mUTIG sEIN (eBook)
320 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-9746-9 (ISBN)
Wolfgang Hoffmann, Jahrgang 1985, ist in Mödling / Österreich aufgewachsen. Schon früh in seiner Kindheit hat er seine Begeisterung für Sport entdeckt. Zahlreiche Narben auf dem Kopf und Knien sind seine Zeitzeugen. Auf dem Weg zum professionellen Radsportler hat ihn 2003 die Diagnose Multiple Sklerose gestoppt. Von diesem Zeitpunkt an setzte er sich vermehrt mit gesundheitlichen Themen auseinander. Vertieft hat er sein Wissen während des Studiums für Sportwissenschaften in Wien und an zahlreichen Traineraus- und -fortbildungen. Schon vor dem erfolgreichen Abschluss 2011 arbeitete er permanent mit diversen Zielgruppen im Gesundheits- und Sportsektor. 2013 verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz/ Engadin, von wo aus er seine Begeisterung als Gesundheitscoach, Trainer und Sportlehrer auslebt.
1 Mieser Start
Es ist Ende August, ein angenehmer Morgen. Im Schatten ist es noch kühl, in der Sonne bereits warm. Der wolkenlose Himmel kündigt einen typischen heissen Sommertag an. An diesem Sonntagmorgen stehen viele junge und ambitionierte Nachwuchs-Strassenradrennfahrer an der Startlinie zu einem klassischen Rundrennen durch das Zentrum von Wiener Neustadt in Niederösterreich. Fünfzehn Runden und rund sechzig Kilometer gilt es so schnell wie möglich zu absolvieren – knapp vorbei an parkenden Autos, Hausmauern, Absperrungen, die Zuschauer und Fussgänger zurückhalten, sowie zahlreichen Verkehrsschildern, die einem speziell in den Kurven sehr nahe kommen können.
Die Nervosität steigt. Ich stehe am Start inmitten von anderen Radfahrern. Zu diesem Zeitpunkt bin ich achtzehn Jahre alt. Die Situation ist mittlerweile Routine, und dennoch habe ich ein leichtes Kribbeln im Bauch und freue mich auf das Rennen. Nach zahlreichen Starts in den vergangenen Jahren in diversen Nachwuchsklassen weiss ich genau, was passieren wird. Kaum ist der Startschuss gefallen, wird ohne Rücksicht volles Tempo gefahren. Bei uns Jungs gibt es nur die eine Taktik: Die Pedale so fest und schnell treten wie möglich – derjenige, der dieses Tempo von Anfang bis Ende durchhält, gewinnt. Die anderen werden Runde für Runde weiter zurückfallen.
Grundsätzlich liegen mir solche Rennen. Es gibt keine technischen Schwierigkeiten auf dem Kurs. Das Streckenprofil ist komplett flach. Der Kurs durch die Stadt verläuft mit vier 90-Grad-Abbiegungen und einer kurzen Zielgeraden. Ich kann all meine Stärken ausspielen: Sprint- und Antrittsschnelligkeit, das Fahren im Windschatten optimal ausnutzen und im Ebenen ein hohes Tempo lange halten können. Denn ich bin kein typischer Radrennfahrer, wie man sie häufig im Fernsehen sieht: Schmale Schultern, dünne Beine, wenig Körpergewicht, tendenziell geringe Körpergrösse und wenig Körperfett sucht man bei mir vergeblich. Aufgrund guter biologischer Voraussetzungen bin ich ein kräftiger, kompakt gebauter und »schwerer« Athlet. Zusätzlich war ich in der späten Kindheit Leistungsschwimmer, wodurch ich eine gewisse muskuläre Athletik bekommen und behalten habe. Das nutze ich an solchen Tagen gerne zu meinem Vorteil.
Ich bin mit keinem speziellen Ziel in das Rennen gestartet. Jedoch weiss ich aufgrund des Streckenprofils, dass ich in die Top 10 fahren kann. Sollte es zu einem Zielsprint kommen, ist für mich alles möglich. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich durch meine zahlreichen Wettrennen und Wettkämpfe gegen meinen Bruder schnelle Beine bekommen habe. Und genauso durch das Flüchten vor möglichen Strafen von Eltern, Familienangehören und Freunden nach irgendwelchen Streichen, die ich ihnen gespielt habe.
Doch nach ein paar Runden kann ich dem Tempo der anderen leider nicht folgen. In meinen Augen hat das zwei Ursachen: (a) Mein Ziel ist die österreichische Einzel-Zeitfahrmeisterschaft eine Woche später. Somit bin ich ein wenig besorgt, dass mir dieses Tempo schaden könnte. Was natürlich nur eine fadenscheinige Ausrede ist, die ich mir mental zurechtgelegt habe. (b) Es gibt einen Wechsel des Strassenbelags beim Übergang von einer normalen Fahrbahn in eine Fussgängerzone. Die Kante in der Fahrbahn ist mir schon bei der Besichtigung als bedenklich aufgefallen. Leider hat sich das im Renntempo dann bestätigt. Jedes Mal beim Drüberfahren – und das zwei Mal pro Runde – verursacht diese Kante einen immensen Schlag auf das Rad. Ich muss stets den Lenker gut festhalten, damit er mir nicht aus den Händen gleitet. Zusätzlich bekomme ich diesen Schlag aufgrund der Position mit vorgelehntem Oberkörper am stärksten im unteren Rücken zu spüren. Schon während des Rennens kommt ein ungutes Gefühl in mir auf.
Am Ende wird es ein abgeschlagener Platz im hinteren Mittelfeld. Ein enttäuschendes Rennergebnis zum Vergessen! Zumindest habe ich den Zielsprint der kleinen Verfolgergruppe gewonnen. Das ist ein bisschen Genugtuung. Solche Situationen lasse ich mir nicht entgehen. Es wird bis zum Schluss gekämpft. Das Rennen ist erst beendet, wenn die Ziellinie überquert ist. Im Nachhinein habe ich den Eindruck, dass mir das Rennen weder als gute Vorbereitung für die österreichische Zeitfahrmeisterschaft geholfen hat, noch dass ich dadurch mein Selbstbewusstsein stärken konnte. Zu all dem kann ich aufgrund der Rückenschmerzen kaum vom Rennrad absteigen. Es ist ein permanenter stechender Schmerz im Lendenwirbelbereich. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass man nach einem Radrennen Rückenschmerzen hat, denn die Position auf Rennrädern ist alles andere als wirbelsäulenfreundlich. Doch diesmal ist es anders.
Ich erinnerte mich daran, dass in der Pubertät eine leichte Verschiebung meines dritten Lendenwirbels festgestellt wurde. Ich hatte das nie als Schwachstelle gesehen und war seitdem immer bestrebt gewesen, mit zusätzlichem Training den Rückenbereich zu stabilisieren. Dieses Zusatztraining hatte ich in der letzten Zeit vernachlässigt. Deswegen ging ich davon aus, dass die Rückenschmerzen die Konsequenz des verabsäumten Trainings und der Stösse durch das Überfahren der Randsteine war. Ich suchte einen Schuldigen und fand ihn in den Randsteinen. Es machte mich wütend, dass die Organisatoren uns über diese Kanten gehetzt hatten, ich empfand das als gesundheitsgefährdend. Ich suchte Ausreden und das waren die Ersten, die mir einfielen.
Weder mein Trainer noch meine Mutter konnten meine miese Stimmung verbessern. Es war zu diesem Zeitpunkt unmöglich, mir Gutes zu tun. Ich sass auf dem Boden neben meinem Rennrad, das diesen wilden Ritt ohne Defekt überstanden hatte, und machte böse Miene zum guten Spiel. Um mich herum hockten viele meiner Mitstreiter und ein paar Radfreunde. Wir diskutierten über diverse Situationen des Rennens, während wir uns etwas Kühles zu trinken genehmigten. Auch der trockene Kuchen half nicht, die Stimmung zu heben. Ich hatte Rückenschmerzen und ein für mich beschissenes Rennen hinter mir. Ich wollte nur noch nach Hause und alleine sein.
Im Nachhinein betrachtet waren die anhaltenden Rückenschmerzen in den kommenden Tagen das erste Anzeichen der ausgelösten Multiplen Sklerose. Der zweite Auslösefaktor folgte eine Woche später.
1.1 Mist! Scheisse!
Wieder einmal ein geniales Wetter – mein Wetter – im heissesten Sommer der letzten Jahre: blauer Nachmittagshimmel, trocken, kaum Wind. Einmal treten und der Schweiss rinnt ununterbrochen, nur der Fahrtwind kühlt. Das Warmfahren, um den Körper auf die gewünschte Arbeitstemperatur zu bringen, ist schon Genuss pur. Ich betreibe den Sport, den ich liebe. Die Beine fühlen sich sehr gut an. In den Jahren des Radfahrens habe ich gelernt, sehr stark auf meinen Körper zu hören und somit ein Gefühl dafür bekommen, wie sich die Muskeln der Beine anfühlen. Es ist ein gutes Zeichen für mich, dass sich meine Beine bei wenig Anstrengung schwer angefühlen. Denn nachdem ich ein paar Intervalle im Renntempo absolviert habe, werden sie auf einmal leicht. Ich weiss, ich habe gut trainiert und bin auf den Punkt genau bereit, meine Leistungsfähigkeit und auch mein Talent heute zu bestätigen. Ich bin also hochmotiviert.
In dieser euphorischen Stimmung sitze ich seit ca. 25 Minuten auf dem Rennrad und fahre das Einzelzeitfahren der österreichischen Meisterschaft in Feldbach. So gut vorbereitet war ich noch nie. Obwohl mich die Rückenschmerzen und das schlechte Resultat der Vorwoche ein bisschen aus der Bahn geworfen haben: Jetzt konzentriere ich mich voll auf das Rennen. Es geht um sehr viel. Mein Ziel sind die Top 10. Ich will einen guten Eindruck hinterlassen. Es ist mein letztes Jahr in der Nachwuchskategorie Junioren. Bei einem guten Resultat steigen die Chancen, in einem U23-Team einen Vertrag zu bekommen, um so meinem Ziel »professioneller Radsportler« näher zu kommen.
Die Strecke liegt mir nicht hundertprozentig. Doch nach der Besichtigung war die Taktik für das Rennen relativ schnell klar: Vom Start weg sollte ich das Maximum meiner Leistung abrufen. Die Strecke geht die ersten fünf Kilometer leicht bergab. Dann über eine Autobahnbrücke, die zu vernachlässigen ist, da diese mit dem Schwung aus dem flachen Teil leicht überfahren werden kann. Anschliessend führt der Weg wieder etwa fünf Kilometer leicht bergab. Dann folgt der für mich anspruchsvolle Teil, es wird hügelig. Trotzdem ist es das Ziel, auch diese Etappe mit Vollgas zu bewältigen. Ich muss alles unternehmen, um das Tempo speziell bergauf hochzuhalten. So habe ich eine realistische Chance, mein Ziel zu erreichen. Schliesslich enden die Hügel in einem leichten, ca. zwei Kilometer langen Anstieg, der mit ein paar steileren Rampen von 50 bis 200 Meter Länge gespickt ist. Ich nehme sie für meine Verhältnisse sehr passabel und die Motivation steigt noch mal, als ich den letzten kleinen Anstieg zur Wende hinter mir habe. Mitten in einem kleinen Dorfzentrum muss ich um einen Brunnen fahren. Es bleibt keine Zeit, die kleine Kirche und den Gasthof genauer wahrzunehmen. Zu sehr bin ich darauf fokussiert, mich auf den...
Erscheint lt. Verlag | 16.6.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie |
ISBN-10 | 3-7526-9746-6 / 3752697466 |
ISBN-13 | 978-3-7526-9746-9 / 9783752697469 |
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