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Rituale (eBook)

Wie sie uns im Leben stärken
eBook Download: EPUB
2021
224 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-26643-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rituale - Christine Dohler
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Rituale sind so alt wie die Menschheit und begleiten uns auch heute noch täglich. Sie stärken uns und geben Halt - gerade in einer Zeit, in der sich das Leben immer mehr beschleunigt und viele Menschen sich von den klassischen Weltreligionen lösen. Denn Rituale geben Orientierung und Sicherheit. Sie stillen unser Bedürfnis nach Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Ruhe. Christine Dohler hat auf der ganzen Welt an den unterschiedlichsten Ritualen teilgenommen und zeigt, weshalb uns eine Morgenroutine gut in den Tag starten lässt, wie wir mit kleinen Ritualen auch an einem stressigen Arbeitstag das innere Gefühl von Zufriedenheit bewahren und welch lebensverändernde Power in Kakao steckt. So können wir die Kraft der Rituale für uns nutzen und sie zu einem Teil unseres Lebens machen.

Christine Dohler hat Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg studiert und wurde an der Henri-Nannen-Journalistenschule ausgebildet. Sie ist Textchefin der Emotion Slow und schreibt für die FAS, Die Zeit, das SZ-Magazin, Emotion, Brigitte und Flow. Außerdem ist sie ausgebildeter systemischer Coach und Meditationstrainerin. Christine Dohler lebt in Hamburg, wo sie Meditationskurse sowie Cacao-Rituale anbietet.

1

Sich selbst stärken: warum wir Rituale brauchen


Seit ich denken kann, bin ich auf der Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens. Es ist eine alte Sehnsucht in mir, die ergründen will, was es zwischen Himmel und Erde gibt – ohne dabei die Bodenhaftung zu verlieren. Besonders als Kind hatte ich oft das Gefühl, dass es da noch mehr gibt als das, was wir mit bloßem Auge sehen können, als das, was uns vorgelebt und erzählt wird.

Spirituelle Suche


Meine Eltern haben mich katholisch getauft, aber nie so erzogen. Dennoch entschied ich mich als junges Mädchen, Messdienerin zu werden und etwas scheinbar Veraltetem zu folgen. Mich faszinierten vor allem die spirituelle Stimmung, die christliche Ethik, die immer wiederkehrenden Rituale und das gemeinsame Singen.

Wenn ich keinen Messdienst hatte, saß ich sonntags mit einer Freundin in der Kirchenbank, kannte alle Abfolgen der Messe genau und sang aus vollem Hals mit. Vor dem Schlafengehen betete ich. Doch je älter ich wurde, desto weniger konnte ich mich mit der katholischen Kirche als Institution identifizieren. Ich hätte mir für die Predigt eine Pfarrerin gewünscht und mehr Bezüge zum echten Leben als immer nur die Symbolik aus der Bibel. Ich fühlte mich weder gesehen noch verstanden – und trat deshalb als junge Erwachsene bewusst aus der katholischen Kirche aus. Die christliche Mystik und die unverfälschte Lehre faszinieren und beschäftigen mich jedoch bis heute.

Als Studentin suchte ich Meditationsgruppen auf und las Bücher des Dalai-Lama. Ich studierte nicht nur Journalistik und Kommunikationswissenschaft, sondern auch Geschichte mit dem Schwerpunkt Antike. Einstige Ritualstätten in Griechenland (Delphi) oder Großbritannien (Stonehenge) faszinierten mich; bis heute besuche ich gerne Kirchen und Tempel. Dort schaue ich nicht nur nach dem Alten, sondern fühle nach, was von der magischen Energie noch spürbar ist, welche Energie alle Zeiten überdauert hat.

Ich halte Ausschau nach der Gemeinschaft, nach dem Spirituellen, der Erkenntnis – und natürlich nach dem Rituellen. Ich liebe es, Kerzen in Kirchen aufzustellen und für jemanden zu beten. Ich mag den Geruch von Weihrauch, die ehrfürchtige Stille, und es berührt mich, wenn die Orgel spielt. Darüber hinaus feiere ich allgemein das Leben gern.

In unseren Wünschen sind wir Menschen uns sehr ähnlich. Wir wünschen uns Liebe und Gesundheit, in unseren Tätigkeiten und Beziehungen Erfüllung zu finden sowie genügend Geld zum Leben zu haben. Manche Menschen warten aber darauf, dass ihnen alles quasi in den Schoß fällt. Zu dieser Kategorie gehöre ich definitiv nicht. Wenn mir etwas fehlt, werde ich aktiv. Dann packe ich beispielsweise meine Koffer und mache mich auf die Suche nach einem bestimmten Trick, dem einen Menschen oder der Geheimzutat, die mich dabei unterstützen, ich selbst zu sein. Ich probiere (fast) alles aus, um alles zu sein, außer frustriert und leer.

Halt und Verankerung durch Rituale


Seit ich allein reisen kann, hat es mich in sehr viele Länder gezogen – und ohne mir dessen zunächst bewusst zu sein, landete ich immer wieder bei Ritualen und Zeremonien: auf den Fidschi-Inseln wurde ich Teil einer Kava-Zeremonie, und auf Bali traf ich moderne Priesterinnen. Mittlerweile suche ich diese Gruppen bewusst auf; ich reise an Orte, an denen viele Rituale gelebt werden, wie etwa nach San Marcos La Laguna in Guatemala, nach Ubud auf Bali oder auch nach Berlin. Dort habe ich Freunde fürs Leben gefunden, und sie haben mein Leben bereichert. Die Rituale geben mir Halt und Zuversicht. Sie lösen sicher nicht alle Probleme, aber sie sind in den vergangenen Jahren wichtige Begleiter meiner Transformation geworden, ein geschützter Bereich, wo ich innehalten und mir selbst näherkommen kann.

Durch meine vielen Reisen habe ich immer stärker gemerkt, dass mich alltägliche Rituale wie eine Morgen- und Abendroutine gut verankern, dass mir Frauenkreise oder Yoga- und Meditationsgruppen überall auf der Welt das Gefühl von Verbundenheit schenken und ein Gebet vor dem Essen eine Mahlzeit nahrhafter macht. Rituale haben die Kraft, für Glück, Gelassenheit, Freude, Liebe, Heilung, Verbundenheit, Achtsamkeit und Halt zu sorgen. Und sie sind ein Ort, an dem Veränderung passieren kann. Das Schöne ist, dass ich darin komplett frei bin, wenn diese Rituale sich von Dogmen, Strenge und Religion gelöst haben. Es geht um die Essenz darin: die Verbindung zu sich selbst und allen anderen Wesen der Erde. Ein Rahmen, in dem ich vertrauen und mich authentisch zeigen kann. Ein Ort, an dem es kein Richtig und kein Falsch gibt. Wo ich alles darf, solange es niemandem schadet, und wo ich nichts muss.

Moderne Rituale ersetzen zum Teil das, was die Kirche oder die Familie vor allem in den westlichen Kulturen nicht mehr leisten kann. Es geht darum, mit Gleichgesinnten das Leben und den tieferen Sinn zu erforschen und zu feiern. Und es geht darum, Wurzeln in einer entwurzelten Welt zu finden.

Was genau ist ein Ritual?


Rituale sind symbolische Handlungen nach einem bestimmten Ablauf, die man allein oder als Zeremonie in Gruppen ausführt. Doch die Begriffe sind nicht starr, und die Definitionen variieren. Ein Ritual kann das Zusammenlegen der Handflächen wie bei einem Gebet sein, eine Yogastunde oder ein mehrtägiges Fest. Das Feld ist weit, und je nach Kultur wird ein Ritual unterschiedlich interpretiert.

Die moderne Wissenschaft setzt sich mit dem Thema als Trend auseinander, sagt aber auch, dass der Begriff schwer zu greifen ist. Rituale und Zeremonien sind nichts Starres und schon längst nicht mehr allein im religiösen Kontext oder Brauchtum zu verorten. Sie entwickeln sich wie viele andere Formen, Systeme und Strukturen weiter.1

Für mich definiert sich ein Ritual danach, mit welchem Bewusstsein und welcher inneren Haltung sowie Absicht ich es ausübe. Der allmorgendliche Kaffee zum Beispiel: Wenn ich ihn hektisch zubereite und ihn hinunterstürze, während ich die Morgennachrichten im Fernsehen sehe, wird er mich aufputschen und innerlich nervös machen. Brühe ich ihn aber in Ruhe auf und bleibe nur bei dieser Aktion, dann nehme ich mir vor, dass mir diese Kaffeetasse einen schönen Tagesbeginn ermöglicht. Bleibe ich bei dieser einen bewusst getrunkenen Tasse, die ich vielleicht auf dem Balkon genieße, während die Vögel zwitschern, dann habe ich mir selbst ein erholsames Morgenritual geschaffen. Letztlich entscheide ich selbst, was für mich ein Ritual ist und was nicht. Die Voraussetzung ist nur, dass es bewusst erfolgt und nicht gedankenlos und nebenbei wie eine Routine oder Pflichtübung.

Rituale müssen nicht immer in einer großen Zeremonie stattfinden. Es geht auch oft ganz lebenspraktisch darum, sich etwa bei einem selbst gestalteten Baderitual von den Strapazen des Tages zu erholen. Die Kraft liegt darin, dass die innere Ausrichtung im gegenwärtigen Moment das Potenzial hat, ein Leben zu verändern – weil ich mich in einem Ritual selbst dazu motiviere, alles dafür zu tun, um zu heilen und zu wachsen. Und weil ich Vertrauen fasse, dass dies möglich ist. Weil ich mich selbst stark mache und kraftvolle Energien aktiviere, die über mich und mein Ego hinausgehen. Das ist besonders in unsicheren Zeiten hilfreich, was sogar die moderne Hirnforschung bestätigt: »Rituale sind eine Möglichkeit, das Ausmaß an Kohärenz, also jenen Modus im Gehirn, in dem alles einigermaßen gut zusammenpasst und möglichst wenig Energie verbraucht wird, zu verbessern. Das gilt vor allem in schwierigen Problem- oder Umbruchsphasen wie in der Pubertät oder in einer Trauerphase. Sie haben deshalb vor allem in Krisenzeiten eine stabilisierende Wirkung«, erklärte mir der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther.

Gemeinsam wachsen


An Rituale muss man nicht glauben, man führt sie einfach durch und vertraut auf ihre Wirkung. Beim Ausüben von Ritualen entsteht eine Kraft in Form von Energie, die für alle zugänglich ist. In dem geschützten Raum eines Rituals können wir eine bessere Realität des Lebens simulieren, indem wir Körper, Geist und Energie harmonisieren und in eine positive Grundstimmung bringen. Dies wirkt noch intensiver, wenn eine Gruppe dasselbe Ziel verfolgt.

Ich leite seit mehr als fünf Jahren Cacao-Rituale2 und gestalte auch Rituale zu Anlässen wie Geburtstagen, Paarjubiläen und Abschieden. In Einzel-Coachingsitzungen, die ebenfalls nach einem Ritual ablaufen, ergründe ich mit meinen Coachees, was sie davon abhält, ihr Leben ihren Wünschen entsprechend tiefgehend zu verändern.

Bei den Cacao-Ritualen etwa lade ich Menschen für drei Stunden ein, aus ihrem Alltag auszubrechen und in einem Kreis zusammenzukommen. Eigentlich passiert vordergründig nicht viel: Wir trinken zusammen rohen, zeremoniellen Kakao, tauschen uns aus, und ich leite eine Meditation an. Doch in diesem geschützten Raum, der wertfrei und ohne Erwartungen ist, passiert dennoch einiges: Unterdrückte Gefühle lösen sich, die Teilnehmenden kommen auf neue Ideen für ihr Leben, sie lernen eine neue Seite an sich kennen, finden Weggefährten oder tiefe Entspannung (siehe dazu auch Kapitel 5).

Jedes Mal denke ich aufs Neue, wie wichtig diese Räume sind, in denen sich Menschen voller Vertrauen und ohne Leistungsdruck authentisch zeigen können. Da ein Ritual diesen fast schon heiligen Rahmen dazu erschafft, ist es so einfach, sich darin fallen zu lassen und ganz in den Moment einzutauchen – ohne sorgenvolle Gedanken an die Zukunft oder Vergangenheit. Diese Erlaubnis, einfach nur »sein« zu dürfen,...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Achtsamkeit • achtsamkeit buch • Bräuche • eBooks • Familie • Frauenkreis • Gemeinschaft • Initiation • Jahresfeste • Morgenroutine • Mythologie • Persönlichkeitsentwicklung • Ratgeber • Raunächte • Schamanismus • Spiritualität • Übergangsritual • Verbundenheit
ISBN-10 3-641-26643-2 / 3641266432
ISBN-13 978-3-641-26643-1 / 9783641266431
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