Die systemische Mastzellerkrankung (eBook)
100 Seiten
Trias (Verlag)
978-3-432-11765-2 (ISBN)
<p><strong>Apl. Prof. Dr. med. Gerhard J. Molderings</strong> ist Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie, Mastzellimmunologe und Molekulargenetiker. Er ist einer der weltweit führenden Experten für die systemische Mastzellerkrankung, dessen wissenschaftliche Forschung in einer Vielzahl von Publikationen und Buchbeiträgen dokumentiert ist. Neben der theoretischen Wissenschaft liegt ihm besonders die Sensibilisierung von Ärzteschaft und Gesellschaft für die systemische Mastzellerkrankung am Herzen.</p> <p><strong>Univ.-Prof. Dr. med. Martin Mücke</strong> gilt als einer der führenden Experten in Deutschland zu Mastzellenerkrankungen. Neben seiner Tätigkeit als Allgemeinmediziner beschäftigt er sich schon seit vielen Jahren schwerpunktmäßig mit Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen sowie ohne Diagnose. Seit Oktober 2021 ist er Direktor des Instituts für Digitale Allgemeinmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen und seit November 2021 Vorstandssprecher des Zentrums für Seltene Erkrankungen Aachen (ZSEA). </p> <p> </p>
Mastzellen sind Teil des Immunsystems
Zunächst wollen wir die Rolle der Mastzellen in unserem Körper erläutern und anschließend darstellen, was passiert, wenn sie aus dem Ruder laufen.
Unser Immunsystem besteht aus einem Zusammenspiel zwischen bestimmten Zellen, Signalstoffen und Geweben und gehört zu den komplexesten Systemen in unserem Körper. Grob lässt sich ein unspezifisch agierendes Abwehrsystem von einer spezifischen Abwehr unterscheiden. Da das unspezifische Immunsystem bereits mit der Geburt vorhanden ist, wird es als angeborenes Immunsystem bezeichnet. Auch wenn dieses System nach der Geburt noch nicht vollständig ausgebildet ist, kann es zusammen mit den über die Muttermilch aufgenommen Abwehrstoffen den Säugling doch vor einer Vielzahl gefährlicher Erreger schützen. Das angeborene Immunsystem ist die erste Verteidigungslinie gegen Eindringlinge und umfasst sowohl mechanische Barrieren wie Haut und Schleimhaut als auch Immunzellen wie die sogenannten neutrophilen, eosinophilen und basophilen Granulozyten, Monozyten und Mastzellen.
Parallel zur unspezifischen Abwehr wird die spezifische Abwehr, medizinisch korrekt das adaptive Immunsystem, aktiviert. Die spezifischen Abwehrzellen, die sogenannten T-Lymphozyten und die B-Lymphozyten (die nach Umwandlung in Plasmazellen die Antikörperproduktion betreiben) können gezielt gegen bestimmte Erreger vorgehen, weil ein früherer Kontakt mit diesen Eindringlingen zum Aufbau eines Immungedächtnisses geführt hat. Kommt es erneut zu einer Infektion mit einem bereits bekannten Erreger, kann dieses Abwehrsystem schnell reagieren. Dieses Immungedächtnis entwickelt sich allerdings erst im Laufe des Erwachsenwerdens und ist daher bei Kindern noch unzureichend ausgebildet.
Mastzellen haben eine zentrale Rolle im Immunsystem
Mastzellen verbinden die angeborene und die adaptive Immunität. Sie können schnell auf Gefahrensignale reagieren, indem sie über verschiedene Mechanismen einen Cocktail von hunderten verschiedener Botenstoffe, die sogenannten Mediatoren, bilden und freisetzen können, um benachbarte Zellen über die Gefahrenlage zu informieren und die richtigen Zellen des Immunsystems zu rekrutieren und zu aktivieren. Diese Kommunikation zwischen Mastzellen und den Zielzellen des Immunsystems und der Gewebe kann über unterschiedliche Wege erfolgen, die hinsichtlich der Zielzellen ungezielt und hinsichtlich der ausgelösten Wirkungen unspezifisch oder aber sehr gezielt und spezifisch sein können. Somit erfüllen Mastzellen sowohl die Funktion als Effektorzellen wie auch als regulatorische Zellen. Sie gehören damit beiden Komponenten des Immunsystems an, dem angeborenen und dem adaptiven Immunsystem, und sind somit der zentrale Baustein unseres Immunsystems. Das ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass sie vermutlich als erste Form von Immunzellen vor mehr als 450 Millionen Jahren entstanden sind und während dieser langen Zeit der Evolution sich diese Aufgaben selektiert haben.
Die Mastzelle: ein Steckbrief
Mastzellen sind runde, 20–30 µm große Zellen, die zur Gruppe der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) gehören. Sie finden sich in allen Geweben, aber besonders präsent sind sie in Bereichen, die mit unserer Umgebung in Kontakt stehen, da sie die vorderste Front unseres Abwehrsystems darstellen: Das ist an der äußeren Seite unseres Körpers die Haut und das sind innerhalb des Körpers die Schleimhäute unserer Atemwege und unseres Verdauungstraktes. Die Mastzellen der Schleimhaut (mukosale Mastzellen) sind mit einer Lebensdauer von zwei Wochen kurzlebig (zumindest, wenn sie gesund sind). Die Bindegewebsmastzellen, die u. a. in der Haut, in der Luftröhre, im Fettgewebe, in der Bauchhöhle sowie in der Nähe von Blutgefäßen und Nervenfasern/-endigungen angesiedelt sind, leben dagegen lange.
Was die Entwicklung der Mastzellen angeht, nahm man bisher an, sie würden sich ausschließlich im Knochenmark als Stammzellen entwickeln und dann als unreife Vorläuferzellen mit dem Blutstrom in Organe und Gewebe einwandern und sich dort unter dem Einfluss der sie umgebenden Zellen ausdifferenzieren. Heute geht man davon aus, dass sich die Stammzellen bereits im Embryo in räumlich getrennten Bereichen entwickeln, also die verschiedenen Formen von Mastzellenvorläuferzellen bereits in der Embryonalzeit in die Gewebe einwandern. Dort verbleiben sie als Vorläuferzellen bzw. hämatopoetische Stammzellen auch nach der Geburt und reifen bei Bedarf unter dem Einfluss von Zellkommunikationsstoffen (Zytokine), wie dem Stammzellfaktor (SCF), die die umliegenden Gewebe freisetzen, gewebespezifisch aus. Diese neuen Erkenntnisse sind u. a. deshalb so interessant, weil die Aufrechterhaltung der Mastzellpopulation offenbar unabhängig vom Knochenmark gewährleistet werden kann, nämlich über die langlebigen, gewebsresidenten Vorläuferzellen. Je nachdem, was an ihrem spezifischen Standort erforderlich ist, unterscheiden sich Mastzellen erheblich in ihrem Botenstoffgehalt und in ihrem Rezeptorenbesatz.
Mastzellen spielen eine zentrale Rolle in unserem Immunsystem und verbinden die angeborene und die adaptive Immunität.
Mastzellen können eine Vielzahl an Botenstoffen freisetzen
Mastzellen spielen sowohl bei immunologischen als auch bei nicht immunologischen Prozessen eine wichtige Rolle. Sie können bei Bedarf in Vesikeln gelagerte Botenstoffe, wie Histamin und Tryptase, freisetzen, aber auch eine Vielzahl an Botenstoffen wie Zytokine synthetisieren und freisetzen, wenn sie den Befehl dazu erhalten. Allein die Fülle von mehr als 350 unterschiedlichen Botenstoffen, die von Mastzellen freigesetzt werden können, führt vor Augen, wie wichtig und einflussreich sie sind und wie vielfältig die Symptome sein können, wenn sie außer Kontrolle geraten.
Bei einer allergischen Reaktion werden die Mastzellen über Antikörper, die an entsprechenden Andockstellen (IgE-Rezeptoren) in der Zellmembran festmachen, dazu gebracht, eine Vielzahl von Botenstoffen gleichzeitig, u. a. Histamin, auszuschütten. Letzteres führt zu den typischen allergischen Reaktionen wie juckenden, tränenden Augen, einer laufenden Nase und an der Haut zu Quaddeln, Juckreiz und Rötung. Freigesetzte Tryptase aktiviert das Komplementsystem. Freigesetzte Prostaglandine führen zu einer Kontraktion der glatten Muskulatur der Atemwege sowie einer gesteigerten Schleimproduktion. Leukotriene erweitern u. a. die Gefäße und machen sie durchlässiger. Heparin hemmt die Blutgerinnung. Abhängig vom Aktivierungsreiz können die Mastzellen nur wenige, ausgewählte Mediatoren freisetzen oder aber auch einen ganzen Cocktail ausschütten, je nachdem, was gerade erforderlich ist. Neben ihrer maßgeblichen Rolle bei Allergien sind Mastzellen die Strippenzieher im Immunsystem und damit wichtig für die Abwehr krankmachender Erreger und auch für die Wundheilung.
Die Organe und Gewebe, die eine hohe Mastzellkonzentration aufweisen, sind auch diejenigen, die häufig zu MCAD-Beschwerden führen.
Zu den Mastzellmediatoren, die auf Vorrat hergestellt werden, zählen:
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biogene Amine: Histamin, Serotonin, Dopamin
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Proteasen (Enzyme, die Proteine spalten): Tryptase, Chymase
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Proteoglykane: Heparin
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Zytokine: Interleukin-4, Interleukin-15
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Wachstumsfaktoren: NGF, TGF-ß
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Peptide: Corticotropin releasing hormone (CRH), Endorphine, Substanz P
Doch nicht nur das Arsenal der Mastzellen selbst ist vielgestaltig, sondern auch die möglichen Auslöser, die die Mastzellen aktivieren können, sind erstaunlich vielfältig. Dazu gehören u. a. Immunglobuline (z. B. IgE-Antikörper bei Allergie), Salicylate, Hormone (z. B. Östradiol, Corticotropin-releasing hormone), Nervenbotenstoffe wie Acetylcholin, Zytokine, Stoffwechselprodukte von Krankheitserregern, Schwermetalle, verschiedene Medikamente (z. B. Ciprofloxacin, Lidocain, Procain, Kontrastmittel, Impfungen), Chemikalien, Insektengifte, aber auch Stress, Temperaturreize (Hitze, Kälte), Operationen. Dies sind nur einige der Aktivierungsmöglichkeiten, auch Trigger genannt, von Mastzellen.
Nun ist nachvollziehbar, warum Menschen mit einer Mastzellerkrankung so unterschiedliche Symptome haben können und auch die Auslöser, Trigger genannt, so individuell unterschiedlich sind.
Mastzellen sind die Wächter des Körpers
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Sie reagieren schnell auf Gefahrensignale, indem sie verschiedene Botenstoffen bilden und gezielt freisetzen. Das aktiviert benachbarte Zellen und andere Zellen des Immunsystems werden rekrutiert und aktiviert.
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Die Mastzellen schlagen...
Erscheint lt. Verlag | 2.8.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Krankheiten / Heilverfahren |
Schlagworte | Allergie • Atmung • Ballaststoffe • Darm • Darmflora • Entspannung • Entzündung • Histaminintoleranz • histaminintoleranz symptome • long covid • Mastzellen • Mastzellenaktivierungssyndrom • mcas • Mikrobiom • Nesselsucht • Post Covid Syndrom • Urtikaria • Vagusnerv |
ISBN-10 | 3-432-11765-5 / 3432117655 |
ISBN-13 | 978-3-432-11765-2 / 9783432117652 |
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