Das Meer und ich (eBook)
176 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44149-0 (ISBN)
Tessa Randau,geboren 1976, arbeitete nach dem Studium als Journalistin, zuletzt als Ressortleiterin bei einer Frauenzeitschrift. 2016 machte sie sich als Stress- und Burnout-Beraterin selbständig. 2020 veröffentlichte sie ihr Debüt >Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich<, das über ein halbes Jahr in den Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste stand. Auch ihr zweites Buch >Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich< kam unter die Top 20, ebenso ihr drittes: >Das Meer und ich<. Seit der Veröffentlichung ihres ersten Buches konzentriert sie sich beruflich aufs Schreiben. Tessa Randau lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Taschenbuch (Nr. 38/2023) — Platz 19
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Tessa Randau,geboren 1976, arbeitete nach dem Studium als Journalistin, zuletzt als Ressortleiterin bei einer Frauenzeitschrift. 2016 machte sie sich als Stress- und Burnout-Beraterin selbständig. 2020 veröffentlichte sie ihr Debüt ›Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich‹, das über ein halbes Jahr in den Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste stand. Auch ihr zweites Buch ›Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich‹ kam unter die Top 20, ebenso ihr drittes: ›Das Meer und ich‹. Seit der Veröffentlichung ihres ersten Buches konzentriert sie sich beruflich aufs Schreiben. Tessa Randau lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz.
1. Tag
Die Botschaft
Ich sah zu, wie eine kleine Welle über meine Füße rollte, sich weiter Richtung Strand ausbreitete und dann langsam wieder zurückzog. Schon seit einer ganzen Weile stand ich hier, beobachtete, wie meine nackten Zehen tiefer in den Sand sickerten, und versuchte, den Moment zu genießen. Leider gelang es mir nicht. In meinen Fingerkuppen spürte ich ein nervöses Kribbeln. »Nur mal kurz nachschauen«, raunte es zum wiederholten Male durch meinen Kopf. Drei Wellen später hielt ich es nicht mehr aus. Meine Hand wanderte zur Gesäßtasche meiner Jeans und fischte das Handy heraus, das ich dort vor meinem Spaziergang hineingesteckt hatte. Ich entsperrte das Display und sah – nichts. Keine Messengernachricht. Keine SMS. Keinen Anruf. Nichts.
Zarte Bindfäden fielen vom Himmel und tropften auf das Display. Ich steckte das Handy wieder zurück und hob den Blick. Der graue konturlose Himmel ging nahtlos in das Grau des Wassers über. Auch der nasse Sand wirkte trist und schmutzig. Die einzige Farbe, die dem Einheitsgrau Paroli bot, war das Weiß der Schaumkronen, die auf den heranrollenden Wellen saßen, meine Füße umspülten und weiter Richtung Land schwappten.
»Schade«, dachte ich. Als ich die Reise gebucht hatte, hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt: strahlend blauen Himmel mit maximal ein paar harmlosen Wölkchen. Wärmende Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Und ausgiebige Strandspaziergänge mit meiner Freundin Isa, die ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Doch vor drei Tagen hatte mein Handy geklingelt und eine sehr zerknirschte Isa war am anderen Ende der Leitung gewesen: »Es tut mir so leid, Süße, aber ich kann nicht mitkommen«, murmelte sie und ich konnte echtes Bedauern in ihrer Stimme hören. Doch schon im nächsten Satz war da wieder die Euphorie, die immer mitschwang, wenn Isa über ihre beruflichen Projekte sprach. »Stell dir vor, wir haben endlich das Geld für das Krankenhaus zusammen. Eine alte Dame hat uns ihr ganzes Vermögen vermacht und jetzt muss ich sofort nach Afrika fliegen, um alles für den Bau in die Wege zu leiten. Das Krankenhaus wird so dringend gebraucht. Bitte sei nicht böse.«
Die Absage ließ mich traurig zurück – zu sehr hatte ich mich auf das Treffen mit meiner besten Freundin gefreut. Ich hatte mir schon alles so schön ausgemalt: den Moment an der Fähre, an dem wir uns beide lachend in die Arme fallen würden, Spaziergänge morgens am Strand, bei denen wir stramm, mit roten Wangen am Meer entlangstapfen würden. Nachmittage, an denen wir Seite an Seite im Strandkorb sitzen und in unseren Büchern schmökern würden. Und dunkle Nächte, die wir nebeneinander in unseren Betten bis zum Morgengrauen durchquatschen würden. All das war durch den Anruf zu nichts verpufft.
Doch wie hätte ich Isa böse sein können? Seit wir unser BWL-Studium abgeschlossen hatten, widmete sie sich mit viel Leidenschaft verschiedenen Non-Profit-Organisationen. Zurzeit arbeitete sie für eine Stiftung, die Entwicklungshilfe in Afrika leistete. Ihr Leben war so ganz anders als meins: sie hatte keine Familie, war immer auf dem Sprung und versprühte eine unheimliche Energie und Lebensfreude.
Mein erster Impuls war, die Reise abzusagen. Was sollte ich zehn Tage lang alleine auf der Insel? Aber zum kostenlosen Stornieren war es zu spät. Jochen und die Kinder überredeten mich schließlich dazu, auch ohne Isa zu fahren. »Du hast dir doch früher so sehr gewünscht, einfach mal Zeit nur für dich zu haben«, sagte mein Mann verständnislos. »Entspanne dich und genieß es einfach!«
»Stimmt, Mama«, pflichtete Lara, meine 14-jährige Tochter, ihm bei. »Mach dir ’ne schöne Zeit. Wir kommen auch super alleine klar.«
Ich sah Lara an und fragte mich, wo nur das kleine Mädchen geblieben war, das sich noch vor wenigen Jahren bei jedem Abschied weinend an mein Bein geklammert hatte. Und obwohl mir bewusst war, dass ich mich eigentlich über Laras Worte freuen sollte, versetzten sie mir einen Stich. Niedergeschlagen schlurfte ich ins Schlafzimmer und packte meinen Koffer.
Der Regen hatte inzwischen zugenommen und prasselte nun in großen Tropfen auf mein Haar und meinen Mantel. »Passt doch«, dachte ich. Mehr alleine im Regen stehen, als ich es in diesem Augenblick tat, konnte man wohl kaum. Früher, als die Kinder noch klein gewesen waren, hatte ich auch verregnete Urlaubstage wie diesen geliebt. Wir hatten uns dann zu viert in das Doppelbett unserer Ferienwohnung gekuschelt, Jochen mit der Zeitung und ich mit einem Astrid-Lindgren-Buch auf dem Schoß, aus dem ich meinen beiden vorgelesen hatte. Später ließen wir uns, mit Gummistiefeln und gelben Regenmänteln bewaffnet, den Wind um die Ohren peitschen. Danach gabs Apfelpfannkuchen mit Zucker und Zimt, eine Partie Memory oder Lotti Karotti und heißen Kakao. Doch das war schon eine ganze Weile her. Manchmal kam es mir so vor, als sei es in einem anderen Leben gewesen. Heute, so ganz alleine auf der Insel, konnte ich dem schlechten Wetter nichts Positives abgewinnen. Im Gegenteil. Es fühlte sich so an, als sei die graue Farbe auch in mein Inneres vorgedrungen. »Warum zieht mich der Regen heute so runter?«, fragte ich mich, obwohl ich die Antwort eigentlich schon kannte. Es war nicht das Wetter, das meine Stimmung trübte. Es wirkte nur als Verstärker. Denn das Grau in mir war schon länger da. Seit geraumer Zeit breitete es sich aus. Verschluckte die bunten Farben und machte mich traurig, müde und antriebslos.
Ich wandte mich vom Meer ab und lief zu meinen pinkfarbenen Turnschuhen, die einsam und verlassen im Regen standen. Der Strand war fast menschenleer. Nur ganz weit hinten sah ich drei Walker dicht hintereinanderlaufen, die mich mit ihren Stöcken an eine überdimensionale Ameise erinnerten. Ich bückte mich, hob die Schuhe auf und überlegte kurz, ob ich sie anziehen sollte. Aber nicht nur die Schuhe, sondern auch die Socken, die ich in ihren Schaft gesteckt hatte, waren klamm. Ich beschloss, sie erst später anzuziehen, oben an der Promenade auf einer Bank, wo ich vorher noch meine Füße entsanden konnte. Jetzt wollte ich lieber noch ein bisschen unten am Strand entlanglaufen.
Was meine drei zu Hause wohl gerade machten? Jonas, mein 17-jähriger Sohn, hatte heute ein Auswärtsspiel und würde danach bestimmt mit seinen Jungs losziehen. Lara hatte sich wahrscheinlich mit dem Handy in ihrem Zimmer verschanzt, um in Ruhe mit ihren Freudinnen zu chatten. Und Jochen? Der saß entweder an seinem Laptop und arbeitete, werkelte im Garten rum oder frönte einem seiner diversen Hobbys.
Und was tat ich? Ich war auf einer wunderschönen Insel und hatte nichts Besseres zu tun, als mir Gedanken darüber zu machen, womit sich meine Familie wohl gerade beschäftigte, anstatt die Zeit hier zu genießen.
Das Geschrei der Möwen riss mich aus meinen Gedanken. Ein paar Meter weiter kreisten sie am Himmel. Eine von ihnen ging in den Sturzflug und versuchte, einen silbrig glitzernden Fisch im Wasser zu erhaschen. Ein, zwei Mal hackte sie mit dem Schnabel nach ihm, konnte seiner aber nicht habhaft werden. Unverrichteter Dinge erhob sie sich wieder in die Lüfte. Das Glitzern im Wasser blieb. »War es etwa doch kein Fisch?«, fragte ich mich. Ich sah genauer hin, konnte aber nicht erkennen, was dort schwamm. Vielleicht Müll, den irgendein Ausflügler am Strand liegen gelassen und den die Flut mit sich genommen hatte oder der von irgendwoher angespült worden war. Ich seufzte. Warum nur gab es so viele Menschen, die sich offenbar gerne in der Natur aufhielten, es aber nicht für nötig erachteten, sie wieder sauber zu hinterlassen? Ich stellte meine Schuhe ab und bückte mich, um meine Hosenbeine noch etwas höher zu krempeln. Dann watete ich durch das seichte Wasser, um den Müll zu bergen. Als ich näher kam, erkannte ich, dass es sich um eine kleine Flasche handelte, die auf den Wellen hin und her schaukelte. Schon während ich nach ihr griff, konnte ich sehen, dass sich in ihrem Bauch ein Zettel befand. Eine Flaschenpost?
Als Kind hatte ich immer davon geträumt, eine zu finden, und jedes Mal, wenn wir Urlaub am Meer machten, danach Ausschau gehalten. Ich malte mir aus, dass eine Schatzkarte darin steckte, die mein Leben in ein großes Abenteuer verwandeln würde. Natürlich passierte nie etwas Derartiges. Umso überraschter war ich, dass ich nun tatsächlich eine Flaschenpost in den Händen hielt. »Bestimmt haben Kinder sie ins Meer geworfen«, dachte ich, während ich mit der Flasche in der Hand wieder aus dem Wasser watete. Trotzdem war ich aufgeregt und spürte, dass mein Herz ein bisschen schneller schlug. Ich musste über mich selbst schmunzeln. Waren da wieder die Gefühle des kleinen Mädchens, das von aufregenden Abenteuern träumte? Zurück bei meinen Schuhen, klemmte ich die Flasche kurz zwischen meine Beine, um meine Hände an der Jeans trocken zu reiben. Dann nahm ich die Flasche wieder in die Hand und versuchte, den Korken, mit dem sie verschlossen war, herauszudrehen. Er saß ziemlich fest und es kostete einige Mühe, doch schließlich machte es »plopp« und ich hielt ihn in der Hand. Ich kippte die Flasche nach unten. Elegant glitt das eingerollte Papier heraus. Ich legte Flasche und Korken auf den Boden und rollte den Zettel auseinander.
Überrascht stellte ich fest, dass offensichtlich kein Kind etwas darauf geschrieben hatte. Dies war eindeutig die Handschrift eines Erwachsenen. Schöne, geschwungene Lettern, offenbar mit Tinte geschrieben, die an einigen Stellen nass geworden und zerlaufen war. Mit etwas Mühe konnte ich die Botschaft...
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2023 |
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Illustrationen | Ruth Botzenhardt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | Achtsamkeit • Akzeptanz • Älter werden • Ängste • Aufbruch • bestsellerliste spiegel aktuell • Dankbarkeit • Diät • Ehekrise • Entspannung • Erzählendes Sachbuch • Feundschaft • Freundschaften • Glück • Katja Burkard • Lebensfreude • Lebenshilfe • Lebenshilfe Buch • Lebenshilfe Bücher Bestseller • Lebensmitte • Lebensmut • Loslassen • Midlifecrisis • Midlife-Crisis • Mimi Fiedler • Mut • narrative Lebenshilfe • Neuanfang • Selbst-Coaching • Selbst-Hilfe • Selbstliebe • Selbstvertrauen • Selbstwert • Sheila de Liz • Spiegel Bestseller aktuell • Stress • Stress abbau • stress abbauen • Wechseljahre • Wiebusch • Zweife |
ISBN-10 | 3-423-44149-6 / 3423441496 |
ISBN-13 | 978-3-423-44149-0 / 9783423441490 |
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