Markus Babbel - It's not only Football (eBook)
288 Seiten
Edel Sports - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-98588-071-3 (ISBN)
Markus Babbel, geboren 1972 in München, ehemaliger Fußballprofi und Trainer, u. a. Bayern München, HSV, Liverpool, Stuttgart, Blackburn Rovers, Hertha BSC und Sydney, trägt die Wappen aller seiner Vereine auf dem rechten Oberarm. Er arbeitet u. a. als Fernsehexperte und betreibt auf Instagram die Kolumne 'Music Friday'. Der Vater von fünf Kindern lebt in Weinheim an der Bergstraße.
Markus Babbel, geboren 1972 in München, ehemaliger Fußballprofi und Trainer, u. a. Bayern München, HSV, Liverpool, Stuttgart, Blackburn Rovers, Hertha BSC und Sydney, trägt die Wappen aller seiner Vereine auf dem rechten Oberarm. Er arbeitet u. a. als Fernsehexperte und betreibt auf Instagram die Kolumne "Music Friday". Der Vater von fünf Kindern lebt in Weinheim an der Bergstraße. Alex Raack, geb. 1983 in Celle, ist freier Journalist und Bestseller-Autor. Buchveröffentlichungen u. a. "Volle Pulle" mit Uli Borowka, "Den muss er machen!" über die wunderbare Welt der Fußball-Klischees und "Mario Basler – Eigentlich bin ich ein super Typ".
Gerhard
„Der Gerhard hat sich umgebracht.“ Dieser Satz traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich konnte fühlen, wie etwas in mir zerbrach. Gerhard war 21 Jahre alt. Mein großes Vorbild, voller Kraft und Energie. Dieser Held meiner Kindheit sollte sich umgebracht haben? Das konnte nur ein böser Traum sein.
Doch am nächsten Morgen war alles noch genauso wie vorher. Das Haus lag in Trauer wie unter einer Dunstglocke. Hoffnung und Zuversicht schienen begraben zu sein. Wie sollte das Leben jetzt weitergehen?
Nach und nach erfuhr ich die Details. Offenbar war mein Bruder wie gewöhnlich von der Arbeit nach Hause gekommen, hatte seine Frau und sein sechs Monate altes Kind geküsst und den Feierabend mit ihnen verbracht. Er war als Glaser beschäftigt, der Chef seiner Firma betrachtete ihn bereits als seinen Nachfolger. Doch statt mit seiner Familie ins Bett zu gehen und von der Zukunft zu träumen, hatte mein Bruder gegen 19 Uhr das Haus verlassen, war mit dem Auto zu den Gleisen gefahren und hatte sich von einem heranfahrenden Zug überrollen lassen.
Ich wusste damals nur sehr wenig über den Tod, geschweige denn über Suizid. Nun erfuhr ich, dass mein Bruder offenbar mit Depressionen zu kämpfen gehabt hatte. Davon hatte ich nichts gewusst.
Das Leid und den Schmerz bei uns zu Hause ertrug ich bald nicht mehr. Ich fand vorübergehend Unterschlupf bei meinen Freunden. Sie waren erstaunt, wie gut ich mit dieser Katastrophe zurechtkam. Ich hatte den Selbstmord meines Bruders anscheinend ganz gut weggesteckt …
Wie es mir wirklich ging, zeigte sich bei der Beerdigung. Als wir vor dem offenen Grab standen und ich meine Eltern weinen sah, brach ich ohnmächtig zusammen. Mein Schwager legte mir die Beine hoch und holte mich mit einer Watschn zurück ins Leben. Ganz offensichtlich hatte ich noch gar nichts verarbeitet und weggesteckt. Ich hätte weinen oder schreien mögen oder beides gleichzeitig, doch stattdessen stand ich stumm und mit trockenem Gesicht da. Mein Bruder war tot. Und ich konnte nicht mal richtig weinen.
Am Wochenende nach der Beerdigung hatten wir ein Punktspiel mit der B-Jugend des FC Bayern. Mein Trainer bot mir an, dass ich zu Hause bleiben dürfe, falls ich mich nicht einsatzbereit fühlte.
„Nee“, sagte ich, „ich komme auf jeden Fall.“
„Bist du sicher?“, fragte er zurück.
War ich. So gut es eben ging in diesen schwierigen Tagen. Auf dem Platz fühlte ich mich auch bei heftigen Problemen gut, dort funktionierte ich einfach. Vielleicht war es also gar keine schlechte Idee, sofort weiterzumachen. Auch wenn es nur ein Punktspiel mit der B-Jugend war.
Am Samstag stand ich wie geplant auf dem Platz. Es wurden die merkwürdigsten neunzig Minuten meines Lebens. Auf der einen Seite gaben mir Trikot, Schienbeinschoner und die gewohnte Rolle als Libero eine Sicherheit, die ich seit Gerhards Tod nicht mehr gespürt hatte. Gleichzeitig ertappte ich mich während des Spieles immer wieder dabei, wie ich zu mir sagte: Dein Bruder ist tot, und du kickst hier. Am Ende war ich trotzdem froh darüber, nicht abgesagt zu haben. Das Match, die Duelle mit den Gegnern, die Sprüche in der Kabine – all das hatte mich abgelenkt und für ein paar Momente das Schreckliche vergessen lassen.
Die nächsten Tage und Wochen zogen an mir vorbei. Ich ging um 6 Uhr aus dem Haus und war erst abends nach dem Training gegen 21 Uhr wieder daheim. Ich hatte eine Lehre als Industriemechaniker begonnen, die Zeit als Azubi half mir dabei, weiterzumachen. An der Dunstglocke voller Trauer änderte das wenig. Nach der ersten Schockstarre kamen die Fragen, die niemand beantworten konnte: Warum hatte ich nicht rechtzeitig erkannt, dass mein Bruder krank war? War ich mitschuldig an seinem Freitod? Warum, zum Teufel, hatte er sich für diesen Weg entschieden? Warum hatte er sich keine Hilfe geholt?
Zwischendurch war ich immer wieder wütend auf Gerhard. Wie hatte er das seiner Familie antun können? Wie hatte er mir das antun können? Es machte mich fassungslos, daran zu denken, was gewesen wäre, wenn. Was hätten wir als Brüder alles gemeinsam reißen können! Er als Chef einer Glaserei, ich als Fußballer? Wir als Team Babbel?
Dass Gerhard keinen Brief hinterlassen hatte, nicht den kleinsten, versteckten Hinweis, machte die Sache nur schlimmer. Drei Tage vor seinem Tod hatten wir noch den Geburtstag unserer Mama gefeiert. Im Nachhinein erinnerte ich mich, dass mein Bruder ziemlich ausgelaugt gewirkt und sich zwischendurch hingelegt hatte. Nicht gerade typisch für ihn. Etwas gesagt hatte er nicht. Natürlich nicht. In unserer Familie wurde wenig gesprochen. Oft genoss ich das: diese angenehme Schweigsamkeit, diese Ruhe. Doch in einer Katastrophe wie dieser zeigte sich, dass Schweigen eben nicht immer Gold ist. Viele Dinge, viele Emotionen, blieben unter Verschluss. Gedanken machte ich mir vor allem wegen meiner Mutter. Sie konnte mir nicht helfen, ich konnte ihr nicht helfen. Heute sagt sie, dass ich sie damals allein schon mit meiner Anwesenheit unterstützt hätte. Damals kam es mir so vor, als wenn das nicht ausreichen würde, um den Schmerz zu lindern. Doch schmiedete uns der Tod von Gerhard im Laufe der Zeit noch mehr zusammen.
Die Tage und Wochen in jenem Herbst 1989 waren getränkt von Erinnerungen an meinen großen Bruder. Wie wir früher in unserem langen Flur stundenlang eins gegen eins gespielt hatten, die Badezimmertür als heiß umkämpftes Tor. Die vier Jahre Altersunterschied hatte ich in jedem Zweikampf zu spüren bekommen. Oder die Skiausflüge mit unserem Opa, stets begleitet von meinem empfindlichen Magen. „Wenn du es nicht zurückhalten kannst, dann spuck halt in den Skischuh“, hatte mein Großvater auf einer dieser Fahrten gesagt. Was ich dann auch tat – in den Skistiefel von Gerhard. Zu Hause hatten wir viele Jahre ein Zimmer geteilt, ich oben, er unten in unserem Etagenbett. Ich war beeinflusst von seinem Musikgeschmack. Ob Metal oder Rock, mein Bruder besaß immer die heißesten Scheiben – Running Wild, Iron Maiden, Scorpions –, die ich in unseren Jugendtreff mitnahm. Im Bayern der frühen Achtziger bedurfte es eines großen Bruders, der einem diese Musik nahebrachte. Auf Bayern 1 liefen den lieben langen Tag nur Humptata und Schlager rauf und runter. Gerhard hielt mit Iron Maiden dagegen und trug lederne Cowboystiefel, die ich saucool fand. Noch cooler war es, dass er mir diese Teile irgendwann überließ.
Selbst ich merkte, dass mein Bruder ein hübscher Typ war, den die Mädchen anhimmelten. Lange, dunkle Haare, muskulöser Körper. Aber er hätte auch klein, dick und unattraktiv sein können, für mich war Gerhard immer der coole große Bruder, zu dem ich aufschaute. Was würde ich heute dafür geben, noch einmal mit ihm im Auto zu sitzen und einfach durch die Gegend zu fahren. Fenster runter, die Musik voll aufgedreht. Die Brüder Babbel auf der Überholspur des Lebens.
Es gibt ein Foto von meinem großen Triumph in der B-Jugend, wenige Monate vor Gerhards Tod. Die ganze Mannschaft ist da drauf zu sehen, außerdem Betreuer, Trainer, enge Wegbegleiter. Einer von ihnen ist mein Bruder. Er steht da in einem unauffälligen Trainingsanzug und grinst in die Kamera. Dieses Bild war und ist seit seinem Tod ein Heiligtum für mich. Inzwischen hat es mein Sohn und irgendwie schließt sich damit ein Kreis.
Am meisten tat mir im Nachhinein meine Mutter leid. Oder vielmehr, dass ich ihr nicht besser helfen konnte. Ich orientierte mich bei der Bewältigung solcher Probleme an meinem Vater: Bloß nicht drüber sprechen, lieber runterschlucken und ganz tief unten vergraben, Vorhängeschloss drum und weitermachen. Ausbildung beenden, Fußball spielen, Freunde treffen. Dabei wäre es so viel besser gewesen, wenn dieses große Unglück nicht totgeschwiegen worden wäre. Wenn wir eine Möglichkeit gefunden hätten, offen über unsere Gefühle zu sprechen, über unseren Schmerz. Gut, dass in unserer Gesellschaft heute so viel offener und ehrlicher über Emotionen gesprochen wird als noch vor drei Jahrzehnten. Damals musste ein 17-Jähriger allein damit klarkommen, dass sich sein Bruder das Leben genommen hat. Er musste auch damit klarkommen, die eigene Mutter leiden zu sehen, hilflos, ohne Möglichkeiten, sie bei der Aufarbeitung der Trauer zu unterstützen. Ich bin mir sicher, dass es meiner Mama gutgetan hätte, über Gerhards Tod zu sprechen. Aber das war im Hause Babbel nicht möglich. Erst später haben wir das nachgeholt und viel zusammen geweint. Ein Trost für uns beide.
Wirklich ernsthaft mit dem Thema beschäftige ich mich vermutlich erst, seit ich meine Frau kenne. In ihrer Familie wird lieber einmal zu viel als einmal zu wenig über die großen und kleinen Dinge gesprochen, was vielleicht auch seine Nachteile hat. Mir hat es aber dabei geholfen, überhaupt über Gerhards Schicksal zu reden.
Bis zu der Arbeit an diesem Buch hatte ich mich erst einmal öffentlich zu diesem traumatischen Ereignis geäußert. Am 10. November 2009 befand ich mich – noch als Chefcoach beim VfB Stuttgart – gerade auf einer Trainertagung, als uns die furchtbare Nachricht von Robert Enkes Suizid erreichte. Ich hatte Robert als Gegenspieler auf dem Platz erlebt, sonst aber keine Verbindung zu ihm gehabt. Sein Tod schockierte mich. Sofort kamen die Erinnerungen an den Herbst 1989 hoch. All der Schmerz, das stumme Entsetzen, die jahrelangen Folgen. Ich wusste, welcher Albtraum jetzt auf die Angehörigen von Robert zukommen würde, und es brach mir das Herz. Auf einer Pressekonferenz sprach ich seiner Familie und seinen Freunden mein Mitgefühl aus – und erwähnte dabei auch das Schicksal meines...
Erscheint lt. Verlag | 7.10.2023 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Sport ► Ballsport |
Schlagworte | Australien • Babel • Buch Fußballer • Buch Fußball Experte • DFB • EM 1996 • Europameisterschaft 1996 • exklusive Einblicke • Experte • FC Bayern München • FC Liverpool • Fußball Australien • Fußballbuch • Fußball Buch • Fußball-Buch • fußballer biografie • Fußballer-Biografie • Fussball-Trainer • fußballtrainer buch • Fußball TV Moderatoren • Geschenk-buch Männer • Guillan-Barré-Syndrom • Hertha BSC • HSV • Mario Basler • Nationalelf • Nationalmannschaft • Oliver Kahn • Sebastian Deisler • Sportler-Biographie • Trainer Biografie • TSG Hoffenheim • TV Experte • TV Moderatoren • VfB Stuttgart |
ISBN-10 | 3-98588-071-9 / 3985880719 |
ISBN-13 | 978-3-98588-071-3 / 9783985880713 |
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