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»Gib mir mal die Hautfarbe« -  Olaolu Fajembola,  Tebogo Nimindé-Dundadengar

»Gib mir mal die Hautfarbe« (eBook)

Mit Kindern über Rassismus sprechen
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
247 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86697-4 (ISBN)
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In meiner Familie hat Rassismus keinen Platz - darin sind sich fast alle Eltern einig. Doch wie gelingt es, Vorurteile in der Erziehung aktiv anzugehen oder gar nicht erst entstehen zu lassen? Mit vielen Hintergrundinformationen, Beispielen und Checklisten helfen die Autorinnen, Fallstricke zu erkennen und zu überwinden. Welche Worte verletzen? Welche Symbolik versteckt sich in Kinderliedern, Büchern und Spielen? Wo handele ich als weißer Mensch selbst rassistisch, auch wenn ich das gar nicht will? Wie kann ich als BIPoC mein Kind schützen und ermutigen? Die angeborene Neugierde und der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn unserer Kinder sind dabei die perfekte Voraussetzung, ihnen zu zeigen, dass zwar nicht alle Kinder gleich, aber alle gleichwertig sind. Offen, persönlich und engagiert zeigen die Autorinnen, was zählt, um Rassismen im Kopf von Kindern aktiv entgegenzuwirken. Ob in Familie, Kita oder Schule: Von einer diversitätssensiblen und rassimuskritischen Erziehung profitieren Kinder und Erwachsene. Sie stärkt den Zusammenhalt, fördert Kreativität und lässt Kinder unerschrockener und offener ins Leben gehen.

Olaolu Fajembola wurde 1980 in Süddeutschland geboren. Sie ist Kulturwissenschaftlerin, arbeitete bei der Berlinale und gründete zusammen mit Tebogo Nimindé-Dundadengar den erfolgreichen Onlineshop Tebalou, der Spielwaren für Kinder in einer diversen Gesellschaft anbietet. 2019 wurde die beiden mit dem Kreativpiloten-Preis der Bundesregerung ausgezeichnet. Außerdem sind sie wichtige Stimmen in der diversitätssensiblen und rassismuskritischen frühkindlichen Bildung; ihre Anti-Rassismus-Trainings für Kinder und Erwachsene erfahren besonders in Kitas starke Nachfrage. 2016 erschien Olaolu Fajembolas erstes Buch »Afro Kids«. 2021 wurde sie im FOCUS als eine der 100 Frauen des Jahres 2021 gekürt. Mit ihrer Familie lebt Olaolu Fajembola in Berlin.

Einleitung


Wir schreiben das Jahr 1985. Zwei kleine Schwarze Mädchen, eines in Süddeutschland, eines in Norddeutschland, stehen auf dem Außengelände ihrer jeweiligen Kitas und hören den gleichen Ruf: »Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?« »Niemand!«, antworten sie im Chor ihrer Freund*innen. Nicht ganz so laut wie die anderen Kinder, beide mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. »Und wenn er kommt?«, ertönt die nächste Frage. »Dann laufen wir!«, schallt die Antwort um sie herum. Und beide möchten laufen. Weit weg, weg von diesem Gefühl, das sie nicht erklären können. Weg von diesem ominösen Schwarzen Mann, weg von all dem Schwarzen, was sie umgibt, das sie darstellen, das sie sind. Aber gleichzeitig möchten sie auch in die sicheren Arme einer der vielen Schwarzen Männer in ihrem Leben laufen, die zu ihren Onkeln, Vätern oder den Freunden ihrer Eltern zählen.

Rassistische Praktiken gehörten in unserer Kindheit so selbstverständlich zum Alltag, dass wir nicht verbalisieren konnten, was da eigentlich passierte; doch es gab dieses bedrückende Gefühl. Zahllose Male hat man uns ungefragt in die Haare gegriffen, unsere Körper wurden kommentiert oder uns wurde das Mitspielen verwehrt, weil wir zu braun oder vermeintlich zu anders waren.

Nicht böse gemeint? Das war es oft bestimmt nicht. Kleinigkeiten? Manchmal ja, oft aber auch nicht. Unterm Strich ist es die Summe der Erfahrungen, die uns immer wieder vermittelt hat: Ihr gehört nicht richtig dazu. Ihr dürft nur dabei sein, wenn wir es erlauben. Für die Dinge, wegen denen wir so ein komisches Bauchgefühl hatten, gab es 1985 in Deutschland noch keine Sprache. Heute wissen wir, diese Erfahrungen waren Othering oder Andern – und simpler Rassismus.

Immer wieder haben wir von weißen Freund*innen gehört, dass sie sich nie etwas bei dem Spiel »Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann« gedacht hatten. Dass sie nicht an einen konkreten Schwarzen Mann, sondern an irgendeinen maskierten (gefährlichen) Mann gedacht haben. Mal ganz davon abgesehen, dass grundsätzlich über das Konzept von einem angsteinflößenden Mann in einem Kinderspiel nachzudenken wäre, zeigt sich hier die Krux von Rassismus. Dieser ist derart in unsere Gesellschaft verwoben, dass oft weder diejenigen, welche von ihm profitieren, noch jene, die darunter leiden, ihn zu identifizieren vermögen. Wir sind uns jedoch sicher, dass, hieße das Spiel »Wer hat Angst vorm weißen Mann?«, schon früher einmal Eltern oder Erzieher*innen sich über Sinn oder Unsinn eines solchen Spiels Gedanken gemacht hätten. Gleichzeitig hätte sich ein solches Spiel wohl gar nicht erst etabliert.

Jahrzehnte später sind wir selbst Mütter geworden. Trotz dieser und anderer Widrigkeiten rassistischer Natur können wir sagen, dass wir eine gute Kindheit hatten. Wir waren von Menschen umgeben, die uns liebten, hatten Freundinnen, waren privilegiert, durften und konnten studieren. Seitdem hat sich die Welt einige Male um die eigene Achse gedreht, die digitale Revolution hat unser Leben für immer verändert. Und damit hat sich auch unser Blick auf uns selbst und auf unsere Kindheit gewandelt. Heute finden wir Worte für die rassistischen Erfahrungen, die wir in unserer Kindheit gemacht haben. Wir blicken zurück und können einige Episoden in einem anderen Licht deuten. Viel wichtiger ist jedoch: Wir blicken auf unsere Kinder und damit auf die Gegenwart und in die Zukunft.

Wir zwei haben viele Gemeinsamkeiten: Aufgewachsen im Deutschland der 1980er-Jahre, sind wir beide Mütter und leben in Berlin. Außerdem verband uns schon vor unserem ersten Treffen im Jahre 2016 die gleiche Idee. Einen Onlineshop gründen, in dem wir all die Kinderbücher und das Spielzeug anbieten, das wir in unserer eigenen Kindheit nicht hatten und für unsere eigenen Kinder schmerzlich vermissten. Kinderbücher, in denen wir und unsere Kinder die Hauptrolle spielen dürfen, Heldinnen sein, scheitern, Freundschaften schließen und Abenteuer erleben. Wir haben uns gefragt, wo all die Kinder of Color, diejenigen mit Behinderung, aus verschiedenen Familienkonstellationen und mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen sind. Sie fanden in unserer Kindheit und bis heute selten Platz in Kinderbüchern und Spielsachen. Da wir ja schon unabhängig voneinander diesen Traum hegten, beschlossen wir also im Sommer 2016 per Handschlag, Geschäftspartnerinnen zu werden.

Seitdem ist viel passiert. 2018 sind wir mit unserem Geschäft online gegangen. Tebalou hat sich zu Deutschlands größter und erfolgreichster Online-Plattform für vielfältige Kinder- und Jugendbuchliteratur sowie Spielzeug entwickelt. Zunehmende Medienpräsenz und eine wachsende Online-Community haben uns gezeigt: Hier gibt es großen Bedarf. Gleichzeitig haben wir schnell gemerkt, dass der Fokus auf das Thema Vielfalt nicht ausreichend ist. Immer öfter erreichten uns Fragen zu den Themen Rassismus und Diskriminierung. Wie soll ich mit meinem Kind über Rassismus sprechen? Wie können wir unsere Kita diskriminierungssensibel gestalten?

Auf der Suche nach praktikablen und leicht umsetzbaren Lösungen – am besten einem Elternratgeber – mussten wir feststellen, dass ein solcher auf dem deutschsprachigen Markt bisher schlicht nicht verfügbar war. Ein »How to« für Eltern, das sich der antirassistischen Erziehung widmet, konnten wir nicht finden. In Instagram-Posts und Interviewbeiträgen haben wir immer wieder Impulse gegeben, um bestimmte Aspekte des Themas zu beleuchten. Wir haben jedoch schnell gemerkt, dass es eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus im Kindesalter braucht.

Damit war schnell klar, ein Buch muss her. Und wenn es das so auf Deutsch noch nicht gibt, müssen wir es selbst schreiben. Das Ergebnis hältst du nun in deinen Händen.

Das Jahr 2020 bildete aus vielen Gründen eine Zäsur in der Geschichte. Die globale Pandemie mit ihren gesellschaftlichen und strukturellen Auswirkungen offenbarte wie unter einem Brennglas die Herausforderungen der westlichen Gesellschaften. Insbesondere die strukturelle Diskriminierung und der Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen rückten durch die Black-Lives-Matter-Bewegung auch hier in Deutschland in den Fokus des öffentlichen Bewusstseins. Initialzündung für dieses verstärkte Bewusstsein war die brutale Ermordung eines weiteren Schwarzen Amerikaners, George Floyd, durch die Polizei.

Vielleicht warst auch du Teilnehmer*in einer der vielen Demonstrationen, die im Sommer des Jahres 2020 in vielen deutschen Städten stattgefunden haben. In jedem Fall hat es das Thema »Rassismus in Deutschland« in den Mainstream geschafft. Wie nachhaltig dieser Diskurs ist, vermögen wir momentan noch nicht zu sagen. Dies soll auch überhaupt nicht Thema dieses Buches sein. Wir erleben jedoch, dass teilweise ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat und weiterhin stattfindet. Während zuvor der Fokus zumeist auf den individuellen Erfahrungen Schwarzer Menschen und ihrer Kinder lag, wurde uns seit Juni 2020, sei es in Interviews oder in Gesprächen mit Eltern und Pädagog*innen, immer öfter die Frage gestellt, was weiße Menschen konkret machen können, um dem individuellen und strukturellen Rassismus entgegenzutreten. In der eigenen Familie, im Freundeskreis, in der Kita und in der Schule.

Wir begrüßen diesen Schritt sehr. Endlich weg von der weißen Betroffenheit und Schockstarre, hin zum weißen Handeln und der Betrachtung des eigenen Anteils an diesem System. Ein System, das unser aller Gesellschaft spaltet und in seiner brutalen Konsequenz Menschen tötet, wie wir es im Falle von George Floyd in den USA und Oury Jalloh in Deutschland sehen konnten und es tagtäglich an den europäischen Außengrenzen beobachten können. Immer mehr Eltern, insbesondere weiße Eltern, möchten ihre Kinder anders erziehen, als sie selbst erzogen worden sind. Ihre Kinder sollen rassismuskritisch und diversitätssensibel aufwachsen. Gleichzeitig stellt sich für uns und für viele andere Schwarze Eltern und Eltern of Color schon lange die Frage, wie wir unsere Kinder schützen können. Sei es vor rassistischen Äußerungen auf dem Spielplatz, in der Kita oder der Schule: Immer wieder scheitern Menschen daran, Gehör in Institutionen oder bei weißen Eltern zu finden, wenn ihr Kind Rassismus erfahren hat. Es wird relativiert, Täter-Opfer-Umkehr betrieben oder schlichtweg geleugnet. Diese Erfahrungen führen zu Frust, Resignation und einem Misstrauen gegenüber staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen.

Wenn also auf der einen Seite die Bereitschaft besteht, eine Veränderung herbeizuführen, und auf der anderen schon lange der Kampf um Gerechtigkeit, Chancengleichheit und ein Recht auf...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
ISBN-10 3-407-86697-6 / 3407866976
ISBN-13 978-3-407-86697-4 / 9783407866974
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