Vive la cuisine! (eBook)
237 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-72625-5 (ISBN)
Peter Peter, der Kochkunst und Kulturgeschichte meisterhaft miteinander verbindet, öffnet erneut seine 'kulturhistorische Schatztruhe' und ergründet die über Jahrhunderte unangefochtene Spitzenstellung der französischen Küche. Sein opulent illustriertes und mit 30 Originalrezepten gespicktes Buch macht Appetit, die ganze Finesse und Vielfalt dieses kulinarischen Paradieses zu entdecken.
Diese Geschichte der französischen Küche spannt den Bogen von keltischen Anfängen und griechischen Kolonisten bis zur Erfindung des modernen Restaurants in der Ära der Revolution und zur heutigen Sterneküche. Die römische Eroberung Galliens, die Landwirtschaft und Küche romanisierte, und die kulinarische Verfeinerung am Hof des Sonnenkönigs sind zwei der immer noch tragenden Säulen dieses 2010 von der Unesco anerkannten Weltkulturerbes der Grande Nation. Das vibrierende Zentrum Paris, die Vielfalt der Regionalküchen und die handwerkliche Qualität der Weine und Lebensmittel zeichnen dieses Erbe aus. Mit ca. 157 Abbildungen im Innenteil.
Peter Peter unterrichtet am Gastrosophiezentrum der Universität Salzburg und als Gastdozent in Frankreich und Italien. Für das Rotary-Magazin verfasst er die Kolumne "Peters Lebensart2. Er schrieb Restaurantkritiken für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und ist Mitglied des Kulinaristik- Forums und der Deutschen Akademie für Kulinaristik.<br>
OBELIX À LA CARTE?
GALLISCHE GENIESSER
Die Kelten sitzen auf trockenem Stroh und lassen sich ihre Mahlzeiten auf hölzernen Tischen servieren, die sich nur wenig über der Erde abheben. Ihre Speise besteht aus nur wenig Brot, aber einer großen Menge Fleisch, entweder gekocht, auf Holzkohle gebraten oder an Spießen. Sie essen sauber, aber nach Art der Löwen: Mit beiden Händen halten sie Fleischteile und beißen das Fleisch mit dem Mund ab … Das Getränk der Reichen ist Wein aus Italien oder der Gegend um Marseille. Sie trinken ihn unverdünnt, aber manchmal geben sie doch etwas Wasser dazu. Die unteren Klassen trinken Weizenbier, zubereitet mit Honig. POSEIDONIOS VON APAMEIA (2./1. JAHRHUNDERT V. CHR.)
Austern, Schnecken und Knochenmark. Leckerbissen der steinzeitlichen Paläo-Diät sind bis heute in Frankreich populär. An den atlantischen Küsten wurden prähistorische Halden von Muschelschalen gefunden, ähnlich zusammengeworfen, wie das immer noch hinter den Imbisshütten im berühmten Austernzüchterort Cancale in der Bretagne geschieht. Mit Faustkeilen zerschmetterte Tierknochen und Schädel belegen, dass die Ureinwohner eine Vorliebe für Hirn und Mark hatten. Französische Archäologen sprechen von der bouillon gras, der paläolithischen Vorläuferin der heutigen Consommé. Diese mittels glühender Steine in mit Bälgern ausgekleideten Gruben erhitzte fettreiche Suppe scheint am Anfang menschlichen Kochens zu stehen. Die Technik, Feuer zu machen, dürfte bereits ab 400.000 v. Chr. aufgekommen sein und ist durch die Fundstelle Terra Amata oberhalb Nizzas sicher für die Altsteinzeit belegt.
Oppida-Zivilisation aus Sicht des Figaro-Magazins
Detailliertere Hinweise auf carnivore Nahrung liefern Höhlenmalereien, vor allem die Grotte von Lascaux in der Dordogne, dem «schwarzen Périgord». Die Felszeichnungen (Datierung schwankt von 35.000 bis 15.000 v. Chr.) porträtieren eine Fülle von Wildtieren: Auerochsen, Wisente, Stiere, Hirsche, ein Nashorn, einen Bären und Wildpferde. Wenn auch bei einigen wie den Raubkatzen der schamanische Jagdzauber überwog, so dürfte es sich doch meist um Beutetiere gehandelt haben, die konkret verspeist wurden. In der Eiszeit, die bis ca. 10.000 v. Chr. dauerte, waren weite Zonen des heutigen Frankreich tundraartig vergletschert, so dass Jagd mit Speeren, Pfeilen oder Fallen die Hauptnahrung lieferte. Die Urfranzosen verzehrten auch Vögel, Murmeltiere, Biber und Dachse. Ergänzt wurde diese Kost durch Haselnüsse, Eicheln, Bucheckern, Johannisbeeren und Rhabarber sowie Vogeleier, die man mit Steingeräten aufbrach.
Forscherteam in der Grotte von Lascaux, historische Fotografie
Begehrt war Wildpferdefleisch, wie Grabungen am Fuß der markanten Kalksteinklippe von Solutré oberhalb der Weinberge von Pouilly-Fuissé in Südburgund erwiesen. Die Tiere wurden über den Felsen gehetzt und nach dem Todessprung geschlachtet – Steinzeitmetzger haben beim Abschaben des Fleisches bis heute sichtbare Einkerbungen an Pferdeknochen hinterlassen (ca. 8000–7000 v. Chr.). Würze erhielt das Fleisch durch an ihm klebende Aschereste – eine Vorläufertechnik für in Asche gewälzten Käse (fromage cendré)? Die Ausbeutung von Salzquellen, Minen und Meersalzsalinen und damit verbundener Salzhandel ist spätestens seit der Jungsteinzeit nachweisbar.
Im Zuge der neolithischen Revolution werden die Menschen ab dem 6. Jahrtausend v. Chr. sesshafter, schlachten nun häufiger Haustiere wie Schaf, Ziege, Schwein, Rind und auch Hunde. Wildpret von Bären, Auerochsen oder Wildschweinen macht nach Schätzungen anhand von Knochenfunden nur noch 1/5 der Fleischnahrung aus. Tierarten wie Ren und Wildpferd sterben infolge Klimawandels oder Bejagung in Frankreich aus. Die nacheiszeitliche Erwärmung ermöglicht Ackerbau mit Urgetreiden wie Emmer und Einkorn (die mit Komposit-Geräten wie Silex-Sicheln geschnitten und auf Reibsteinen zu Mehl vermahlen werden). Grobkörnige Galetten werden auf heißen Steinen gebacken und sind häufig noch mit Stroh- oder Sandresten verklebt. Hülsenfrüchte wie Lupinen, Saubohnen und Kichererbsen, Gemüse wie Rettiche, Pastinaken und Feldsalat, Ölpflanzen wie Leinen und Raps, Gewürze wie Knoblauch, Kümmel, Kerbel und Senfsaat ergänzen den Speisezettel. Äpfel, Nüsse oder Pflaumen werden kultiviert. Neben Milch trinkt man Hydromel (Met) aus vergorenem Honig sowie fermentiertes Getreidebier und Obstwein. Lebensmittel werden durch Salzung oder Einlegen in Honig gelagert, Fleisch wird lange abgehängt (faisandage).
Ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. ergänzen schriftliche Quellen die archäologischen Nahrungsbefunde. Den Schritt von der Urgeschichte zur Geschichte markiert die Gründungslegende der ältesten französischen Stadt, Marseille, die mit einem kulinarischen Ritual verbunden ist. Die Prinzessin Gyptis aus dem ligurisch-keltischen Volk der Segobrigen durfte sich ihren Gatten bei einem Kultmahl selbst aussuchen, indem sie dem von ihr erwählten Jüngling einen Trinkbecher reichte. Die überraschende Wahl fiel auf einen braungebrannten Gast, einen griechischen Seefahrer namens Protis, der aus Phokaia, einer ionischen Siedlung in der Nähe des heutigen Izmir stammte. Der gemeinsame Trunk stand als Symbol für die cohabitation und Verschmelzung indigener Populationen mit hellenischen Kolonisten. Die antiken Chronisten sind sich uneins, ob in dem Pokal Wasser war. Wie dem auch sei, die Phokäer sollten Aufputschenderes ins Midi einführen: Reben und Wein. Marseille und Kolonien wie Antipolis-Antibes oder Nikaia-Nizza werden für Jahrhunderte das gallische Hinterland mit dem Prestigegetränk versorgen. Vignoble, das französische Wort für Weinberg, hat griechische Wurzeln bewahrt! Es handelt sich um eine volksetymologische Verschleifung des okzitanischen Begriffs vinhobre, der wiederum auf das hellenisch/lateinische ampelophóros/vineoporus zurückgeht. «Der erste Wein, der in Burgund getrunken wurde, war griechischer Wein aus Marseille», spitzt es Sir John Boardman, der britische Doyen der Klassischen Archäologie, zu und stützt sich dabei auf antike Autoren wie Dionysios von Halikarnassos: «In dieser Zeit kannten die Gallier weder Wein aus Trauben noch Öl, wie es unsere Olivenbäume liefern, aber sie verwendeten statt Wein eine ekelerregende Flüssigkeit, die aus in Wasser faulender Gerste gewonnen wird, und statt Öl ranziges Schweinefett, abstoßend wegen seines Geruchs und Geschmacks.»
Eheanbahnung à la gauloise. Gyptis reicht Protis den Vermählungstrunk.
Das spektakulärste Beispiel für diesen Kulturtransfer ist der 1,64 m hohe Krater von Vix. Dieses größte Mischgefäß der Antike, das theoretisch 1100 Liter Wein fassen konnte, wurde in einem nordburgundischen Frauengrab gefunden. Angesichts seiner Überdimensionalität ist er wohl eigens als Protzobjekt für gallische Kundschaft, die die Zurschaustellung öffentlicher Bankette liebte, gegossen worden. 2014 wurde in Lavau bei Troyes ein weiteres Fürstengrab freigelegt, das kostbarstes griechisches und etruskisches Trinkgeschirr, darunter eine goldgefasste attische Weinkanne, birgt. Ein euphorischer später Zeuge dieser kulinarischen Hellenisierung Südfrankreichs ist der römische Historiker Justinus: «Von den Griechen lernten die Gallier einen zivilisierten Lebensstil, und sie gaben ihre barbarische Lebensweise auf. Sie begannen ihre Felder zu bestellen und ihre Städte mit Mauern zu umgeben. Sie gewöhnten sich sogar daran, nach Gesetzen zu leben, statt Waffengewalt zu gebrauchen, und begannen, Weinreben und Oliven anzubauen. Ihr Fortschritt im Verhalten und Wohlstand war so großartig, dass es aussah, als wäre Gallien ein Teil Griechenlands, und nicht, als hätte Griechenland Gallien kolonisiert.» Analysen von Speiseresten haben ergeben, dass vor 2500 Jahren wohl schon ein Vorläufer des französischen Nationalgerichts à la grecque geköchelt wurde: Huhn, aus Kleinasien durch die Phokäer nach Südfrankreich eingeführt, in griechischem Wein geschmort. Der erste coq au vin!
Aus dem hellenischen Süditalien nach Burgund? Volutenkrater von Vix mit Medusa-Haupt
Über Kost und Speisesitten Galliens vor der Eroberung durch Caesar gibt es keine einheimischen schriftlichen Quellen – die druidische Kultur setzte nicht auf Texte, sondern Memorieren der religiösen und weltlichen Lehren. Wir müssen uns durch griechische und römische Zitate, die...
Erscheint lt. Verlag | 25.1.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Essen / Trinken ► Länderküchen |
Schlagworte | Bilder • Frankreich • französische Küche • Geschichte • Kochen • Kochkunst • Küche • Kulturgeschichte • Paris • Regionalküche • Rezepte • Sterneküche • Wein • Weltkulturerbe |
ISBN-10 | 3-406-72625-9 / 3406726259 |
ISBN-13 | 978-3-406-72625-5 / 9783406726255 |
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