Käseglück (eBook)
168 Seiten
Löwenzahn Verlag
978-3-7066-2934-8 (ISBN)
Marlene Kelnreiter zieht jeden Sommer in die Berge, um dort Träume in Wirklichkeit und Milch in Käse zu verwandeln. Eigentlich kommt sie aus der Kultur- und Kommunikationsbranche, aber am liebsten vertreibt sie ihre saisonalen Käseprodukte auf dem Fahrrad und bietet Käse-Workshops an. Ihre Abenteuer kannst du online in ihrem Dairy Maid Diary verfolgen.
Marlene Kelnreiter zieht jeden Sommer in die Berge, um dort Träume in Wirklichkeit und Milch in Käse zu verwandeln. Eigentlich kommt sie aus der Kultur- und Kommunikationsbranche, aber am liebsten vertreibt sie ihre saisonalen Käseprodukte auf dem Fahrrad und bietet Käse-Workshops an. Ihre Abenteuer kannst du online in ihrem Dairy Maid Diary verfolgen.
ALMGESCHICHTEN: DAS PORZELLANVIEH
Sinn und Sinnlichkeit
Jahrelang beiße ich morgens die Zähne zusammen, male die Lippen an, und gehe aus dem einen Haus hinaus, um in ein anderes hineinzugehen. Dort setze ich meinen Körper an einen Schreibtisch, hefte meinen Blick auf einen Bildschirm und lege meine Fingerspitzen auf eine Tastatur. Möchtest du vielleicht auch noch einen Kaffee haben? Der Drucker zieht die Kuverts immer wieder falsch herum ein, also fluche ich. Oder fluche ich, weil ich gerade dabei bin, meine Lebenszeit in unsinnlichen Innenräumen zu verbringen, um in einem fragwürdigen System eine vermeintlich fraglose Rolle einzunehmen? Können wir kurz mal lüften? Wie bekommen andere das nur so scheinbar unbekümmert hin? Ich bewundere allgemein gültige Normen und bezweifle die Alternativlosigkeit. Hast du Zeit für einen kurzen Call? Ich schalte die Tageslichtlampe ein, rolle in ihrem Schein den Kopf gegen die Nackenverspannung, sitze in Meetings und gebe mich engagiert, bin ein atmendes Trugbild. Ich habe trockene Augen und creme mir die Hände ein, und erwarte nicht, dass das eine zur Lösung des anderen führt.
Abends trete ich auf die Straße und werfe einen Blick nach oben, wo ein rosé gefärbtes Band vom Himmel zeugt. Wäre dieser Tag also auch mal wieder über die Welt hinweggezogen, ohne dass ich wirklich Teil davon gewesen wäre. Ich schluchze. Ok. Ich übertreibe. Aber so kann das nun mal nicht weitergehen. Schließlich habe ich nur dieses eine Leben auf dieser prächtigen Erde.
Nicht Fisch und nicht Fleisch
Ich träume gerne, gut und lange. Von einem Sommer auf der Alm träume ich schon als Jugendliche. Ich wachse irgendwo im Nirgendwo auf, genauer gesagt zwischen einer Siedlung auf einem Hügel (wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen) und der nächstgelegenen Kleinstadt (wo ich meinen Schulfreund*innen guten Morgen sage). Und zwischendrin denke ich bald mal: nah! Ich würde mein Leben nicht an Orten verbringen, die weder Fisch noch Fleisch sind. Ich würde an intensiven, extremen, aufregenden Orten ein intensives, extremes, aufregendes Leben führen. Und dafür kommen mir eigentlich nur zwei Möglichkeiten in den Sinn: entweder New York City oder eben die Alm.
Und während sich das mit New York beruflich sogar vorübergehend ergibt, bleibt das mit der Alm so eine Sache. Weil, wie vereint man einen Almsommer und ein Angestelltenverhältnis? Und würde die alpine Wirklichkeit überhaupt mit meinem sehnsuchtsvollen Traum und seinen komplexen Anhängseln mithalten können? Eben. Also träume ich lieber in gehörigem Sicherheitsabstand weiter vor mich hin. Und genieße einfach das Gefühl, potenziell ein übervolles Leben haben zu können: Schließlich weiß ich, dass es da etwas gibt, was ich „eigentlich wirklich gerne machen wollen würde“.
Aber irgendwann kommt dann immer dieser eine Punkt, und an dem hatte ich dann wirklich genug von mir selbst. Ich wollte nicht länger Paradebeispiel für ein klassisches Träumelinchen sein, oder wie ein ängstliches Kaninchen mit bebenden Nüstern in den dunklen Ecken des Konjunktivs hocken. Ich wollte endlich die Ärmel hochkrempeln und mal ein paar Träume verwirklichen. Und so tat ich den ersten Schritt: und ging ins Internet1.
Begreif das doch endlich
Überfallen von der Lust, mich an der Materie zu versuchen. Bis die Funken sprühen, weil der Draht zwischen draußen und drinnen so glimmend und singend.
Und dann stehe ich zum ersten Mal in einem Käsekeller, und dann ziehe ich zum ersten Mal einen Käselaib vom Holzbrett, und dann tauche ich zum ersten Mal eine Käsebürste in eine Salzlake, und dann „schmiere“ ich zum ersten Mal einen Käse. Und dann denke ich: „Wow!“ Und außerdem: „Ich möchte bitte nie mehr an einem Computer arbeiten, sondern nur noch inmitten all dieser Materie.“ Ja, das ist jetzt vielleicht wieder ein bisschen übertrieben, aber so oder so ähnlich war es.
Während meines ersten Almsommers habe ich jedenfalls so einiges begriffen. Nicht nur hunderte Käselaibe, die täglich zu pflegen und dafür in die Hand zu nehmen waren. Ich habe mit meinen Händen im Käsebruch gewühlt, oder sie in dicke Gummihandschuhe gesteckt und in Laugenfässer getaucht. Ich habe Käsenetze und Harfen und Kessi (Noch nie gehört? Schlage nach im Käse-ABC auf Seite 160) und Thermometer begriffen. Heugabeln und Milchkannen. Pfifferlinge und Blaubeeren. Steine und Moos. Kühe und Katzen.
Eigentlich ermöglicht einem der Greifsinn ja schon in den ersten Lebensmonaten, die Umgebung auf ihre Tatsächlichkeit hin zu begreifen, und sich mit dem eigenen Dasein darin zu orientieren. Und obwohl ich schon lange kein Baby mehr war, war der Effekt dieses handwerklichen Sommers inmitten der Natur ein ähnlicher: Durch das Angreifen der Materie und das Eingreifen in sie wurde mir vieles erst so richtig bewusst. Nicht nur, was die Außenwelt angeht, sondern auch die Innenwelt – und wie das alles miteinander zusammenhängt, oder eben nicht. Es wurde alles ein wenig eindeutiger, auch ich selbst.
Meine beste Freundin, die mich für ein paar Tage besucht hatte, attestierte mir bei ihrer Abreise, dass ich hier oben ein wenig vom Porzellanpüppchen zum Porzellanvieh mutiert sei. Und ich befand für mich, nun auf dem richtigen Weg zu sein.
Warum eigentlich Alm, Almmilch und Almkäse?
Die Wimpern der Molke-Schweine so weißblond, dass sie mich an Schweden erinnern. Ich nenne also jedes einzelne Björn.
Was ich nun seit einigen Jahren mache, das machen die Bäuer*innen mit ihrem Vieh schon seit einigen Jahrhunderten: Sie ziehen über den Sommer in die Berge. Warum? Die Flächen im Tal können so zwischenzeitlich anders genutzt werden – zum Beispiel, um Heuvorräte für den Winter anzulegen. Die Tiere kommen durch das saftige Futter und die viele Bewegung fitter ins Tal zurück (die Senner*innen ebenso), durchs Abgrasen pflegen sie ganz nebenbei die Landschaft und durchs Kacken tragen sie zur alpinen Biodiversität bei. Kurz gesagt, es handelt sich um eine 90–120 Tage lange Win-win-win-win-Situation.
Wenn das Vieh dann den lieben langen Sommertag auf den Almwiesen steht und mit den Kuhglocken idyllisch durch die Landschaft bimmelt, kommt die Naschkatze in der Kuh auf ihre Kosten: und zupft nur die Gräser und Kräuter, die ihr am besten schmecken. Und das Futter, das die Kuh frisst, ist wiederum ausschlaggebend für die Milch- und Käsequalität. Dass der Almkäse so besonders gut schmeckt ist nichts, was man sich – verklärt ins Bergpanorama blickend – einreden würde, das ist auch nachweisbar. So haben etwa die ätherischen Öle aus Wiesenkräutern in Form von chemischen Verbindungen namens Terpene einen starken Einfluss auf Geruch und Geschmack der Milch – und verleihen je nach Almwiese jedem Almkäse seinen ganz eigenen aromatischen Charakter.
Wird diese hochwertige Milch Sommertag für Sommertag direkt auf der Alm verarbeitet, spricht man von Almkäse. Und nicht von Bergkäse, womit man den Käse bezeichnet, der ganzjährig von in Bergregionen beheimateten Käsereien hergestellt wird.
Die Bäuer*innen oder Hirt*innen bringen die frische Milch zu den Senner*innen, die umgehend und in Handarbeit feinen Käse herstellen. Die Produktionswege sind kurz, die Milchqualität ist hoch, die Wertschöpfung für die Bäuer*innen interessant.
Früher lag die Milchverarbeitung meist in Frauenhand, und jede Bauernfamilie erledigte diese Arbeit selbst. Später baute man dann – oft in Form von Genossenschaften – Almkäsereien und engagierte eine*n Senner*in: So konnte die Milch einfach täglich abgeliefert und zum Ende des Sommers der entsprechende Käseanteil abgeholt werden. Eine Tradition, die in vielen Almregionen immer noch sehr lebendig ist – und sehr viel Arbeit macht.
Mach bloß keinen Käse beim Käsemachen
Ich habe meinen Sommerwohnsitz bezogen, und freue mich, meine temporäre Anschrift bekannt zu geben. Sie lautet: am Myzelien-Riff.
Mit diesen Worten verabschiedete mich ein Freund in meinen ersten Almsommer, aber ich kicherte das dem Abschied innewohnende Gebot nach Vorsicht einfach nur nervös weg. Weil, was sollte schon schiefgehen: Ein erfahrener Senn würde mir den Herstellungsprozess zeigen, und ich würde diesen dann einfach sorgfältig nacharbeiten. Schließlich gibt es auch im Fall des Käsemachens „Rezepturen“, und das Ganze schien mir ähnlich zu sein wie, ähm, Teig anzurühren und Pfannkuchen daraus zu backen. So in der Art. Zum Glück hielt das dünne Eis, auf das ich mich mit dieser naiven Einschätzung einer unerfahrenen Großstädterin begab. Aber wenn ich darauf zurückblicke, mit welcher Nonchalance ich da plötzlich für tonnenweise Almmilch verantwortlich war, dann muss ich sagen: Puh! Glück gehabt!
Denn: Milch ist ein sensibler Rohstoff, und in sich eine Art geschlossenes System. Nur wenn dieses intakt ist, können während der Reifezeit im Käse jene Ab- und...
Erscheint lt. Verlag | 31.8.2023 |
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Verlagsort | Innsbruck |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Essen / Trinken ► Grundkochbücher |
Schlagworte | Anleitung zum Käse machen • Fermentation • Frischkäse • Hartkäse • Joghurt • Joghurt selber machen • Käse • Käse machen einfach • Käse selber machen • Milch fermentieren • Milchprodukte für den Hausgebrauch • Milchprodukte Rezepte • Milchprodukte selber machen • Milchprodukte zuhause machen • Schnittkäse • veganer Käse • Weichkäse • Zuhause Käse herstellen |
ISBN-10 | 3-7066-2934-8 / 3706629348 |
ISBN-13 | 978-3-7066-2934-8 / 9783706629348 |
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