Das Paradies in mir (eBook)
128 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-31782-9 (ISBN)
Sophie funktioniert im Trott des Lebens und weiß nicht, wie sie der Spirale von zu viel Stress und zu wenig Freude entkommen soll. Sie arbeitet in einem Job, der sie nicht erfüllt und muss noch verdauen, vom Partner verlassen worden zu sein. Ihr Impuls ist, einfach abzuhauen und irgendwohin zu reisen, an einen Traumort. Da flattert eine Mail in ihr Postfach, die sie auf eine magische Reise einlädt. Ihr Verstand fürchtet sich, aber ihr Herz ruft laut: Machen! Und so beginnt für Sophie eine abenteuerliche Reise in zwölf Tagen und Nächten durch ihre innere Welt mit vielen bizarren Begegnungen und tiefen Erkenntnissen und aufregenden Höhen und Tiefen.
Christine Dohler hat Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg studiert und wurde an der Henri-Nannen-Journalistenschule ausgebildet. Sie ist Textchefin der Emotion Slow und schreibt für die FAS, Die Zeit, das SZ-Magazin, Emotion, Brigitte und Flow. Außerdem ist sie ausgebildeter systemischer Coach und Meditationstrainerin. Christine Dohler lebt in Hamburg, wo sie Meditationskurse sowie Cacao-Rituale anbietet.
1.
Der Anfang vom Ende
Der Morgen ließ nicht erahnen, was heute passieren würde. Als ich in meinem warm-fluffigen Bett aufwachte, spürte ich wieder diese lähmende Schwere in allen Gliedern, die seit Wochen meine ungebetene Begleiterin war. Dieser Reflex, am liebsten an Ort und Stelle liegen zu bleiben. Einfach so. Aufgabe! K. o.! Das erschien mir die einzige Alternative in diesem Kampf. Besser als den ganzen Tag wieder aufzuspulen, alles erneut beginnen zu lassen und mich und meinen Körper durch den Tag zu schleppen: Zähneputzen, duschen, sich mit einem viel zu starken Kaffee anschalten, um dann in die Flut von Nachrichten und To-dos einzutauchen – und dem Ertrinken nur knapp zu entgehen.
Am Ende des Tages hatte ich stets das Gefühl, niemandem gerecht geworden zu sein, wieder nicht alles geschafft und kaum Zeit für Bewegung, Me-Time oder Quality-Time mit Freundinnen gehabt zu haben. Dann lag ich auf dem Sofa und das Einzige, was ich noch hinbekam, war die Auswahl der nächsten Netflix-Serie.
Wofür war das alles noch einmal gut? Es kostete mich immense Kraft, meinen Kopf gerade so weit über Wasser zu halten, dass ich atmen konnte. Wie und vor allem wie lange sollte das noch so weitergehen? Und vor allem, wo blieb ich mit meinen Wünschen und Bedürfnissen dabei?
Nach monatelangem Dauerarbeiten und Unter-Druck-Stehen war alles, was ich noch fühlte, diese Last und das hilflose Zusteuern auf den Moment, an dem gar nichts mehr gehen würde.
Manchmal lag ich tagsüber in Fötushaltung auf meinem Teppichboden, und wenn es ganz schlimm war, schlugen Ängste wie kleine Blitze bei mir ein. Dann wusste ich nicht, wen ich um 12.34 Uhr anrufen konnte, ohne etwas sagen zu müssen. Und wo ich Unterstützung bekam. Denn meine größte Angst war, eine Diagnose zu kassieren.
Meine Freude und der Spaß im Leben hatten sich schon lange verzogen, weil ich keine Zeit mehr für Freizeit, geschweige denn für Dates hatte. Obwohl, Letzteres hatte andere Gründe: meine letzte Beziehung mit meinem Ex-Freund Jan, die mir immer noch wie Gift in den Knochen steckte, weil sie mies endete, mit Betrug.
Vielleicht hatte in dem Moment die Abwärtsspirale angefangen. Nicht mit der Trennung, sondern in dem Moment, in dem ich in einer Beziehung feststeckte, in der ich mich eigentlich nicht wohlfühlte. Ich fühlte mich eingeengt und konnte doch nicht ausbrechen. Ich hatte Angst vor der Einsamkeit. Dieses Eingeständnis war das Schwerste: Ich war gefangen in einem Leben, das von außen betrachtet gut aussah, weil ich zum Arzt nur zur Vorsorge ging, meine Arbeit unbefristet war und ich mir eine Wohnung gekauft hatte. Meine Freundinnen sagten mir oft: »Hast du es gut. Du bist frei.« Paradiesisch. Oder scheinparadiesisch?
Kürzlich hatte ich eine Serie auf Netflix gesehen, die Alone hieß. Da wurden Menschen allein in der Wildnis ausgesetzt und mussten überleben. Wer nicht mehr konnte, drückte einen Knopf und wurde ohne Rückfragen innerhalb weniger Stunden von einem Hubschrauber, Boot oder Jeep herausgeholt. Ich wusste nicht, wie und wo ich Hilfe für den Ausweg finden konnte. Ich schaute mir selbst dabei zu, wie ich (mich) verlor, und konnte mich selbst nicht retten. Dabei war einst alles gut für mich. Oder nicht? Jedenfalls dachte ich das immer, weil ich so wenig Angriffsfläche bot, indem ich mich unsichtbar verhielt. Wie das aussah? Ich ignorierte meine Bedürfnisse und nickte zu viel.
Ich sagte JA zu immer mehr Aufgaben aus dem Büro, obwohl ich schon gefühlt die meiste Verantwortung trug und es in mir jedes Mal laut NEIN schrie. Dabei wusste ich doch: Ein angemessenes Nein wäre ein Ja für mich. Alles, was ich mir vorgenommen hatte: mehr Zeit für mich, weniger Arschlöcher im Leben und mehr von dem, was mich glücklich machte. Diese Ausrichtung blieb nicht vergessen. Aber irgendwie hatte ich keine Kraft, etwas zu verändern. So hatte ich viel zu viel Ärger und fühlte viel zu wenig Wut.
Während ich diese Gedanken in mir wälzte, klingelte das Telefon. Meine Hausverwaltung kündigte Bauarbeiten an. Es trudelten Nachrichten über WhatsApp ein, mit Bitten, die so starteten: »Du, kannst du bitte …?«, »Was ich dich fragen wollte …« Ich antwortete prompt. Hach, ich war einfach immer noch zu nett, obwohl ich Grenzen gezogen hatte. Eine hieß: Ich bin nicht ständig erreichbar.
Auf Instagram sah ich nebenbei frisch aussehende Menschen, die ihr bestes Leben im Paradies lebten. Eine zehn Jahre jüngere Frau als ich saß mit dem Laptop zwischen Palmen, arbeitete mit einer Superfood-Bowl in der Hand und ihrem Yogakörper auf dem Stuhl. Mit Mitte zwanzig schon Millionärin? Natürlich wusste ich, dass es so echt wie Hollywood war. Das ewige Vergleichen hatte ich eigentlich schon abgelegt. Aber was, wenn nur ein Körnchen Wahrheit an dem Bild war? Dann hatte eine von uns beiden alles richtig und die andere viel falsch gemacht.
Ich klappte meinen Laptop auf meinem kleinen Schreibtisch voller Papierbelege für einen Moment zu und schaute auf das Post-it, das ich an die Wand in meinem Blickfeld gepinnt hatte. Da stand: »Ich lebe ein glückliches Leben.« Ich hatte gelesen, dass man sich in jedem Augenblick so fühlen sollte, wie man sich fühlen möchte. Dabei helfen könnten positive Affirmationen – also Sätze, die so tun, als sei alles gut. Aber auch das erschien mir gerade so ungreifbar fern. So, als würde ich mir etwas vormachen oder mir selbst noch mehr Druck erzeugen.
Ich nahm drei tiefe Atemzüge wie vor der Yogastunde, wobei der letzte ziemlich genervt und trotzig herausknallte, und klappte dann den Laptop wieder auf, weil die Arbeit wartete. Mit einem Oh-nein-Gefühl öffnete ich mein Mailpostfach und fürchtete, dass wieder alle etwas von mir wollten. Ich musste unpassend lachen, weil einfach alles so ironisch war – so nervig, dieser Robotermodus, in den ich da geschaltet und wofür ich das Menschsein vernachlässigt hatte.
Doch da, war es Zufall oder Schicksal, erblickte ich ausgerechnet heute ein überraschend verlockendes Angebot zwischen den ganzen Mails und spürte, wie ein Funken altbekannter Abenteuerlust und Neugier in mir entflammte. Im Mailbetreff stand: »Sophie, bist du bereit für deine magische Reise?«
Konkrete Vorschläge gefielen mir in meinem orientierungslosen Überlebensmodus, den ich nicht von mir kannte. Ich erinnerte mich an eine fröhlichere und gelassenere Version von mir. Da fiel mir gleich die Sophie auf Reisen ein. Die alles mit Leichtigkeit nahm, sich keine Gedanken darüber machte, was als Nächstes kam, sondern sich durch fremde Gassen treiben ließ und auf neue Geschmäcker wie Pastéis de Nata kam.
Ich sah es schon vor mir, ein Versprechen in Puderzuckerweiß und Türkis. Direkt durchfloss mich diese Leichtigkeit, ich sah mich schwerelos schnorcheln und mit einem Kaffee in der Hand vom Strand aufs Meer schauen. Das hatte ich mir verdient, und allein die Vorstellung, endlich einen Weg gefunden zu haben, für mich da zu sein, wenn es gerade niemand anderes war, fühlte sich entlastend an.
Ich schaukelte mich selbst in der Hängematte. Am Eingang zu meiner Traumvilla sah ich ein Schild: »No shoes, no news.« Wow. Mein Smartphone lag im Safe, und ich musste mich um gar nichts kümmern, denn mein frisch geschnittenes Obst, mein Spa-Termin und mein Segeltrip waren immer nur einen Anruf bei der Rezeption entfernt. Mich überkam ein selbstermächtigendes Gefühl von: »Das gönne ich mir jetzt einfach!« Schließlich war ich Single – es konnte auch von Vorteil sein, noch in den Scherben der alten Träume zu stehen. Da würde ich nun rausgehen und wieder barfuß laufen. Und meinen Job konnte auch ein richtiger Roboter übernehmen, denn in meinem Unternehmen war nichts anderes gefragt, als den Mund zu halten, zu liefern, nie krank oder unbequem zu sein. Einfach nur Marketingtexte schreiben, für Produkte, die kein Mensch braucht, aber die alle brauchen sollten. Mit jedem Wort verriet ich mich selbst. Das wusste ich längst. Und doch tippte ich weiter gegen meinen wichtigsten Wert Wahrhaftigkeit an.
Doch da meldeten sich auch alle Zweifel in mir: Wie schlecht musste es um mich stehen, wenn ich schon auf Spam und Phishing-Mails reagierte? Ein Angebot, das ein Flop war? Ich redete mir ein: Lieber alles im Gewohnten lassen, es ist doch alles gar nicht so schlimm, und vielleicht ändert sich ja etwas, wenn ich in Hamburg bleibe. Irgendwann ist wieder Sommer, und hey, dann wird es automatisch leichter. Und allein reisen? Come on! Möchtest du allein mit deiner Pasta im Restaurant sitzen, während das Paar im Honeymoon unauffällig mitleidig rüberschaut?
Ich ignorierte die Nachricht und machte weiter mit den Routinen, die mir letztlich Halt gaben. Bis ich eine Nachricht von meinem Chef bekam, die mich anschrie. Eine lange Mail mit Kritik an meinen Texten für einen Kunden aus der Kosmetikbranche. Nee! Ich legte den Kopf auf den Schreibtisch. Meine Ideen waren super, mein Chef hatte einen schlechten Tag. Aber er war der Chef. Das konnte es nicht gewesen sein mit meinem Leben! Ich musste etwas ändern, damit sich etwas änderte.
Ich wackelte auf meinem wenig rückenfreundlichen, aber schicken Designerstuhl hin und her. Ich trank meinen selbst gemahlenen Kaffee aus der Rösterei um die Ecke und schob mir den zweiten Schokotoast rein – ich schluckte, vielleicht würde dies alle Gefühle unten halten. Vor allem meinen Verlust, der sich nun wieder zusätzlich meldete. Dieser zähe Schmerz, dieses ekelhafte Gefühl, dass sich da jemand bewusst gegen mich entschieden und ein riesiges Loch voller Leere hinterlassen hatte. Wie sollte ich das nur...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | 2024 • Achtsamkeit • Akzeptanz • Dankbarkeit • eBooks • Geschenk Freundin • Glück • Imagine • Inneres Kind • Kleine Geschenke • Lars Amend • laura malina seiler • Laura Seiler • Lebensfreude • Lebenshilfe • Lebensmitte • Loslassen • Motivation • Mut • Neuanfang • Neuerscheinung • Persönlichkeitsentwicklung • Positive Psychologie • Positives Denken • Psychologie • Quarterlife-Crisis • Ratgeber • Sehnsucht • Selbstfindung • Selbstliebe • Selbstwert • Selbstwirksamkeit • Tessa Randau • Transformation • Vergebung |
ISBN-10 | 3-641-31782-7 / 3641317827 |
ISBN-13 | 978-3-641-31782-9 / 9783641317829 |
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