Der Tanz um die Lust (eBook)
320 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-11910-7 (ISBN)
Ariadne von Schirach unterrichtet Philosophie und chinesisches Denken an verschiedenen Hochschulen und hält Vorträge im In- und Ausland. Zudem arbeitet sie als freie Journalistin und Kritikerin. Sie wurde bekannt als Autorin der Sachbuch-Bestseller »Der Tanz um die Lust« (2007) und »Du sollst nicht funktionieren. Für eine neue Lebenskunst« (2014). »Die psychotische Gesellschaft. Wie wir Angst und Ohnmacht überwinden« (2020) bildet als dritter Teil den Abschluss dieser Trilogie des modernen Lebens. 2016 veröffentlichte sie das psychologische Fachbuch »Ich und Du und Müllers Kuh. Kleine Charakterkunde für alle, die sich und andere besser verstehen wollen«. Auch ihr im Herbst 2021 erschienenes, neuestes Buch »Glücksversuche. Von der Kunst, mit seiner Seele zu sprechen« war ein Spiegel-Bestseller.
Ariadne von Schirach unterrichtet Philosophie und chinesisches Denken an verschiedenen Hochschulen und hält Vorträge im In- und Ausland. Zudem arbeitet sie als freie Journalistin und Kritikerin. Sie wurde bekannt als Autorin der Sachbuch-Bestseller »Der Tanz um die Lust« (2007) und »Du sollst nicht funktionieren. Für eine neue Lebenskunst« (2014). »Die psychotische Gesellschaft. Wie wir Angst und Ohnmacht überwinden« (2020) bildet als dritter Teil den Abschluss dieser Trilogie des modernen Lebens. 2016 veröffentlichte sie das psychologische Fachbuch »Ich und Du und Müllers Kuh. Kleine Charakterkunde für alle, die sich und andere besser verstehen wollen«. Auch ihr im Herbst 2021 erschienenes, neuestes Buch »Glücksversuche. Von der Kunst, mit seiner Seele zu sprechen« war ein Spiegel-Bestseller.
»Scharfzüngig und selbstironisch.« Falter
»Die Autorin hat mit ihren Thesen einen Nerv der Zeit getroffen.« Radio 1Live
Vorwort
Der Tanz um die Lust ist ein sexistisches Buch gegen den Sexismus. Damit ist es ein Kind seiner Zeit, ebenso wie ich ein Kind meiner Zeit gewesen bin. Im Geist einer unbedarften Ironie, die in den Neunzigern ihren Anfang nahm, vermischten auch wir Kinder der Nullerjahre Kritik und Affirmation. Ich selbst dachte damals beispielsweise, man könne die sich ausbreitende Tendenz zur Sexyness nur dann kritisieren, wenn man diesen Kriterien zugleich selbst genügen würde. Aus diesem Grund sah ich damals ganz bewusst wie eine Art Porno-Barbie aus, klicken Sie einfach auf diesen Link https://www.listal.com/ariadne-von-schirach. Für mich war dieser Look eine künstlerische Performance, und doch ging es mir damit am Ende so wie uns allen, als wir entdeckten, dass es in Wahrheit keine Ironie gibt, nur peinliche Sonnenbrillen, dumme Überzeugungen und nutzloses Geschwätz.
Und auch ich selbst wirkte nicht wie eine Heroine der Kulturkritik, eine Beobachterin der »Selbstverständigung einer Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche«, wie Karl Marx einst formulierte, sondern erschien einfach nur als Blondine, die irgendetwas über Sex schrieb. Womit wir wieder beim Thema Sexismus wären. Auch hier lässt sich im Text eine seltsame Gleichzeitigkeit von Kritik und Affirmation beobachten, was die Überarbeitung zu einem schmerzhaften Vergnügen gemacht hat. Denn obwohl meine rechte Hand wortreich für die Vielfalt des Begehrens, die weibliche Selbstbestimmung und unser aller Gleichheit argumentiert hat, hielt die linke an frauenfeindlichen Witzen und einer vergnügten Selbst- und Fremdobjektivierung fest, getreu dem Motto: Wenn ihr mich schon zum Objekt machen wollt, komme ich euch zuvor und mache es besser. In diesem Elan spiegelt sich der von dem Philosophen Michel Foucault beobachtete Übergang von einem autoritären »Du musst« zu einem neoliberalen »Ich will«. Und am Beispiel der Sexyness lernen wir, wollen zu können.
Diese Entwicklung gipfelt in der heute vollkommen normalen und weit verbreiteten Fähigkeit, den eigenen Marktwert und den des Gegenübers in jedem Augenblick und in jedem Kontext vermeintlich präzise taxieren zu können. Vor allem online. In den sozialen Medien haben sich die Anfänge des emotionalen Kapitalismus, welche Der Tanz um die Lust nachgezeichnet hat, inzwischen vollendet. Während wir in den Nullerjahren noch selbst daran arbeiteten, möglichst gut auszusehen, machen das Dienste wie Instagram nun für uns. Ein cleaner, authentischer und sexy Look lässt sich mittlerweile mühelos herstellen. Und auch das wortlose und irrationale Begehren selbst wurde in eine verständliche und stets begründende Sprache gepresst, getragen von der Illusion, wir könnten uns ganz verstehen, immer korrekt einschätzen und in diesem Sinne stets »authentisch« verhalten. Als seien wir eindeutig. Als seien wir transparent.
Doch Transparenz wird nicht entdeckt. Sie wird hergestellt, sie ist das Resultat von Fragmentarisierung, Normierung und Rekonfigurierung – man denke dabei an den Unterschied zwischen einer komplexen inneren Erfahrung und einem gut geschnittenen Hollywoodfilm. In dem viele von uns mittlerweile zu leben versuchen, und sich, auch dank der sozialen Medien, der Illusion hingeben können, es wirklich zu tun.
Die dafür notwendige und uns in den letzten fünfzehn Jahren so geläufig gewordene Praxis der Selbsttransparenz, inklusive der Annahme, man könne und wolle alles über sich wissen, begann mit der Vermessung unserer Sexualität und unseres Begehrens. Und während wir uns daran gewöhnten, bei den ersten Plattformen für Online-Dating möglichst aufrichtig Auskunft über unsere Vorlieben, Hoffnungen und Wünsche zu geben, ist die halbironische Selbstanpreisung auf den neuen Dating-Apps das Resultat vollkommen verinnerlichter Selbstverdinglichung. Wir wollen uns gut verkaufen, und wir können es auch. Wir haben es gelernt.
Das Auftauchen der Sexyness in den frühen Nullerjahren hat den Boden für die Selbstverständlichkeit der eigenen Warenform vorbereitet, indem sie uns, indem wir uns um ihretwillen vereindeutigt haben. Sie verwandelte die Arbeit am Anderen, an der stets ambivalenten Beziehung zum Anderen – Flirt, Verführung, Liebesringen – in die Arbeit am eigenen Ich. Und obwohl wir dadurch begonnen haben, an uns selbst zu vollenden, was der Wirtschaftssoziologe Karl Polyani als »große Transformation« bezeichnete, reichen die Wurzeln dieser Selbstverdinglichung bis zur Antike zurück. Und damit auch der Anlauf, den es zu nehmen gilt, um endlich anzuerkennen, dass wir alle werdende Wesen sind, die sich in jedem Augenblick ändern können und oft genug auch ändern müssen: ob durch innere Erfahrungen wie durch Krankheit, Alter, Leid oder durch Bedrohungen von außen, wie sie Erderwärmung, Artensterben oder globale Pandemien wie Corona bedeuten.
Vor mehr als 2000 Jahren formulierte der Philosoph Aristoteles in seiner Logik das Prinzip der Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit – etwas kann entweder A oder B sein, aber niemals sowohl A als auch B, geschweige denn mal A, mal B. Diese klare Trennung ist sinnvoll, wenn es um Zahlen geht, aber sie wird fatal, wenn wir damit Menschen zu bestimmen versuchen. Das Fatale meint an dieser Stelle weder Eindeutigkeit noch Widerspruchsfreiheit, obwohl beides unser Menschsein verfehlt. Denn dieses Menschsein besteht in einem ständigen Aushandeln unserer inneren Vielstimmigkeit, mit viel Platz für Dinge, die nicht zusammenpassen wie beispielsweise meine aufrichtige Liebe zu Tieren und meine ebenso aufrichtige Liebe zu einem guten Steak.
Vielmehr besteht das Fatale darin, dass wir Menschen dazu neigen, in alles, was uns vorgeblich eindeutig und widerspruchsfrei begegnet, eine Art innere Wahrheit, eine unverkennbare Essenz hineinzudeuten. Hier entspringen Klischees und Vorurteile; nicht zuletzt solche, die einem Menschen wegen seiner Herkunft, seiner Religion oder eben seinem Geschlecht bestimmte, oft negative Eigenschaften zusprechen.
Denn so, wie der pornographische Blick das Innere entäußert, verinnerlicht die Essentialisierung Äußerlichkeiten. Beides ist eine Form von Gewalt, beides verfehlt das Leben in seiner Ambivalenz, Bewegung und Tiefe.
Was uns schon wieder zum Seximus führt. Denn obwohl ich damals angetreten war, das Begehren vor seiner Kommerzialisierung in Schutz zu nehmen, bin ich von gewissen Grundannahmen ausgegangen; Grundannahmen, die ich in den Jahren, die seitdem vergangen sind, zu hinterfragen gelernt habe. Dazu gehören unter anderem Sätze der Kategorie: »Männer sind so, Frauen sind so.« Auch diese »natürlich« wirkenden Geschlechteridentitäten (gender) sind, ganz im Sinne der Philosophin Judith Butler, soziale Konstruktionen, die uns einzelne, einmalige und werdende Menschen vereindeutigen, indem sie uns bestimmte Eigenschaften zuschreiben, ob negativ oder positiv. Wir werden diskriminiert – also aufgrund willkürlich herausgegriffener Fragmente bestimmt, unterschieden und bewertet.
Im Fall des Sexuellen umfasst das, was dadurch verdrängt wird, auch die schlichte Tatsache, dass wir Menschen eine Spezies sind, die aus mehr als zwei Geschlechtern besteht. Selten zeigt sich die reale Gewalt der Vereindeutigung stärker als beim Schicksal intersexueller Menschen, die noch vor wenigen Jahren aus bürokratischen Gründen zwangsgegendert wurden. Aber auch Transpersonen, die ihr Geschlecht einmal oder auch mehrmals wechseln, fallen der binären Logik zum Opfer. Doch gibt es ein besseres Beispiel für die Tatsache, dass A und B sich auch vermischen, vertauschen und ineinander übergehen können, als diejenigen von uns, die etwas davon erzählen können, wie es ist, sowohl Mann als auch Frau zu sein?
Diskriminierung bedeutet, einem Anderen das Recht abzusprechen, auch ein denkendes, fühlendes und vor allem werdendes Wesen zu sein. Wertvoll, einzigartig und unersetzlich. Ich weiß nicht, wie man es nennt, wenn man sich selbst dieses Recht abspricht. Doch genau diese neue Art von Selbstunterdrückung, -verdummung und -ausbeutung begann ich mit dem Siegeszug der Sexyness Anfang der Nullerjahre zu beobachten – an den Anderen ebenso wie an mir, in meinem Umfeld ebenso wie in der Gesellschaft. Durch diese historisch neue Weise, uns selbst transparent, verfügbar und verwertbar zu machen, lernten wir, uns in Produkte zu verwandeln. Sexy Produkte. Attraktive, bereite, selbstironische Ware für einen Markt, dessen Regeln und vor allem Profiteure uns damals mindestens so unklar waren, wie mir selbst die Folgen meiner unreflektierten Performancekunst. All das ist heute Standard – die jugendliche...
Erscheint lt. Verlag | 13.4.2022 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Berlin • Bestseller • Body Positivity • Erotik • Essays • Feminismus • Gesellschaftsanalyse • Großstadt • Jugend • jung • Konsumgesellschaft • Philosophie • Pornographie • Schönheit • Selbstinszenierung • Sexualität • Urban |
ISBN-10 | 3-608-11910-8 / 3608119108 |
ISBN-13 | 978-3-608-11910-7 / 9783608119107 |
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Größe: 3,6 MB
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