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Berlin (eBook)

Biographie einer großen Stadt | Erweiterte Neuausgabe

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
992 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01792-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Berlin -  Jens Bisky
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Jens Bisky legt eine Gesamtdarstellung der Geschichte Berlins vor, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hat, vom Dreißigjährigen Krieg bis in die Gegenwart. Eine faszinierende Erzählung über Aufstieg, Fall und Neubeginn - und zugleich ein packendes Panorama deutscher wie europäischer Geschichte im Spiegel einer einzigartigen Metropole. Parvenü der Großstädte, Labor der Moderne, Symbol des zerrissenen 20. Jahrhunderts: In Berlin konzentriert sich nicht nur deutsche, sondern auch europäische Geschichte. Beides hat Jens Bisky im Blick, wenn er die Entwicklung der Stadt seit ihrem Aufstieg zur preußischen Residenz schildert. Berlin war äußerst wandlungsfähig und offen: für die verfolgten französischen Hugenotten und die Denker der Aufklärung unter Hohenzollernherrschaft; später als Metropole der Proletarier und Großindustriellen, der Künstler und Journalisten und als «Place to be» der Goldenen Zwanziger. All das wird bei Bisky anschaulich erfahrbar, genauso aber auch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und die spannungsgeladene Atmosphäre nach 1945, als sich hier die großen Machtblöcke gegenüberstehen.

Jens Bisky, geboren 1966 in Leipzig, studierte Kulturwissenschaften und Germanistik in Berlin. Er war lange Jahre Feuilletonredakteur der «Süddeutschen Zeitung» und arbeitet seit 2021 am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er ist Autor viel beachteter Bücher, darunter «Geboren am 13. August» (2004), «Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit» (2011) und «Berlin. Biographie einer großen Stadt» (2019). 2017 verlieh ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay.

Jens Bisky, geboren 1966 in Leipzig, studierte Kulturwissenschaften und Germanistik in Berlin. Er war lange Jahre Feuilletonredakteur der «Süddeutschen Zeitung» und arbeitet seit 2021 am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er ist Autor viel beachteter Bücher, darunter «Geboren am 13. August» (2004), «Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit» (2011) und «Berlin. Biographie einer großen Stadt» (2019). 2017 verlieh ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay.

Unwille


Die Mark hatte keine Hauptstadt. Der Herr des Landes, mit dessen Besitz die Kurwürde und das Amt des Reichserzkämmerers verbunden waren, residierte an mehreren Orten. In Berlin diente dazu das Hohe Haus, direkt an der Stadtmauer, nördlich der Klosterkirche gelegen. Der beinah quadratische Ziegelbau mit Keller und zwei fünf Meter hohen Geschossen beherbergte auch den Hohenzollern Friedrich, als er 1440 die Erbhuldigung entgegennahm. Er war noch nicht dreißig Jahre alt, in Tangermünde, der früheren Kaiserpfalz Karls IV., geboren und am polnischen Königshof in Krakau aufgewachsen. Sein Auftreten im November 1440 irritierte, sorgte für Aufregung. Friedrich ließ sich zuerst vom Rat und von den Bürgern huldigen, sie schworen ihm Treue und Gehorsam, was sonst, «alze vns god helffe vnd dy heiligen», und erhielten eine Antwort, die sie nicht befriedigen konnte, ja beunruhigen musste. Ihre Privilegien bestätigte Friedrich II. lediglich «mit schlechten worden», «nicht in eydes stad tu den hilgen».[1] In einfachen Worten, nicht an Eides statt, ohne die Heiligen zu bemühen – das klang, als sei er im Fall der Fälle bereit, die Rechte der Berliner und Cöllner hintanzusetzen.

Der Vorfall wurde eigens im Berlinischen Stadtbuch festgehalten, man nahm ihn also sehr ernst. In diesem Buch verzeichneten Schreiber seit dem Ende des 14. Jahrhunderts, nachdem so viele Urkunden verbrannt und verloren gegangen waren, die Einnahmen und Ausgaben der Stadt, landesherrliche Privilegien, Statuten des Rats, das Schöffenrecht, entdeckte und bestrafte Verbrechen, Schuldbriefe und einiges mehr. Zwei Bilder eröffneten die Sammlung der Rechtsgrundlagen des damaligen städtischen Lebens: Christus als Richter und Maria mit dem Jesuskind als Fürbitterin.[2]

Der Schreiber verband die Bemerkung zur Huldigung für Kurfürst Friedrich II. mit einem Hinweis für künftige Generationen: «Item tu merken, in kumftigen tyden.» Der gnädige Herr solle erst die Privilegien in aller Form bestätigen und «dy confirmacie» in Gegenwart des Rats und aller Bürger verlesen lassen. Wer das notierte, rechnete mit Konflikten.

Die Stadt war darauf vorbereitet. Sie hatte einige landesherrliche Rechte erworben. Die sogenannte Niederlage war ihr verliehen worden; diese zwang Kaufleute, die Waren durch Berlin transportierten, eine Gebühr zu bezahlen. Die Gerichtsgewalt hatte Berlin 1391 gekauft. Um sich gemeinsam gegen Angriffe vonseiten der Fürsten, des Adels oder der Geistlichkeit zu wehren, wurde 1431 ein Bündnis mit anderen märkischen Städten geschlossen. Kontakte zur Hanse, dem mächtigsten Gegenspieler städtefeindlicher Politik, waren geknüpft. 1432 gaben sich Berlin und Cölln ein Statut, das der Gemeinsamkeit eine neue Grundlage schuf – oder doch schaffen sollte. Sie war immer wieder durch Zänkereien um Geld beeinträchtigt worden. Nun einigten sich die Räte auf ein Zusammengehen und Regeln, um Streit künftig zu vermeiden.

Der Berliner Rat hatte üblicherweise zwölf Mitglieder, der Cöllner wohl sechs. Aus ihren Reihen wählten sie Bürgermeister und bestimmten ihre Nachfolger, die Amtszeit endete nach einem Jahr. Allerdings berieten der alte und der neue Rat meist gemeinsam, auch war es Brauch geworden, dass die Zurücktretenden wieder ihre Vorgänger wählten, sodass ein kleiner Kreis der Bürger, Kaufleute aus den ratsfähigen Geschlechtern, die Geschicke der Stadt über längere Zeit bestimmte. Das Verhältnis von Rat und Bürgern erinnert an das von Obrigkeit und Untertanen, die von der Mitwirkung an städtischen Angelegenheiten und sie betreffenden Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen sind.

Die wichtigste Aufgabe der Ratsleute und Bürgermeister bestand in der Verwaltung des Vermögens, der Einkünfte und Ausgaben. Auch beaufsichtigte der Rat die Innungen.[3] Unter diesen standen die Knochenhauer, Tuchmacher, Schuhmacher und Bäcker obenan, die «Viergewerke». Die übrigen Handwerker zählten zur «Meinheit», zu den geringeren Bürgern. Der Vertrag von 1432 wurde mit Zustimmung der «Viergewerke» und der «Meinheit» geschlossen. Vorgesehen war die Wahl eines gemeinsamen Rates durch die Bürgermeister und Ratsmänner beider Städte.[4] Im Rathaus auf der Langen Brücke sollten sie fortan zusammen beraten und entscheiden. Berlin hatte zwei Bürgermeister und zehn Ratsmänner zu bestimmen, Cölln fünf Ratsleute und einen Bürgermeister. Das städtische Eigentum sollte vereint werden, aber so, dass keiner eine Beeinträchtigung erlitt. Die Wiesen, Wälder, Äcker durften von Bürgern beider Städte genutzt werden. Es galt ein gemeinsames Bürgerrecht. Die Innungen blieben vorerst getrennt, doch wurde nicht ausgeschlossen, dass der Rat sie eines Tages zusammenführt. Cölln beglich mit einer Entschädigungszahlung ältere Ansprüche.

Die Bestimmungen scheinen ausgewogen, die Vorteile des Zusammengehens ebenso berücksichtigt wie Gewohnheitsrechte. Drei Jahre später, 1435, erwarb der Rat großen ländlichen Besitz, die Güter des Johanniterordens, Tempelhof, Rixdorf, Marienfelde, Mariendorf. Stärker als in diesem historischen Augenblick ist Berlin nie zuvor gewesen. An diesem Wendepunkt scheint eine andere Zukunft leicht vorstellbar. Hätte die Stadt durch Zukauf ein geschlossenes Territorium um sich herum in Besitz genommen; hätte das Hilfsversprechen auf dem Lübecker Hansetag im Juni 1435, an dem Berlin neben Stendal, Frankfurt, Salzwedel teilnahm, die Feinde städtischer Freiheiten tatsächlich zurückschrecken lassen; hätte der Rat die neue Einheit geschickt verwaltet – dann wäre Berlin vielleicht eine große Handelsstadt geworden statt Residenz der Hohenzollern. Die Landesherren hätten Tangermünde zur Hauptstadt wählen können. Doch wer auf diese Weise spekuliert, vergisst den innerstädtischen Zwist und die Unzufriedenheit der selbstbewussten Innungen angesichts der patrizischen Obrigkeit im Rathaus auf der Langen Brücke. Die Einigung der Räte von Cölln und Berlin konnte den Streit der Bürger untereinander nicht beruhigen, auch wenn zur Beratung und Kontrolle ein Sechzehner-Ausschuss aus nicht ratsfähigen Berlinern gebildet worden war.

Wenige Jahre später erhielt der Kurfürst die Gelegenheit, den Rat in die Schranken zu weisen. Friedrich II. war nicht der Mann, sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Man hat ihn einerseits den «Eisernen», den «Eisenzahn» genannt und ihm andererseits eine melancholische Grundstimmung nachgesagt, weil seine Braut, eine polnische Königstochter, früh verstorben war. Seinen Triumph über das Selbständigkeitsstreben der Städte erzielte er dank einer Mischung aus Härte und Umsicht.

Ende 1441, spätestens Anfang 1442 hatten sich die Konflikte zwischen der Obrigkeit und den Bürgern derart zugespitzt, dass diese keinen anderen Ausweg fanden und den Landesherrn als Schiedsrichter anriefen. Die «Viergewerke» und die Gemeinde klagten, dass die Vereinigung nichts als Verderben gebracht habe. Der gemeinsame Rat rechtfertigte sich und übergab Friedrich II. die Schlüssel der Stadttore. Am 26. Februar 1442 schied der Landesherr die Städte wieder und untersagte ein neuerliches Zusammengehen. Zwölf Ratsmänner sollten Berlin, sechs Cölln regieren, auf immer getrennt voneinander. Er verlangte, künftig in beide Räte auch Männer aus den «Viergewerken» und gemeine Bürger zu wählen. Die Namen der Gewählten waren ihm vorzulegen, demonstrativ betonte er sein Recht, sie zu bestätigen oder abzulehnen und anstelle der Abgelehnten andere einzusetzen. Auch Bündnisse mit anderen Städten sollte es nur mit seiner ausdrücklichen Genehmigung geben, bestehende seien aufzulösen.

Welche Ereignisse die Lage in Berlin hatten eskalieren lassen, was durch die Vereinigung schlechter geworden war, was die Verwaltung schließlich paralysierte, ist anhand der überlieferten Urkunden schwer auszumachen. Spätere Berichte widersprechen einander. Im Kern ging es um die Macht in der Stadt, um den Unwillen der Handwerker und geringeren Bürger, dauerhaft von der Selbstverwaltung ausgeschlossen zu sein, die allein in den Händen der ratsfähigen Geschlechter lag, und um den Unwillen der Regierenden, das geschlossene System der Selbstergänzung zu ändern.

Die Einsetzung der neuen Räte für Berlin und Cölln bildete nur den Auftakt dafür, die Zerstrittenen vollends niederzuwerfen. Mit der Begründung, sie seien ohne Zustimmung des Landesherrn gekauft worden, beschlagnahmte Friedrich II. die von den Johannitern erworbenen Güter. Am 29. August 1442 wurde zwischen dem Landesherrn und den Städten ein Vertrag geschlossen, der ihnen mannigfache Übeltaten vorwarf, ihnen ihr Eigentum zurückgab und dafür vieles einkassierte. Friedrich «Eisenzahn» nahm sich die Niederlage, die Berlin 1298 überlassen worden war, das Gericht, das Berlin 1391 gekauft hatte, das gemeinsame Rathaus, in dem der von ihm abgesetzte Rat getagt hatte. Und er verlangte einen Bauplatz für ein Schloss in Cölln, eine befestigte Wohnung nach seinem Belieben, mit Mauern, Türmen, Brücken. Berlin und Cölln gestanden all das zu. Der Vertrag war ohne Gewaltandrohung, unter Vermittlung von Ratsleuten anderer Städte, zustande gekommen. Das Fehlen entschlossenen Widerstands der Berliner und Cöllner ist wohl am ehesten darauf zurückzuführen, dass sie durch den andauernden Streit zwischen den Gewerken und dem Rat zu geschwächt waren.

Friedrich II. ergriff die Partei der oppositionellen Handwerker gegen die...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Zusatzinfo Zahlr. s/w-Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Schlagworte Aufklärung • Berlin • Bombenkrieg • Brandenburg • Deutsche Geschichte • Eiserner Vorhang • Europäische Geschichte • Friedrich II. • Goldene Zwanziger • Gründerzeit • Hauptstadt • Hohenzollern • Industrialisierung • John F. Kennedy • Kalter Krieg • Kulturgeschichte • Mauerbau • Mauerfall • Mittelalter • Nationalsozialismus • Preußen • Revolution • Sachbuch Berlin • Schinkel • Sektoren • Spree • Stadtgeschichte • Teilung • Weltstadt • Wiedervereinigung • Willy Brandt
ISBN-10 3-644-01792-1 / 3644017921
ISBN-13 978-3-644-01792-4 / 9783644017924
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