Das Buch, das jeder Mann lesen sollte (eBook)
207 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86730-8 (ISBN)
Das Feminist Lab besteht aus 3 Frauen und 4 Männern aus 4 Ländern (Deutschland, Großbritannien, Finnland, USA): William McInerney, Aileen McKay, Robert Peter, Amy Herr, Martin Speer, Miriam Steckl, Vincent-Immanuel Herr. Alle sind um die 30 Jahre alt und als Aktivist_innen für Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Politik tätig, schreiben Bücher, halten Vorträge und Workshops zum Thema und sind gut vernetzt mit TV, Printmedien und Social Media incl. Podcasts (»100 Frauen*« mit Miriam Steckl). Initiiert wurde das Feminist Lab von Vincent Herr und Martin Speer, Autoren von »Europe for Future« und »Tun wir was«, sowie HeForShe Botschafter von UN WOMEN Deutschland. www.herrandspeer.com
Wer wir sind
Zunächst einmal: Wer ist dieses »wir«, das mit dir spricht?
Wir sind eine Gruppe von sieben Personen – Redner:innen, Forscher:innen, Aktivist:innen, Studierende, Mentor:innen, Autor:innen, Berater:innen und/oder Moderator:innen –, und unsere Wurzeln sind in Deutschland, England, Finnland, Schottland und den USA.
Dieses Buch wurde von uns sieben zwischen Januar 2020 und dem Frühjahr 2022 als gemeinsames Projekt geschrieben. Der Text, den du in Händen hältst, baut auf einer ersten Diskussion auf, die wir in einer größeren Gruppe während eines von der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstalteten und unterstützten Wochenend-Workshops in Berlin über Männer und Feminismus geführt haben.
Als Co-Autor:innen dieses Projekts bringen wir eine Reihe von Perspektiven mit ein. Einige von uns beschäftigen sich beruflich mit Fragen zu Sexismus und Geschlechtergleichstellung, andere interessieren sich eher persönlich und politisch für das Thema. Einige von uns sind in der Stadt aufgewachsen, andere auf dem Land. Einige von uns kommen aus der Arbeiterklasse, andere eher aus der Mittelschicht. Einige von uns bewegen sich in akademischen Kreisen, andere in einem eher praktischen oder unternehmerischen Umfeld. Wir sind zwischen Anfang 20 und Mitte 30 Jahre alt, junge Eltern, alleinstehend, verheiratet, homosexuell, bisexuell, heterosexuell … und wir sind uns einig, dass solche Bezeichnungen die wahre, bunte Vielfalt des Lebens kaum widerspiegeln.
In diesem Sinne möchten wir gleich zu Beginn unserer gemeinsamen Reise betonen, dass unsere Perspektiven in erster Linie genau das sind: Perspektiven. Wir erheben nicht den Anspruch, alle Antworten auf die in diesem Text aufgeworfenen Fragen zu kennen, und wir glauben auch nicht, dass dieser Text in irgendeiner Weise erschöpfend ist. Als eine Gruppe weißer, Cisgender-Frauen und -Männer, die keine Behinderung haben und in Europa und Nordamerika leben, sind unsere persönlichen Erfahrungen mit sich überschneidenden Identitäten und Diskriminierung letztlich begrenzt. Deshalb haben wir uns bemüht, sicherzustellen, dass die Hinweise und Ressourcen, die wir dir auf diesen Seiten bieten, auf Erfahrungen und Erkenntnissen beruhen, die wesentlich vielfältiger als unsere eigenen sind.
Stattdessen möchten wir dieses Buch als einen Ausgangspunkt betrachten, der all jenen die Tür öffnet, die mehr über ihre Rolle in einer gerechten und mitfühlenden Welt wissen möchten. Wir hoffen auch, dass unser Text zu interessanten, zum Nachdenken anregenden und produktiven Gesprächen führt! Wir würden uns freuen, wenn wir gemeinsam die Reise des Zuhörens, Lernens und Nachdenkens fortsetzen und zu proaktiveren Akteuren des Wandels werden könnten.
Unsere Geschichten
Um uns dem Thema Feminismus aus einer persönlichen Perspektive anzunähern, möchten wir dir unsere eigenen Geschichten erzählen; wie wir uns im Laufe unseres bisherigen Lebens mit Geschlechterungleichheit und dem Patriarchat auseinandergesetzt haben und selbst zu Feminist:innen wurden. Einige von uns haben den Feminismus in ihren frühen Teenagerjahren entdeckt, andere erst kürzlich; manche durch Zufall, andere ganz bewusst; für einige geht es darum, wie wir uns zu Hause verhalten, für andere geht es um politische Bewegungen.
Die Themen, die wir in unseren Geschichten anschneiden, werden alle – mehr oder weniger – im Laufe des Gesamttextes zur Sprache kommen, daher können sie als eine Art (inoffizielle) Einführung in den Feminismus gelesen werden, die auf unseren Erfahrungen basiert.
Martin (er/ihn/ihm): Die Themen Geschlechtergerechtigkeit und Feminismus betraten relativ spät die Bühne meines Lebens. Es war in meinen späten Zwanzigern. Mir ging es so wie sicherlich vielen Männern: Auch wenn ich über die Familie, Medien und Freundinnen auch hier und da Bezugspunkte zu diesen Fragen hatte, so verstand ich lange nicht, was meine Rolle darin ist – sowohl mit Blick auf mein persönliches Verhalten als auch die größeren strukturellen Zusammenhänge. Ich dachte lange, Feminismus wäre reine Frauensache und ginge mich nichts an.
Ich bin im ländlichen Raum in Bayern aufgewachsen, in einem Umfeld, in dem Rollen immer noch relativ klassisch zwischen den Geschlechtern verteilt waren oder kulturell erwartet wurden. Als Kind, Jugendlicher und später junger Mann kopierte und adaptierte ich vielfach unbewusst diese Muster. Sie machten mich zu einem, wie ich heute sagen würde, »unbewussten Sexisten«. In meiner Rollenerwartung musste ein Mann stark sein, durfte Schwächen nicht zu offen zeigen und musste sich von allem abgrenzen, was zu weiblich wirkte. Ich ging in den Schützenverein, machte sexistische Witze und nahm nur halb ernst, was Frauen sagten. Dazu kam, dass ich früh spürte, dass ich mich eher von Männern als von Frauen angezogen fühlte. Das verstärkte meine sexistischen Verhaltens- und Denkmuster eher noch, denn wie sicherlich alle Männer wissen, ist es mit das Schlimmste, auf dem Schulhof als »schwul« bezeichnet zu werden.
Über die Jahre hinweg merkte ich, wie destruktiv und sogar toxisch mein Verhalten war. Es tat mir gesundheitlich wie auch psychisch nicht gut, ebenso wenig wie den Frauen in meiner Umgebung. Erst als ich mich dafür öffnete, mit Freundinnen und Freunden, mit der Familie und meinem Umfeld offen über Rollenbilder, Erwartungen, Geschlechtergerechtigkeit zu sprechen, konnte ich mich selbst besser kennenlernen – und mich damit schrittweise auch von meinem verinnerlichten Sexismus distanzieren. Ein Weg, der bis heute andauert und heilsam ist. Wir alle sollten die Chance haben, unabhängig von unserem Geschlecht oder unserer Orientierung, zu sein, wer wir sind, gleiche Rechte und Möglichkeiten haben. Unsere starren Rollenbilder und Strukturen, unsere Angst steht uns dabei oft im Weg. Wir müssen und können sie überwinden. Eine feministische Zukunft ermöglicht uns genau das.
Aileen (sie/ihr): Als Teenager habe ich gern gelesen. Ich verschlang die Bücher und Geschichten, die unsere Lehrerinnen und Lehrer uns gaben – Helden, Legenden, Abenteuer –, das war meine Art, etwas über meine Umwelt und das Leben zu lernen. Ich erfuhr von den Jakobiten: wie die Männer sich versammelten, um über Politik zu reden, die Soldaten der britischen Regierung zu bekämpfen und zu sterben. Ich lernte, wie fischreich die schottischen Meere sind, wie stark der Wellengang ist und wie die Männer mit ihren Booten hinausfahren, um den Fang einzuholen. Ich lernte, wie man sich von der Kunst inspirieren lassen kann: wie Männer in Glasgow und Edinburgh, Paris und New York seit Jahrhunderten großartige Werke schaffen und uns alle lehren, wie man malt.
Doch je mehr ich las und je mehr ich lernte, desto mehr fiel mir auf, dass etwas – oder besser: jemand – fehlte: Frauen. Nachdem ich gemerkt hatte, dass sie nicht vorhanden waren, veränderte sich mein Leben von Grund auf. Ich begann, mir gewisse Fragen zu stellen. Gab es keine weiblichen Jakobiten? Was haben die Frauen gemacht, während die Männer draußen auf dem Meer waren? Gab es keine weiblichen Künstlerinnen? Meine Lehrerinnen und Lehrer gaben mir keine zufriedenstellenden Antworten, und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich damals die richtigen Worte gefunden habe, um die richtigen Fragen zu stellen. Dennoch lagen diese Gedanken meinem feministischen Erwachen zugrunde.
Für mich persönlich geht es im Feminismus inzwischen um drei Dinge.
Fragen und Antworten: Ich habe Jahre gebraucht, um passende Antworten auf die Fragen zu finden, die ich als Jugendliche stellte, und in der Zwischenzeit sind mir unzählige weitere eingefallen. Was ist gerecht, wer wird ausgeschlossen, wie kann unser Leben inklusiver werden? Der Feminismus hilft mir dabei, Antworten zu finden.
Materieller sozialer Wandel zum Besseren: In meiner idealen, feministischen Welt haben wir alle ein sicheres Zuhause, gesundes Essen, glückliche Beziehungen und ein erfüllendes Alltagsleben. Meine feministische Politik hilft mir, meinen Platz bei der Schaffung dieser Realitäten zu finden.
Solidarität: Der Feminismus hat mich gelehrt, dass gegenseitige Hilfe und der Einsatz füreinander die mächtigsten Werkzeuge sind, die wir Menschen besitzen. ...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
ISBN-10 | 3-407-86730-1 / 3407867301 |
ISBN-13 | 978-3-407-86730-8 / 9783407867308 |
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