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Fräulein Draußens Gespür für Wildnis (eBook)

Wilde Natur entdecken mit der beliebten Outdoor-Bloggerin
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3004-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fräulein Draußens Gespür für Wildnis -  Kathrin Heckmann
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»Kathrin Heckmann ist es gelungen, abstrakte Vorstellungen von Wildnis durch persönliche und lebendige Schilderungen zu bereichern. Das macht Mut und inspiriert.« Thorsten Hoyer, Chefredakteur Wandermagazin Die Sehnsucht nach Wildnis zog Kathrin Heckmann alias Fräulein Draußen jahrelang raus in die Welt. Aber muss man wirklich weit reisen, um die Wildnis zu spüren? Um das herauszufinden, tauscht Kathrin ferne Reiseziele gegen heimische Gefilde. Denn wo könnte man der Essenz von Wildnis besser auf die Spur kommen als dort, wo sie objektiv betrachtet am schwersten zu finden ist? Zu Fuß, per Rad und Boot erkundet sie die unterschiedlichsten Landschaften Deutschlands. Immer auf der Suche nach diesem ganz besonderen Gefühl von Verbundenheit zur Natur, von Freiheit und Abenteuer, das längst nicht nur im australischen Outback oder der patagonischen Steppe verborgen liegt (auch wenn es dort vielleicht leichter zu entdecken ist). Und schnell wird klar: Wildnis kann man weder suchen noch finden. Wildnis kann man nur geschehen lassen.

Kathrin Heckmann ist Chef-Abenteurerin des Blogs 'Fräulein Draußen', der zu den erfolgreichsten Outdoor-Reiseblogs im deutschsprachigen Raum zählt. Dort schreibt sie seit 2013 über ihre Reisen, Wanderungen und Erlebnisse in und mit der Natur. Zuvor studierte die Autorin Kommunikationswissenschaft, Journalismus und Skandinavistik an der Universität Wien und arbeitete anschließend einige Jahre als Marketing- und Medienspezialistin für große Konzerne.

Kathrin Heckmann ist Chef-Abenteurerin des Blogs "Fräulein Draußen", der zu den erfolgreichsten Outdoor-Reiseblogs im deutschsprachigen Raum zählt. Dort schreibt sie seit 2013 über ihre Reisen, Wanderungen und Erlebnisse in und mit der Natur. Zuvor studierte die Autorin Kommunikationswissenschaft, Journalismus und Skandinavistik an der Universität Wien und arbeitete anschließend einige Jahre als Marketing- und Medienspezialistin für große Konzerne.

Kapitel 2


HEIMAT UND NEULAND


Newtons Gravitationsgesetz besagt, dass die Schwerkraft der Erde schwächer wird, je weiter etwas von ihr entfernt ist. Ein Körper, der auf der Erde hundert Kilogramm wiegt, würde zehntausend Kilometer von ihr entfernt nur noch fünfzehn Kilogramm auf die Waage bringen. Ich war allerdings keinen einzigen Meter von ihr entfernt, sondern befand mich unmittelbar auf der dünnen Grenzfläche zwischen Erdkruste und Atmosphäre. Die einzige logische Schlussfolgerung: Irgendetwas war mit der Erde kaputt. Denn sich so leicht zu fühlen war eigentlich unmöglich auf der Oberfläche eines Planeten, der mit 9,81 Newton pro Kilogramm jegliche Masse an sich heranzieht. Das – oder ich hatte es doch irgendwie auf den Mond geschafft, wo die Schwerkraft immerhin nur noch ein Sechstel von der Gravitation der Erde beträgt. Auf dem Mond kann man rund drei Meter hochspringen und etwa vier Sekunden in der Luft verweilen, bevor man wieder auf seiner Oberfläche landet. Ja, das klang durchaus machbar für mich, obwohl es um mich herum doch bestechend irdisch aussah. Ich hatte gerade erst den kleinen Fährhafen von Lindau hinter mir gelassen, wo bereits in den frühen Morgenstunden die ersten Touristen Plastikstühle und Uferbänke besetzt hatten. Jetzt schwappte der Bodensee fast leblos neben mir, das gegenüberliegende Ufer des größten Binnensees Europas kaum sichtbar in der Ferne. Dazwischen eine große Fläche funkelndes, leicht gewelltes Wasser, hier und da ein regungslos schwimmender Schwan und ein paar Frühaufsteher auf perfekt ausbalancierten Paddleboards, mehr herumstehend als paddelnd. Ich hörte nicht viel, nur den kreischend durch die Luft schneidenden Ruf einiger Lachmöwen. Und das gleichmäßige, leichtfüßige Tap-tap-tap meiner Trailrunner auf dem Schotterweg. Ungefähr einhundertsiebzig Schritte pro Minute, angeführt von Beinen, die sich wie von allein bewegten, frei von Schwere und Mühe. Das verglichen mit meinen üblichen Laufrunden ungewohnt hohe Gewicht auf meinem Rücken schien ihnen nichts auszumachen. Und die Herausforderung, die vor mir lag, schien sie nicht im Geringsten zu irritieren. Ich könnte das für immer tun, ich will das für immer tun, einfach nie wieder aufhören, das war alles, was ich auf diesen ersten Kilometern denken konnte. Und: Vielleicht wird das alles ja gar nicht so anstrengend wie angenommen. Es war der trügerische Rausch von Endorphinen und Adrenalin, der mir zu dieser Annahme verholfen hatte. Denn es sollte ziemlich genau so anstrengend werden. Und noch vieles mehr.

In der deutschen Sprache gibt es kein gutes Wort für »laufen«, kein Äquivalent für Ausdrücke wie das englische running oder das niederländische hardlopen. Wenn man sagt, dass man einen Marathon laufen möchte, weiß natürlich jeder, was damit gemeint ist. Wenn man sagt, dass man den Maximiliansweg laufen möchte, dann sieht die Sache schon ganz anders aus. Joggen ist jedenfalls nicht das richtige Wort. Joggen ist eher das, was man sonntagmorgens zwischen Bett und Bäcker macht, in Schlabberhosen und Kapuzenpulli, um zumindest einmal pro Woche ein bisschen Sport getrieben zu haben. Rennen hingegen klingt zu sehr nach Arbeit, nach sehr kurzen Laufhosen und roter Tartanbahn. Laufen liegt ziemlich genau dazwischen, wird aber oft auch gleichbedeutend für Gehen und Wandern benutzt. Und diese Tatsache stellte mich seit einigen Jahren in meinem beruflichen und privaten Leben regelmäßig vor größere Kommunikationsprobleme. »Hab eine schöne Wanderung!«, rief mir eine Freundin noch über die Schulter zu, nachdem wir uns am Abend vor Start meines Abenteuers verabschiedet hatten. Ich hatte vorher eher beiläufig erwähnt, dass ich die kommenden zehn Tage vom Bodensee an den Königssee »laufen« wollte. Dass ich dafür durchschnittlich zweiundvierzig Kilometer und zweitausend Höhenmeter pro Tag zurücklegen würde, mit leichten Trailrunningschuhen an den Füßen und mit allem, was ich brauchte, in einem kleinen Sechzehn-Liter-Laufrucksack verstaut, hatte ich nicht angesprochen. Ich ließ ihren Wunsch daher einfach mal fürs Erste so stehen, lächelte und bedankte mich. Die Wahrheit würde sie dann schon noch früh genug erfahren. Und ich selbst auch. Denn ich hatte keine Ahnung, wie und ob ich den Königssee in zehn Tagen wirklich erreichte. Und somit war es bestimmt keine schlechte Idee, die Erwartungen anderer eher niedrig zu halten. Auch wenn meine eigenen durchaus etwas höhergesteckt waren: »So viel laufen wie möglich, so wenig gehen wie nötig« lautete mein gleichzeitig bewusst ungenau formuliertes und doch in die Pflicht nehmendes Ziel. Und natürlich glücklich, gesund und mit zwei intakten Beinen am anderen Ende des bayerischen Alpenkamms anzukommen.

Die ersten zwanzig Kilometer meiner Tour führten mich einmal rund um die äußerste Ostspitze des Bodensees. Nach und nach füllte sich die Uferpromenade zwischen Lindau und Bregenz mit Spaziergängern und Radfahrern. Normalerweise ist es nicht meine Art, meine Emotionen allzu offen auf meinem Gesicht vor mir herzutragen. Doch jetzt konnte ich mir ein breites Grinsen in Richtung jedes einzelnen Gesichts, das mir an diesem Morgen begegnete, nicht verkneifen. Ich war tatsächlich hier, obwohl ich morgens noch erst die U-Bahn und dann den Zug verpasst hatte, obwohl ich den Verschluss meiner Trinkblase nicht gefunden hatte und dann zu allem Überfluss noch meine mit klebrigen Elektrolyten gefüllte Flasche im Rucksack ausgelaufen war. Ich war hier, obwohl ich bis zum Schluss nicht wirklich daran geglaubt hatte. Ich war hier, ich lief hier, obwohl ich bis vor zweieinhalb Jahren noch gedacht hatte, dass das mit dem Laufen und mir wohl nie etwas werden würde. Weil ich es schon so oft versucht hatte und nie wirklich dabeigeblieben war, immer von irgendeiner Verletzung oder schlichtweg von akuter Laufunlust heimgesucht worden war. Weil ich eben ganz offensichtlich einfach nicht zum Laufen geboren war, und das galt es ein für alle Mal zu akzeptieren. Auch wenn das Bedürfnis zu laufen in regelmäßigen Abständen in mir aufkeimte.

Dann kam Schweden, die Reise, mit der mein letztes Buch geendet hat. Zwei Monate hab ich dort in einem kleinen rot-weißen Haus verbracht, ganz allein, im Winter, um mein Buch zu schreiben, oder zumindest damit zu beginnen. Meine tägliche Fünf-Kilometer-Runde wurde zum lieb gewonnenen und wichtigen Ritual. Anfangs noch spazieren gehend, dann immer öfter laufend, bis aus den fünf Kilometern irgendwann zehn wurden und ich einfach nicht mehr mit dem Laufen aufgehört habe. Nach Schweden nicht, nach meinem ersten Halbmarathon nicht, nach meinem ersten Berglauf nicht und nach meiner ersten Ultramarathondistanz auch nicht. In dem Moment nämlich, in dem ich aufgehört hatte, das Laufen als etwas zu betrachten, was ich tun musste, wurde es zu etwas, was ich tun wollte. Ich lief nicht, weil ich eine Läuferin werden wollte oder weil ich irgendein höheres Ziel verfolgte. Ich dachte nicht darüber nach, wie weit oder schnell ich lief, oder gar, wie weit und schnell andere Menschen liefen. Machte mir keine Sorgen darum, ob ich morgen oder gar nächste Woche auch noch laufen würde. Ich ging einfach nur laufen, weil ich es wollte und konnte, an diesem Tag, in diesem Moment. Und wenn ich danach nie wieder meine Laufschuhe schnüren würde, dann wäre das eben so. Glücklicherweise habe ich sie am nächsten Tag wieder geschnürt, und an vielen Tagen danach. Seit diesen ersten Läufen auf den vereisten Straßen im winterlichen Südschweden hat sich das Laufen schlichtweg zu einer der wichtigsten Konstanten in meinem Leben entwickelt. Die Gründe dafür sind so zahlreich, dass ich sie in einem Buchkapitel gar nicht alle aufzählen kann. Aber einer der wichtigsten ist wohl, dass das Laufen meine regelmäßige, ziemlich kraftvolle Erinnerung daran ist, dass ich Dinge tun kann, von denen ich nicht gedacht hätte, dass ich sie tun könnte. Ich bin vielleicht nicht zum Laufen geboren wie manch andere Menschen. Aber ich bin nach und nach an einen Punkt gelangt, an dem es sich wie ein Teil von mir anfühlte. Und an dem sich selbst zwanzig Lauf-Kilometer (manchmal) nach nicht besonders viel anfühlten. An diesem Morgen am Bodensee fühlten sie sich nach nichts an. Und gleichzeitig nach allem, was mir wichtig war.

Auf dem Jupiter ist die Schwerkraft in etwa zweieinhalbmal so hoch wie auf der Erde. Ein Mensch mit siebzig Kilogramm Körpergewicht würde dort also rund einhundertfünfundsiebzig Kilogramm wiegen. Einhundertfünfundsiebzig Kilogramm, das kam in etwa hin. Zumindest, was das geschätzte Gewicht pro Bein anbelangte. Es lagen nur noch eine Handvoll Kilometer bis zum ersten Ziel meiner Etappe vor mir, über eine kleine Asphaltstraße in welligem Gelände. Die Hitze des Tages war weitestgehend verflogen, um mich herum fiepten und zirpten die Grillen auf grünen Weiden, Kühe nahmen ihr Frühstück noch mal als Nachmittagssnack ein, und ein alter, kleiner Traktor schob sich gemächlich hinter mir den Hügel hinauf. Beste Bedingungen für ein idyllisches Nachmittagsläufchen eigentlich – zumindest, wenn man nicht schon einen Marathon und über tausend Höhenmeter hinter sich hatte. Meine kläglichen Versuche, die letzten Kilometer bis zu meiner...

Erscheint lt. Verlag 27.7.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturführer
Schlagworte Abenteuer • Berge • Darß • Deutschland • draußen • Entdecken • Heimat • Landleben • Landlust • Meer • Mikroabenteuer • Natur • Reise • See • Sehnsucht • Unterwegs • Walden • Wandern • Wildnis
ISBN-10 3-8437-3004-0 / 3843730040
ISBN-13 978-3-8437-3004-4 / 9783843730044
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