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Alarmstufe Rot - Theodore Roszak

Alarmstufe Rot

Amerikas Wildwest-Kapitalismus bedroht die Welt -

(Autor)

Buch | Hardcover
320 Seiten
2004
Riemann Verlag
978-3-570-50061-3 (ISBN)
CHF 25,20 inkl. MwSt
  • Titel ist leider vergriffen, Neuauflage unbestimmt
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Die neue herrschende Klasse in Amerika ist erzkonservativ, christlich-fundamentalistisch und besteht aus bekennenden Marktradikalen, die den Kampf gegen den Pluralismus der offenen Gesellschaft längst aufgenommen haben. Sie steuern Amerika konsequent auf den Kurs einer von religiösem Sendungsbewusstsein und Wirtschaftsimperialismus getragenen Weltmacht. Wie Amerika zu neuer Legitimität gelangt und welche Rolle dabei Europa spielen kann, legt der international anerkannte Kulturkritiker Theodore Roszak in seinem ersten speziell für Europa publizierten Buch dar.


Vom Verlust der Ideale und der Politik der Gier


Amerika quo vadis? In einer brillanten Tiefenanalyse jenseits aktueller Tagespolitik und zukünftiger Präsidentschaft untersucht Theodore Roszak die Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strömungen der letzten 30 Jahre amerikanischer Zeitgeschichte. Die Fakten, die er präsentiert, stimmen nicht hoffnungsfroh. Amerika, sein Amerika – wie er nicht müde wird zu betonen –, ist in den letzten Jahrzehnten zur Bühne einer erstarkenden Rechten geworden. Seinen Machtanspruch verkörpern drei Säulen: Die Corporados, eine Gruppe von Wirtschaftsmagnaten, deren Gier keine Grenzen kennt. Der Enron-Skanal steht als Synonym für diese Klasse der „Killer-CEOs“, die sich längst jenseits aller Gesetze wähnen und den Sozialdarwinismus auf ihre Fahnen geschrieben haben. Die Triumphalisten, eine politische Klasse, deren Heil in der militärischen Aufrüstung liegt. Pentagon und US-Militär betrachten sie als Instrument, um wirtschaftlich-strategische Herausforderer der Vereinigten Staaten im Ansatz zu ersticken. Und last not least die Fundamentalisten, religiöse Fanatiker, die es für ihre Aufgabe halten, eine christliche Weltordnung notfalls herbeizubomben. Die unselige Allianz von Wirtschaft, Militär und Religion sollte nach Roszaks Ansicht in Europa deutlich erkannt werden, mit der Intention, die USA an ihre eigenen demokratischen Standards zu erinnern und sie in die internationalen Organisationen zurückzuholen.






Theodore Roszak ist Professor für Geschichte an der California State University. Neben zahlreichen Sachbüchern hat er auch etliche Thriller veröffentlicht. Seine Bücher wurden in vierzehn Sprachen übersetzt. Mehrfach wurde er für den renommierten National

Inhalt:

Vorwort
Empire à la surprise – das unerwartete Imperium

1 Amerikas weltweiter Angriffsplan
- Die Kriege in meinem Leben
- Komm zurück, Shane!
- Die wohlwollende Weltherrschaft: ob es euch gefällt oder nicht
- Geld, Gehirn und Muskeln

2 Die Corporados
- Die Gier GmbH & Co. KG
- Der Über-Manager
- Kriminelles Management
- Die Marie Antoinettes der Weltwirtschaft
- Die Rückkehr des Darwinismus
- Götzendiener des Marktes
- Der Irakkrieg: wie man heute Geschäfte macht

3 Die Triumphalisten
- Der beherrschende Einfluss der Hyperkonservativen
- Der Militär-Industrie-Komplex: Phase 2
- Programm »Transformation«: die Welt als Computerspiel
- Die nationale Sicherheit
- Das Unternehmen Krieg: die Rückkehr der Söldner
- Von Europa lernen
- Konservative und Intellektuelle
- Am rechten Rand
- Paranoia allenthalben

4 Die Fundamentalisten
- Der Aufstieg des Sunbelt
- Apocalypse now!
- Der Kampf gegen den Pluralismus

5 Das liberale Nervenflattern
- Steht auf, ihr Archie Bunkers dieser Welt!
- Der Kampf für den weißen Mann
- Die dritte Phase des Rassismus

6 Die Degeneration der amerikanischen Demokratie
- Politik als Budenzauber
- Eine Nation im Rausch der Fiktion
- Auftritt: der Gouvernator
- Die Bruderschaft des Zorns

7 Amerikas globale Unterstützung
- Triumphalismus ohne Grenzen
- Mit ein bisschen Hilfe von unseren Freunden
- Macht korrumpiert

»Alle freien Völker sind auf sich selbst stolz; der Nationalstolz äußert sich aber nicht bei allen gleich. In ihren Beziehungen mit Ausländern zeigen sich die Amerikaner sehr empfindlich gegenüber dem geringsten Tadel und unersättlich für Lobsprüche. Das dürftigste Lob ist ihnen willkommen, und das größte genügt selten, um sie zu befriedigen; sie setzen uns beständig zu, um von uns gelobt zu werden; und widersteht man ihrem Drängen, so rühmen sie sich selbst. Es ist, als wollten sie sich, ihrer Vorzüge selber nicht sicher, deren Bild jederzeit vor Augen halten. Ihre Eitelkeit ist nicht nur gierig, sie ist ängstlich und neidisch. Immerzu heischend, gewährt sie nichts. Sie sucht Almosen und Streit zugleich.«
Alexis de Tocqueville,
Über die Demokratie in Amerika

Vorwort

»Sie erreichen mit ein paar netten Worten und einer Kanone mehr als mit ein paar netten Worten allein!«
- Al Capone, berühmter amerikanischer Gangsterboss, 1926

»Sie erreichen mit ein paar netten Worten und einer Kanone mehr als mit ein paar netten Worten allein!«
- Donald Rumsfeld, amerikanischer Verteidigungsminister, 2003


Empire à la surprise – das unerwartete Imperium

Ein wenig fühle ich mich versucht, dieses Buch mit einem berühmten Zitat einzuleiten: »Ein Gespenst geht um in Europa« – dem düsteren Orakel, das Karl Marx 1848 seinem Kommunistischen Manifest voranstellte. Damals schien Europa, das immer noch unter den Geburtswehen der Industrialisierung litt, am Vorabend einer sozialen Revolution zu stehen. Heute, da soziale Revolutionen auf ewig vertagt scheinen, hat dieses Gespenst eine ganz andere Gestalt angenommen. Heute droht die Aussicht, dass Europa – und mit ihm der größte Teil der Welt – bald Vasall eines Landes werden könnte, das nicht nur innenpolitisch immer konservativer wird, sondern diese neokonservative Haltung auch zum Grundpfeiler seiner globalen Wirtschaftspolitik macht.
Ja, eben dieses Land. Mein Land – das ich zu meinem größten Missfallen für beträchtliche moralische, wirtschaftliche und physische Schäden verantwortlich machen muss, die es im Namen der Verteidigung hoher und höchster Ideale angerichtet hat. Meine These lässt sich in einem einfachen Satz zusammenfassen: Wenn die Welt unbedingt Führerschaft braucht, dann sollte sie nicht gerade von einem Land ausgeübt werden, dessen politische Ambitionen sich in einem halbherzigen Liberalismus erschöpfen, der sich nicht einmal dazu durchringen kann, für seine schwer arbeitenden Bürger ein System der Altersversorgung beziehungsweise Krankenversicherung einzurichten, einem Land, in dem die konservative Partei, die seit zwanzig Jahren die politische Landschaft dominiert, nicht schnell genug Schulen, Nationalparks, Strom- und Wasserversorgung, ja sogar Teile der Armee an den meistbietenden privaten Anbieter versteigern kann, einem Land, in dem es mittlerweile Millionäre und Milliardäre zu Hunderten gibt, während gleichzeitig die Obdachlosen auf den Straßen vor Hunger und Kälte sterben. Kurz gesagt: einem Land, das sich im Eiltempo zurück in die finstersten Tage der Anarchie des freien Marktes zurückkatapultiert.
Jahr für Jahr zeigt die politische Rechte in Amerika sich fester entschlossen, der gesamten Welt ihre Vision einer konzern-gesteuerten Marktwirtschaft aufzuoktroyieren. Wenn sie damit Erfolg haben sollte, dann wird Amerika die einzig verbleibende Supermacht der Erde sein und als solche durchaus in der Lage, mit Hilfe seiner erdrückenden Militärstärke das Entstehen konkurrierender Supermächte wirksam zu unterbinden. Ich wäre nicht sonderlich überrascht zu hören, dass bereits Pläne existieren, wie man China daran hindern könnte, sich zur Supermacht aufzuschwingen, das einzige Industrieland, das eines Tages über das Potenzial verfügen könnte, Amerikas militärische und ökonomische Vormachtstellung wirklich anzugreifen. Über welchen Zeitraum könnte sich die dominierende Stellung der Vereinigten Staaten erstrecken? Vermutlich über viele Generationen. Möglicherweise werden wir Zeugen, wie sich ein neues Imperium formiert, dauerhafter und ausgedehnter als jedes andere vor ihm. Die Chancen stehen gut. Der Imperialismus, nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit geächtet, feiert dank der aktuellen amerikanischen Politik fröhliche Urständ im Gebaren einer Nation, die seit jeher davon überzeugt ist, ihre historische Mission sei es, der Welt die Demokratie zu bringen.
Ich bin sicher, dass dieser Drang nach der Weltherrschaft nicht dem Willen des amerikanischen Volkes entspringt. Die Amerikaner haben den Imperialismus unter Einsatz von Leib und Leben bekämpft. Ich selbst wuchs während des Zweiten Weltkriegs auf und lernte damals, dass nur böse Diktatoren versuchen, andere Völker zu unterjochen. Aus diesem Grund war ich so schockiert, als der erste Präsident Bush Anfang der 1990er Jahre verkündete, Ziel amerikanischer Politik sei »eine neue Weltordnung«. Erschreckend war nicht nur der Inhalt dieser Aussage, sondern auch der arrogante und unerbittliche Ton, in dem sie geäußert wurde. Waren wir früher nicht gegen den Feind zu Felde gezogen, weil er genau dies wollte: Menschen in aller Welt sein Denken und Handeln aufzuzwingen?
Fragen Sie einen beliebigen US-Amerikaner, ob er anderen Nationen seinen Willen aufzwingen möchte. Er wird mit Sicherheit Nein sagen. Doch der ganz gewöhnliche US-Amerikaner hat leider immer weniger Ahnung, was in seinem Namen an weit entfernten Orten dieser Welt geschieht, und sein Einfluss auf Entscheidungen, die sein Land betreffen, wird immer geringer. Erschöpft von der Hektik und Komplexität ihres Alltags, vom Kampf um ihren Job und um den Lebensunterhalt für ihre Kinder scheinen die meisten Amerikaner heute einfach in ihrem Fernsehsessel wegzudämmern. Sie verdrängen die stille Verzweiflung in ihrem Leben mit Belanglosigkeiten und Unterhaltung. Der neueste Skandal um irgendeine Berühmtheit ist ihnen wichtiger als so große Themen wie Krieg oder Frieden. Und so finden sich mittlerweile Menschen an der Spitze des Landes und seiner Konzerne, deren zwanghafte Besessenheit von Amerikas Bestimmung zum Weltreich Tag für Tag zunimmt. Sie erklären ganz offen, es sei Amerikas Recht, Macht über jene auszuüben, die weder den Willen noch die Mittel oder die Vision besitzen, selbst Weltmacht zu werden.
Aus diesem Grund bezeichne ich diese politische Klasse hier als »die Triumphalisten«. Sie sehen sich selbst zwar als überzeugte Konservative, sind in Wirklichkeit jedoch radikale Extremisten. Sie haben sich schnellere und tief greifendere Veränderungen auf die Fahnen geschrieben als so mancher Revolutionär. Diese Männer nehmen Wagemut, Durchsetzungskraft und hochfliegende Ziele für sich in Anspruch. Brennend vor Eifer, eine neue Welt zu schaffen, sehen sie sich als Retter einer verwirrten, willensschwachen Menschheit. Wie alle Fanatiker haben sie eine kristallklare, durch nichts zu erschütternde Vorstellung von ihren Zielen. Sie wollen die globale Marktwirtschaft, kontrolliert von einigen wenigen multinationalen Konzernen mit amerikanischem Stammhaus. Sie sind vielleicht nicht die Ersten, die solche Ziele verfolgen. Tatsächlich gab es schon während des Kalten Krieges Bestrebungen, amerikanischen Konzernen eine klare Vormachtstellung zu verschaffen. Doch diese Klasse ist die erste, die auf eine sichere militärische Überlegenheit der USA bauen kann. Man müsste historisch schon zurückgehen bis zu den frühen Gesellschaften im Nildelta, um vergleichbare Beispiele für eine solch uneingeschränkte Hegemonie zu finden, wie sie die Vereinigten Staaten im Augenblick ausüben.
Ich spreche hier als Sozialkritiker, der um die Seele seines Landes ebenso fürchtet wie um das Schicksal anderer Staaten. Mir gefriert das Blut in den Adern, wenn ich höre, wie ein amerikanischer Verteidigungsminister (Donald Rumsfeld) die amerikanische Nahostpolitik mit einem Zitat Al Capones rechtfertigt, einem der abscheulichsten Gangster der amerikanischen Geschichte: »Sie erreichen mit ein paar netten Worten und einer Kanone mehr als mit ein paar netten Worten allein!« Diese Harte-Jungs-Sprüche sind es, die meinem moralischen Anliegen seine Dringlichkeit verleihen. Das nationalistische Bramarbasieren, das dieser Tage in den Zirkeln der politischen Rechten zu vernehmen ist, hat das Niveau des Maulheldentums nämlich längst hinter sich gelassen. Dieser neue Sprachgestus enthüllt die Entschlossenheit, den eigenen Willen bei Gegnern wie Verbündeten notfalls mit roher Gewalt durchzusetzen. Ich bin überzeugt davon, dass die Triumphalisten näher an der Verwirklichung ihrer Ziele sind, als viele politische Beobachter glauben. Zufall oder Absicht? Die Geschichte hat der neuen politischen Klasse den Ball in die Hände gespielt, und sie hat nicht gezögert, sich diese Umstände geschickt zu Nutze zu machen.
Einen Punkt möchte ich gleich zu Beginn klarstellen. Es gibt Menschen – ein Großteil davon unzufriedene US-Bürger –, deren neues Motto zu sein scheint: »Amerika ist an allem schuld.« In ihren Augen sind die USA für alles Mögliche verantwortlich, sogar für die Anschläge des 11. September 2001. Zu dieser Gruppe gehöre ich nicht. Das Opfer zu beschuldigen, auch wenn es eine reiche und mächtige Nation ist, verrät eine verquere Moral, vor allem wenn die eigentlich Leidtragenden unschuldige Zivilpersonen sind. Und dies ist fast immer der Fall, wenn der Terror zuschlägt. Selbstmordattentäter, deren erklärtes Ziel es ist, »Amerikaner zu ermorden« oder »Juden zu töten«, machen mir Angst. Die Menschen, die sie unbedingt ermorden wollen, könnten schließlich Angehörige von mir sein. Oder ich selbst. Worunter auch immer diese Menschen leiden, sie haben nicht das Recht zu töten. Die Gewalt, die sie ausüben, ist kein bisschen »gerechter« als die der amerikanischen Bomber, die ihre verhängnisvolle Fracht über der Zivilbevölkerung Bagdads abgeworfen haben. Der Terrorismus ist in meinen Augen eine tödliche Krankheit, welche die internationale Gemeinschaft befallen hat. Eine Krankheit, welche die Gesetze der Zivilisation auszulöschen vermag. Natürlich müssen wir die Beweggründe der Terroristen zu begreifen versuchen, doch nichts kann rechtfertigen, was sie anrichten.
Damit habe ich meine Position wohl ausreichend klar gemacht, und vor diesem Hintergrund möchte ich nun meine Aussagen treffen. Ich lehne die imperialistischen Bestrebungen, die die Vereinigten Staaten jüngst an den Tag legen, vollkommen ab. Diese Haltung ist in meinem Land derzeit nicht gerade populär, nicht einmal unter amerikanischen Liberalen, die sonst so ziemlich alles ablehnen, wofür die Regierung Bush steht. Viele Amerikaner haben George W. Bush nicht gewählt, unterstützen aber nichtsdestotrotz den Triumphalismus, den er ins Weiße Haus mitgebracht hat. Amerika hat Angst. Sogar jetzt, da sich eine wirtschaftliche Rezession abzeichnet, ist das Land bereit, viele Milliarden Dollar für seine nationale Sicherheit (das so genannte »National Security State«-Programm) auszugeben, für ein Bündel von Maßnahmen, die uns vor der Gefahr des Terrorismus schützen sollen, die aber – wie man im selben Atemzug einräumt – ohnehin nicht in den Griff zu bekommen ist. Meiner Ansicht nach wurde dieser Kurswechsel der amerikanischen Politik bewusst von ganz bestimmten Interessengruppen initiiert, deren Utopien sich so deprimierend lesen wie die allerpessimistischsten Zukunftsromane.
Ich gehöre zu jenen Amerikanern, die die expansionistische Nahostpolitik ihres Landes ablehnen. Tausende US-Amerikaner haben sich gegen den Irakkrieg ausgesprochen. Doch Millionen jubelten unseren Truppen zu, als sie in die Schlacht zogen. Obwohl ich selbst gegen den Krieg war, plagt mich mein Gewissen, wenn ich sehe, wie sich mein Land auf internationaler Ebene als Rowdy aufführt, dessen einziges Ziel es ist, dem Rest der Welt den Willen einer kleinen, habgierigen Minderheit von Kriegsgewinnlern und Militaristen aufzuzwingen. Ich glaube, dass die Arroganz und die Macht dieser Clique noch zunehmen werden, bis sie alle länderübergreifenden Strukturen, alle Formen geteilter Verantwortung, internationalen Rechts und wirtschaftlicher Zusammenarbeit endgültig zerstört hat. An diesem Punkt wird Geschichte bestimmt von den Interessen und Maßstäben eines einzigen Landes – oder vielmehr derer, welche die Interessen und Maßstäbe dieses Landes definieren.
Mein Ziel ist es, eine kritische Innenansicht der USA zu liefern, die hilft, die bedenkliche Politik dieses Landes besser zu begreifen. Vor allem möchte ich die enge Verknüpfung der inneren und äußeren Angelegenheiten meines Landes offen legen. Die Idee vom amerikanischen Empire rührt von einem ideologischen Wandel, der die politische Kultur meines Landes erfasst hat. Diese Kultur deckt sich immer weniger mit dem, was sich in anderen Industrieländern politisch abspielt. Verglichen mit modernen Staaten degeneriert Amerika zusehends. In gewisser Weise liegt dies an der unglaublichen Gier unserer Geschäftsleute. Aber das ist nicht der einzige Grund. Die Habgier der Wohlhabenden hat eine neue ideologische Rechtfertigung gefunden. Eine neue Generation triumphalistischer Intellektueller und fundamentalistischer Fanatiker hat ihr einen geradezu religiösen Anstrich gegeben.
Jene, welche für die zunehmenden Verirrungen im Selbstverständnis der USA verantwortlich sind, zeigen sich immun gegen jede Art von besserer Einsicht. Sie sehen in den Vereinigten Staaten das »auserwählte Land«. In ihren Augen ist dieser Sonderstatus das Privileg einer unleugbaren moralischen Überlegenheit. Amerikas Geschichte ist voll von Beispielen für dieses Gefühl der Erwähltheit. Seit weiße Siedler dieses Land zum ersten Mal betraten, um der Verderbtheit der »alten Welt« zu entfliehen, speist sich Amerikas hypertrophiertes Selbstwertgefühl aus den Quellen der Religiosität.
In den 1980er Jahren gewann Ronald Reagan die Herzen des amerikanischen Volkes, indem er mit diesem Thema jonglierte, wie nur ein professioneller Schauspieler das konnte. Immer und immer wieder sprach er mit bebender Stimme und einer Träne im Auge von den Vereinigten Staaten als »der goldenen Stadt auf dem Hügel« – in Anlehnung an den frühen puritanischen Denker John Winthrop. Er zitierte Abraham Lincoln und nannte das Land die »letzte und leuchtendste Hoffnung« der Welt. Die Triumphalisten sind die ideologischen Erben der Reagan-Präsidentschaft. Sie glauben immer noch an Reagans bombastische Rhetorik und würden sie lieber heute als morgen in Weltpolitik umsetzen. In den letzten zwei Jahrzehnten geriet die amerikanische Politik immer stärker unter den Einfluss von Menschen, welche die Vereinigten Staaten als Arm Gottes betrachten und sich selbst als messianische Vorhut, der es obliegt, den Weg in die Zukunft zu bahnen. Dieser Aufgabe ist vermutlich mit militärischer Intervention und wirtschaftlicher Ausbeutung noch keineswegs Genüge getan. Dazu könnte auch kulturelle Aggression gehören, denkbar zum Beispiel in Form einer Christianisierung der »heidnischen« Völkerschaften im Nahen Osten und anderen Teilen der Welt. Als George W. Bush 2001 dem Terrorismus zum ersten Mal den Krieg erklärte, bezeichnete er diesen als »Kreuzzug«. Mit Rücksicht auf die Gefühle der Muslime wurde diese Formulierung schnell zurückgenommen. Doch möglicherweise handelte es sich gar nicht um einen sprachlichen Ausrutscher. In den USA gibt es eine Menge Menschen, die den Kampf gegen den Terrorismus liebend gern im Zeichen des Kreuzes führen würden.
In der Politik geht es nicht zuletzt um Macht und Einfluss. Doch Amerikas neuer Triumphalismus beansprucht eben nicht nur die Führungsrolle, sondern das Recht, ein Ziel vorzugeben, das sich von dem, auf das sich die Menschen in anderen Industrienationen nach langer Suche geeinigt haben, erheblich unterscheidet. Aus diesem Grund kann man nichts, was derzeit aus Washington über die Ziele der eigenen Außenpolitik verlautet, wirklich für bare Münze nehmen, solange man die sich dahinter verbergende ideologische Stoßrichtung nicht kennt. Wie jedes Imperium in der Geschichte der Menschheit zielt auch der amerikanische Triumphalismus darauf ab, die Welt nach seinem Bilde zu formen. Die neue politische Klasse wünscht, die moderne Welt von allen sozialen und wohlfahrtsstaatlichen Tendenzen zu befreien, als gingen diese auf Einflüsterungen des Teufels zurück. Tatsächlich betrachtet sie jede Wirtschaftspolitik, die von der Orthodoxie des freien Marktes abweicht, als Ketzerei, die mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden muss. Sie führen einen Kreuzzug gegen alles und jedes, was die Völker in der Moderne geschaffen haben, um aus den herrschenden Instanzen Instrumente des Gemeinwohls zu machen. Das ist es, was das Wort »Freiheit« aus ihrer Sicht bedeutet.

Reihe/Serie Riemann
Übersetzer Elisabeth Liebl
Sprache deutsch
Original-Titel World, Beware!
Maße 135 x 205 mm
Gewicht 465 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Schlagworte Kapitalismus • USA; Politik/Zeitgesch. • USA; Politik/Zeitgeschichte • USA; Wirtschaft
ISBN-10 3-570-50061-6 / 3570500616
ISBN-13 978-3-570-50061-3 / 9783570500613
Zustand Neuware
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