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Die Welt ist laut (eBook)

Eine Geschichte des Lärms
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01668-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Welt ist laut -  Kai-Ove Kessler
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Immer laut, niemals leise: die Geschichte des Lärms vom Urknall bis heute! Wie hat sich der Lärm unserer Zivilisation im Laufe der Jahrhunderte entwickelt? Wie klang das Rom der Kaiserzeit? Was war für die Ohren eines Bauern im Mittelalter laut? Welchen Lärm mussten die ersten Fabrikarbeiter in England ertragen? Das Buch beginnt mit einer Zeit weit vor der Geschichte des Menschen. Mit dem Urknall, der keiner war. Erst danach, mit der Erfindung der Werkzeuge, wurde der Lärm menschlich. Die ersten Großbaustellen der Geschichte im Alten Reich Ägyptens vor 4500 Jahren waren nicht nur ein unfassbarer Anblick, sondern auch eine ohrenbetäubende Erfahrung. Lärm ist göttlich, wie die Natur den frühen Menschen zu verstehen gab. Und auch in der griechischen, römischen und nordischen Mythologie gibt es mindestens einen Gott, der für Donner und Getöse zuständig ist. Im Mittelalter erobert dann die Kirche die akustische Lufthoheit über dem christlichen Europa - mit dem sakralen Dreiklang aus Glocke, Orgel und Kathedrale.  Kai-Ove Kessler kommt in dieser Kulturgeschichte zu der Erkenntnis, dass früher nicht alles leiser war. Dass Lärm sogar Labsal, Erleichterung und pures Vergnügen sein kann.

Kai-Ove Kessler, geboren 1962, ist Journalist, Historiker und Musiker. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk und hat fast genauso lange zur Geschichte des Lärms recherchiert. Lärm begleitet ihn seit seiner  frühesten Jugend: Er ist Schlagzeuger in einer Hardrock-Band. Kai-Ove Kessler hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg.

Kai-Ove Kessler, geboren 1962, ist Journalist, Historiker und Musiker. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk und hat fast genauso lange zur Geschichte des Lärms recherchiert. Lärm begleitet ihn seit seiner  frühesten Jugend: Er ist Schlagzeuger in einer Hardrock-Band. Kai-Ove Kessler hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg.

Antike Lärm ist Macht


Furor belli – Lärm als Laut des Schreckens


Die Geschosse sind eiförmig und aus gebranntem Lehm. Rund 1100 von ihnen liegen verstreut in den Trümmern eines uralten Hauses, das vor 5500 Jahren in sich zusammenstürzte. Zwei Dutzend der Lehmkugeln sind unbenutzt und säuberlich aufgereiht. Der Schleuderer in Hamoukar im heutigen Syrien kam nicht mehr dazu, sie zu benutzen. Als US-Archäologen die Kugeln im Jahr 2006 im nördlichen Mesopotamien ausgruben, war ihnen schnell klar, dass sie auf Spuren eines Krieges gestoßen waren. Doch es ist nicht irgendein Krieg. Stimmen die Befunde und Interpretationen der Wissenschaftler, handelt es sich bei dem Haus um die älteste jemals gefundene Munitionskammer der Welt.[1] Es wäre der Beleg für den bislang frühesten organisierten Krieg der Menschheitsgeschichte – 3500 Jahre vor Christus.

Krieg ist Gewalt in akustischer Form – ohrenbetäubend, angsteinflößend, traumatisierend, aber auch aufputschend, antreibend und fanatisierend. Weltliteratur und Geschichtsschreibung sind voll von Beschreibungen des Krieges und seines Lärms.

Bereits in der Antike prallten Armeen mit mehreren Zehntausend Kämpfern aufeinander – Schilde gegen Schwerter, Kampfgeschrei, rasselnde Streitwagen, wiehernde Pferde und schallende Kriegstrompeten. Die Töne des Nahkampfes waren dicht, unmittelbar und für die römischen Legionäre genau verort- und einschätzbar. Der Klang der antiken Fernwaffen hatte dagegen etwas Unberechenbares, Unheimliches und Heimtückisches. Bis heute ist das so geblieben. Die Feldgeschütze und Katapulte der Artillerie zischten und schlugen unerwartet zu. Wie aus dem Nichts regneten in sirrendem Hagel Tausende von Pfeilen der gegnerischen Bogenschützen auf die Soldaten herab. Der römisch-jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus berichtete in seiner Chronik des Jüdischen Krieges (66–70 n. Chr.) vom Angriff der römischen Truppen. Verheerend war die Wirkung der Balliste – ein Geschütz, das schwere Pfeile und Bolzen durch Torsionskraft abfeuerte. Die Geschosse konnten mehrere Kämpfer auf einmal töten. Wehrtürme und Mauern brachen ein, wenn die Steine der Katapulte sie trafen.

Insbesondere die archaischen Schleuderer waren gefürchtet. Ihr Stein- oder Bleiprojektil konnte jederzeit treffen und sogar eine Rüstung durchschlagen. Flavius Josephus schilderte plastisch den Angriff des römischen Heerführers und späteren Kaisers Vespasian auf die Bergfestung Jotapata im Jahr 67: «Eine so entsetzliche Wirkung hatte die Steinschleuder! Fast noch grauenvoller als die eigentliche Wirkung der Geschütze war das Dröhnen, das sie begleitete, und noch unheimlicher als die Kraft der Geschosse ihr Zischen und Sausen. Nacheinander hörte man den dumpfen Fall der zu Tode Getroffenen, die von der Mauer sanken, und in das furchtbare Jammergeschrei, das jedes Mal die Frauen im Innern der Stadt erhoben, klang von draußen das Ächzen der Sterbenden.»[2]

Vom sagenhaften Trojanischen Krieg berichtete Homer – er wird sich an Klangbildern zeitgenössischer Kriege orientiert haben. Er schilderte den Kampf von Griechen und Trojanern, die mit lautem Geschrei einander entgegenstürmten. «Nicht so donnert die Woge mit Ungestüm an den Felsstrand, (…) nicht der Orkan durchbrauset die hochgewipfelten Eichen (…). So voll Wut, wann am meisten mit großem Getös er dahertobt (…), da sie mit grausem Geschrei anwüteten gegeneinander.»[3]

Griechenland, Hort der Philosophen, der Dichtkunst, von Architektur und Demokratie, war vor allem auch ein Zentrum des Krieges. In den knapp 600 Jahren ihrer kulturellen Blütezeit führten die frommen Hellenen unzählige Kriege. Mal gegen äußere Feinde wie die Perser und später die Römer, doch vor allem untereinander. Die feinnervigen Anführer der Stadtstaaten wie Athen, Sparta, Theben oder Korinth setzten ihre Interessen mit roher Gewalt durch. Der Klang des Krieges war den Griechen vertraut und findet sich überall in der griechischen Literatur. Schlachtenlärm war göttlich und sagenhaft.

Lärm war zugleich eine militärische Waffe. Als Element der Einschüchterung des Gegners oder als Überraschungsmoment. «Man sollte die Armee schreiend in die Schlacht schicken (…), weil ihr Erscheinen und Geschrei und das Klirren der Waffen die Herzen der Feinde verwirrt», schrieb der griechische Stratege Onasandros im 1. Jahrhundert vor Christus in seinem Werk Strategikos.[4] Das rhythmische, vieltausendfache Schlagen römischer Legionäre mit ihren Schwertern auf die hölzernen Schilde muss einen Höllenlärm erzeugt haben, der den Gegner manchmal schon vor Kampfbeginn entmutigte. Dazu kamen das laute Tuten der Feldhornbläser (Cornicen) oder der durchdringende helle Ton der Signalhörner (Lituus). Zur Ausrüstung gehörte auch das Cingulum, ein metallbeschlagener Lendengürtel, der beim Marschieren rasselte. Zusammen mit den eisenbenagelten Sohlen der Soldatenstiefel ergab sich ein eindrucksvolles und einschüchterndes Lautbild, das seinen Eindruck sicher nicht verfehlte.

Aber auch die Gegner der Römer nutzten den Lärm. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus schrieb in seiner Germania, dass die Germanen vor jedem Angriff einen Kriegsgesang anstimmten, den Barditus. Die Männer hätten die Schilde vor den Mund genommen und zunächst leise gemurmelt. Das Murmeln sei angeschwollen, wurde von den Schilden verstärkt und steigerte sich zu einem Brüllen, mit dem der Angriff eingeleitet wurde. Über Jahrhunderte behielten die germanischen Stämme diese Kampftaktik bei. «Es beginnt mit einem schwachen Summen, verstärkt sich dann allmählich, wie das Brausen der Meereswogen, die gegen Klippen branden», berichtete der Historiker Ammianus Marcellinus im 4. Jahrhundert.[5] Akustische Unterstützung erhielten die germanischen Krieger von ihren Frauen, wie der griechische Historiker Strabon (63 v. Chr. – 23 n. Chr.) in seiner Geographika über die Kimbern schrieb: «Während der Kämpfe schlugen sie auf die Häute, mit denen das Flechtwerk der Wagen bespannt war, sodass ein ungeheurer Lärm erzeugt wurde.»[6]

Die römische Armee trug Kriegslärm damals in alle Teile der bekannten Welt – von den britischen Inseln bis nach Nordafrika, von Spanien bis an die Grenzen Indiens. Die erste Weltmacht führte gefühlt ununterbrochen Krieg. In Wahrheit überwogen für die meisten römischen Bürger und auch die meisten Legionäre die Zeiten des Nichtkämpfens. Wenn die Armee, die in ihrer Blüte bis zu 30 Legionen und rund 200000 Männer unter Waffen hatte, allerdings in den Krieg zog, waren es gewaltige Aufmärsche. Wie zum Beispiel bei der für Rom verheerenden Schlacht bei Cannae an der Adria südlich von Rom am 2. August 216 vor Christus. Insgesamt 86400 Soldaten der römischen Republik – Historiker haben das exakt berechnet – trafen auf das 60000 Mann starke Heer des karthagischen Feldherren Hannibal. Die lärmende Schlacht endete mit einer vernichtenden Niederlage der Römer. Fast 55000 Soldaten verloren ihr Leben.

Kriegslärm als Mittel der psychologischen Kriegsführung machte eine erstaunliche Entwicklung durch. Als die ersten Kriegselefanten spätestens um 500 vor Christus in indischen Heeren eingesetzt wurden, dienten sie vor allem zur Einschüchterung der Gegner. Ihr Trompeten, ihr Stampfen und Schnaufen müssen verstörend gewirkt haben. Militärisch war ihre Wirkung wohl überschaubar. Von Indien gelangte das Wissen ins Perserreich. Noch vor den Römern machte Alexander der Große als erster Europäer die Bekanntschaft mit den furchteinflößenden Tieren. Es gilt als gesichert, dass die makedonischen Truppen am 1. Oktober 331 vor Christus auf Kriegselefanten des Perserkönigs Dareios trafen.

Als der karthagische Heerführer Hannibal 218 vor Christus mit 37 Tieren in seinem berühmten Feldzug über die Alpen kam, waren Kriegselefanten bereits ein alter Hut. Schon 60 Jahre zuvor hatten die Römer in Süditalien gegen den altgriechischen König Pyrrhus gekämpft – und verloren. Doch der Sieg, den der griechische Machthaber von der anderen Seite der Adria auch durch seine 20 Kriegselefanten erlangen konnte, war trügerisch. Er verlor in der Schlacht zahlreiche Krieger. «Noch einen solchen Sieg über die Römer – dann sind wir vollständig verloren!», soll er gesagt haben. Das geflügelte Wort des Pyrrhus-Sieges war geboren. Im frühen Mittelalter verschwanden die laut trötenden Kriegselefanten zunächst aus der europäischen Geschichte und wurden zur Legende.

Wie die riesigen Armeen in einer Zeit ohne Funk und Feldstecher kommunizierten, ist heute nahezu geklärt. Da der Lärm auf dem Schlachtfeld sprachliche Kommunikation fast unmöglich machte, setzten die Römer auf Signalmusik und das menschliche Auge. Die Militärmusiker (Aeneatores) gaben auf ihren Feldhörnern genau abgestimmte Signale, um den Truppen Befehle zu geben. An den Bewegungen der Feldzeichen (Signum) konnten die Heerführer dann sehen, wie die Befehle umgesetzt wurden. Die Bläser standen immer in der Nähe der Feldzeichenträger (Signifer). Sie gehörten zu den wichtigsten Soldaten. Fiel ein Signifer, wurde er sofort durch einen Legionär ersetzt. Das komplexe Signalwerk wurde ergänzt durch den hellen Ton der Signalhörner (Lituus),...

Erscheint lt. Verlag 18.4.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Schlagworte Akustik • Allgemeinwissen • Echo • Geräusche • Geschenk für Mann • Hören • Klang • Krach • Kulturgeschichte • Lärm • Menschheitsgeschichte • Musik • Noah Yuval Harari • Populäres Sachbuch • Populärwissenschaft • Schall • Tinnitus • Vatertagsgeschenk • Weltgeschichte
ISBN-10 3-644-01668-2 / 3644016682
ISBN-13 978-3-644-01668-2 / 9783644016682
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