VIRUS AUTO 4.0 (eBook)
440 Seiten
Alexander Verlag Berlin
978-3-89581-610-9 (ISBN)
Hermann Knoflacher, emeritierter Professor an der TU Wien, realisierte zahlreiche Verkehrskonzepte, u.?a. in Wien, Graz und Hamburg. Er ist Mitglied des Club of Rome, Präsident des Club of Vienna und war globaler Fußgehervertreter bei den Vereinten Nationen in Wien.
Hermann Knoflacher, emeritierter Professor an der TU Wien, realisierte zahlreiche Verkehrskonzepte, u. a. in Wien, Graz und Hamburg. Er ist Mitglied des Club of Rome, Präsident des Club of Vienna und war globaler Fußgehervertreter bei den Vereinten Nationen in Wien.
Vorwort von Maria Vassilakou
Von Systemen und Szenarien
von Helga Kromp-Kolb
Vorbemerkung
Der Mythos des Feuers und die Erfindung des Rades
Die Beschleunigung der Menschheit
Verkehrswesen und Verkehrspolitik im Bann der Mobilität
Die Zerstörung des Lebensraums durch das Auto
Eingriff in die menschliche Evolution: Gehirn und Genom
Das Virus Auto und seine verheerenden Wirkungen
Leben ohne Autozwang – Befreiung aus der Diktatur des Autos
Nachbemerkung
Anmerkungen
Bildnachweise
Danksagung
Maria Vassilakou
Vorwort
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, so ist das erste Alltagsbild, das mir abseits der glücklichen Momente in den Sinn kommt, der Rücksitz unseres Autos. Ich wuchs im Athen der 1970er-Jahre auf und verbrachte meine Kindheit – genauer gesagt ein Viertel davon – im Stau. Das ist keine Übertreibung; allein die tägliche Fahrt zur Schule und zurück nahm drei Stunden in Anspruch, mühsam quälten sich die Autokolonnen während der morgendlichen und nachmittäglichen Rushhour im Schritttempo voran, und das ist mangels brauchbarer Alternativen in vielen Teilen der Athener Metropolenregion auch heute noch so.
Versuche ich heute, meiner Generation den Verlust an Lebensqualität bewusst zu machen, den die Fixierung unserer Lebensstile auf das eigene Auto tagtäglich »kostet«, spreche ich dabei nicht von Geld oder Lärm oder schlechter Luftqualität, sondern in erster Linie von Zeit. Produktive Zeit, Erholungszeit, Zeit mit der Familie und Freunden, Qualitätszeit – Zeit, die wir täglich im Stau verlieren. In der Tat ist Zeit das knappste und kostbarste Gut unserer Generation, und dennoch verschwenden wir in vielen Teilen der Welt täglich im Schnitt bis zu drei Stunden davon im Stau. Übers Jahr zusammengerechnet, ist es ein zweiter Urlaub, den man komplett im Auto verbringt. Würde ich Ihnen zwei Stunden täglich freischaufeln und schenken, wo würden Sie sie verbringen? Doch nicht etwa freiwillig im Auto. Eben …
Doch es sind weder meine Kindheitserfahrungen noch meine lebensphilosophische Auseinandersetzung mit der Zeit und deren Vernichtung, weshalb Hermann Knoflacher mir antrug, das Vorwort zur Neuauflage seines Werkes Virus Auto 4.0 beizusteuern.
Von 2010 bis 2019 hatte ich als Wiener Stadträtin für u. a. Stadtplanung und Verkehr das Privileg, jene zwei für die Lebensqualität in unseren Städten entscheidenden Handlungsfelder miteinander verbinden zu können, um eine zunächst etwas überraschende Antwort auf die ewige Frage »Für wen wird die Stadt geplant?« zu geben. Eine gute Stadt, eine Stadt, in der wir gerne leben, ist eine Stadt, die für Kinder geplant und gebaut wird. Doch warum ausgerechnet für Kinder?
Zweifelsohne hat die autozentrierte Stadtplanung vergangener Jahrzehnte unsere Städte so weit zerstört, bis nur noch diejenigen in Stadtzentren wohnten, die sich nichts »Besseres« leisten konnten. Von den trostlosen, nach Büroschluss menschenleeren und gefährlichen US-Downtowns über die Tausenden von Menschen, die entlang von Hauptverkehrsadern hinter verschlossenen, verstaubten Fenstern ihr Leben fristen, bis hin zu jenen Vororten, die sich zwischen Autobahnen und Industriegebieten in die Landschaft ausbreiten, so weit das Auge reicht – die autogerechte Stadt ist vor allem mit zwei vollkommen falschen Grundannahmen verbunden:
- Dass es keine Rolle spielt, wie weit man es von zu Hause zur Arbeit, zur Schule, zum Gemüseladen oder zur Apotheke hat – mit dem Pkw ist das schließlich kein Problem.
- Dass es in den eigenen Aufgaben- und Verantwortungsbereich fällt, diese Wege – also sämtliche täglichen Mobilitätsbedürfnisse – zu finanzieren und zu organisieren; mit dem Pkw ist das ja kein Problem.
Also hat die öffentliche Hand vorwiegend nur zwei Aufgaben zu erfüllen: nämlich Straßen zu bauen und für billigen Sprit zu sorgen. Alles andere liegt in der Verantwortung des Einzelnen. Nun, und da die Städte, je weiter man Richtung Zentrum fährt, zu unerträglich heißen, lauten, zugestauten und trostlosen »Asphaltwüsten« verkommen sind, bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als sich nach dem schöneren Leben, nach dem Häuschen im Grünen am Stadtrand zu sehnen und – spätestens, nachdem sich das erste Kind angekündigt hat – auf dieses Häuschen und ein Zweitauto hin zu sparen. Ein Circulus vitiosus, der jegliche Urbanität erstickt, Städte aus Häuschen wachsen lässt wie endlose Teppiche und Menschen unabhängig von deren Alter, Beruf oder Einkommen in denselben Stau steckt.
Einen anderen Weg der Städteplanung findet man, wenn man sich fragt, was es denn genau ist, was man sich für die eigenen Kinder wünscht. Man möchte ihnen eine schöne Kindheit ermöglichen, das Aufwachsen in einer sicheren und gesunden Umgebung, die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, den Zugang zur Natur, Laufen, Schwimmen, mit dem Wasser spielen. All das wünscht man sich genauso für sich selbst. Die Antwort auf »Suburbia« sind Städte, die diese Lebensqualität überall zu bieten haben, vom Stadtrand bis ins Zentrum. Städte, die für Kinder gut sind, sind Orte des Lebens, die gut sind für uns alle.
Was uns bevorsteht, ist der radikale Umbau unserer Städte, um unserer eigenen Definition von Lebensqualität und unser aller Recht auf ein gutes Leben Rechnung zu tragen. Die Vorstellung von einer schönen Stadt, in der man leben will – nicht muss –, für die man den Stadtrand gern hinter sich lässt, ist längst keine Utopie mehr; sie wird von einem stetig wachsenden Teil der Bevölkerung eingefordert und erwartet. Der Trend zum »Outdoor«-Leben im Herzen der Stadt führt unweigerlich zur Wiederentdeckung des öffentlichen Raums und damit zu einer Neudefinition des Straßenraums. »Rethink the Street« lautet denn auch weltweit das Motto, man begreift die Straße als urbanen Lebensraum und die Verwandlung dieser bisherigen transitorischen Nicht-Orte in Orte des guten Lebens schreitet überall voran – von den New Yorker Mini-Piazze und der Umgestaltung des Times Square über das Mailänder Pocket-Park-Programm und die Super-Blocks in Barcelona bis hin zur Umwandlung der Mariahilfer Straße in Wien zu einer Kombination aus Fußgänger- und Begegnungszone, die den Weg für unzählige weitere Verkehrsberuhigungs- und Straßenumwandlungsprojekte ebnete, darunter das Wiener »Coole Straßen«-Programm.
Um Städte fürs Leben zu schaffen, braucht es Raum und Zeit! Die Transformation unserer Städte ist nicht zuletzt eine Frage der Umverteilung dieser zwei knappsten Ressourcen des 21. Jahrhunderts. Es gilt daher, den von Autos okkupierten Raum ebenso wie die im Fahrersitz hinter dem Steuer verbrachte Zeit wieder für andere Zwecke zurückzugewinnen.
Hier stellt sich die Frage, wie man das im großen Maßstab schaffen, wie man über die Ebene der Pilotprojekte und Demonstratoren hinauswachsen kann. Systemischer Wandel kann meines Erachtens nur gelingen, wenn zwei Grundvoraussetzungen zusammenkommen:
Erstens: massive Investitionen in die Entwicklung bzw. den weiteren Ausbau brauchbarer Alternativen, wie es sie seit den Anfängen im späten 19. Jahrhundert nicht mehr gegeben hat. Und zweitens: die Bereitschaft, selbst zu handeln. Ein grundlegender Wandel kann von oben weder verordnet noch umgesetzt werden. Es braucht funktionierende Alternativen und Steuerungsinstrumente, eine Politik, die handelt und neue Perspektiven eröffnet. Beispiele dafür gibt es genug: Umgestaltungen des öffentlichen Raums, Walkability-Strategien, die 365-Euro-Jahreskarte in Wien, die City-Maut in London und Stockholm. Und dennoch ist tiefgreifender Wandel nicht allein eine Frage der Infrastruktur. Gesellschaftlicher Wandel und neue Alltagskulturen brauchen genauso Ermöglichungsräume! Es mag sein, dass die Umwandlung der Mariahilfer Straße in eine Fußgängerzone nach vier Jahren voller Kontroversen alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat; wirklich entscheidend jedoch sind die bis heute von den Bürgern und lokalen Communitys aus eigener Kraft und Initiative umgesetzten Grätzel-Oasen: Mehrere hundert kleine lokale Projekte, die mit einfachsten Mitteln umgesetzt wurden und die genauso wie große Umgestaltungsprojekte (wie etwa die Umgestaltung der Herrengasse in eine Begegnungszone), die mit erheblicher finanzieller Beteiligung und auf Initiative der lokalen Immobilienbesitzer erfolgten, eines gemeinsam haben: sie alle wurden von Bürgern initiiert und mit Unterstützung der Stadt umgesetzt. Sie alle belegen eindrucksvoll: Wandel gelingt nur, wenn alle Seiten zur Tat schreiten.
Chancen zum Umdenken gibt es genug, auch wenn wir uns etliche der Anlässe lieber erspart hätten. Extreme Sommerhitze, die Bedeutung großzügiger, nahegelegener, nutzbarer Grünräume während der Pandemie, die infolge der aktuellen Energie- und Inflationskrise galoppierenden Benzinkosten, die bescheidene Erwerbseinkommen auffressen. Die alte Pkw-Gleichung stimmt nicht mehr – falls sie denn je gestimmt hat. Längst fällt auf, dass die oben erwähnten zwei Grundannahmen der 1970er-Jahre nie gestimmt haben, sondern durch die folgenden ersetzt werden müssen:
- Eine gute Stadt bietet alles, was ich täglich brauche, in Gehdistanz. Von zu Hause in die Schule, in den Gemüseladen oder die Apotheke sollte der Weg...
Erscheint lt. Verlag | 20.11.2023 |
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Mitarbeit |
Cover Design: Nicolas Bascop |
Vorwort | Maria Vassilakou |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Auto • Lebensraum Stadt • Stadtmobilität • Umwelt • Verkehr • Verkehrspolitik |
ISBN-10 | 3-89581-610-8 / 3895816108 |
ISBN-13 | 978-3-89581-610-9 / 9783895816109 |
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