Die vier Stufen der psychologischen Sicherheit (eBook)
159 Seiten
Vahlen (Verlag)
978-3-8006-7192-2 (ISBN)
Die vielleicht schwierigste Aufgabe einer Führungskraft besteht darin, die intellektuelle Reibung in einer Organisation zu erhöhen und gleichzeitig die soziale Reibung zu verringern. Wenn dies nicht geschieht und es emotional schwierig wird zu sagen, was man wirklich denkt und fühlt, löst dieser Mangel an psychologischer Sicherheit den Instinkt zur Selbstzensur aus, schaltet das Lernen ab und blockiert Zusammenarbeit und Kreativität.
Dieser praktische Leitfaden zeigt, wie Führungskräfte psychologische Sicherheit in ihren Unternehmen aufbauen können, um ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Mitarbeiter einbezogen, voll engagiert und ermutigt fühlen, ihr Bestes zu geben und ihre Ideen einzubringen.
Kultivieren Führungskräfte psychologische Sicherheit, durchlaufen Teams und Organisationen vier aufeinander folgende Phasen: Zunächst fühlen sich die Menschen einbezogen und akzeptiert, dann fühlen sie sich sicher, um zu lernen, ihren Beitrag zu leisten und schließlich den Status quo infrage zu stellen. Timothy Clark stützt sich auf Psychologie, Philosophie, Sozialwissenschaften sowie seine eigenen Erfahrungen, um zu zeigen, wie Führungskräfte Verhaltensweisen vorleben können und müssen, um, wie er es sagt,
'entweder den Weg zu zeigen oder im Weg zu stehen'.
Durchdacht und pragmatisch wird zeigt, wie die Leistung der Mitarbeitenden die Erwartungen von Führungskräften übertreffen, wenn sie ihnen die Angst nehmen, eine echte leistungsbezogene Rechenschaftspflicht einführen und ein Umfeld schaffen, in dem sich die Mitarbeiter verletzlich zeigen können, während sie lernen und wachsen. Dazu wird ein Rahmenwerk zur Verfügung gestellt, das Führungskräften hilft, ihre Organisationen in Orte der Vielfalt und Inkubatoren von Innovationen zu verwandeln.
Timothy R. Clark ist Gründer und CEO von LeaderFactor, einem globalen Beratungs-, Schulungs- und Assessmentunternehmen für Führungskräfte.
9Vorwort
In diesem Buch wird eine Theorie der menschlichen Interaktion vorgestellt. Ich möchte Ihnen den Kontext erläutern. Vor einigen Jahren kehrten meine Frau Tracey und ich aus England in die Vereinigten Staaten zurück, als ich kurz vor dem Abschluss meiner Doktorarbeit in Sozialwissenschaften an der Universität Oxford stand. Mein Budget war aufgebraucht. Ich würde mir einen Job suchen, ein Jahr lang arbeiten, meine Dissertation abschließen, an einer Universität unterrichten und dann bis an mein Lebensende glücklich sein. Das war der Plan.
Es kam ganz anders. Ich verließ den Elfenbeinturm der Wissenschaft und begab mich in das düstere, schweißtreibende Megatonnenreich eines Stahlwerks. Das von der US Steel Corporation während des Zweiten Weltkriegs errichtete Geneva Steel war das letzte voll integrierte Stahlwerk westlich des Mississippi, ein gewaltiger Maschinenpark, der sich über 1.700 Hektar erstreckte. Es war das industrielle Äquivalent des Vatikans, eine in sich geschlossene Enklave innerhalb einer größeren Metropole, mit eigenen Zügen, einer Feuerwache, einem Krankenhaus und einer in den Himmel aufragenden Hochofenkathedrale. Das Werk stellte Stahlplatten, Stahlbleche und Stahlrohre her, aus denen alles Mögliche gefertigt wurde, von Brücken bis zu Bulldozern. Da ich mit der Arbeiterklasse sympathisierte, dachte ich, ich wüsste, worauf ich mich einlasse. Ich hatte keine Ahnung.1
Schlüsselfragen: Wurden Sie schon einmal in einer völlig fremden Umgebung ausgesetzt? Waren Sie misstrauisch gegenüber den Einheimischen? Welche Voreingenommenheit oder welches Vorurteil haben Sie mitgebracht?
Das Stahlwerk war eine unbekannte, andere Welt für mich. Ich arbeitete mit schichtarbeitserprobten Schweißern, Maschinenbauern, Rohrschlossern und Kranführern zusammen, die von Entlassungen bedroht wurden. Diese schattenhaften Gestalten unter ihren Schutzhelmen wurden meine Freunde, aber es gab nichts Romantisches an diesem rumpelnden, schleifenden, schnaubenden Ort. In der Werkstatt stand viel auf dem Spiel, und es gab keinen Spielraum für Fehler, da Präzision wichtig war und Fehleinschätzungen tödlich sein konnten. Durch Tausende von Verfahren zur Arbeitssicherheit, die jede Aufgabe für jeden Arbeitsplatz bei jeder Tätigkeit regeln, wurde nichts dem Zufall überlassen. Sicherheit wurde so unaufhörlich gepredigt, dass man leicht aufhören konnte, daran zu glauben.
Dann kam der schicksalhafte Tag. Ein Wartungsarbeiter wurde unter einer 16 Tonnen schweren Ladung von Eisenerzpellets erdrückt. Er war auf der Stelle tot. 10Ich erinnere mich, dass ich mich fragte, welche Qualen die Familie des Mannes durchleben würde. Im Laufe dieses Tages erhielt ich den Auftrag, den Geschäftsführer zu begleiten, um der Familie die schreckliche Nachricht zu überbringen. Später erfuhren wir, dass diese Tragödie darauf zurückzuführen war, dass mehrere Mitarbeitende gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen hatten. Seitdem wurde Sicherheit zu meiner Obsession, aber nicht so, wie Sie vielleicht denken. Ich lernte, dass psychologische Sicherheit die Grundlage für Integration und Teamleistung und der Schlüssel zur Schaffung einer innovativen Kultur ist.
Als ich meinen Abschluss in der Tasche hatte, war es an der Zeit, die Fabrik zu verlassen und meinen Schutzhelm und die Stahlkappenstiefel gegen Anzug, Kreide und das Klassenzimmer einzutauschen. Dann geschah etwas Unerwartetes. Der Geschäftsführer bat mich, Werksleiter zu werden. Nun stand ich vor einer ungewöhnlichen Entscheidung: entweder das beschauliche Leben eines Akademikers oder die Leitung eines Teams von 2.500 Mitarbeitern, die im Bauch eines Industrieungeheuers arbeiten. Meine Frau und ich beschlossen, das Angebot anzunehmen. Warum? Weil es eine seltene Gelegenheit bot, menschliches Verhalten in einer einzigartigen Umgebung als teilnehmender Beobachter zu studieren. Die Erfahrung würde mich in ein reales Übungsumfeld versetzen und die Theorie, die ich in Oxford gelernt hatte, herausfordern.
An meinem ersten Tag als Werksleiter rief ich das morgendliche Führungsmeeting ein und sah mich mit der herrschenden Unternehmenskultur konfrontiert. Eine stoische Stille legte sich über den Raum, als ich in die Gesichter von 20 Betriebsleitern blickte, von denen viele alt genug waren, mein Vater zu sein. Jetzt erstatteten sie mir Bericht.
Sie waren zutiefst zur Selbstzensur erzogen worden und durch die Achtung vor der Machtposition und die sklavische Befolgung der Befehlskette eingeschüchtert. Macht war wichtig. Und diese Männer (und sie waren alle Männer) wussten, wo die Macht lag. Sie lag bei mir. Trotz meiner Jugend und Unerfahrenheit würden sie dieser Quelle der Macht Gehorsam leisten. In der Tat war ich jetzt die Kommandozentrale, der Kontrollturm, das Alphamännchen. Ich hatte das, was der Soziologe C. Wright Mills „das meiste von dem, was es zu haben gibt“ nannte.2 Die Erfahrung hatte diese Manager gelehrt, dass es emotional, politisch, sozial und wirtschaftlich riskant war, zu sagen, was sie wirklich dachten, also lächelten sie und nickten höflich.
Schlüsselfragen: Waren Sie schon einmal in einer Machtposition? Waren Sie schon einmal in einer Position ohne Macht? Hat es Ihr Verhalten verändert, Macht zu haben oder keine Macht zu haben?
Dieses fruchtbare Umfeld für eine Feldstudie zu erleben, war der Traum eines Sozialwissenschaftlers. Was ich beobachtete, rief nach einer Interpretation. Aber ich musste mehr als nur ein Beobachter sein; ich musste ein Reformer sein. Um 11die Leistung des Unternehmens zu verbessern, brauchten wir eine Veränderung. Die träge, alte Großfabrik hatte Mühe, mit den kleineren Betrieben zu konkurrieren, die die Branche umgekrempelt hatten und den Markt beherrschten. Um die Durchlaufleistung und den Ertrag zu steigern, mussten wir die Regeln der reinen Machtausübung aufgeben und den Menschen ihre Hörigkeit gegenüber der Zwangsautorität und ihre Neigung, durch Einschüchterung Angst zu erzeugen, austreiben. Die gesamte Organisation musste von ihrem statusgebundenen Modell der autoritären Herrschaft befreit werden. Befreit den Ort oder sterbt im nächsten Abschwung.
Wirtschaftliche Unternehmen überleben, indem sie sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, was letztlich bedeutet, dass sie Innovationen hervorbringen. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststellen, dass Innovation fast immer ein gemeinschaftlicher Prozess ist und fast nie ein genialer Geistesblitz eines Einzelnen. Wie der Historiker Robert Conquest einmal sagte: „Was leicht zu verstehen ist, war vielleicht nicht leicht zu erdenken.“3 Innovation entsteht nicht von allein. Sie erfordert kreative Spannung und konstruktive Meinungsverschiedenheiten – Prozesse, die auf hohe intellektuelle und geringe soziale Reibung angewiesen sind.4
Die meisten Führungskräfte verstehen nicht, dass die Bewältigung dieser beiden Reibungskategorien zur Schaffung eines Ökosystems der mutigen Zusammenarbeit das Herzstück der Führung als angewandte Disziplin ist. Es ist vielleicht der wichtigste Test für eine Führungspersönlichkeit und ein direktes Spiegelbild des persönlichen Charakters.
Abbildung 1: Zunehmende intellektuelle Reibung, abnehmende soziale Reibung
Ohne Kompetenz, Integrität und Respekt vor den Menschen geht es nicht. Auch Vergünstigungen wie Kickertische, kostenlose Mittagessen, eine offene Büroumgebung 12und die Ästhetik einer hippen Organisation können es nicht zum Leben erwecken.
Schlüsselprinzip: Die Aufgabe der Führungskraft besteht darin, gleichzeitig die intellektuelle Reibung zu erhöhen und die soziale Reibung zu verringern.
Ich beobachtete aber das Gegenteil, nämlich das Fehlen dessen, was wir psychologische Sicherheit nennen. Mir wurde bald klar, dass meine Verantwortung darin bestand, die Menschen nicht nur physisch, sondern auch psychisch zu schützen. Wie ich aus erster Hand erfuhr, kann das Fehlen von physischer Sicherheit zu Verletzungen oder zum Tod führen, aber das Fehlen von psychologischer Sicherheit kann verheerende emotionale Wunden verursachen, die Leistung neutralisieren, das Potenzial lähmen und das Selbstwertgefühl des Einzelnen zerstören. Daraus folgt, dass Unternehmen, denen es an psychologischer Sicherheit mangelt und die auf hochdynamischen Märkten konkurrieren, auf dem besten Weg sind, auszusterben.
Eine der ersten Erkenntnisse in der Führung ist, dass der gesellschaftliche und kulturelle Kontext einen tiefgreifenden Einfluss darauf hat, wie sich Menschen verhalten, und dass man als Führungskraft für diesen Kontext verantwortlich ist. Als Zweites lernt man, dass Angst der Feind ist. Sie bremst die Initiative, hemmt die Kreativität, führt zu Gehorsam statt zu Engagement und unterdrückt das, was andernfalls zu einer Explosion der Innovation führen würde.
Schlüsselprinzip: Das Vorhandensein von Angst in einer Organisation ist das erste Anzeichen für eine schwache Führung.
Wenn es Ihnen gelingt, Ängste zu beseitigen, eine echte leistungsbezogene Verantwortlichkeit einzuführen und ein Umfeld zu schaffen, indem die Mitarbeitenden verletzlich sein können, um zu lernen und zu wachsen, werden sie mehr leisten, als Sie und Ihre Mitarbeitenden selbst erwarten.
Schlüsselfragen: Waren Sie jemals Teil einer Organisation, die von Angst beherrscht wurde? Wie haben Sie darauf reagiert? Wie haben andere Menschen darauf reagiert?
Meine informelle ethnografische Analyse als Betriebsleiter bei Geneva Steel dauerte fünf...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2023 |
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Übersetzer | Mike Kauschke |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Personalwesen | |
Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management | |
Schlagworte | Gesundheitsmanagement • Lernen • Psychological Safety • resilizenz • Stress |
ISBN-10 | 3-8006-7192-1 / 3800671921 |
ISBN-13 | 978-3-8006-7192-2 / 9783800671922 |
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Größe: 5,5 MB
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