nachdem das Vorhaben mit einem Schwur besiegelt worden war, räumten die Männer das Boot auf. Alle unnötigen Kleidungsstücke wurden über Bord geworfen, ebenso alle überflüssigen Taue und Segel, was Gewicht sparte. Der Werkzeugkasten des Zimmermanns der Bounty wurde entleert und das Werkzeug auf dem Boden des Bootes verstaut, wohingegen der Werkzeugkasten nun zum Brotkasten umfunktioniert wurde. Obwohl das Brot später schimmelig wurde, aßen die Männer davon. Es war, selbst im verdorbenen Zustand, viel zu kostbar, als dass sie darauf hätten verzichten können.[14]
Die Reise wurde ein ums andere Mal von massiven Regenschauern begleitet, zudem schwappte die See unaufhörlich in das Boot. Immer wieder entluden sich auch heftige Gewitter, deren Blitze den Himmel über den Köpfen der Männer taghell erleuchteten. Der Donner grollte und das kleine Fahrzeug hüpfte dann hilflos über die sich vor ihm haushoch auftürmenden Wellen des Pazifischen Ozeans. Die Tatsache, dass sie ohne Unterlass Wasser aus dem Boot schöpfen mussten sowie die permanente Nässe forderten von den durch Hunger gepeinigten Männern zunehmenden Tribut: Ihre Glieder waren so steif und taub, dass sie sich kaum noch zu bewegen vermochten. Zudem war es in dem Boot so eng, dass die Männer sich nicht einmal ausstrecken konnten. William Bligh tat jedoch alles, um seine Leute nicht in Apathie verfallen zu lassen und um ihre Lebensgeister wach zu halten: Er sang mit ihnen, er ließ sie angeln (wenngleich dies nur von mäßigem Erfolg gekrönt war) und er erzählte ihnen von Entdeckungen, die man im pazifischen Raum gemacht hatte. Der Kapitän sprach dabei auch von seinen eigenen beruflichen Erlebnissen und ermutigte die anderen, die Erfahrungen beizutragen, die sie selbst gemacht hatten. Die Nächte waren bitterkalt und während ein Teil der Männer Wache hielt, legten sich die anderen auf den Boden und versuchten, so gut es nur irgend ging, zu schlafen, und hatten dabei, wie Bligh es formuliert, »nur den Himmel als Decke«.[15] Aufgrund der großen Kälte, die des nachts herrschte, brachte der Schlaf den Männern allerdings nur wenig Erholung. Dreimal am Tag – morgens, mittags und abends – wog Bligh die kümmerlichen Nahrungsmittelrationen genauestens ab und teilte sie an seine Mannschaft aus. Dazu benutzte er leere...
Erscheint lt. Verlag | 17.2.2024 |
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Zusatzinfo | evtl. sind einige Abb. farbig |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
Schlagworte | Admiralität • Bounty • Britische Marine • Britisches Empire • Brotfrucht • Buch • Entdeckungsreisen • Forschungsreisen • Globale Wirtschaft • globalisierte Welt • Globalisierung • Großbritannien • HMS Bounty • Howard French • Imperialismus • Kap Hoorn • Karibik • Marine • Neuerscheinung Sachbuch 2024 • Neue Sachbücher 2024 • Neues Sachbuch 2024 • Sachbuch 2024 • Seefahrt • Südsee • Tahiti • Tasmanien • Weltreisen |
ISBN-10 | 3-608-12313-X / 360812313X |
ISBN-13 | 978-3-608-12313-5 / 9783608123135 |
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Größe: 6,3 MB
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