Das große Buch der klassischen Mythen
Goldmann Verlag
978-3-442-21723-6 (ISBN)
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Edith Hamilton war Direktorin einer der berühmtesten Mädchenschulen in den USA. Nach ihrem Rückzug ins Privatleben wurde sie zur anerkannten Expertin für das klassische Altertum und erhielt als solche die Ehrenbürgerschaft der Stadt Athen sowie den Verdie
Vorwort EINFÜHRUNG IN DIE KLASSISCHE MYTHOLOGIE - Die Mythologie der Griechen - Griechische und römische Mythendichter Teil I DIE GÖTTER, DIE SCHÖPFUNG UND DIE HELDEN DER FRÜHZEIT I - Die Götter - Die Titanen und die zwölf großen olympischen Götter - Die weniger bedeutenden olympischen Gottheiten - Die Herrscher über das Wasser - Die Unterwelt - Die weniger bedeutenden Erdgötter - Die römischen Götter II - Die beiden großen Erdgottheiten - Demeter (Ceres) - Dionysos oder Bakchos (Bacchus) III - Über die Erschaffung der Welt und der Menschen IV - Die Helden der Frühzeit - Prometheus und Io - Europa - Der Kyklop Polyphem - Blumenmythen: Narkissos, Hyakinthos und Adonis Teil II GESCHICHTEN VON LIEBE UND ABENTEUER I - Cupido und Psyche II - Acht kurze Geschichten von der Liebe - Pyramus und Thisbe - Orpheus und Eurydike - Ceyx und Alkyone - Pygmalion und Galatea - Philemon und Baucis - Endymion - Daphne - Alpheus und Arethusa III - Die Suche nach dem Goldenen Vlies IV - Vier große Abenteuergeschichten - Phaeton - Pegasus und Bellerophontes - Otos und Ephialtes - Daidalos Teil III DIE GROSSEN HELDEN VOR DEM TROJANISCHEN KRIEG I – Perseus II - Theseus III - Herakles IV - Atalanta Teil IV DIE HELDEN DES TROJANISCHEN KRIEGES I - Der Trojanische Krieg - Prolog: Das Urteil des Paris - Der Trojanische Krieg II - Der Fall Trojas III - Die Abenteuer des Odysseus IV - Die Abenteuer des Aeneas - Erster Teil: Von Troja nach Italien - Zweiter Teil: Der Abstieg in die Unterwelt - Dritter Teil: Krieg in Italien Teil V DIE GROSSEN HERRSCHERHÄUSER DER GRIECHISCHEN MYTHOLOGIE I - Das Haus des Atreus - Tantalos und Niobe - Agamemnon und seine Nachkommen - Iphigenie bei den Taurern II - Das Königshaus von Theben - Kadmos und seine Nachkommen - Ödipus - Antigone - Sieben gegen Theben III - Das Königshaus von Athen - Kekrops - Prokne und Philomele - Prokris und Cephalus - Oreithyia und Boreas - Kreusa und Ion Teil VI WENIGER BEKANNTE MYTHEN I - Midas – und andere - Midas - Asklepios - Die Danaïden - Glaucus und Scylla - Erysichthon - Pomona und Vertumnus II - Kurze Mythen in alphabetischer Reihenfolge Teil VII NORDISCHE MYTHOLOGIE - Einführung in die nordische Mythologie I - Die Mythen um Signy und Sigurd II - Die nordischen Götter - Die Schöpfung - Die nordische Weisheit Anmerkungen | Ahnentafeln | Register VORWORT Ein Buch über Mythen speist sich aus einer Vielfalt von Quellen. Jahrhunderte liegen zwischen den ersten Dichtern, deren Schriften uns den mythologischen Stoff überliefern, und den letzten Mythensammlern. Ebenso vielfältig wie die Quellen sind die Motive der Mythen und Legenden. Wir finden Sagen wie jene von King Lear oder Märchen wie das vom Aschenputtel. Sie in einem einzigen Band vereinen zu wollen, käme dem Unterfangen gleich, die englische Literatur von Chaucer bis zu den lyrischen Balladen des 19. Jahrhunderts zwischen zwei Buchdeckel zu pressen. Sicher fände Shakespeare Eingang oder Marlowe, Swift und Defoe. Auch Pope und Dryden natürlich und viele, viele mehr, bis herauf zu Tennyson und Browning oder, um die Problematik noch schärfer zu zeichnen, bis zu Kipling und John Galsworthy. Solch eine Enzyklopädie würde naturgemäß wesentlich umfangreicher ausfallen als jede Mythensammlung, doch die darin versammelten Texte wären von ähnlich ungleicher Gestalt. Tatsächlich verbindet Chaucer und Galsworthy bzw. Tennyson und Kipling weit mehr als Homer und Lukian oder Aischylos und Ovid. In Anbetracht dieser Problematik bin ich mit dem Vorsatz an meine Arbeit herangegangen, mich jeder Versuchung, die Geschichten in eine einheitliche Form zu bringen, zu enthalten. Denn dies hätte bedeutet, den King Lear auf das Niveau von Aschenputtel bringen zu müssen, da der umgekehrte Fall wohl kaum machbar wäre. Ich hätte diese Geschichten in meinen Worten erzählen müssen, ohne dafür die Urheberschaft beanspruchen zu können, Geschichten, die ihr Wortgewand großen Dichtern verdanken, die darin ihre Ideen zum Ausdruck brachten. Natürlich kann die Sprachkunst solcher Größen nicht imitiert werden. Also habe ich dies gar nicht erst versucht. Mein durchaus ehrgeiziges Ziel war es, für den Leser zu erhellen, aus welch unterschiedlichen Quellen die einzelnen Versatzstücke der uns heute bekannten Mythen stammen. Hesiod zum Beispiel bemüht sich um einfachen Stil. Er ist naiv, mitunter sogar kindlich im Ausdruck, hin und wieder auch derb. Immer aber begegnet er seinen Figuren mit echter Anteilnahme und wahrer Leidenschaft. Viele der Geschichten aus der griechischen Mythologie kennen wir nur durch ihn. Sie stehen Seite an Seite mit den Werken Ovids, dessen subtile, ausgefeilte, mit hohem künstlerischen Gestus vorgetragene Sprache immer wieder den Skeptiker zum Vorschein kommen lässt. Ich habe also versucht, diesen Unterschied für den Leser transparent werden zu lassen. Wenn man zu einem Buch über die großen Mythen der Menschheit greift, will man schließlich nicht nur unterhalten werden. Man will auch das Gefühl haben, der Autor bringe uns dem Original möglichst nahe. Meine Hoffnung also ist es, meinen Lesern, welche die Klassiker nicht aus eigener Lektüre kennen, nicht nur zeigen zu können, was in diesen Geschichten steht, sondern auch wie sie von jenen Schriftstellern erzählt wurden, die sich schließlich nach mehr als zweitausendjähriger Werkgeschichte als unsterblich erwiesen haben. EINFÜHRUNG IN DIE KLASSISCHE MYTHOLOGIE [Wo doch das hellenische Volk sich vom barbarischen seit jeher dadurch unterscheidet, dass es vernünftiger ist und dem Unsinn abhold.] Die Mythen der Griechen und Römer, so heißt es, führten uns zurück in die Denk- und Empfindungswelt der Menschen vor Tausenden von Jahren. An ihnen, sagt man, ließe sich der Werdegang des Menschen nachvollziehen, der erst Gefährte der Natur war, um sie sich am Ende untertan zu machen. Interessant an den Mythen sei vor allem, dass sie eine Zeit wieder lebendig werden ließen, in der die Welt noch jung war, in der Menschen eine unmittelbare Verbindung zur Erde mit ihren Bäumen und Flüssen, ihren Blumen und Hügeln besaßen, eine Beziehung, die anders war als alles, was wir heute kennen. Als diese Geschichten entstanden seien, so erklärt man uns, habe es noch keine strenge Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion gegeben. Die Einbildungskraft der Menschen blühte, unbeschnitten vom Verstand. Niemanden nahm es wunder, im Wald eine fliehende Nymphe zu erblicken oder in der Tiefe eines Sees, aus dem die Hand ein wenig Wasser schöpfte, das Gesicht einer Najade zu erkennen. Nahezu jeder Schriftsteller, der sich dem Mythos zuwendet, stellt uns eine Zeitreise zurück in jene glücklichen Gefilde in Aussicht – umso mehr, wenn er über eine starke poetische Ader verfügt. Für die Menschen jener längst vergangenen Epochen habe gegolten, was Wordsworth ihnen in den Mund legt: [Ich könnte schauen Proteus, aufsteigend aus dem Meer, Auch hör’n den greisen Triton, wie er bläst ins Muschelhorn.] Und wir Nachgeborenen, so möchte man uns glauben machen, könnten in den Bearbeitungen des mythischen Stoffes einen kurzen Blick in diese fremde und doch so lebendig scheinende Welt erhaschen. Ein ebenso kurzer Blick in die Geschichte der »Urvölker« aller Länder und Zeiten lässt diese romantische Seifenblase schnell zerplatzen. Denn nichts ist besser belegt als die Tatsache, dass native Völker, ob sie nun im 20. Jahrhundert in Guinea leben oder vor Jahrtausenden die griechische bzw. italienische Halbinsel besiedelten, keineswegs ihre Tage mit lieblichen Gesichten und schillernden Visionen verbringen. In den Wäldern der Urzeit lauerten schreckliche Gefahren und keineswegs nur Najaden und Nymphen. Dort hauste die Angst mit ihrer Weggefährtin, der Magie, und ersann in ihrer kruden Logik den einen, nahezu überall verbreiteten Schutzzauber: das Menschenopfer. Die Menschheit, die den Zorn ihrer Gottheiten zu beschwichtigen suchte, setzte ihre ganze Hoffnung auf magische Riten, die zwar wirkungslos waren, denen aber nichtsdestotrotz eine gewaltige Macht zugeschrieben wurde. Und diese Riten waren nur allzu häufig Opfer, die Blut und Tränen kosteten. DIE MYTHOLOGIE DER GRIECHEN Die uns überlieferten Mythen der klassischen Antike stehen dieser dunklen Welt mehr als fern. Wer Einblick in die Seele des Urmenschen gewinnen will, findet im antiken Griechenland kaum Aufschluss. Daher interessieren sich auch Völkerkundler und Anthropologen kaum für die Mythologie der Griechen. Natürlich sind auch die griechischen Mythen in der Urzeit verwurzelt. Natürlich herrschte auch im frühen Griechenland der hässliche und brutale Kampf ums Überleben. Doch gerade die Mythologie zeigt uns, wie weit der Mensch sich über diese Bedingungen erhoben hat – zumindest nach den wenigen Zeugnissen zu schließen, die in den Mythen davon noch überliefert sind. Wir Heutigen haben keinen Anhaltspunkt, wann diese Geschichten in der uns bekannten Form zum ersten Mal erzählt wurden. Doch zur Zeit ihrer Entstehung galten sicher schon die Gesetze der Zivilisation. Die Mythen, die uns überliefert wurden, sind das schöpferische Werk großer Dichter. Das erste Werk, das sich mit der Geschichte Griechenlands auseinander setzt, ist Homers Ilias. Die griechische Mythologie beginnt mit Homer, dessen Lebenszeit man etwa um 1000 v. Chr. ansetzt. Die Ilias ist das älteste Stück griechischer Literatur. Ihre Sprache ist so subtil und facettenreich, dass ihr Jahrhunderte vorausgegangen sein müssen, in denen der Mensch versuchte, seinen sprachlichen Ausdruck zu solcher Klarheit und Schönheit zu entwickeln, dass er zum augenfälligen Beleg seines hohen Zivilisationsgrades werden konnte. Die Geschichten der griechischen Mythologie sind keineswegs ein Bericht darüber, wie es in den Urtagen der Menschheitsgeschichte zuging. Sie zeugen einzig und allein von den Verhältnissen im alten Griechenland. Für uns, die wir in intellektueller, künstlerischer und politischer Hinsicht die Nachkommen dieser uralten Zivilisation sind, ist das nicht wenig. Nichts, was wir von ihnen lernen können, kann uns fremd sein. Häufig spricht man vom »griechischen Wunder« und meint damit die Geburt der zivilisierten Welt im geistigen Erwachen Griechenlands. »Alles Alte vergeht«, heißt es. »Siehe nur, alles wird neu.« Genau das geschah im Griechenland der Antike. Warum oder auch nur wann genau dies der Fall war, wissen wir nicht. Wir sehen nur, dass uns in der altgriechischen Dichtung ein neues Weltbild entgegentritt, das zuvor nicht vorstellbar war, nun aber zum festen Besitz der Menschheit wurde. Als Griechenland erwachte, rückte die Menschheit plötzlich in den Mittelpunkt der Welt. Dies kam einer gedanklichen Revolution gleich, denn bis dahin war der Mensch nur Komparse auf der Bühne der Welt. In Griechenland aber erkannte er, dass er eine Hauptrolle zu spielen hatte. Die Griechen schufen die Götter nach ihrem Bilde. Auch dies war ein völlig neuer Aspekt menschlicher Kultur. Bis die Griechen ihren Götterhimmel ersannen, trugen Götter gewöhnlich keinerlei reale Züge. Ja, jede Ähnlichkeit mit lebenden Wesen war unerwünscht. In Ägypten waren Götter in Stein gehauene Kolosse, unbeweglich wie die Tempelsäulen, die selbst die lebhafteste Vorstellungskraft nicht zu lebendigen, atmenden Geschöpfen machen konnte. Menschliche Form, die bewusst ihrer Menschlichkeit entkleidet wurde. Oder die strenge Gestalt einer Göttin mit Katzenkopf, die an harte, unmenschliche Grausamkeit denken ließ. Oder die geheimnisvolle Sphinx, so fremdartig, dass sie an nichts Lebendes mehr gemahnte. Flachreliefs aus Mesopotamien zeigen Gestalten, die keinem bekannten Lebewesen ähneln: Männer mit Vogelköpfen, Löwen mit dem Haupt eines Stieres, beide mit Adlerflügeln. Die künstlerische Fantasie gebar Gestalten, die nichts ähneln sollten außer den irrealen Hervorbringungen des eigenen Geistes. Die Wirklichkeitsferne fand hier ihren Höhepunkt. Doch ebendiese Figuren wurden in der vorgriechischen Welt angebetet. Um zu begreifen, wie ungewöhnlich die neuen Ideen waren, die mit dem Erstarken Griechenlands das Licht der Welt erblickten, muss man nur eine der griechischen Gottheiten in ihrer gleichsam natürlichen Schönheit mit den Gottheiten Ägyptens oder des Zweistromlandes vergleichen. Mit dem griechischen Geist hielt die Ratio Einzug in der Welt. Der heilige Paulus sagte einmal, man müsse das Unsichtbare mit Hilfe des Sichtbaren verständlich machen. Diese Idee eben war nicht hebräisch, sondern zutiefst griechisch. In der alten Welt interessierten sich nur die Griechen für das Sichtbare. Sie suchten Befriedigung in dem, was sie tatsächlich umgab. Der Bildhauer betrachtete die Athleten, welche in den Spielen um Lorbeer kämpften, und er erkannte, dass nichts, was er je schaffen könnte, der Schönheit dieser kräftigen, jungen Körper gleichkommen würde. Und so schlug er die Statue des Apollo aus dem Marmor. Der Geschichtenerzähler wiederum erkannte Hermes unter den Menschen auf der Straße. Er sah den Gott »als jungen Mann im reizendsten Alter«, wie Homer ihn in der Odyssee darstellt. Griechische Künstler und Dichter verstanden, wie wundervoll der Mensch doch war: aufrecht gewachsen, schnell und stark. Im Menschen war das Ideal ihres Strebens nach Schönheit verkörpert. Ein Schönheitsideal zu schaffen, das nur ihrem eigenen Geist entsprang, war ihnen fremd. Kunst und Denken Griechenlands gipfeln im menschlichen Dasein. Und diese menschlichen Götter verwandelten den Himmel in einen recht angenehmen Ort, in dem die Griechen sozusagen ein und aus gingen. Sie waren genau im Bilde, was die göttlichen Bewohner dort trieben, was sie aßen und tranken, wo sie ihre Bankette feierten und wie sie sich amüsierten. Natürlich erregten die Götter der Griechen auch Furcht. Wenn man sie erzürnte, waren sie mächtig und gefährlich. Doch wenn man sich an die Spielregeln hielt, konnte man ganz gut mit ihnen auskommen. Man konnte sogar über sie lachen. Zeus, der ständig darum besorgt war, dass seine außerehelichen Eskapaden seiner Gemahlin nicht zu Ohren kamen, war ein Gott mit durchaus komischen Aspekten. Die Griechen aber liebten ihn deshalb nur umso mehr. Hera war eine richtige Bühnenfigur: die ewig eifersüchtige Ehefrau, die alle möglichen Tricks aufwendet, um den werten Gatten bloßzustellen und sich an der Rivalin zu rächen. Doch all das stieß die Griechen keineswegs ab, sondern erheiterte sie genauso wie Heras modernes Gegenstück uns Menschen unserer Zeit. Solche Geschichten sorgten für einen entspannten Umgang mit dem Numinosen. Gelächter im Angesicht einer ägyptischen Sphinx oder eines babylonischen Vogelwesens wäre unvorstellbar gewesen. Im Umgang mit den Olympiern aber war es kein Sakrileg. So wurden Götter zu Gefährten. Auch in ihrem Erdenwandel waren die Gottheiten der Griechen auf höchst menschliche Weise anziehend. In Gestalt schöner Jünglinge und Maiden bevölkerten sie Wälder, Flüsse, Seen und Meere. Sie lebten in Harmonie mit der Schönheit der Erde und dem Glitzern des Wassers. Dies ist das Wunder der griechischen Mythologie – eine Welt nach Menschenmaß, deren Bewohner von der lähmenden Furcht vor dem allmächtigen Ungewissen befreit waren. Die Schrecken erregenden, unfassbaren Wesenheiten, die anderswo angebetet wurden, die entsetzlichen Geister, die Erde, Luft und See bevölkerten, wurden aus dem griechischen Kosmos verbannt. Es mag seltsam scheinen, wenn man behauptet, dass die Menschen, welche die Mythen schufen, alles Irrationale ablehnten und eine entschiedene Vorliebe für die Welt der Tatsachen an den Tag legten. Doch genauso ist es, auch wenn einige der hier vorgestellten Sagen voller Fabelwesen sind. Jeder, der diese Geschichten liest, wird feststellen, dass auch die fantastischsten unter ihnen in einer Welt spielen, die durch und durch rational und tatsachenverliebt ist. Herakles, dessen Leben vom dauernden Kampf gegen die wüstesten Ungeheuer bestimmt wird, heißt es, habe in Theben gelebt. Und Reisende konnten sogar den genauen Ort besichtigen, an dem Aphrodite aus dem Schaum der Wellen geboren worden war – just vor der Insel Kythera. Der geflügelte Hengst Pegasus legte sich, nachdem er tagsüber die Luft durchwirbelt hatte, in einem bequemen Stall bei Korinth schlafen. Die Verknüpfung mit einer bekannten Örtlichkeit jener Zeit verlieh dem Mythos also Glaubwürdigkeit. Wenn Sie diese Verquickung von Mythos und Realität lächerlich finden, dann überlegen Sie doch einmal, wie beruhigend ein vertrauter Rahmen um das Irrationale im Vergleich mit der Geschichte von Aladins Lampengeist, der aus dem Nichts kommt und darin wieder verschwindet, gewirkt haben mag. Das Schrecken erregende Irrationale hat in den klassischen Mythen Griechenlands keinen Platz. Magie, wie machtvoll sie vor und nach der griechischen Antike auch gewesen sein mag, ist in den Mythen nahezu inexistent. Dort gibt es keine Männer und nur zwei Frauen mit unheimlichen, übernatürlichen Kräften. Die dämonischen Zauberer und abscheulichen Hexen, die Europas und Amerikas Fantasie bis in unsere Tage beschäftigten, spielen in den griechischen Sagen keine Rolle. Kirke und Medea sind die einzigen Zauberinnen, jung und von überragender Schönheit – wunderbar, nicht Schrecken erregend. Die Astrologie, eine Kunst, die seit dem alten Babylon bis heute Menschen in ihren Bann zieht, findet in den Mythen Griechenlands keine Erwähnung. Es gibt zwar viele Geschichten, in denen die Sterne eine Rolle spielen, doch in keiner einzigen heißt es, sie könnten das Leben der Menschen lenken. Die Griechen haben von den Sternen ein ganz anderes Wissen: Sie pflegten die Wissenschaft der Astronomie. Priester, die man fürchten muss, weil sie den Zorn der Götter beschwören könnten, sind nicht bekannt. Priester kommen überhaupt nur sehr selten vor – und wenn, dann haben sie keinerlei Macht. Die Odyssee erzählt, wie einmal zwei Männer vor Odysseus auf die Knie fallen und um ihr Leben flehen – der eine ein Priester, der andere ein Dichter. Odysseus tötet den Priester, ohne auch nur einen Gedanken an ihn zu verschwenden, und schenkt dem Dichter das Leben. Homer lässt seinen Helden Ehrfurcht vor einem Mann empfinden, der seine Kunst direkt von den Göttern gelernt hat. Nicht der Priester, sondern der Dichter also hat direkten Kontakt zu den Göttern. Und wer fürchtet sich schon vor Dichtern? Auch Geister, die in so vielen anderen Sagenwelten Schrecken verbreiten, erscheinen in keinem einzigen griechischen Mythos. Die Griechen hatten keine Angst vor den Toten – »den bemitleidenswerten Toten«, wie die Odyssee sie nennt. Das Reich der griechischen Mythologie war für den menschlichen Geist keine Welt der Angst und des Schreckens. Natürlich war das Tun und Lassen der griechischen Götter irgendwie unvorhersehbar. Man wusste nie, wann Zeus’ Donnerkeil die Erde treffen würde.
Reihe/Serie | Arkana | Goldmann Esoterik ; 21723 |
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Übersetzer | Elisabeth Liebl |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Mythology |
Maße | 135 x 206 mm |
Gewicht | 535 g |
Einbandart | Paperback |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Östliche Weisheit / Alte Kulturen |
Schlagworte | Sagen • Sagen / Sagensammlung • Sagen /Sagensammlung |
ISBN-10 | 3-442-21723-7 / 3442217237 |
ISBN-13 | 978-3-442-21723-6 / 9783442217236 |
Zustand | Neuware |
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