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Revolutionen müssen vollendet werden -  Friedrich Hecker

Revolutionen müssen vollendet werden (eBook)

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2023 | 1. Auflage
176 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-51004-1 (ISBN)
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Die radikaldemokratischen Forderungen des Friedrich Hecker - in diesem Band der »Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten« erstmals in einer Textauswahl versammelt. Friedrich Hecker, einer der - nicht nur in seinem Heimatland Baden, sondern in allen deutschen Ländern - bekanntesten und angesehensten frühen Demokraten, verabscheute schöne Reden und jede Art des Kompromisses. Er forderte stattdessen energisches Handeln und war selbst ein ausgesprochener Tatmensch, wie der von ihm organisierte und nach ihm benannte bewaffnete Aufstand ('Heckerzug') in Baden beweist, der seinem Anführer weit über die badischen Landesgrenzen hinaus Heldenstatus zuwies - auch wenn dem Waffengang kein Erfolg beschieden war. Dass und warum das Vorhaben scheiterte, welche anderen 'radikalen' Forderungen er stellte und weshalb die meisten davon zunächst unerfüllt blieben, schildert Hecker in seinen hier erstmals in einer Auswahl versammelten Texten. Nach seiner Flucht in die Schweiz 1848 emigrierte Friedrich Hecker in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er seinen Kampf um Volkssouveränität und Menschenrechte als Offizier der Nordstaaten-Armee fortsetzte.

Friedrich Hecker (1811-1881) begann schon früh eine politische Laufbahn und wurde über die Jahre zu einem der bekanntesten und angesehensten frühen Demokraten. Nach seiner Flucht in die Schweiz 1848 emigrierte Friedrich Hecker in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er bis zu seinem Tod 1881 lebte. 

Friedrich Hecker (1811–1881) begann schon früh eine politische Laufbahn und wurde über die Jahre zu einem der bekanntesten und angesehensten frühen Demokraten. Nach seiner Flucht in die Schweiz 1848 emigrierte Friedrich Hecker in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er bis zu seinem Tod 1881 lebte.  Antonia Grunenberg, geboren 1944 in Dresden, studierte Soziologie, Philosophie und Germanistik in Frankfurt und Berlin. 1975 promovierte sie an der FU Berlin in Philosophie und wurde 1986 in Politischer Wissenschaft an der RWTH Aachen habilitiert. 2000-2009 war sie Professorin für Politikwissenschaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, wo sie auch das dortige "Hannah Arendt-Zentrum" gründete und leitete. Seit 2009 lebt und arbeitet sie als Publizistin in Berlin.

Der badische Landtag von 1842[3]


1 Einleitung


Der badische Landtag von 1842 bildet ohne Zweifel einen scharf bezeichneten Abschnitt in der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes. Der laute Freiheitsschrei des gallischen Hahns im Jahr 1830 war verklungen, die politische Trägheit und Gleichgültigkeit hielten reiche Ernte, große und kleine Klatschereien und literarischer Skandal waren die Würze zu dem Sklavenbrei des alltäglichen Schlendrians, Gelddurst und ein Rennen nach Erwerb, was man die materiellen Interessen nannte, war die Losung des Tages, und sie wurde von oben herab gnädig beäugelt und begünstigt, weil in geldgierigen Krämerseelen kein prometheischer Funke aufstrahlt und weil die Richtung der Zeit wie eine Finanzspekulation angesehen wurde – wobei man sich aber denn doch verrechnet haben möchte, da auch die materiellen Interessen der Sache der Freiheit dienen müssen und dienen. In dieser welken Zeit tauchte nur hier und da in deutschen Landen ein Wetterleuchten auf.

Hannover machte ein mutiges Gesicht und wendete sich höflich an den Bundestag, der sich offiziell für inkompetent erklärte; die deutschen Kammern trugen hingegen Bedenken und predigten tauben Ohren für die Brüder in Hannover; Pressefreiheit wurde begehrt und Zensuredikte ergingen; die Zeitungen erzählten ausführlich, dass Prinzen auch heiraten, fürstliche Kinder auch getauft werden, und Könige sterben wie Bauern. Fast allmonatlich musste ganz Deutschland deshalb entweder in der verzücktesten Exaltation oder in der tiefsten Trauer sich befinden, so dass die guten Michelinge nach den offiziellen Zeitungsnachrichten gar nicht mehr wussten, wie sie eigentlich daran waren.

In Baden hatte sich der Sinn für Freiheit und Verfassungsleben noch am wachsten erhalten. Da fuhr der Urlaubsstreit und seine Folgen wie ein Streiflicht über das Land; die wahren Abgeordneten des Volkes erhoben sich, wie ein Mann, gegen Eingriffe in die Verfassung. Die Minister waren gewöhnt, dass man in glatten, abgedroschenen Formen sie anredete; jedes Wort wurde noch extra in Baumwolle gewickelt, damit man ihnen nicht zu wehe tue, und das nannte man: eine parlamentarische Sprache führen. Die deutschen Minister, die wohl wussten, dass ihnen das Portefeuille an den Leib gewachsen war und nur der Tod sie von ihm trennen könne, nahmen Prisen, während man sie apostrophierte, und die Reden und Vorwürfe glitten an ihnen ab wie der Hauch am Spiegel.

Da erhoben sich die badischen Deputierten und nannten die Dinge bei ihrem wahren Namen; sie sprachen mit dem Herzen; die Wörterbuhlschaft hatte ein Ende. Das war der Regierung unbequem: Es verwischte das Zwielicht ministerieller Erhabenheit; es kam einem adelichen Minister höchst auffallend vor, dass ein schlichter Landmann, ein Bürger aus der Stadt, ein Anwalt ihm unumwunden ins Gesicht sagte: »Das ist recht und das ist schlecht«, denn er war ja lediglich an den Bückling des Supplicantenfracks und baumwollene Redensarten gewöhnt.

Nun entstanden eine Reihe halb offizieller Artikel, in welchen man die Abwehr der Eingriffe in Verfassungs- und Volksrechte Anmaßung und Angriff auf die Rechte der Krone nannte; das monarchische Prinzip wurde mit der Person der Minister identifiziert, und wer einen Meister angriff, musste unfehlbar den Regenten angegriffen haben. Die Regierungsjournale versicherten auf das Bestimmteste, die deutschen Verfassungen seien samt und sonders keine repräsentativen, sondern deutsch-monarchisch-ständische. Was letzteres Wort bedeute, wurde eigentlich nicht gesagt, sondern so oft ein den Ministern unbequemer Akt vorging, hieß es immer: Das ist gegen den Geist der deutsch-monarchisch-ständischen Verfassungen. Im Hintergrund lauerte die Idee von Feudalständen, wenn’s gut ginge, von Postulatlandtagen, mit denen es sich so bequem regieren lässt; aber geradezu sagen wollte man es denn doch nicht, obschon in der neuesten Zeit die Sache deutlicher ausgesprochen wurde. Eine große Unwissenheit in Verfassungsgesetzen verriet freilich eine solche Behauptung in Baden, woselbst in dem Verfassungsgesetz vom 23. Dezember 1818 die Verfassung selbst, abgesehen von ihrem Geiste, sogar eine repräsentative genannt wird; eine große Unkenntnis der Geschichte verriet das unbedingte Berufen auf die alten deutschen Landstände, da verschiedene derselben den Ständen das Recht der Steuerverweigerung ausdrücklich, ja, sogar das weitere Recht einräumten, wenn der Regent die beschworene Verfassung verletze oder bräche, sich ihm mit bewaffneter Hand zu widersetzen.

Das wichtigste Moment des badischen Landtags von 1842 ist, dass er nicht der Abglanz fremden Freiheitsgeistes, wie 1831, war, sondern dass dieser Geist sich selbstständig aus dem Volk entwickelte, während in Frankreich immer mehr und mehr die Freiheit entschlummerte und die Minister die Deputierten wählten, nicht aber das Volk. Das war der Zustand der Dinge im Allgemeinen.

Bevor man nun zur Geschichte und Beleuchtung des Landtages von 1842 übergeht, wird es nicht überflüssig sein, auf die Zusammensetzung der zwei Kammern in Baden einen Blick zu werfen, da in der neuesten Zeit sowohl ein ehemaliger Reichsbaron in der ersten Kammer und ein Artikel der Carlsruher Zeitung, offenbar das Kind des Ministers von Blittersdorff, welcher der zweiten Kammer als Lebewohl nachgesendet wurde, so gütig waren, sich soweit herabzulassen und zu behaupten, es sei eine Anmaßung der zweiten Kammer, sich allein als Volkskammer darstellen zu wollen; denn die Mitglieder der ersten Kammer seien auch vom Volk. Die Regierung gehöre mit allen Ministern dazu. Das war eine Manipulation, um das Wort Volk zum sachdienlichen Gebrauch in die adeliche und Ministerhand zu nehmen, wie ein deutscher Prinz kein Preußen und kein Österreich, sondern ein einiges, großes Deutschland hochleben ließ; ein Wort, das früher vor die Mainzer Kommission geführt hätte (…).

2 Zusammensetzung der badischen Kammern


Die erste Kammer, welche also, wie gesagt, auch eine Volkskammer sein will, besteht nach der badischen Verfassung aus:

  • 1.

    den Prinzen des großherzoglichen Hauses,

  • 2.

    den Häuptern der standesherrlichen Familien,

  • 3.

    den zwei geistlichen Großwürdeträgern (Bischof und evangelischer Prälat),

  • 4.

    acht Abgeordneten des grundherrlichen Adels,

  • 5.

    zwei Abgeordneten der Landesuniversitäten,

  • 6.

    acht Mitgliedern, die der Großherzog ohne Rücksicht auf Stand oder Geburt ernennt.

Das ist denn doch kein Senat wie der belgische. Unter Volk hat man bisher immer die Staatsbürger begriffen, die sich an Rechten unbedingt gleich sind, die keine Vorzüge der Geburt, keine Vorzüge des Standes für sich in Anspruch nehmen und keinen Vorzug als den der Intelligenz anerkennen. Bisher hat man die Aristokratie immer in Gegensatz zum Volk gestellt; noch ist unter den hochadelichen Herren das Wort Canaille als Bezeichnung des Bürgers nicht verschwunden; bis heute haben jene gnädigen Herren der Entlastung des Bodens sich entgegengestemmt, und gegen die Gesetze, welche sie selbst mit verfassen halfen, in dem ihre gewählten Vertreter in der ersten Kammer ihre Zustimmung gaben, (…) bis heute jedem Fortschritt, wenn er nicht von oben kommandiert war, ein starres, verstocktes Nein entgegengesetzt.

Fassen wir aber nun die Zusammensetzung dieser Kammer ins Auge, so ergibt sich, dass kein freisinniger Vorschlag, kein Vorschlag zum Fortschritt, keine Adresse an den Großherzog, worin um etwas Zeitgemäßes gebeten wird, die Zustimmung dieser Kammer erhalten kann, wenn nicht die Regierung a priori mit der zweiten Kammer einverstanden ist, folglich eine Adresse überflüssig wird, indem die Regierung dann ohne dieses schon mit der Sache herausrücken wird. Denn nehmen wir zum Beispiel an, die zweite Kammer verlangte in einer Adresse an den Regenten Geschworenengerichte, die Regierung hätte eine Abneigung dagegen, geschwind wird die erste Kammer sie in der Abstimmung über die Adresse der zweiten Kammer teilen. Würden nämlich die acht Grundherren als unabhängige Gutsbesitzer mit der zweiten Kammer eines Sinnes sein, was, per parenthesis gesagt, schwerlich je vorkommen wird, gleich wird ihr Votum durch die acht Staatsdiener aufgewogen; die zwei Deputierten der Universitäten würden durch die zwei geistlichen Würdenträger paralysiert; die Prinzen des Hauses werden sich mit der Regierung nicht in Opposition setzen, – und das ist eine Volkskammer?!

Es ist komisch, wie der Freiherr von Andlau in der zwölften Sitzung der ersten Kammer am 26. August, bei Gelegenheit der Großjährigkeit des Erbgroßherzogs und seiner Einführung in die erste Kammer, in einer wohlstudierten Rede sich entrüstet erklärte, dass man daran zweifle, die erste Kammer
sei eine Volkskammer. Was würde der goldgeharnischte Reichsfreiherr mit dem lichtbraunen Rösslein gesagt haben, wenn ihn, den Volksrepräsentanten, ein schlichter Landmann im Kreise anderer Junker mit einem Händedruck und den Worten hätte begrüßen wollen: »O Angehöriger und Teil des Volkes usw.« Hellauf hätten die Freiherren gelacht, und verlegen hätte der Volksrepräsentant versichert, so sei es doch eigentlich nicht gemeint gewesen, sondern …

War es eines Mannes, der dem Volk angehören will, würdig, in das weiche und zugängliche Herz eines Fürstensohnes bei dessen...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2023
Reihe/Serie Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten
Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten
Vorwort Antonia Grunenberg
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Schlagworte Anfänge der Demokratie • Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten • Demokratiebewegung • Demokratische Legion • deutsche demokratie • Deutsche demokratische Gesellschaft • Deutsche Revolution • Frankfurter Nationalversammlung • Frankfurter Paulskirche • Heckerzug • Nationalversammlung • Paulskirche
ISBN-10 3-462-51004-5 / 3462510045
ISBN-13 978-3-462-51004-1 / 9783462510041
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