Einhand unterwegs zwischen Ems und Oder (eBook)
300 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-4896-6 (ISBN)
Roland Blatt, Jahrgang 1946, im Saarland aufgewachsen und seit einiger Zeit im Rentenalter, war über 4 Jahre bei der Bundesmarine und nach seinem Studium in Kiel 38 Jahre als Zahnarzt in Schleswig-Holstein tätig. Trotz seines inzwischen vorgerückten Alters zieht es ihn auch heute noch jeden Sommer auf das Wasser, um die großen und kleinen Abenteuer des Segler- und Bootsfahrerdaseins zu erleben. Dieses Buch erzählt davon.
Strande, Tag 2
Schon früh waren wir auf. So hatten wir Zeit für ein Frühstück, das ich mir allein so nie genehmigt hätte: Spiegeleier mit Speck zum frisch aufgebrühten Kaffee. Das ist immer die richtige Maßnahme, wenn man lange auf den Hafenmeister warten muss. Uns jedoch einfach ohne zu zahlen aus dem Hafen zu schleichen, das wollten wir nicht.
Um 0830 Uhr waren wir endlich auf dem Wasser, Kurs Kieler Förde einlaufend. Alles war gut, nur das Wetter zeigte sich ein wenig verschnupft. Noch war es handig, aber so, wie es aussah, sollte es das sicher nicht mehr lange sein.
Wir schleusten in Holtenau durch, dann waren wir auf dem Nord-Ostsee-Kanal, Fahrtrichtung West, mit 5,2 Knoten Marschfahrt. Der Wind hielt sich noch zurück, die Luft war feucht und kühl, die Fahrt ging gut voran. Unser Ziel war es, durch die Gieselau-Schleuse in die Eider zu gehen und am Abend in Süderstapel zu sein. Hier wollte Lothar aussteigen, und hier sollte das Boot für einige Zeit liegen bleiben und für Tagesfahrten zur Verfügung stehen, und zwar bis zum Beginn des geplanten Einhandtörns nach Ostfriesland.
Die Stimmung an Bord war gut, anders als der Himmel, der nun gänzlich von Wolken bedeckt war. Doch die Langeweile der Kanal-Fahrt forderte ihren Tribut: „Ich bin müde, ich werde mich mal hinlegen!“, sagte Lothar und verschwand nach vorn auf der Salon-Koje. Danach stand ich allein in der Plicht hinter dem Steuerrad und fuhr das Boot gen West. Landwehr war längst vorbei, auch der Flemhuder See, es begann zu nieseln und voraus kam die Fähre von Sehestedt in Sicht.
„Wie viel Uhr ist es?“, fragte ich mich und neigte mich zur Backbordseite, um einen Blick auf die Uhr werfen zu können. Ich lockerte den Griff am Steuer für eine winzige Sekunde, und schon bemerkte ich eine Bewegung, die nicht ins Schema passte.
Ich schaute hoch, und das Blut schoss mir in die Adern. Das Boot hatte in dem minimalen Moment des Wegsehens einen scharfen Haken geschlagen und steuerte nun, durch kräftiges Gegensteuern an der weitergehenden Drehung gehindert, genau vierkant auf die Uferböschung zu. Der Abstand zum Land war auch vorher nicht sehr groß gewesen, doch jetzt wurde er sehr schnell geringer und Gefahr drohte. Trotz Ruderlage „Hart Backbord!“ kam das Ufer rasend schnell näher. Ich stoppte zwar den Motor auf, versuchte den Rückwärtsgang einzulegen, doch eine Hoffnung, noch klar zu kommen, hatte ich nicht mehr. Denn da kratzte schon der Rumpf auf den Steinen, das Ruder bekam massive Grundberührung und das Boot erzitterte unter dem Aufprall.
Als der Bruder meinen Schrei hörte, kam er aus der Kajüte hervor gestürzt. Aber zu machen war jetzt nichts mehr, das Boot lag ganz nah am Land und hing auf den scharfkantigen Steinen der Ufereinfassung fest. Nur mit dem Bootshaken kamen wir frei. Das war zwar gut, doch Freude kam danach nicht auf, denn das Ruderblatt war festgeklemmt auf „Hart Backbord!“ Und selbst nach kraftvollem Einsatz an der Pinne änderte sich daran nichts. Wie es aussah, war die Ruderwelle so stark verbogen, dass eine Steuerung nicht mehr möglich war.
Ich kuppelte den Motor auf Vorwärtsfahrt ein, das funktionierte. Der Motor lief zwar, und das Boot machte Fahrt voraus. Soweit war alles in Ordnung, aber das Boot drehte sich jetzt nur noch im Vollkreis mit Ruderlage „Hart Backbord!“ Immerhin, die Groß-Schifffahrt ließ sich in diesem Moment nicht blicken. Aber das war nur ein kleiner, schwacher Trost im mentalen Tiefpunkt des Augenblicks.
Für Vorwürfe war jetzt keine Zeit, was sollte auch vorgeworfen werden? Sicher, für eine kleine Sekunde hatte ich das Steuerrad losgelassen, doch eine solche abrupte und extreme Bewegung hatte ich bei diesem Boot noch nie zuvor erlebt. Aber nun darüber nachzudenken, war müßig, wichtiger war nun, etwas zu tun. Die Frage war nur: Was?
Das Boot drehte seine Kreise, die Schraube schien unbeschädigt geblieben zu sein. Doch das nützte jetzt wenig, denn im Kreis zu fahren half nicht weiter. Und genau jetzt setzte der Regen ein, ein Regen, der nun stetig zunahm.
Wohl an die 15 Minuten vergingen so, ohne dass sich eine Lösung anbot. Überhaupt, aus eigener Kraft war nichts mehr zu machen. Alle Überlegungen, die schnell in Erwägung gezogen wurden, wurden auch genau so schnell wieder verworfen. Es blieb dabei, solange das Ruder klemmte, war an ein Fortkommen aus eigener Kraft nicht zu denken. Und der Regen nahm weiter zu.
Mein Gott! Auf die Steine gelaufen! Das hatte ich doch schon einmal erlebt! Ja, richtig! Aber das war über 50 Jahre her, das war, als ich als junger Verbindungsoffizier auf dem französischen Minensuchboot ERIDAN eingeschifft gewesen war. Damals hatte das Schiff bei Nebel aufstoppen müssen, aber nur eine der beiden Gasturbinen war auf Rückwärtsfahrt angesprungen, sodass der Bug nach Steuerbord ausbrach und die Kanalböschung erklomm. Doch das robust gebaute Schiff hatte damals problemlos die Fahrt fortsetzen können, aber jetzt war das alles ganz anders!
Da kam ein Segelboot in der Regenbö in Sicht, auf Gegenkurs. Mit lautem Rufen und den allgemeinen Handzeichen der Notlage machten wir auf uns aufmerksam. Das Boot kam heran.
Es war ein altes Segelboot von 30 Fuß mit dem zu dieser Situation wenig passenden Namen STRESSLESS, vom Riss her ein Boot aus den 1970er Jahren. Es wurde gesteuert von einem alten Skipper, dem man die Segelerfahrung bereits aus der Ferne ansah, und dieser wurde unterstützt von einem Mitsegler jüngeren Alters. Auf Rufentfernung herangekommen, erklären wir unsere Notlage. Zu unserer großen Erleichterung war man bereit, uns abzuschleppen, fragte sich nur noch: Wohin?
Eine Möglichkeit wäre es gewesen, die am Kieler Kanalufer existierende Yacht-Werft Knierim anzusteuern, wo Bootskräne vorhanden sind. Das war zwar weit weg, lag aber auf dem Kurs der STRESSLESS. Für uns näher und günstiger war es jedoch, nach Rendsburg zur Rader Insel geschleppt zu werden. Obwohl dies für den Skipper bedeutete, etliche Kilometer wieder zurück fahren zu müssen, war er bereit, uns zur dort gelegenen „Marina Schreiber“ zu schleppen.
Mein Bruder stand auf dem Vorschiff, die Leinenverbindung wurde hergestellt und die Schleppfahrt begann. Doch der Motor der STRESSLESS war sehr schwach, dazu brach der Bug unseres Bootes sofort nach Backbord in Richtung Kanalmitte aus. Was sich jedoch als gut machbar erwies, war, dass der Motor unseres Bootes mitlief und für Vortrieb sorgte, und das schleppende Boot nun aber nicht mehr schleppte, sondern nur noch den Bug des SEEKAIBI auf Kurs hielt.
So ging es. Mit mäßiger Fahrt bewegte sich das Gespann vorwärts. Der Regen, der sich bis jetzt noch halbwegs zurückgehalten hatte, steigerte sich zum Wolkenbruch, der Gegenwind wurde stärker und stärker, und von achtern kam ein Frachter auf, der schnell näher kam. Rasch band ich eine Spiere an der Reling fest und setzte die Flagge FOXTROTT – „Bin manövrierunfähig. Bitte Verbindung aufnehmen!“
Das war vielleicht nicht das richtigste Flaggensignal in dieser Situation, aber es stand zur Verfügung und zeigte der Schifffahrt im Kanal die Notlage an.
Nach fast eineinhalbstündiger Fahrt wurde der Hafen der „Marina Schreiber“ auf der Westseite der Rader Kanal-Insel erreicht. Die STRESSLESS manövrierte heran bis in die Nähe der Kran-Pier, auf der weit und breit kein Mensch zu sehen war, dann wurde die Schleppleine losgeworfen. Die STRESSLESS blieb noch in der Nähe, bis unser Boot vom Wind an die Pier getrieben und vertäut worden war. Dann, nachdem ich meinen Dank ausgesprochen und an einer günstigen Stelle des Hafens noch meine „Karte“ zur Regulierung der Hilfeleistung überreicht hatte, ging unser Nothelfer wieder auf Kurs und verschwand schon bald in den Schauerböen des Tages. Die STRESSLESS war weg, wir lagen sicher an der Pier, doch „stressless“ war in dem Moment immer noch nichts an Bord des Bootes namens SEEKAIBI.
Nach einer ausgiebigen Bilgenkontrolle, die zur Beruhigung von Skipper und Besatzung keinerlei Wassereinbruch zeigte, strebte ich dem Marina-Büro zu in der Hoffnung, wenigstens dort eine Menschenseele an anzutreffen.
Der Eindruck, den ich wohl im gut geheizten Büro der Marina vermittelte, muss einigermaßen verheerend gewesen sein. Frau Schreiber, Inhaberin dieser Hafenanlage, rechnete offensichtlich mit dem Schlimmsten, als sie mich, völlig durchnässt, mit wirrem Haar und mit den Resten des Unfallschreckens im Gesicht, in Augenschein nahm. Was mochte sie gedacht haben, nachdem ich kurz den Grund meines Erscheinens geschildert hatte?
Vielleicht dachte sie: „Hilfe! Ein Yachtie! Ein mittelloser Live-Aboard! Wegschicken kann ich den nicht, aber von dem werde ich wohl nie auch nur einen Euro bekommen!“ Ich jedoch war zufrieden mit ihrer Zusage, wenigstens für die nächsten Tage das Boot an dieser Pier liegen lassen zu können. Welche Art Lösung der Situation danach infrage kommen könnte, das würde sich zeigen. Aber das war nicht das Problem des Augenblicks.
Am Boot zurück wurde zuerst die Plichtpersenning aufgespannt und der Regen damit ausgesperrt. Dann wurde der Spiritusherd in Gang gesetzt, der sehr schnell...
Erscheint lt. Verlag | 9.11.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Sport ► Segeln / Tauchen / Wassersport |
Schlagworte | auf Weser und Hunte • Bootsfahrt durch Norddeutschland • Borkum • Brandenburg • Elisabetfehnkanal, Leda, Jümme, EMS • Leer • mit gelegtem Mast über Oder, Havel, Mittellandkanal, Elbe-Seitenkanal • Pension • Rente • Rentner auf Bootstour • Rentner auf Segeltour • Rentner unter Segeln • Ruhestand • Senioren zur See • Stettin • Stralsund Dänholm • Tiedefahren auf der Elbe • Usedom |
ISBN-10 | 3-7568-4896-5 / 3756848965 |
ISBN-13 | 978-3-7568-4896-6 / 9783756848966 |
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