Zwischen Erde und Himmel (eBook)
1024 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00762-8 (ISBN)
Peter Frankopan, geboren 1971, ist Professor fu?r Globalgeschichte an der Universität Oxford und zählt zu den profiliertesten Historikern unserer Zeit. Sein Buch «Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt» (2016) verkaufte sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal und stand auch in Deutschland lange auf der «Spiegel»-Bestsellerliste. 2019 erschien «Die neuen Seidenstraßen», das ebenfalls viel diskutiert und zu einem die Debatte prägenden Bestseller wurde - «ein Weckruf», wie der «Tagesspiegel» schrieb. Peter Frankopan bezieht in der internationalen Presse («New York Times», «Guardian», «China Daily» u.a.) regelmäßig Stellung zu aktuellen weltund geopolitischen Fragen.
Peter Frankopan, geboren 1971, ist Professor für Globalgeschichte an der Universität Oxford und zählt zu den profiliertesten Historikern unserer Zeit. Sein Buch «Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt» (2016) verkaufte sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal und stand auch in Deutschland lange auf der «Spiegel»-Bestsellerliste. 2019 erschien «Die neuen Seidenstraßen», das ebenfalls viel diskutiert und zu einem die Debatte prägenden Bestseller wurde – «ein Weckruf», wie der «Tagesspiegel» schrieb. Peter Frankopan bezieht in der internationalen Presse («New York Times», «Guardian», «China Daily» u.a.) regelmäßig Stellung zu aktuellen weltund geopolitischen Fragen.
Einleitung
Drei Dinge üben beständig Einfluss auf das Denken der Menschen aus: das Klima, die Regierung und die Religion.
Voltaire, Über den Geist und die Sitten der Nationen (1756)
«Des Menschen erste Widersetzlichkeit», schrieb John Milton am Anfang von Paradise Lost, bestand darin, dass er die Frucht des «untersagten Baumes» im Garten Eden aß. Diese Entscheidung brachte «Tod (…) und unser ganzes Leid». Der Verlust des Paradieses verwandelte die Welt – von einem Ort der Schönheit und Fülle in einen Ort von Sorgen und Traurigkeit, wo «Ruh und Frieden nimmer weilen mag» und «Hoffnung nicht, die sonst zu allen kommt». Das Leben wurde zu einer «endlosen Qual».[1]
Miltons episches Gedicht, das 1677 erschien, ist eine Nacherzählung der biblischen Schöpfungsgeschichte vom Anfang des 1. Buches Mose (Genesis), wo erklärt wird, wie der Mensch zum Architekten des eigenen Niedergangs wurde. Indem sie sich von der «höllischen Schlange» verführen ließen, verdammten Adam und Eva alle zukünftigen Generationen der Menschheit zu einem Leben der ökologischen Herausforderung, in dem die Umwelt nicht mehr nur freundlich und wohlgesonnen war, in dem man nicht mehr ständig leicht an Nahrung gelangen konnte. Die Menschen mussten nun arbeiten, statt von Gott mit Gaben bedacht zu werden. Das Paradies war verloren.
In der heutigen Welt sind die Art und Weise, wie unsere Spezies das Land bearbeitet, die natürlichen Ressourcen ausbeutet und mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht, Gegenstand heftiger Diskussionen geworden – nicht zuletzt, weil viele glauben, dass die menschlichen Aktivitäten so umfassend und schädlich geworden sind, dass sie das Klima verändern. Im vorliegenden Buch gilt der Blick unserem Planeten, unserem eingegrenzten Garten (so die wörtliche Bedeutung von «Paradies»), wie er sich seit Anbeginn der Zeit verändert hat – manchmal als Ergebnis menschlicher Eingriffe und Aktivitäten, als Ergebnis von Kalkulation und Fehlkalkulation, manchmal aber auch aufgrund einer ganzen Fülle anderer Akteure, Faktoren, Einflüsse und Impulse, die die Welt, in der wir leben, gestaltet haben – oftmals auf eine Art und Weise, an die wir nicht gedacht haben oder die wir nicht verstehen. Dieses Buch wird erklären, wie unsere Welt schon immer von Veränderung, Übergang und Wandel geprägt war. Denn außerhalb des Gartens Eden steht die Zeit niemals still.
Dem menschlichen Einfluss auf Umwelt und Klimawandel bin ich erstmals in einer Kindersendung im Fernsehen begegnet; sie hieß «John Craven’s Newsround» und lief, als ich ein kleiner Junge war, täglich im britischen Fernsehen. «Newsround» war ein BBC-Flaggschiffprogramm, eine Lebensader, die jüngere Zuschauer mit der Welt jenseits der Britischen Inseln verband. Diese Sendung war eine der wenigen, die meine Geschwister und ich mit Erlaubnis unserer Eltern sehen durften. Durch sie lernte ich das Leid der Menschen in Kambodscha unter den Roten Khmer kennen, die politischen Komplexitäten im Nahen Osten, die Realitäten des Kalten Krieges.
Eines der Themen, die in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren ständig zur Sprache kamen, war der saure Regen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie gebannt ich war vom schrecklichen Anblick der Bäume, die ihr Laub verloren hatten, und vom Gedanken, dass menschliche Aktivitäten für diese Entgleisung der Natur verantwortlich waren. Die Vorstellung, dass Fabriken Emissionen ausstießen, die die Wälder verheerten, Tiere töteten und den Boden kontaminierten, schockierte mich. Schon als kleiner Junge schien mir klar zu sein, dass die Entscheidungen, die wir getroffen hatten, um Güter und Produkte herzustellen, Langzeitauswirkungen haben würden – für uns alle.
Verstärkt wurden diese Befürchtungen noch durch die Angst vor atomaren Verwüstungen, die meine Kindheit prägte. Ich bin Teil einer Generation, die mit dem Glauben aufwuchs, dass die Welt einen globalen Atomkrieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion erleben werde. Dieser würde zu einem Massensterben führen, nicht nur durch die Explosion zahlreicher Interkontinentalraketen mit Atomsprengköpfen, sondern auch durch den drohenden atomaren Winter, verursacht durch die Atompilze nach Explosion der Sprengköpfe. Ein Zeichentrickfilm, der Mitte der achtziger Jahre herauskam, When the Wind Blows (deutsche Fassung: Wenn der Wind weht), zeichnete ein schmerzlich ergreifendes, schreckliches Bild dessen, was auf uns zukam: Trübsal, Leid, Hunger und Tod – und alles nur, weil die Menschheit in der Lage war, Massenvernichtungswaffen zu erfinden, die durch Feuerstürme und Explosionen nicht nur Millionen Menschen töten, sondern auch das Klima der Erde so drastisch verändern würden, dass schon das reine Überleben einem Wunder glich.
Die Detonation von Dutzenden atomarer Waffen würde so viel Staub und Fallout in die Erdatmosphäre schleudern, dass wir alle lernen müssten, mit ständigen Minustemperaturen zu leben. Das Sonnenlicht würde durch undurchdringliche Staubwolken blockiert werden, und infolgedessen würden die Pflanzen sterben. Anschließend würde es den Tieren ähnlich ergehen – und damit würden alle Menschen, die die Atomschläge überlebt hätten, nicht nur vor Kälte zittern, sondern obendrein auch noch hungern. Strahlender Fallout würde Flora und Fauna kontaminieren und alle Formen des Lebens vergiften. Es konnte nur noch darum gehen, diese Apokalypse irgendwie zu überstehen – in der Hoffnung, überhaupt zu den Überlebenden zu gehören. Langfristig allerdings, so hofften wir, würde sich das Klima beruhigen und einen Neuanfang ermöglichen. Man müsste dann erst einmal sehen, wie viele Menschen noch lebten, wo sie lebten, und von Neuem beginnen.
Die Ängste meiner Generation nahmen durch diverse Unglücke und Unfälle noch weiter zu. Der dramatischste Vorfall war 1986 die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in der heutigen Ukraine. Die Berichte über diese Katastrophe, die tagelang von den sowjetischen Behörden verschwiegen wurde, dienten als mahnende Bestätigung, dass Fehlkalkulationen, Fehleinschätzungen und Inkompetenz die ganze Welt, in der wir lebten, beeinflussen konnten. In den folgenden Monaten studierte ich Landkarten, auf denen der Weg der Wolken mit dem atomaren Fallout verzeichnet war, und achtete sorgfältig auf das, was ich aß. Zudem wurde mir schmerzhaft bewusst, welche Gefahren nun durch potenzielle Klimaveränderungen drohten.
Unsere Sommer verbrachten wir an einem See in Mittelschweden, und wir sagten, dorthin würden wir fliehen, wenn es je zum Ausbruch eines Atomkriegs käme. Wie die meisten wissen, gehört Schweden im Winter nicht gerade zu den wärmsten Ländern, aber mich beruhigte der Gedanke, dass wir auf diese Weise Soldaten, Panzern und Raketen aus dem Weg gehen könnten. Tröstlich war für mich auch das Wissen, dass Blaubeeren (die noch heute zu meinen Lieblingsfrüchten zählen) kälteresistent sind. Neben meinem Bett stand immer eine kleine gepackte Tasche, die jedes Jahr auf den neuesten Stand gebracht wurde, für den Fall, dass die Zeit gekommen war (ob sie kommen würde, war keine Frage mehr), sich an den globalen Klimawandel anzupassen. Sie enthielt einen Schokoriegel, ein Schweizer Offizierstaschenmesser (damit ich mir Pfeil und Bogen schnitzen konnte), ein paar Wollhandschuhe, ein Kartenspiel und drei Bälle, zwei Kugelschreiber (für den Fall, dass eine Tintenmine leer wäre) und etwas Papier.
Tatsächlich wurden meine Vorbereitungen niemals benötigt – obwohl in diesem Punkt wahrscheinlich mehr Glück als Können im Spiel war. Wie wir heute wissen, wurden mehrmals beinahe Raketen abgeschossen, weil Bären bei der Nahrungssuche Drahtzäune durchbrochen hatten oder weil es bei Militärmanövern Missverständnisse gab, die eine der beiden Seiten zu der Annahme verleiteten, ein feindlicher Angriff stehe unmittelbar bevor. Wetterballons wurden fälschlicherweise für ballistische Waffensysteme gehalten. Kurz, ich wuchs in einer Welt auf, die von Beinahe-Katastrophen und menschlichen Irrtümern bestimmt war.
Natürlich gab es noch viel anderes, was mich als Heranwachsenden in Angst und Schrecken versetzte: Die 1970er und 1980er Jahre waren eine Zeit der Ungerechtigkeiten, des Hasses, der Instabilität, des Terrorismus, der Hungerkatastrophen und Völkermorde. In meinem Hinterkopf beschäftigten mich stetig auch ökologische Verheerungen, Klima und Klimawandel als Probleme der Gegenwart, die in Zukunft nur noch schlimmer werden konnten. Für meine Generation gab es nur wenige Gewissheiten. Eines war absolut klar: Wir würden so gut wie garantiert auf einem Planeten leben müssen, der feindlicher, instabiler und gefährlicher war als der, auf dem wir unsere Kindheit verbracht hatten. Ich nahm an, dass die Ursache für diese Verschlechterung ein Weltkrieg oder große Unfallkatastrophen sein müssten.
Es wäre mir damals nicht in den Sinn gekommen, dass das Ende des Kalten Krieges in ein Zeitalter münden würde, in dem die Umwelt unter noch größeren Stress geriet, und dass die globale wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einem massiven Anstieg der CO2-Emissionen führen würde – und zu einer Welt, die sich immer stärker erwärmte. Meine Erziehung führte schlicht und einfach zu der festen Annahme, die Katastrophe müsse aus den Schrecken des Krieges herrühren. Das hatte ich schließlich in der Schule gelernt. Frieden und Harmonie hingegen sollten die Lösung sein – und nicht ein Teil des Problems.
Und so führte mich mein Weg, der vor vielen Jahren...
Erscheint lt. Verlag | 16.5.2023 |
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Übersetzer | Henning Thies, Jürgen Neubauer |
Zusatzinfo | Mit zahlr. 4-farb. Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
Schlagworte | Afrika • Amerika • Asien • Aufstieg und Fall der Zivilisationen • Deutscher Wirtschaftsbuchpreis • Die neuen Seidenstraßen • Dürre • Eiszeit • Europa • Flut • Geopolitik • Geschenk für Vater • Jared Diamond • Klima • Klimawandel • Kulturgeschichte • Licht aus dem Osten • Menschheitsgeschichte • Natur • Naturkatastrophen • Noah Yuval Harari • Ressourcen • Sachbuch Geschichte • Überschwemmung • Umwelt • Unwetter • Völkerwanderung • Vulkanausbruch • Warmzeit • Weltgeschichte • Weltgeschichte einfach verstehen • Wetter |
ISBN-10 | 3-644-00762-4 / 3644007624 |
ISBN-13 | 978-3-644-00762-8 / 9783644007628 |
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