Es lebe die demokratische Republik (eBook)
176 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-51001-0 (ISBN)
Emma Herwegh (1817-1904) kämpfte als einzige Frau an der Seite von 850 Freiheitskämpfern mit Wort und Tat fu?r ein freiheitliches und demokratisches Deutschland. Die aufbegehrende Revolution 1848 scheiterte, woraufhin sie die Zeit bis zu ihrem Tod 1904 in Paris als als politisch Verbannte und steckbrieflich gesuchte »Verräterin« verbrachte.
Emma Herwegh (1817–1904) kämpfte als einzige Frau an der Seite von 850 Freiheitskämpfern mit Wort und Tat für ein freiheitliches und demokratisches Deutschland. Die aufbegehrende Revolution 1848 scheiterte, woraufhin sie die Zeit bis zu ihrem Tod 1904 in Paris als als politisch Verbannte und steckbrieflich gesuchte »Verräterin« verbrachte. Elke Heidenreich, geboren 1943, studierte Germanistik und arbeitete lange Jahre für Funk und Fernsehen, ehe sie sich für eine Weile zurückzog, um mehrere Bücher zu schreiben (Kolonien der Liebe, Der Welt den Rücken, Nero Corleone usw.). Seit 2012 ist sie Teil des Kritikerteams der Sendung Literaturclub des Schweizer Fernsehens SRF.
Im Interesse der Wahrheit
Vorwort
Man hat über das Entstehen, die Absicht und das Resultat der deutschen, demokratischen Legion aus Paris schriftlich und mündlich so viel und so schlecht gefabelt, dass es mir im Interesse der Wahrheit nicht unwichtig scheint, die Sache in ihrem rechten Lichte hinzustellen, so, wie es aber nur der vermag, der wie ich vom Anfang bis zum Schluss dem ganzen Unternehmen Schritt für Schritt mit Sympathie und tätiger Teilnahme gefolgt ist.
Alle andere Bedenken, die mich zu jeder anderen Zeit bestimmen würden, den literarischen Weg nie zu betreten, müssen in einem Augenblick wie dem jetzigen wegfallen, wo es weder einer besonderen Begabung noch eines schriftstellerischen Berufs bedarf, auch seine Stimme für die Freiheit zu erheben und der Verleumdung energisch entgegen zu treten; sondern nur eines Menschen, dessen Gefühlsnerven etwas über den Kreis seiner Privatverhältnisse hinausreichen, dessen Herz ein starker Resonanzboden alles dessen (ist), was in dem der ganzen Menschheit pulsiert.
Diese Eigenschaft dünkt mich, ist weder eine ausschließlich männliche noch weibliche – sie gehört beiden Geschlechtern an, soweit sie sich eben mit Beibehaltung der ihnen eigentümlichen Auffassungsweise zu Menschen emanzipiert haben.
Ich mache diese lange Vorrede zu einer vielleicht recht kurzen, recht unbedeutenden Arbeit, um mich von vornherein gegen den Verdacht zu wahren, die Zahl der schriftstellerischen Frauen (mit dem technischen Ausdruck bas bleus genannt) irgendwie selbst auch nur vorübergehend vermehren zu wollen.
Vor dieser Laufbahn hat mich alles geschützt, was überhaupt schützen kann: Der Mangel an Beruf, an Neigung dazu, und vor allem Eins, das am sichersten und zugleich am schönsten vor der literarischen Pest bewahrt – ein gutes, liebendes Geschick.
Ich nehme heute die Feder zur Hand, wie ich schon bemerkt, als die mir im Moment einzig zu Gebot stehende Waffe im Interesse der Wahrheit und in dem der armen gefangenen Freunde, etwas, sei es auch noch so gering, zu tun. Der Deutsche, soweit ich ihn kenne, gibt leichter Geld für Geschriebenes als für Lebendiges aus, und da mir’s vollkommen einerlei, ob man diese kleine Broschüre aus Interesse, Neugier, ja, selbst aus Böswilligkeit kauft, ob man sie mit Gleichgültigkeit, mit Geringschätzung oder mit Befriedigung beiseitelegt, vorausgesetzt dass man sie kauft, so denk ich, ich fang ohne Weiteres an.
E. H.
Drei Tage hatten den Kindern von Paris genügt, die alte, morsche Welt mit all ihren Vorurteilen, ihren Privilegien zu begraben und das Banner einer neuen jubelnd aufzupflanzen.
Ich sage, den Kindern von Paris, denn sie waren es recht eigentlich, welche ohne Führer, selbst von den Deputierten der Opposition verlassen, am 24. Februar als Sieger in die Tuilerien[3] einzogen und dem Königtum durch den einstimmigen Ruf: Vive la République ein Ende machten.[4]
Ja, vive la République! Aber eine solche, wie sie groß und keusch aus den Händen des armen Volkes hervorgegangen, und von ihm weder als das ausschließliche Eigentum seiner noch irgendeiner anderen Nation, sondern als das beglückende Band aller Völker gedacht und geschaffen war.
Darum allein hatte diese Revolution auch eine Bedeutung, darum die ungeteilten Sympathien aller guten, freien Menschen.
Polen, Italiener, kurz, die verschiedenen fremden Nationen, die hier in Paris zahlreich repräsentiert waren, schickten als Ausdruck ihrer Freude und Bewunderung Adressen und Deputationen an das französische Volk, das auch jetzt wieder so glorreich die Initiative für Alle ergriffen hatte – nur die Deutschen, die gewöhnlich hintennach ziehen und zum Fest kommen, wenn alle Andern längst abgespeist und ihnen nichts als die beaux restes übrig gelassen, hatten es noch nicht zu einem gemeinsamen Gruß bringen können.
Um jene Zeit kam der ehemalige Redakteur der Brüsseler Zeitung, Herr Adelbert von Bornstedt[5], nach Paris und machte einen Besuch bei Herwegh. Er lud ihn zu einer Versammlung von Deutschen ein, die noch am selben Abend im Café de Mulhouse zustande kommen sollte, um sich wegen einer Adresse an das französische Volk zu beraten. Gegen 400 fanden sich zur bestimmten Stunde auch daselbst ein und verständigten sich, oh Wunder!, wirklich darüber, dass es an der Zeit wäre, eine gemeinsame Manifestation zu machen.
Diese ohne Aufschub ins Werk zu setzen, erwählten sie gleich aus ihrer Mitte ein Komitee, zu dessen Präsidenten sie Herwegh ernannten und ihm den Adress-Entwurf übertrugen. Herr v. Bornstedt und Herr v. Löwenfels[6] wurden zu Vizepräsidenten gewählt, und einige andere Herren, an deren Namen ich mich im Augenblick nicht erinnere, übernahmen die Stelle der Sekretäre.
Um die deutsche Nation bei den Franzosen würdig zu vertreten, bedurfte es eines unbefleckten Namens, einer Stimme, die dem deutschen Volke lieb und bekannt war – deshalb fiel die einstimmige Wahl auf Herwegh. Der Name des Herrn v. Bornstedt war damals, so wenigstens sagte man uns, kompromittiert; ob mit Recht oder Unrecht, weiß ich nicht, und es kümmert mich auch wenig. Wir hatten nichts für, nichts gegen ihn, er war uns unbekannt.
Herwegh nahm die Wahl an, setzte die Adresse auf, und das Komitee erließ einen Ruf an sämtliche hier lebende Demokraten, sich Montag, den 6. März, im Saale Valentino einzufinden, um darüber abzustimmen.
Die Versammlung war zahlreich. Gegen 4000 Deutsche hatten sich eingefunden, und mit großem und ungeheucheltem Beifall die Adresse von Herwegh begrüßt, welche ich hier wörtlich einschalten will.
An das französische Volk!
Der Sieg der Demokratie für ganz Europa ist entschieden. Gruß und Dank vor allem dir, französisches Volk! In drei großen Tagen hast du mit der alten Zeit gebrochen und das Banner der neuen aufgepflanzt für alle Völker der Erde.
Du hast endlich den Funken der Freiheit zur Flamme angefacht, die Licht und Wärme bis in die letzte Hütte verbreiten soll.
Die Stimme des Volkes hat zu den Völkern gesprochen, und die Völker sehen der Zukunft freudig entgegen. Vereint auf einem Schlachtfeld treffen sie zusammen, zu kämpfen den letzten, unerbittlichen Kampf für die unveräußerlichen Rechte jedes Menschen.
Die Ideen der neuen französischen Republik sind die Ideen aller Nationen, und das französische Volk hat das unsterbliche Verdienst, ihnen durch seine glorreiche Revolution die Weihe der Tat erteilt zu haben. Ja, überall in Europa erwachen die demokratischen Ideen, überall stehen Millionen Männer bereit, dafür zu leben und zu sterben.
Während die Allmacht des Volkes Wunder wirkt, kommt die Ohnmacht sogenannter absoluter Mächte immer deutlicher zum Vorschein.
Unerschrocken und glücklich hat die Schweiz ihrer koalisierten Schwäche Trotz geboten, unerschrocken und glücklich schreitet Italien vorwärts.
Deutschland ist bereits in seinen tiefsten Tiefen erregt und wird und kann in dem begonnenen Kampfe nicht zurückbleiben, dem es längst durch den Gang seiner geistigen Entwicklung mit vorgearbeitet hat.
Die Freiheit bricht sich Bahn, und die Tyrannei selbst ist verdammt, ihr durch blinden Widerstand Bahn brechen zu helfen und ihr Verbündeter zu werden.
Französisches Volk, wir gehen Hand in Hand mit dir. Wie groß und schwierig auch immer unsere Aufgabe ist, wir fühlen die Kraft mit der Arbeit wachsen.
Erhalte nur du deine Freiheit – das Einzige was der Erhaltung wert ist.
Erhalte allen deinen Kindern, was sie alle erkämpften, und die einzige Hilfe, welche wir von dir begehren, ist, dass du standhaft bleibst und uns zujubelst, wenn wir von den Zinnen des von deutschen Händen eroberten Deutschlands dir zurufen:
Es lebe die Freiheit, die Gleichheit, die Bruderliebe!
Es lebe die Demokratie!
Es lebe die europäische Republik!
Nachdem Herwegh seinen Vortrag beendigt, forderte er diejenigen in der Versammlung, welche fertige Adressen bei sich hatten, auf, diese ebenfalls zu lesen, um dann den Anwesenden die Wahl freizustellen.
Herr Venedey[7], der während des Vortrages mit unglaublicher Aufregung und vielem Schweiß zu Herwegh hinaufgeblickt hatte, wie jemand, der nur mit größter Mühe einen seltenen Schatz verbirgt und den Moment beflügeln möchte, wo er ihn endlich der Welt offenbaren darf, ließ sich dies nicht zweimal sagen.
Mit einem Satz schwang er sich auf die Tribüne, zog ein Manuskript hervor und verlas in gebrochenem Französisch und mit bebender Stimme etwas, das ich nicht näher zu klassifizieren verstehe, und deshalb dem Leser gern zur unparteiischen Würdigung übergäbe, jedoch leider weder besitze noch mir verschaffen kann.
Das Einzige, was ich davon zu melden weiß, ist, dass es eine sehr schwache Zustimmung fand. – Etwa 50 Stimmen erklärten sich anfangs dafür, riefen aber bald darauf: Wir haben nichts verstanden, Sie müssen es deutsch lesen.
Grausames, unerbittliches Geschick! Herr Venedey musste sich entschließen, sein Manuskript Satz für Satz zu übersetzen, und somit sich selbst das Verdammungsurteil zu sprechen, da dieses Experiment am wenigsten geeignet war, das Publikum über die Gedankenlosigkeit seiner Arbeit in Zweifel zu lassen.
Die Stille in der...
Erscheint lt. Verlag | 9.2.2023 |
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Reihe/Serie | Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten | Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten |
Vorwort | Elke Heidenreich |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
Schlagworte | Anfänge der Demokratie • Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten • Demokratiebewegung • Demokratische Legion • deutsche demokratie • Deutsche demokratische Gesellschaft • Deutsche Revolution • Frankfurter Nationalversammlung • Frankfurter Paulskirche • Georg Herwegh • Nationalversammlung • Paulskirche |
ISBN-10 | 3-462-51001-0 / 3462510010 |
ISBN-13 | 978-3-462-51001-0 / 9783462510010 |
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