Wie wir Freundschaft finden und bewahren (eBook)
368 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2969-7 (ISBN)
Dr. Marisa G. Franco ist Psychologin und Expertin für Freundschaft. Sie hat jahrelang über Freundschaft und Einsamkeit geforscht und publiziert. Sie ist eine gefragte Expertin, schreibt eine Kolumne für Psychology Today und hält Vorträge für private Unternehmen, die US-Regierung, Universitäten und gemeinnützige Organisationen.
Dr. Marisa G. Franco ist Psychologin und Expertin für Freundschaft. Sie hat jahrelang über Freundschaft und Einsamkeit geforscht und publiziert. Sie ist eine gefragte Expertin, schreibt eine Kolumne für Psychology Today und hält Vorträge für private Unternehmen, die US-Regierung, Universitäten und gemeinnützige Organisationen. Dr. Franco arbeitet derzeit als Fellow für die American Association for the Advancement of Science.
Einführung
oder das Geheimnis, wie man als
erwachsener Mensch Freunde findet
Im Jahr 2015 war ich zutiefst unglücklich, nachdem eine aufkeimende Romanze desaströs geendet hatte. Ich grübelte endlos darüber nach, wenn ich mich morgens auf den Crosstrainer stellte oder wenn ich zwischen zwei Seminaren mit den Tränen kämpfte. Im Grunde eigentlich ständig, sobald mein Geist nichts anderes fand, woran er sich zur Ablenkung klammern konnte. Um aus diesem schwarzen Loch wieder herauszukommen, brauchte es eine ganze Reihe von Offenbarungen. Zuerst musste ich begreifen, warum ich diesen Verlust so schwergenommen hatte, wieso ich derart darunter litt. Ich musste in klare Worte fassen, weshalb romantische Beziehungen für mich einen so hohen Stellenwert hatten, dass von ihnen mein ganzes Glück abhing. So als gäbe es ohne diese Form der Liebe überhaupt keine Liebe in meinem Leben.
Warum maß ich der romantischen Liebe eine so hohe Bedeutung bei, wo sie sich in meinem Leben doch bisher als nicht sonderlich erfüllend erwiesen hatte? Ich hatte einige tief in unserer Kultur verankerte Vorstellungen verinnerlicht. Die wahre Liebe zu finden, ist Sinn und Zweck meines Lebens. Der Tag, an dem ich die wahre Liebe finde, ist der Tag, an dem mein Leben wirklich anfängt. Die wahre Liebe nicht zu finden, heißt, dass einem als Mensch ein grundlegender Makel anhaftet. Und ohne wahre Liebe gibt es überhaupt keine Liebe in meinem Leben.
Um mich von meinem tiefen Kummer zu erholen, trommelte ich schließlich einige meiner besten Freundinnen für eine Wellness-Gruppe zusammen. Wir trafen uns regelmäßig einmal die Woche. Eine von uns wählte etwas aus, womit wir uns selbst etwas Gutes tun konnten, lud uns zu sich ein und sorgte für unser leibliches Wohl. Also versammelten wir uns zum Yoga, zum Kochen, Lesen oder Meditieren. Doch das Heilsamste an diesen Treffen war die Gemeinschaft, das Zusammensein als solches. Unter Menschen zu sein, die mich mochten und die ich mochte, hat mich geheilt. Hatte ich bis dahin Freundschaften immer für weniger wichtig gehalten als die romantische Liebe, so konnte ich nach den Erfahrungen mit unserer Wellness-Gruppe die kolossale Bedeutung von Freunden nicht länger übersehen.
2017 dann packte ich meine Habe in einen Koffer und zog von Washington, D.C., wo ich sechs Jahre gelebt hatte, nach Atlanta in Georgia. Ich kannte kaum jemanden in Atlanta, doch meine Freunde in Washington hatten sich fest vorgenommen, dass ich mich auf keinen Fall einsam fühlen sollte, wenn ich dort ankäme. Verstaut in meinen Koffer lag auch ein Schraubglas mit Papierröllchen, Glückskeksen nicht unähnlich. Darauf hatten meine Freunde ihre liebsten Erlebnisse und Erinnerungen aus unserer gemeinsamen Zeit notiert. Und ich hatte eine gerahmte Collage mit Bildern von meinen Freunden und mir, wie wir strahlten, zusammen posierten und uns umarmten. Das Jahr vor meinem Wegzug war eines der schönsten meines Lebens gewesen, und das lag ohne jeden Zweifel daran, dass ich mich mit Menschen umgeben hatte, die mich kannten und liebten.
Im Mai 2017, als ich wusste, dass ich umziehen würde, schmiss ich eine kombinierte Geburtstags- und Abschiedsparty. Wir hatten alle zusammen ein abgefahrenes Konzert in einer Galerie besucht und quetschten uns hinterher in meinem kleinen Apartment zu Kuchen und Sekt zusammen. Ich brachte einen Toast aus auf die Handvoll Leute, die sich im Wohnzimmer versammelten. Der Sekt zeigte bereits Wirkung, und so wagte ich eine Ansprache der verletzlichen Sorte: »Ich möchte, dass ihr alle wisst, dass ich vergangenes Jahr in einem echten Tief steckte. Die Freundschaft von jedem Einzelnen von euch, wie ihr hier sitzt, war Teil der Kraft, die mich da wieder herausgeholt hat.«
Dieser Geburtstag und meine Wellness-Gruppe waren jeweils ein wichtiger Teil meiner Metamorphose. Ich begann allmählich, mich mehr auf meine Freunde zu konzentrieren, sie bewusst anzuerkennen und wertzuschätzen. In den Jahren davor, als ich noch dachte, nur Liebesbeziehungen seien wichtig, versank ich periodisch in Verzweiflung, wenn mal wieder ein verliebtes rosa Wölkchen in schwarzem Rauch aufging. Meine Trauer wurde noch genährt durch das krasse Ungleichgewicht in meinem Denken. Alles, was in meinem Leben nicht stimmte (Liebesbeziehungen), legte ich unter ein gigantisches Vergrößerungsglas. Alles, was gut lief (Freundschaften), übersah ich geflissentlich. Ausgerüstet mit dieser Art von Tunnelblick, fragte ich mich angesichts meiner gescheiterten Liebschaften alsbald, ob ich denn überhaupt imstande wäre, bedeutsame Beziehungen aufzubauen, ob ich die Liebe überhaupt verdiente. Doch dann legte ich dieses Denkmuster Schritt für Schritt ab. Ich wollte mich nicht nur auf eine bestimmte Form von Liebe fixieren und darüber die Liebe vernachlässigen, die mich umgab und immer umgeben hatte. Es gab so viel Liebe in meinem Leben. Und nur, weil sie von meinen Freunden kam, sollte sie weniger zählen?
Auf der Werteskala, auf der unsere Kultur die Liebe vermisst, steht die platonische Liebe auf der untersten Stufe. Meine Erfahrung ist jedoch, dass es für jeden Menschen ein tragischer Verlust ist, sie dort unten zu belassen. Ich habe dieses Buch geschrieben aus dem Wunsch heraus, diese Hierarchie kulturell einebnen zu helfen. Da wir den Wert der Freundschaft nicht immer zu würdigen wissen, fehlt es uns auch an dem Wissen, wie sie sich kultivieren lässt. Wollen wir die volle Bedeutung der Freundschaft für unser Leben erkennen, müssen wir wissen, wie man Freundschaften schließt und sie bewahrt.
Fragen wir eine Person in unserem Bekanntenkreis, wie man denn Freunde gewinnt, so lautet die Antwort meist, wir sollten uns einer Nachbarschaftsgruppe anschließen oder uns ein Hobby zulegen. Aber irgendwie geht dieser Rat am Problem vorbei. Denn er hat nichts damit zu tun, wie wir uns unseren sozialen Phobien stellen, unsere Angst vor Ablehnung aushalten und Nähe zulassen können. Und dabei vielleicht riskieren, dass unser Selbstwertgefühl noch mehr unter die Räder kommt. Freundschaft mit jemandem zu schließen, erfordert, dass wir an uns arbeiten – dass wir uns von Grund auf damit aussöhnen, wer wir sind und wie wir lieben. Das ist die Reise, die wir in diesem Buch antreten. Und die Freundschaft ist diese Mühe wert.
Als Doktorandin im Fach Psychotherapie übertrug man mir die Co-Leitung von Therapiegruppen an der psychologischen Beratungsstelle einer Universität. Die Gruppentreffen fanden in einem großen, hohen Raum statt, so, als sollte es nicht an Platz mangeln für all die Geheimnisse, die hier zum Vorschein kommen würden. Meine Co-Therapeutin und ich saßen uns gegenüber, jede an einem anderen Ende des Raums, damit wir die Gesichtsausdrücke der einzelnen Studierenden mitbekamen und uns auf widerstreitende Dynamiken innerhalb der Gruppe einstellen konnten. Die Studierenden betraten wortlos den Raum und nahmen Platz – entweder nahe bei anderen auf der gemütlichen Couch oder, ihren eigenen Raum beanspruchend, auf einem Stuhl. Sie waren meist ziemlich nervös. Meine Co-Therapeutin und ich mussten hart an unserer Toleranzgrenze arbeiten, um die langen Schweigeminuten auszusitzen. Irgendwann aber durchbrach eine oder einer der Studierenden doch das Schweigen, weil ihnen dieses noch unangenehmer war, als das Wort zu ergreifen.
Für gewöhnlich dauerte es einige Zeit, bis wir genügend Studierende für eine Gruppe zusammenhatten, da viele zögerten, an einer Gruppentherapie teilzunehmen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Ich soll von meinem Kindheitstrauma erzählen – vor lauter Fremden? Was könnte schlimmer sein? Der Normalfall war, dass sie mit einem Psychologen reden wollten, mit jemandem, der individuell auf sie und ihre Probleme eingehen konnte und darin geschult war, das Gehörte nicht zu bewerten (im Gegensatz zu den nicht zu übersehenden Fragezeichen in einer Therapiegruppe). Der Nutzen einer Gruppentherapie erschien den Studierenden nicht naheliegend. Schließlich müssten sie hier die Aufmerksamkeit, die sie in einer Einzeltherapie erfahren hätten, durch sieben teilen.
Waren zunächst auch wir, die künftigen Therapeuten, nicht gerade erpicht darauf, Therapiegruppen zu leiten, so begannen meine Co-Therapeutin und ich sie mit wachsender Erfahrung immer mehr zu schätzen. Die Studierenden wiederholten dieselben problematischen Verhaltensweisen, die sie draußen in der Welt zeigten, hier in der Gruppe. Da gab es beispielsweise einen Studenten namens Marquee, der über seine Trennung von einer chaotischen, selbstzerstörerischen Frau sprach, mit der er lange zusammengeblieben war, weil er glaubte, sie vor sich selbst retten zu können. In der Gruppe legte Marquee immer wieder diesen Helferkomplex an den Tag. Wenn andere von ihren Problemen erzählten, erklärte er ihnen ausführlich, wie sie ihr Leben in Ordnung bringen könnten. Er fühlte sich wohl in der Rolle des Retters. Er brauchte das Gefühl, gebraucht zu werden. Das war vermutlich der Grund, warum ihn selbstzerstörerische Menschen so sehr anzogen. Andererseits war es gerade sein Helfersyndrom, das den anderen Leuten in der Gruppe auf die Nerven ging.
Zu dieser Gruppe gehörte auch Melvin. Seine Mutter war drogensüchtig, und Melvins Art, mit diesem Trauma umzugehen, war, ständig zu behaupten, alles sei super und besser denn je. Woche für Woche beharrte er darauf,...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2023 |
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Übersetzer | Elisabeth Liebl |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | Allein • Beste Freundin • Bindungsstil • Echte Freunde • Einsamkeit • Mental Health • Nähe |
ISBN-10 | 3-8437-2969-7 / 3843729697 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2969-7 / 9783843729697 |
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