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Dabei sein wäre alles (eBook)

wie Athletinnen und Athleten bis heute gegen Ausgrenzung kämpfen: eine neue Geschichte des Sports
eBook Download: EPUB
2024
448 Seiten
C.Bertelsmann Verlag
978-3-641-29268-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dabei sein wäre alles -  Martin Krauß
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Eine neue Geschichte des Sports - aus der Sicht all derjenigen, die bis heute ausgegrenzt werden
Was wir heute Sport nennen, wurde Ende des 19. Jahrhunderts von einer weißen männlichen Elite erfunden: Gentlemen gründeten Clubs und Ligen, Leistungen wurden in Zentimeter oder Sekunden gemessen. Die Olympischen Spiele feierten das Motto »Dabei sein ist alles« und schlossen doch viele Gruppen aus. Sie mussten in den vergangenen hundert Jahren um ihr Mitmachen hart kämpfen, zum Teil müssen sie es bis heute: Frauen, Schwarze Menschen und andere People of Color, Juden oder Muslime, Menschen mit Behinderung oder Queere.

Martin Krauss erzählt die Geschichte des Sports aus ihrer Perspektive: etwa vom ersten afrikanischen Boxweltmeister Battling Siki; von Alfonsina Strada, der einzigen Frau, die jemals den Giro d'Italia mitfuhren durfte; oder vom Kampf der Südafrikanerin Caster Semenya, der intersexuellen Olympiasiegerin, gegen ihre Diskriminierung 2023. Ein ebenso augenöffnendes wie aufrüttelndes Buch, das unser Bild vom Sport nachhaltig verändern wird.

Martin Krauss, geboren 1964 in Koblenz, war Leistungsschwimmer und Schwimmtrainer. Er studierte Politikwissenschaft in Berlin. Seit 1990 arbeitet er als Journalist, unter anderem bei der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, der »taz« und der »Jüdischen Allgemeinen«. Er schreibt Artikel und Bücher über Fußball, Schwimmsport, Boxen und Doping, zuletzt erschien eine Geschichte des Bergsteigens. Martin Krauss lebt in Berlin.

KAPITEL 2
Metzger und Brauweiber, aber kaum Adlige


Mit der Französischen Revolution und der Glorious Revolution in England begann die Demokratie – und der Sport. Damals waren Wettkämpfe noch für viele Menschen offen.


Ein großartiges Fest war das, was am 28. Juli 1796 auf dem Pariser Marsfeld stattfand, nach dem damaligen Revolutionskalender am 11. Thermidor. An die 300000 Menschen sahen Pferderennen, Laufwettbewerbe und Ringkämpfe. Die Menge soll so begeistert gewesen sein, dass sie das Marsfeld stürmte. Der Sieger des Pferderennens, ein Mann namens Vilate-Carbonel auf Le Veneur, erhielt als Preis ein neues Pferd, und der schnellste Läufer bekam einen Säbel.

Die großen bürgerlichen Revolutionen in England, in Amerika und keineswegs zuletzt in Frankreich hatten auch die ersten Formen von Sport hervorgebracht. Aus den schon im europäischen Mittelalter beliebten Wettläufen, Rauffesten und von Dorf gegen Dorf gespielten Fußballjagden entstanden Wettkämpfe, die im besten demokratischen Sinne für alle – jedenfalls für fast alle – offen waren.

Solche Revolutionsfeste gab es oft, in Paris meist im Stadion auf dem Marsfeld, in etwa an der Stelle, wo heute der Eiffelturm steht. Dabei handelte es sich nicht um ein Stadion, wie wir es heute kennen. Die Laufbahn war etwa 300 Meter lang und führte von der École militaire bis zum Fuße eines Hügels in der Stadionmitte. Für die Pferderennen gab es eine ovale Strecke um den Hügel herum, etwa 1800 Meter lang. Die auf den großen nationalen Sportfesten im Jahr 1798 und 1800 erbrachten Leistungen berechnete der berühmte Astronom Alexis Bouvard. Die Laufstrecke 1798 betrug 251,5 Meter, der Finalsieger Michel Villemereux, ein Unteroffizier, schaffte sie in 32,7 Sekunden. Auch fürs Pferderennen und fürs Wagenrennen wurden Strecke und Zeit berechnet. Doch war die Laufbahn eben? Wurde mit Schuhen gelaufen? Mit welcher Kleidung? Wie wurde gestartet? All das wissen wir nicht. Was wir immerhin wissen, ist, dass bei dem Wettkampf 1798 in jedem der zehn Vorläufe 15 Läufer am Start waren, von denen es jeweils die besten drei ins Finale schafften. Dort konkurrierten also vermutlich 30 Läufer um den Sieg.

Ganz neu waren metrische Messungen zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Im englischen Pferdesport wurden bereits 1721 mithilfe von Stoppuhren Rennzeiten in Sekunden gemessen. Schon ab 1757 wurden in England Zeiten auf eine halbe Sekunde genau registriert. Ähnliches galt für Wettläufe: 1733 wurde bei einem solchen Lauf in England die Zeit in Sekunden gemessen. Diese Wettbewerbe waren im Übrigen offen, heute würde man divers sagen. Unter anderem gibt es Berichte über Wettläufe von Brauweibern, sogenannten Krüppeln und besonders dicken Menschen.

Auch in Frankreich gab es weitere Festivals. Ihr Erfolg lag sowohl am demokratischen Zugang – wer wollte, durfte mitmachen – als auch an der Qualität der Wettkämpfe selbst. 1797 wurde erstmals ein großer Ringerwettkampf ausgetragen: 16 Männer nahmen daran teil. Die Sieger aus den ersten acht Kämpfen traten anschließend gegeneinander an, dann wiederum die vier Sieger und zuletzt die übrig gebliebenen zwei: Am Ende gewann Charles-Pierre Oriot, ein 33-jähriger Metzger aus Paris, der den 34-jährigen Hutmacher Digot bezwingen konnte.

Für Begeisterung sorgten zudem Konzerte, Feuerwerke und auch Heißluftballone, die etwa 1000 Meter hochstiegen und von denen Menschen mit einem Fallschirm absprangen. All das waren recht neue Spektakel: Die erste Ballonfahrt der Gebrüder Montgolfier fand 1783 statt, den ersten Fallschirmsprung aus einem Ballonkorb wagte André-Jacques Garner 1797, und seine Ehefrau Jeanne-Geneviève Labrosse war 1799 die weltweit erste Fallschirmspringerin.

Doch zurück zum eingangs erwähnten großen Fest am 28. Juli 1796. Solche Feste seien einer Revolution nicht würdig, mäkelte der Schriftsteller Marie-Joseph Chénier. Er hoffe, dass am 22. September, dem 1. Vendémiaire, also dem Neujahrstag des Revolutionskalenders, ein würdevolleres Nationalfest stattfinden werde. Chénier verwendete dafür den Begriff der »Olympiade de la République« und erinnerte an das antike Griechenland, das »Geburtsland von Kunst und Freiheit«. Zwei Monate später, am von Chénier vorgeschlagenen 22. September 1796, wurde die Idee tatsächlich realisiert. Das Ergebnis wird von einigen Sporthistorikern als »Republikanische Olympiade« bezeichnet. Ihrer Meinung nach ist dieses spezielle Fest als eine Art Vorläufer der Olympischen Spiele der Neuzeit zu verstehen, die exakt 100 Jahre später, 1896 in Athen, erstmals stattfinden sollten. Für den britischen Historiker Hugh Farey ist die Rede von einer Republikanischen Olympiade jedoch »kurz gesagt, ein moderner Mythos«. Nationale Feste seien damals üblich gewesen, Sport habe da eine gewichtige Rolle gespielt, und auch der Wunsch nach einer Internationalisierung dieser Feste lasse sich feststellen. Aber alle – ohnehin sehr spärlichen – Vorschläge, die Spiele, die mal »Sansculottides«, mal »Franciades« genannt wurden, mit olympischen Symbolen aufzuladen, seien früh gescheitert. Vielmehr hätten neben antiken griechischen Einflüssen auf die Kultur der Französischen Revolution auch Obelisken, ägyptische Pyramiden, chinesische Tempel, christliche Engel und weitere Symbole anderer Kulturen gedient. Zudem habe das nachträglich zum Olympia-Vorläufer ausgerufene Fest am 1. Vendémiaire, das doch vor allem »würdevoller« sein sollte als die wilden Volksfeste im Sommer, nicht annähernd so viel Begeisterung ausgelöst.

Was sich entlang der französischen Revolutionsfeste zeigen lässt, gilt auch für das England nach der Glorious Revolution, dem bürgerlichen Aufstand gegen den königlichen Absolutismus. Und es gilt für die frühen USA nach der amerikanischen Revolution. »Wir sind alle verrückt nach Vergnügen«, schrieb schon 1774 Gouverneur Morris, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten. Die frühe Sportkultur, die sich in all diesen Ländern mit dem Aufstieg des Bürgertums entwickelte, war pluralistisch und oft klassen- und ständeübergreifend.

Dass am Anfang des Sports alle mitmachen durften, wird besonders klar, wenn man sich die Volksfeste genauer anschaut. Zu den ersten gehören die »Cotswold Games« in der südwestenglischen Grafschaft Gloucestershire, genauer: in Chipping Campden im Distrikt Cotswold. Sie sind ab 1612 nachgewiesen, und ihr Gründer Robert Dover nannte sie »Olimpick Games«. Den Beinamen »Olimpick« soll er gewählt haben, weil dieser sein Fest nicht mit der Kirche in Verbindung brachte, die ansonsten alles dominierte. So konnte ein weltliches Fest begründet werden, das weit über die Dorf- und Kleinstadtgrenzen hinaus strahlen konnte. Hier war für alle etwas dabei: Die Landbevölkerung maß sich in Laufwettbewerben, Springen, Ringewerfen (was man sich wie Diskuswurf vorstellen kann), Hammerwerfen oder in dem bemerkenswerten Sport Schienbeintreten. Bürger und niedere Stände der Stadtbevölkerung traten etwa im Football oder im Ringen an. Und der Landadel wurde zum Pferderennen oder zur Jagd geladen.

Gerade die Tatsache, dass die Cotswold Games ziemlich divers waren, dass sie säkular an zwei Tagen vor Pfingsten ausgetragen wurden und dass an ihnen nicht nur Einheimische teilnehmen durften, machte sie so populär. Bis zu 50000 Zuschauer kamen, darunter viele Frauen. 1652 sollen mehr Besucher gekommen sein, als es Platz gab – Ausschreitungen und Gewalt seien die Folge gewesen. Ab 1660 wurden die Cotswold Games als »Dover’s Meeting« veranstaltet. Und zumindest ab diesem Zeitpunkt gibt es auch Berichte über die aktive Teilnahme von Frauen. Die Cotswold Olimpicks gibt es heute immer noch, und ihr Alleinstellungsmerkmal sind die Weltmeisterschaften im schon erwähnten Schienbeintreten.

Ähnliche Feste entstanden später auch andernorts. Ab 1850 fanden beispielsweise die »Much Wenlock Games« in der gleichnamigen englischen Kleinstadt nahe der Grenze zu Wales statt, die später in »Much Wenlock Olympics« umbenannt wurden. Im Jahr 1860 wurden die »Shropshire Olympian Games« ins Leben gerufen, ein Wettbewerb zwischen fünf Städten. 1862 fand in Liverpool das »Grand Olympic Festival« statt, dem aber bald das Geld ausging. Erfolgreicher waren die »Morpeth Wrestling and Athletic Games«, die es ab 1873 in der englischen Grafschaft Northumberland gab, später in »Morpeth Olympic Games« umbenannt. Sie fanden mit Unterbrechungen bis 1958 statt.

Auch in Deutschland finden sich schon früh solche Volksfeste mit Wettkämpfen. Am berühmtesten ist das Oktoberfest in München, begründet 1810 mit einem großen Pferderennen aus Anlass der Hochzeit von Kronprinz Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen. Das aristokratische Vergnügen am Pferdesport war nur die eine Seite, und sogar dafür soll die Idee von dem Unteroffizier Franz Baumgartner stammen, der ursprünglich als Lohnkutscher arbeitete. Die andere Seite bestand aus einem zweitägigen Volksfest an vier öffentlichen Plätzen der Stadt, bei dem kostenlos Essen ausgegeben wurde und wo es unter anderem Wettbewerbe im Preisschießen gab. Das Oktoberfest stand in einer Reihe mit anderen süddeutschen Volksfesten, die, so eine Oeconomische Encyclopädie aus dem Jahr 1795, »Zusammenkünfte gewisser Menschen aus den boyden Volks-Classen« waren. Schon ab 1819 wurde das Pferderennen in der Regie der Stadtverwaltung ausgetragen. Bald kamen Sacklaufen, Baumsteigen und im Jahr 1820 ein Gasballonflug der »Madame Reichard« hinzu. In späteren Jahren nutzten auch die Turner das Oktoberfest, um »Gymnastische Spiele« vorzuführen. 1883 wurde auf der Theresienwiese schließlich sogar eine 500 Meter...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2024
Zusatzinfo Illustrationen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Sport
Schlagworte 2024 • Alfonsina Strada • Amateure • battling siki • Caster Semenya • Diskriminierung • eBooks • Elite • EM 2024 • Frauensport • Fußball • Giro d'Italia • Gleichberechtigung • Inklusion • Intersexualität • Kolonialismus • LGBTQ+ • Neuerscheinung • Olympische Spiele • poc • Profis • Queer • Rassismus • Schwulsein • Sport • Teilhabe • Wettkämpfe
ISBN-10 3-641-29268-9 / 3641292689
ISBN-13 978-3-641-29268-3 / 9783641292683
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