Sicher und frei reden (eBook)
140 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61747-0 (ISBN)
Prof. Dr. Ulla Beushausen, Psycholinguistin, Logopädin; Verhaltens- und Kommunikationstrainerin; lehrt Logopädie an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim / Holzminden / Göttingen, eigene Praxis in Nürnberg. Net: www.sicher-reden.de
Prof. Dr. Ulla Beushausen, Psycholinguistin, Logopädin; Verhaltens- und Kommunikationstrainerin; lehrt Logopädie an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim / Holzminden / Göttingen, eigene Praxis in Nürnberg. Net: www.sicher-reden.de
2Angst vor der Angst?
Christiane M. sollte bei einer Preisverleihung die Gewinnerin ankündigen. Während sie auf dem Podium vor dem Mikrofon stand, durchlitt sie Höllenqualen. Wie sie gesprochen hat, weiß sie im Nachhinein nicht mehr, obwohl es nur wenige Sätze waren. Aber an ihre Aufregung erinnert sie sich in allen Einzelheiten. „Mein Gott“, dachte sie, „wenn das nun jedes Mal so ist, wenn ich öffentlich sprechen muss?“
Viele Sprecher, die einmal Sprechangst am eigenen Leibe erlebt haben, beginnen irgendwann unter der Angst vor der Angst zu leiden, also unter der Furcht vor dem erneuten Auftreten der körperlichen Anzeichen für Angst. Generell ist diese Angst vor der Angst berechtigt. Einen so unangenehmen Zustand möchte man nicht noch einmal erleben. In der Regel bewältigen wir jedoch unsere Aufgaben trotz des großen Stresses zufrieden stellend. Die Angst vor der Angst entsteht häufig dann, wenn die körperlichen Symptome in einer bestimmten Situation sehr stark waren, also z. B. bei einer Panikattacke oder wenn die persönliche Leistungsfähigkeit (z. B. in einer Prüfung) durch die Angst beeinträchtigt wurde. Auch die Angst, dass in einer wichtigen Situation (etwa einem Vorstellungsgespräch) die eigene Unsicherheit bemerkt werden könnte und der soziale Umgang mit den anderen dadurch unbeholfen wirkt, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn selbstsicheres Auftreten wird in vielen gesellschaftlichen Bereichen vorausgesetzt.
Der Teufelskreis der Angst
Eine physische Anspannung in einer öffentlichen Redesituation wird von einem Sprecher als Angst gedeutet. Damit beginnt er, über die Angst nachzudenken, z. B. über ein mögliches Versagen oder eine Blamage vor den Zuhörern. Da er das natürlich vermeiden will, instruiert er sich: Das darf nicht sein! Und überprüft bei nächster Gelegenheit erneut seinen Körper und seine Gedanken auf mögliche Anzeichen von Angst. Die Wahrnehmung wird dabei immer geschulter, sodass schon kleinste Anzeichen von Rotwerden oder vermehrter Schweißproduktion bemerkt werden und Anlass zur Sorge geben. Wahrscheinlich bemerkt er sogar eine noch stärkere Angst als beim ersten Mal und erlebt ein Gefühl des Kontrollverlustes, da sein Körper ihm ja offensichtlich so wenig gehorcht. Dies ist der Beginn eines Angstkreislaufs, der zu einem Teufelskreis werden kann: Mit jeder neuen Situation läuft dasselbe Bewertungsmuster ab und das, was er eigentlich vermeiden will, wird mit jedem Durchlauf stärker und schaukelt sich hoch: die Sprechangst.
Solche inneren Bewertungskreisläufe lernen wir meistens schon in unserer Kindheit und speichern alle positiven und negativen Erfahrungen im Zusammenhang damit ab. Je häufiger wir die Angst als schlimm bewertet haben, desto öfter meiden wir Situationen, in denen sie wieder auftreten könnte. Zuletzt verallgemeinern wir unsere Erfahrungen nach dem Motto: „Einmal in dieser Situation furchtbare Angst erlebt, heißt immer in dieser Situation furchtbare Angst erleben“.
Ein gewisses Maß an Anspannung ist jedoch bei öffentlichen Redesituationen und allen für uns neuen Situationen eine normale Begleiterscheinung, eine normale Stressreaktion. Die Psychologie nennt diesen Aktivierungsanstieg des Körpers arousal. Aber durch die Befürchtung, der Situation nicht gewachsen zu sein, wird diese normale Anspannung nicht als Stressreaktion, sondern als Hauptmerkmal von Angst interpretiert. Untersuchungen zeigen, dass Sprechängstliche und weniger Sprechängstliche sich kaum in ihren körperlichen Reaktionen in einer Publikumssituation unterscheiden. Allerdings bewerten sie die innere Anspannung unterschiedlich (McCroskey et al. 2009). Während eine weniger ängstliche Person sich bei den ersten Anzeichen von Aufregung sagt: „Okay, ich bin jetzt nervös, weil ich gleich einen wichtigen Vortrag halten muss, dass ist angemessen.“ und dann weiter spricht und keinen Angstkreislauf in Gang setzt, sind die inneren Kommentare und Bewertungen einer sprechängstlichen Person von Versagensängsten und Befürchtungen, sich zu blamieren, geprägt.
Wenn Sie z. B. Ihr Erröten in einer Redesituation als lebensbedrohliche Gefahr bewerten, die Sie unter allen Umständen verhindern müssen, muss Ihr Körper buchstäblich mit Furcht reagieren. Denn es ist eine seiner biologisch angelegten Reaktionen, Sie durch Furcht vor einer möglichen Bedrohung zu schützen. Ihre Sprechangst ist also dann ein Zeichen dafür, dass Ihr Körper Ihnen gehorcht und seinen Auftrag, Sie zu warnen, erfüllt. Korrigieren Sie daher Ihre inneren Bewertungen, damit Ihr Körper entspannt und gelassen bleiben kann!
FAZIT
Oberstes Ziel ist es, die Angst zu bewältigen, mit ihr zu leben und nicht, sie zu beseitigen. Sie können lernen, die Angst zu begrenzen.
Individuelle Angstkreisläufe
Jeder Sprecher hat seinen eigenen Angstkreislauf. Betrachten wir als Beispiel den von Ulrike B. (Abb. 8). Nach diesem Schema können Sie Ihren individuellen Angstkreislauf erstellen.
Ulrike B. ist Studentin und muss ein Referat halten. Im Vorfeld hat sie folgende Gedanken: „Ich muss es möglichst gut machen.“ und von den anderen meint sie: „Die reden immer so sicher!“ Ihr daraus resultierende Gefühl ist Unsicherheit, Angst vor Blamage und Frustration. Schließlich hält sie ihr Referat und spürt dabei körperliche Symptome wie Herzrasen, Schweißausbrüche und eine zittrige Stimme. Ihre Bewertung lautet: „Ich habe Angst und das darf nicht sein! Die anderen Studenten haben keine Angst!“ Sie fragt sich, wie sie das Referat durchstehen soll. Mittendrin verändert sich ihr Sprechverhalten, sie gerät ins Stocken, vergisst wichtige Gliederungspunkte und kann Sätze nicht zu Ende führen. Ihre Gefühle sind Hilflosigkeit, Unsicherheit und Minderwertigkeit. Sie zweifelt an sich selbst. Ihr Selbstbild lautet: „Ich bin eine Versagerin.“ Sie beschließt, ihr zukünftiges Verhalten zu ändern, indem sie sich noch mehr anstrengt, damit ihre Minderwertigkeit nicht sichtbar wird und nur noch schriftliche Hausarbeiten abzugeben. Aber dann wird im nächsten Seminar wieder ein Referat verlangt und der nächste Teufelskreis der Angst beginnt.
Abb. 8: Angstkreislauf der Ulrike B.
ÜBUNG
Angstkreislauf
Erstellen Sie sich Ihren eigenen Teufelskreis zur Angst vor der Angst. Benutzen Sie hierzu das folgende Schema als Anhaltspunkt:
Abb. 9: Arbeitsblatt: Angstkreislauf
FAZIT
Wenn Sie Ihre körperlichen Symptome beim Sprechen negativ als „Sprechangst, die nicht sein darf.“ bewerten, wird sie nur noch verstärkt. Ein Teufelskreis der Angst läuft ab und die Angst vor der Angst entsteht.
Den Teufelskreis durchbrechen
Sie können an drei Stationen des sich selbst verstärkenden Kreislaufes Einfluss nehmen, um den Teufelskreis zu durchbrechen:
■auf gedanklicher Ebene (Wie verändere ich mein Denken?)
■bei den körperlichen Symptomen (Wie kann ich die Angst kontrollieren?)
■und beim Sprechverhalten (Wie kann ich besser kommunizieren?)
Wie Ihnen das gelingt, erfahren Sie in Kapitel fünf. Zunächst können Sie mit dem folgenden Test Ihre Sprechangst genauer analysieren. Sie lernen dadurch die Situationen näher kennen, die Ihnen im Alltag besondere Probleme bereiten.
Vermeidungsverhalten
Wenn Sie in der Öffentlichkeit sprechen sollen, werden Sie, je nachdem, wie Sie gelernt haben, mit Ihrer Angst umzugehen, solche Situationen vermeiden oder sich der Situation stellen. Schweigen bedeutet, auf der sicheren Seite zu sein, denn man kann sich nicht blamieren. Sicher, wenn wir Angst auslösende Situationen vermeiden, wird sich unser Angstempfinden zunächst verringern. Unter „Vermeidung“ fällt dabei nicht nur das Absagen von wichtigen Vorträgen, sondern auch schon der gesenkte Blick, wenn der Seminarleiter fragt, wer jetzt das Wort ergreifen möchte. Dazu gehören auch das Erfinden von Ausreden, warum ein wichtiges Gespräch immer wieder aufgeschoben wird oder Erklärungen, dass eine Präsentation eigentlich überflüssig ist bis hin zur gedanklichen Abwertung, dass gerade dieser Vortrag im Grunde eine Zumutung für uns darstellt. Vermeidungsverhalten äußert sich auch häufig im Ausweichen auf die Schriftform (Fax, Brief, E-mail), wenn etwas auch mündlich, beispielsweise per Telefon, schneller geklärt werden könnte.
Je länger unser Schweigen andauert, umso mehr verfestigt sich aber das Problem der Sprechangst. Wenn man Angstsituationen ausweicht, kann man keine neuen Lernerfahrungen machen und entwickelt keine Strategien zum Umgang mit der Angst. Und schlimmer noch: Auch ohne weitere negativen Erfahrungen weitet...
Erscheint lt. Verlag | 6.3.2023 |
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Zusatzinfo | 16 Abb. |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie |
Sozialwissenschaften ► Kommunikation / Medien | |
Wirtschaft | |
Schlagworte | Entspannungstechniken • Kommunikation • Kommunikationstraining • Kommunizieren • Lampenfieber • Logopädie • Nervosität • Redeangst • Rhetorik • Sprechangst • Sprechen • Sprechfertigkeiten • Techniken • Trainingsprogramm |
ISBN-10 | 3-497-61747-4 / 3497617474 |
ISBN-13 | 978-3-497-61747-0 / 9783497617470 |
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