Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam (eBook)
Mit viel Humor und Leidenschaft für Sechsbeiner aller Art lässt sie uns daran teilhaben, was sie selber über Pflanzen und Insekten lernt und öffnet uns dabei die Augen für ein verborgenes Universum, an dem man allzu oft blind vorübergeht.
Eine persönliche Auflehnung gegen sterile Grünflächen und aufgeräumte Gärten, voller nützlicher Tipps, um ganz einfach selbst aktiv zu werden.
Christiane Habermalz, geboren 1968, ist Journalistin. Sie arbeitet als Korrespondentin für Kultur und Bildungspolitik im Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks.Gemeinsam mit anderen JournalistInnen betreibt sie das Online-Magazin »Die Flugbegleiter - Ihre Korrespondenten aus der Vogelwelt«, das als Teil der Journalisten-Genossenschaft Riffreporter unter anderem mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Christiane Habermalz lebt mit Mann und Tochter in Berlin.
KAPITEL 3
EIN KÖNIGINNENREICH AUF SECHS QUADRATMETERN
Ich wohne in einem Mehrfamilienhaus mitten im Zentrum Berlins. Unsere Wohnung liegt im ersten Stock und ich habe das Glück, nicht nur einen Balkon zu besitzen, sondern auch, weil mein Gatte im Erdgeschoss ein Atelier eingerichtet hat, ein handtuchgroßes Stück Garten mein Eigen nennen zu dürfen.
Lieber hätte ich 1000 Quadratmeter. Ich habe immer davon geträumt, einen adligen Waldbesitzer zu heiraten. Aus rein materiellem Interesse natürlich. Ich wollte Wald und Wiesen haben, nur um sie zu besitzen, wie ein ostelbischer Landjunker. Mit dem Unterschied freilich, dass ich mein Land sich selbst überlassen würde. Damit die Natur sich wieder in Ruhe ausbreiten kann. Es wurde nichts daraus, stattdessen bekam ich einen grundbesitzlosen Bildhauer, der sich deutlich mehr für urbanes Leben, Cafés und Kneipen interessierte als für unberührte Natur. Wir sind seit 17 Jahren glücklich verheiratet.
»Mülltrennung heißt für mich, dass ich mich von meinem Müll trenne«, lautet einer seiner Standardsprüche, mit dem er sich regelmäßig über den Sortiereifer der Deutschen, auch meinen, lustig macht. Empört weise ich seine defätistische Haltung zurück.
»Wer so denkt, leistet den Vertretern der ökologischen Raubbau betreibenden Wachstumsökonomie Vorschub und will nur seine Komfortzone nicht verlassen!«, antworte ich dann. So oder so ähnlich.
»Das wird hinterher sowieso wieder alles zusammengeschmissen«, sagt er jedes Mal, wenn ich noch die Klopapierrolle aus dem Restmüll fische und in den Papiermüll beförderte. Natürlich hatte ich lange Zeit selber meine Zweifel, aber die rang ich entschlossen nieder. Wie recht er leider hat, erfuhr ich erst vor ein paar Monaten, als ich für einen Radiobericht die Recyclingquoten von deutschem Verpackungsmüll recherchierte. Lange wurde behauptet, unser Plastikmüll werde zu 50 Prozent »verwertet«. Doch unter »Verwertung« fällt absurderweise auch Verbrennen. Und, noch irrsinniger, der Export ins Ausland. Die Organisation Gaia (Global Alliance for Incinerator Alternatives) hat aufgedeckt, dass deutscher Wohlstandsmüll zu großen Teilen in Malaysia, Indonesien oder Thailand auf illegalen Mülldeponien und im Ozean landet. Deutsche Behörden haken ihn dann als »recycelt« ab. Selbstverständlich gebe ich ungern zu, dass mein Mann mit irgendetwas recht hat. Und ich hole immer noch die Klorollen aus dem Restmüll. Ich kann nicht anders. Es ist mir in die DNA gebrannt.
Ich habe also keinen Wald, dafür sechs Quadratmeter Garten, der noch dazu ständig mit Steinstaub bemehlt und mit ausrangierten Figurenresten zugemüllt ist. Doch hier habe ich schon vor Jahren einen Pflaumenbaum gepflanzt. Er ist mein ganzer Stolz, den ich mit Hingabe hege und pflege: mein Schatz. Und echt Bio. Jedes Jahr ernte ich Pflaumen für mindestens drei Kuchenbleche. Leider ist der Standort für ihn nicht der beste. Unser Innenhof ist recht dunkel, der Baum kränkelt, und jedes Frühjahr wird er von einer Blattlausinvasion heimgesucht, die ihm fast den Garaus macht.
Wir haben das Haus vor über zehn Jahren zusammen mit über 20 Familien als Bauprojekt errichtet. Deswegen gibt es oben auf dem Dach noch eine Gemeinschaftsdachterrasse für alle Hausbewohner. Sie gehört natürlich nicht mir, sondern allen gemeinsam und wird vor allem von unseren Hausjugendlichen zum Partyfeiern genutzt. Doch jedes Jahr veranstalten wir einen Subbotnik. »Aktion Grüne Hölle« nennen wir die Nachbarschaftsaktion, bei der wir an einem Wochenende im Frühjahr vertrocknetes Gestrüpp und alte Bierflaschen entsorgen und in die Kübel neue Erde und Pflanzen einsetzten. Die Aktion Grüne Hölle würde ich sicher kapern und für meine neue Mission instrumentalisieren können. Ich überschlug im Geiste: sechs Quadratmeter Schattenbeet mit Pflaumenbaum im Erdgeschoss. Ein mäßig besonnter Balkon im ersten Stock. Und eine heiße und trockene Dachterrasse, die mir zu einem Zwanzigstel gehört. Meine künftige Aktionsfläche zur Rettung der Insekten war also nicht groß – und eindeutig eher vertikal als horizontal. Ich hatte hochkant mehr Platz zur Verfügung als in der Fläche. Das ist typisch für die Stadt – aber darin liegt ja auch eine ökologische Chance. Wildbienen etwa machen keinen Unterschied zwischen einem Hochhaus und einem Berg. Ein begrünter Balkon im sechsten Stock ist für sie wie eine Almwiese, auf die sie hinauffliegen.
Wir haben schon vor Jahren bei uns unten im Beet einen Blauregen eingepflanzt. Jetzt, nach über zehn Jahren, ist er über sechs Stockwerke hinweg von Balkon zu Balkon geklettert und verwandelt jedes Frühjahr das ganze Haus in einen blauen Blütenwasserfall. Im nächsten Jahr wird er das Dach erreichen. Wir liebten unseren Blauregen, doch war er auch gut für Insekten? Recherchen ergaben, dass er aus China stammt. Von heimisch also keine Rede.
»Wir müssen den Blauregen kappen«, sagte ich zu meinem Bildhauer, noch ganz im blinden Vernichtungswahn.
»Du spinnst!« antwortete er, zu meiner großen Erleichterung. Ich recherchierte noch ein bisschen und fand, dass die Blüten Nektar und Pollen tragen und vor allem von Hummeln genutzt werden. Von einigen Imkern wird er sogar als Bienenweide empfohlen. Gott sei Dank. Er war erst mal rehabilitiert.
Ich rief trotzdem noch einmal Andreas Fleischmann an.
»Wie schlimm ist Blauregen?« fragte ich ihn. Er lachte. »Rufen Sie mich jetzt wegen jeder Pflanze einzeln an?«
Und noch etwas schrieb ich auf meine Habenliste: Auf dem Dach unseres Hauses wurde ein Gründach angelegt. Das war, vor zwölf Jahren, als das Haus gebaut wurde, ein heller Moment unserer Architekten, und wir hatten es auf einer der Bauprojektversammlungen so beschlossen. Doch die meisten unserer Nachbarn, ich eingeschlossen, wussten lange gar nicht mehr, dass es überhaupt existierte. Um es zu sehen, muss man mit einer Leiter von der Dachterrasse aus noch eine Etage höher auf das Flachdach klettern. Dann ist man jedoch überrascht, wie groß und grün die Fläche ist, die sich hier oben auftut. Sie war mit typischen Gründachgewächsen wie Fetthenne und Mauerpfeffer bewachsen, die allerdings, nach zehn Jahren mangelhafter Pflege, auch schon große Lücken aufwiesen. Aber immerhin. Auch hier ließ sich vielleicht noch etwas machen.
Ich trat sofort in Aktion. Auf meinen sechs Quadratmetern machte ich mich zunächst daran zu bestimmen, was sich an Unkraut in meinem Garten schon von selber angesiedelt hatte oder was ich in den vergangenen Jahren immer mal so gepflanzt hatte. Ich fand: Gundermann, Minze, Vogelmiere, Schöllkraut, Sauerklee, Rotklee, Brennnessel, Ackerschöterich, Walderdbeere, Giersch, Habichtskraut, rote und blaue Taubnessel und Gänseblümchen. Darauf, dachte ich, lässt sich doch aufbauen. Ich ließ eine Brennnesselecke stehen, in der Hoffnung, dass sich dort Raupen von Tagpfauenauge, C-Falter oder Admiral einfinden würden. Alles Nichteuropäische landete gnadenlos in der Biotonne. Ich kaufte Storchschnabel, Astern und Wilden Dost (Oregano) und füllte damit erst einmal die Lücken. Den Gundermann hatte ich bislang immer ausgerissen, vor allem, weil er von meinem Beet aus wild in den Gemeinschaftsrasen hineinwuchs. Erst jetzt fiel mir auf, dass die hübschen lila Blüten regelmäßig von Hummeln besucht werden. Von nun an ließ ich ihm freien Lauf ins Gemeingrün. Es war meine erste grenzüberschreitende Handlung: Jede Kriminellenkarriere fängt klein an.
Auf dem Balkon ließ ich meine Kräutertöpfe, Rosmarin, Thymian und Schnittlauch, zur Blüte kommen. Früher hatte ich sie nach alter Hausfrauenregel immer vorher abgeschnitten, damit sie ihr Aroma nicht verlieren. Die blühenden Kräuter sahen nicht nur wunderschön aus, sondern erfreuten sich auch großer Beliebtheit bei Bienen und Hummeln. Als Gewürzkraut ließen sie sich trotzdem noch verwenden: Eine Win-win-Situation für Hausfrau und Bestäuber. In einem Kübel säte ich eine bunte Wildblumenmischung aus.
Doch wie weiter? Noch immer klafften Lücken, die meine Vernichtungsaktion hinterlassen hatte. Die Gartencenter, das merkte ich schnell, geben nicht viel her an heimischen Wildpflanzen. Außer Katzenminze und Storchschnabel gab es da nichts im Sortiment, außerdem hatte ich gelesen, dass fast alle der dort verkauften Pflanzen in den Großgärtnereien, in denen sie als Massenware herangezogen werden, mit Pestiziden behandelt werden. Anfangs hatte ich noch versucht, meine Wunderpflanze Natternkopf auszugraben, um sie in mein Beet umzupflanzen. Doch ich scheiterte an der bis zu zwei Meter tiefen Pfahlwurzel, die es der Pflanze ermöglicht, auch an extrem trockenen Standorten zu gedeihen. Und eigentlich wollte ich ja auch neuen Lebensraum für Insekten schaffen. Viele Wildpflanzen stehen zudem unter Naturschutz.
Nein, ich musste eine andere Quelle finden. Saatgut von allerlei Wildpflanzen, das fand ich bald heraus, lässt sich im Internet beziehen. Aber natürlich war ich ungeduldig. Viele der Unkräuter blühen erst im zweiten Jahr nach der Aussaat. Pflanzen zu kaufen, würde schneller gehen, aber ist auch teurer. Ich entdeckte, dass es spezielle Gärtnereien gibt, die sich auf den biologischen Anbau von Wildpflanzen spezialisiert haben. Leider sind sie fast alle in Süd- und Westdeutschland angesiedelt, in Berlin und Umland gibt es keine einzige. Doch es ist möglich, sich Pflanzen per Post schicken zu lassen. Das kam mir zwar absurd vor, doch dann fand ich im Onlineshop einer hessischen Kräuter- und Wildstaudengärtnerei ein Angebot, bei dem ich nicht nein sagen konnte: Gemeine Natternköpfe. Ich war entzückt. Kleine Pflänzchen der Größe »L3«, versandfertig in drei...
Erscheint lt. Verlag | 13.4.2020 |
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Zusatzinfo | Illus. im Text |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Garten |
Schlagworte | Balkon • Balkon bepflanzen • Bewusst leben • Bienenfreundliche Pflanzen • eBooks • Garten • Gartenbuch • Gartenbücher • Gartengestaltung • Gärtnern auf kleinem Raum • Geschenk Muttertag • Guerilla-Gardening • Guerilla-Gärtnerin • Hochbeet • Insektensterben • Kleingarten • mama geschenk • Natur & Umwelt • Selber pflanzen • Wildkräuter |
ISBN-10 | 3-641-25903-7 / 3641259037 |
ISBN-13 | 978-3-641-25903-7 / 9783641259037 |
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