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Schildkröten haben keinen Außenspiegel -  Jutta Hammer

Schildkröten haben keinen Außenspiegel (eBook)

und andere Geschichten aus Madagaskar

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 2. Auflage
192 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7448-5860-1 (ISBN)
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36 Monate Madagaskar, 20 besenderte Schildkröten, fünf Campmitarbeiter, eine madagassische Großfamilie, unzählige Mückenstiche und andere Begegnungen mit den unterschiedlichsten Bewohnern der Insel im Indischen Ozean. Madagaskar ist das El Dorado der Biologen, doch abseits der Regenwälder gibt es mindestens ebenso spannende Dinge zu erforschen. Wieso sollten kleine Kinder in einem madagassischen Dorf nicht mit Kartoffeln spielen? Warum würden Schildkröten von einem Außenspiegel profitieren? Und wie fühlt es sich an, mit einem verstorbenen König zu sprechen? Diesen und anderen Fragen geht die Autorin nach und erzählt von ihren Erlebnissen auf der afrikanischen Insel.

Jutta Hammer lebte, fotografierte und schrieb drei Jahre lang auf Madagaskar und einigen der benachbarten Inseln im Indischen Ozean. Neben der Datenaufnahme für ihre Dissertation über die Brutbiologie der madagassischen Strahlenschildkröte (Astrochelys radiata) blieb ihr noch genug Zeit, das Land und seine Bewohner kennenzulernen. Dieses Buch entstand als Auszug der schönsten und spannendsten vor Ort erlebten Anekdoten. Alle Geschichten wurden frei nacherzählt. Für jedes verkaufte Buch spendet die Autorin einen Euro an das Madagaskar-Projekt der Turtle Survival Alliance (TSA) zum Schutz der madagassischen Strahlenschildkröte. Ausführliche Informationen zum Projekt und zur TSA gibt es unter: www.turtlesurvival.org

Ab in den Süden


Unendlich lang und ewig geradeaus zieht sich das asphaltierte Band über die Insel. Die Luft flimmert, dort wo der breite schwarze Streifen am Horizont verschwindet. Von der Sonne aufgeheizt, erinnert er an glühend heiße Kohlen.

Zu dieser Jahreszeit sind alle Aktivitäten während der Mittagshitze und außerhalb des Schattens völlig undenkbar. Die Landschaft um mich herum wirkt vor allem trocken. Und sie ist es. Links und rechts vom Asphaltband reichen Gräser bis an den Horizont heran, hin und wieder ragt ein Baum darüber hinaus und spendet Schatten für die wenigen Wanderer, die hier vorbeikommen mögen. Auf den ersten Blick scheint das Land nur eine lebensfeindliche Ödnis zu sein. Gleich neben der Straße steht ein knorriger Baum, der einzige weit und

breit, der dem Schicksal der Abholzung bisher entgangen ist. Seine wulstigen Wurzeln, vom Blätterdach reichlich beschattet, laden zum Sitzen ein. Heute hat er gleich mehrere Menschen zu beschatten. Am Rande der Hauptstraße stehen ein Kleinbus mit abmontiertem Vorderrad und sein Fahrer, der sich als Automechaniker betätigt. Daneben diskutieren zwei Männer eifrig, wie man die Panne beheben könnte. Acht weitere Fahrgäste, Männer, Frauen und Kinder, sind bereits ausgestiegen, die anderen fünf Mitfahrer sitzen noch im rostigen Fahrzeug.

Ich tue das, was ich immer tue in solchen Situationen: Ich hole meine Fotokamera heraus, mache Bilder von der kargen Landschaft, nehme mir den Bus und die umstehenden Mitfahrer als Fotomotiv und knipse drauflos. Eine Reifenpanne oder ein Motorschaden sind alltägliche Ereignisse, wenn man mit dem Taxi Brousse durch Madagaskar fährt. Die Menschen um mich herum sind daran gewöhnt und arrangieren sich mit der Fahrtunterbrechung. Einige der Fahrgäste haben es sich bereits auf den Wurzeln des alten Baumes bequem gemacht, andere nutzen die Pause, um sich etwas abseits in der Grasvegetation zu erleichtern.

* * *

Meine Reise beginnt einige Wochen zuvor in Hamburg, wo ich auf den letzten Drücker ein GPS bestelle, mir eine Arbeitshose kaufe und meinen Wohnsitz auflöse. Ich räume mein Zimmer leer – der Schreibtisch, mein Stuhl, der Kleiderschrank, das Bett, es muss alles auf den Dachboden! Zwei große Rucksäcke und einen kleinen Rucksack als Handgepäck nehme ich schließlich mit, als ich das leere Zimmer verlasse.

Ich bin auf dem Weg nach Madagaskar, um eine Doktorarbeit über die Brutbiologie der madagassischen Strahlenschildkröte zu schreiben. Natürlich habe ich keine Ahnung, worauf ich mich einlasse, aber ich bin voller Vorfreude: Afrika, Schildkröten, ein für mich völlig fremdes Land – das klingt alles vielversprechend und spannend. Insgesamt werde ich fast drei Jahre auf der Insel im Indischen Ozean verbringen. Drei Jahre intensiver Erfahrungen, Begegnungen, positiver wie negativer Erlebnisse. Ich möchte keinen Augenblick davon missen.

Mein erster Zwischenstopp heißt Paris. Mir bleiben zwei Tage in der französischen Metropole, bevor ich zum großen Sprung ansetze, bevor ich den europäischen Winter gegen den madagassischen Sommer eintausche. Die Tage in Paris, kurz vor dem Abflug, sind entspannt, ich bin entspannt, denn jetzt gibt es nichts mehr zu organisieren. Anders als in Hamburg kann ich hier noch mal abschalten. Und dann geht es endlich los zum Flughafen der französischen Hauptstadt!

„Wie viele Personen fliegen mit Ihnen?“

„Zwei.“

Ich habe verstanden, dass die Frau am Abflugschalter nach dem Gepäck fragt, das ich mitnehme. Nein, eigentlich habe ich nur „Wie viele...“ verstanden. Ich bin beim Abflug etwas aufgeregt, weil ich für acht Monate alleine auf die Insel Madagaskar gehe, gerade meinen Wohnsitz aufgelöst habe und mir nicht sicher bin, ob das alles eine gute Idee war. Aber jetzt ist definitiv der falsche Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Als mich die Frau am Abflugschalter nach dem zweiten Pass fragt, merke ich, dass da irgendwas schief gelaufen ist, und sie merkt es auch. Schließlich wuchte ich meinen Rucksack auf die Gepäckwaage und die Frau stutzt.

„Das zulässige Gewicht Ihres Reisegepäcks nach Réunion beträgt fünfundzwanzig Kilo. Dieser Rucksack wiegt bereits einundzwanzig Kilo!“, erklärt sie mir freundlich.

„Aber ich fliege nach Madagaskar und auf meinem Ticket steht etwas von dreißig Kilo Freigepäck!“, gebe ich zurück, so langsam finden die benötigten französischen Worte zurück in meinen aktiven Wortschatz. Die Frau hinter dem Tresen schaut noch mal auf meinem Ticket nach. Ja, nach Madagaskar darf ich insgesamt dreißig Kilo Gepäck mitnehmen; ich atme auf. Dann wuchte ich den zweiten Rucksack auf die Waage.

„Ist das Gesamtgewicht der beiden Rucksäcke jetzt so in Ordnung?“, frage ich sie höflich. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie falsch ich damit liege, denn ich hatte vorher keine Möglichkeit zu wiegen, was ich nun mitnehmen möchte. Mein Gepäck besteht zu etwa neunzig Prozent aus Geräten, die ich für meine Arbeit brauche: Maßbänder und Schieblehren in verschiedenen Größen, Sender für meine Schildkröten, eine Antenne, ein Receiver, ein Regenmesser für jedes Untersuchungsgebiet, viele Akkus, ein Solarladegerät und eines mit Stromanschluss. Ein paar Fachbücher nehme ich ebenfalls mit, außerdem eine Digitalwaage für Schildkröten bis 25 Kilogramm und mehrere Hygrometer, um die Luftfeuchtigkeit im Untersuchungsgebiet zu messen. Neben meinen Arbeitsgeräten brauche ich ein Zelt, eine Isomatte, einen Schlafsack und für alle Fälle auch einen Wasserfilter. Daneben habe ich Medikamente für alle möglichen Krankheiten und Unfälle dabei. Bis hin zu einer kleinen Amputation kann ich damit alles behandeln, was so anfällt. Mein GPS, mein Laptop und ein Endoskop bekommen einen Platz im Handgepäck, weil es die wichtigsten und teuersten Geräte sind, die ich mitnehme. Damit ist auch dort bereits die Kilogrammhöchstgrenze meiner Fluggesellschaft ausgereizt. Die Arbeitsgeräte habe ich ungefähr gleichmäßig auf meine beiden Rucksäcke verteilt. Damit nichts kaputtgeht, habe ich ein paar T-Shirts, Socken und Unterwäsche dazwischen gestopft. Für mehr Kleidung habe ich keinen Platz. Ohne Personenwaage zu Hause habe ich keine Ahnung, wie schwer mein Gepäck ist.

Die Frau am Schalter winkt eifrig ab und bedeutet mir, nicht weiter auf diesem Thema zu beharren. Meine Rucksäcke rollen schon weg und sie gibt mir alle Unterlagen, damit ich pünktlich durch die Kontrollen gehen kann. Kurz vorher habe ich natürlich doch noch auf die Waage geschielt. Mein zweiter Rucksack wiegt achtzehn Kilogramm! Ich weiß nicht, wie ich mit den beiden Gepäckstücken bis zum Flughafen gekommen bin, geschweige denn, wie ich ab meinem Zielflughafen Weiterreisen werde. Aber in diesem Moment bin ich einfach nur unglaublich erleichtert. So schnell wie möglich entferne ich mich vom Abflugschalter, damit es sich die nette Frau bloß nicht noch einmal anders überlegt.

Nach zehn Stunden Flug komme ich am Ivato Airport in Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars, an. Als Erstes muss ich durch eine Passkontrolle, die gefühlte zwei Stunden dauert. An insgesamt drei Schaltern werden alle Fluggäste des gerade gelandeten Airbus A 330-300 abgefertigt, es sind ja "nur" etwa 300 Personen mit mir im Flieger gewesen. Jeder Pass wird aufmerksam von einem madagassischen Beamten geprüft. Das Einreiseformular, das ich im Flieger bekommen und ausgefüllt habe, wird noch mal gegengelesen. Ein paar handschriftliche Ergänzungen werden hier und da von den Kontrolleuren hinzugefügt. Dann wird endlich der Pass auf den Tresen zurückgelegt und der nächste Ankömmling darf vortreten. Die Ruhe und Gelassenheit, mit der hier jeder einzelne Pass begutachtet und abgefertigt wird, spiegelt die in Madagaskar verbreitete Haltung des mora mora, eine Art Laissez-faire, wider. Es ist genau die richtige Einstimmung auf dieses Land und ich muss mich erst einmal daran gewöhnen. In der deutschen Übersetzung würde man sagen: „Immer mit der Ruhe.“ Man begegnet diesem Ausdruck im Prinzip überall. Das Taxi Brousse ist immer noch nicht losgefahren? – Mora, mora. Die Zollfrau kommt später ins Zollbüro? – Mora, mora. Du hast mal wieder keine Schildkröten im Wald gefunden? – Mora, mora. Manchmal habe ich den Eindruck, dass besonders entspannte Madagassen diese Floskel gerne gestressten vazahas an den Kopf werfen. Als Neuankömmling werde ich direkt am Flughafen damit konfrontiert. Als Erstes warte ich also auf die Passkontrolle. Dann warte ich auf mein Gepäck. Draußen vor dem Flughafengebäude stehen Wagen voller Koffer, die per Hand zur Ankunftshalle gezogen wurden. Anschließend wird jeder Koffer und jeder Rucksack von Hand auf das Packband befördert, das immerhin schon elektrisch läuft. Und irgendwann sind meine Rucksäcke da. Und schon geht es zur nächsten Prozedur – je nachdem an welchen Beamten man gerät, kann sie sehr lange dauern: die Zollkontrolle. Die Beamten fragen nur kurz, was denn in meinen Taschen ist. Zelt, Schlafsack, Campingmaterial, meine Standardantwort. Ich möchte lieber nicht jedes...

Erscheint lt. Verlag 22.5.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
ISBN-10 3-7448-5860-X / 374485860X
ISBN-13 978-3-7448-5860-1 / 9783744858601
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