CMD - Craniomandibuläre Dysfunktion (eBook)
208 Seiten
Trias (Verlag)
978-3-432-11750-8 (ISBN)
<p><strong>Dr. Hamdi Kent</strong> ist seit 1994 Zahnarzt und behandelt in seiner Praxis in Bochum seit über 20 Jahren CMD-Patienten. Auf der Basis von Fachkenntnissen aus den USA, Deutschland und den Niederlanden hat der CMD-Experte ein ganzheitliches Konzept entwickelt. Es ist Dreh- und Angelpunkt seiner Behandlung. Gleichzeitig tragen die Patientinnen und Patienten durch das Anwenden verschiedener Therapiebausteine maßgeblich zum Erfolg der Behandlung bei.</p>
Was ist eine CMD und wie entsteht sie?
12–15 Minuten am Tag ist die Zeitspanne, in der sich unsere Zähne beim Kauen und Schlucken berühren. Sie sollte am besten nicht überschritten werden.
Passiert es doch, indem wir regelmäßig mit den Zähnen knirschen oder sie übermäßig zusammenpressen, trägt dies verstärkt zur Entstehung einer schmerzhaften CMD bei.
Was ist eine CMD eigentlich?
Von einer craniomandibulären Dysfunktion, kurz CMD, spricht man, wenn die natürliche Funktion des Kausystems gestört ist. Der Begriff setzt sich aus den lateinischen Wörtern »Cranium« (Schädel), »Mandibula« (Unterkiefer) und »Dysfunktion« (gestörte Funktion) zusammen. Auf Deutsch würde man das Ganze als »gestörtes Zusammenspiel von Schädel und Unterkiefer« bezeichnen. CMD ist also ein Sammelbegriff für Störungen, die Muskeln, Zähne und Knochen im Kiefer und Gesichtsbereich betreffen. Falls Sie sich wundern, dass wir hier vom Schädel sprechen und den Oberkiefer außer Acht lassen, so viel zur Erklärung: Der Oberkiefer ist ein fester Bestandteil des Schädels. Daher findet man bei Ausgrabungen meist Schädel mit Oberkiefer, während der Unterkiefer fehlt. Dieser ist nicht knöchern, sondern nur über das Kiefergelenk zusammen mit Muskeln, Faszien und Bändern mit dem Oberkiefer verbunden. Anders als der Oberkiefer ist der Unterkiefer beweglich, damit wir Laute bilden, zubeißen und Nahrung zerkleinern können. Die Beißkraft eines Menschen liegt bei durchschnittlich 80 Kilogramm und ist somit stärker als die eines Wolfes, die bei 60 Kilogramm liegt. ▶ [1]
Der Zahnschmelz ist das härteste Material in unserem Körper. Anders würden unsere Zähne diese immense Belastung nicht aushalten. Denn die Kräfte, die hier wirken, sind enorm. Kommt diese Wucht durch Pressen und Knirschen mit den Zähnen permanent zum Einsatz, führt das zu einer Überreizung der beteiligten Muskeln, Gelenke, Zähne etc. In der Folge kann sich eine schmerzhafte CMD entwickeln, die den Alltag der Betroffenen, ihr berufliches und gesellschaftliches Leben sowie ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigt.
Eine CMD kann Schmerzen in der Kaumuskulatur und in den Kiefergelenken nach sich ziehen ebenso wie eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des Unterkiefers. Häufig treten auch Geräusche auf, etwa ein einseitiges, manchmal auch beidseitiges Knacken oder Reibegeräusch im Bereich der Kiefergelenke. Sind sie nicht mit Schmerzen verbunden, besteht für diese Geräusche kein akuter Behandlungsbedarf. Allerdings deuten sie auf eine bestehende oder zurückliegende Störung der Funktion des Kausystems durch Fehlbelastung oder Überlastung hin. Diese Geräusche sollten Sie als Warnsignal ernst nehmen. Ein Kiefergelenk, das im Moment schmerzfrei knackt, kann in Zukunft durchaus zu einer schmerzhaften Einschränkung der Mundöffnung und zu weiteren Beschwerden führen.
Der gesunde Kiefer und mögliche Veränderungen bei einer CMD.
Wie entsteht eine CMD?
Die Ursachen, die an der Entstehung einer CMD beteiligt sind, können vielfältig sein. Eine CMD hat nie nur eine einzige Ursache. In der Regel entsteht sie durch das Zusammentreffen mehrerer ungünstiger Faktoren. Man spricht dann von einem multifaktoriellen Geschehen.
Zum besseren Verständnis vergleiche ich das System einer CMD gerne mit einem Fass. In das laufen mehrere Zuflüsse: Einige Zuflüsse kommen aus unserem Körper, andere aus unserer Seele. Und je nachdem, wie stark der Zufluss ist, sprich der Hahn tropft, desto schneller kann es zum Überlaufen des Fasses kommen. Die tropfenden Hähne begünstigen das Entstehen einer schmerzhaften CMD.
Das Fassmodell zur Veranschaulichung der Entstehung von CMD-Beschwerden.
Die häufigsten Risikofaktoren
Überlastung
Seelische und körperliche Überlastung, kurz Stress, ist der bekannteste und verbreitetste Risikofaktor. Wir reagieren auf seelisch belastende Situationen immer auch körperlich. Das ist und war entwicklungsgeschichtlich sinnvoll, da Stress in uns Lebewesen immer dann entsteht, wenn Gefahr im Verzug ist und es gilt, entweder in den Flucht- oder in den Angriffsmodus umzuschalten. Nur greifen wir zivilisierten Menschen nicht an oder laufen weg, wenn uns etwas nervt – meistens jedenfalls nicht. Wir lassen den Stress im Körper, fressen ihn in uns hinein, und er sucht sich ein Ventil.
Bestimmt kennen Sie das, dass Sie in Stresssituationen plötzlich Schmerzen im Rücken, im Nacken oder an einer anderen Stelle Ihres Bewegungsapparats verspüren. Manche bekommen Magenschmerzen oder Durchfall, andere leiden unter Kopfschmerzen. Gleichzeitig verarbeiten viele Menschen ihren Stress einfach über die Kaumuskulatur. Weil sie das tagsüber Erlebte häufig nicht verarbeiten, machen sie dies oft erst im Schlaf, indem sie nachts mit den Zähnen knirschen – oder tagsüber an der Zahnbürste, auf Fingernägeln oder an Stiften kauen. Dieses Verhalten ist meist schon im Kindesalter zu beobachten. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch in Ordnung, schließlich müssen diese Gefühle irgendwie raus und da bietet sich unsere Kaumuskulatur als emotionales Ventil an. Nur wenn diese Maßnahmen bei anhaltendem Stress zu einem Dauerzustand werden, hat das irgendwann negativen Folgen für unser Wohlbefinden.
Seelische Traumata
Seelische Traumata sind neben dem oben beschriebenen Stress sehr häufig von mir beobachtete psychologische Risikofaktoren. Dies können als lebensbedrohlich empfundene Situationen wie ein Autounfall sein, aber auch zurückliegende Erfahrungen wie etwa sexualisierte Gewalt. Solche Erlebnisse können zum Teil sehr weit in der Kindheit zurückliegen, daher ist es für viele Menschen schwer, sich an das Trauma zu erinnern. Sei es, weil sie zu jung waren, um es im Gedächtnis zu behalten, oder weil sie es verdrängt haben. Selbst ein einziger Tag als Säugling, an dem man stundenlang geschrien hat, ohne dass sich jemand um einen kümmerte, kann als Auslöser reichen.
Befunde, die bei der ersten Untersuchung in der Praxis erhoben werden, können einen Hinweis darauf geben, ob unter Umständen ein Trauma in die CMD mit hineinspielt. Dies hat immer einen Einfluss auf den Behandlungsablauf und auch auf die Perspektive des Behandlungserfolgs.
Störungen im Stoffwechsel- und Hormonhaushalt
Stoffwechsel- und hormonelle Störungen können als weitere Risikofaktoren eine CMD befeuern. Eine im Juli 2021 veröffentlichte Studie fand heraus, dass 92,3 Prozent der an der Erhebung beteiligten Frauen mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren und Störungen des Östrogenstoffwechsels an einer CMD erkrankt waren. ▶ [2] Eine andere Studie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass ein erhöhtes Risiko für Frauen besteht, nach der Menopause an einer CMD zu erkranken. Hier bewirkt das niedrige Östrogenniveau wohl in erster Linie eine nachteilige Veränderung des Knochen- und Knorpelstoffwechsels, die sich auf das Kiefergelenk auswirkt. ▶ [3]
Psychische Erkrankungen
Psychische Erkrankungen, beispielsweise aus dem depressiven Formenkreis, und emotionale oder soziale Probleme wie Einsamkeit, Trennungen und der Verlust von nahestehenden Menschen können ebenfalls dazu führen, dass CMD-Symptome nicht abklingen oder gar zunehmen.
Mikrotraumata
Hierbei handelt es sich um kleine Verletzungen des Gewebes. Sie stellen den am weitesten verbreiteten körperlichen Risikofaktor dar. Hervorgerufen werden sie durch das Zähneknirschen oder Zähnepressen mit übermäßigem Zahnkontakt und einer ständigen Überlastung und einer daraus resultierenden Schädigung und Reizung der Muskeln, Gelenke, Zähne und Nerven. Es gibt allerdings auch Patienten, die berichten, dass ihre Zähne sich nie berühren. Dennoch spannen sie – zwar mit geöffnetem Mund –, oft permanent ihre Kaumuskulatur an. Wenn Sie sich an der Stelle nicht sicher sind und diesen Sachverhalt überprüfen wollen, können Sie das ganz einfach mit dem ▶ Selbsttest herausfinden.
Zahnfehlstellungen und bewegliche Gelenke
In der Struktur des Kausystems und im restlichen Körper finden sich weitere Risikofaktoren. Hierzu gehören zum Beispiel Störungen im Zusammenbiss durch Zahnfehlstellungen. Diese können natürlicherweise durch schiefe Zähne oder ungünstige Kieferformen, beispielsweise durch einen zu tiefen Biss, auftreten oder nachträglich erworben sein. Mögliche Ursachen sind fehlende Zähne oder zu hohe bzw. zu niedrige Füllungen oder Kronen. Manche Menschen haben dann das Gefühl, dass die Zähne nicht richtig aufeinanderpassen, und versuchen durch Knirschen, die Zähne »passend zu schleifen«. Aber auch übermäßig bewegliche Gelenke, zum Beispiel durch eine angeborene Bindegewebsschwäche oder durch das Überdehnen der Gelenkkapsel bei einer Weisheitszahnentfernung, können bei einer CMD das Fass zum Überlaufen bringen.
Fußfehlstellungen und Beckenasymmetrien
Fußfehlstellungen oder Beckenasymmetrien begünstigen ebenfalls die...
Erscheint lt. Verlag | 4.10.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Krankheiten / Heilverfahren |
Schlagworte | Aufbissschiene • Augenflimmern • Bruxismus • CMD • Craniomandibuläre Dysfunktion • kaumuskel • Kaumuskulatur • Kiefer • Kiefergelenk • Kieferschmerzen • Kopfschmerzen • Manuelle Therapie • Nacken • Nackenschmerzen • Schluckbeschwerden • Schmerzen • Schwindel • Spannungskopfschmerzen • Tinnitus • Triggerpunkte • Zahnarzt • Zähneknirschen |
ISBN-10 | 3-432-11750-7 / 3432117507 |
ISBN-13 | 978-3-432-11750-8 / 9783432117508 |
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