Richter Gottes (eBook)
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31607-0 (ISBN)
Eva Müller, geboren 1979, arbeitet als freie Journalistin für die ARD/WDR-Dokumentations-Redaktion »Die Story« sowie das ARD-Politikmagazin Monitor. 2013 erschien ihr Buch »Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt«, das ein Bestseller wurde. Für ihre Filme wurde sie u.a. mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Axel-Springer-Preis, dem CNN Award »Journalist Of the Year« und dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. »Es sind die journalistischen Grundtugenden, die Eva Müller pflegt, und sie und die Zuschauer werden dafür mit jeder Menge Erkenntnis belohnt.« Süddeutsche Zeitung
Eva Müller, geboren 1979, arbeitet als freie Journalistin für die ARD/WDR-Dokumentations-Redaktion »Die Story« sowie das ARD-Politikmagazin Monitor. 2013 erschien ihr Buch »Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt«, das ein Bestseller wurde. Für ihre Filme wurde sie u.a. mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Axel-Springer-Preis, dem CNN Award »Journalist Of the Year« und dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. »Es sind die journalistischen Grundtugenden, die Eva Müller pflegt, und sie und die Zuschauer werden dafür mit jeder Menge Erkenntnis belohnt.« Süddeutsche Zeitung
3. »Wir führen sehr intensive Gespräche«
Eine Kirchenrichterin erzählt
Dass es in Deutschland Kirchengerichte gibt, ist kein Geheimnis. Längst drucken die Offizialate Flyer, Broschüren, beschäftigen Onlineagenturen, die die Internetseiten pflegen. In jedem Bistum gibt es die Möglichkeit zur kostenlosen Beratung. Wer danach sucht, findet Informationen. Aber um die Prozesse ist es still. Selten liest man darüber, kaum ein Kläger erzählt davon. Das ist kein Zufall. Alle Beteiligten sind zur Geheimhaltung verpflichtet, die Mitarbeiter unterliegen einer Schweigepflicht. Niemand soll über die Verfahren sprechen.
Kirchenjuristisch dient dies erst einmal nur dazu, dass die Prozessbeteiligten sich im laufenden Verfahren nicht gegenseitig beeinflussen. Außerdem gilt die Geheimhaltung dem Schutz der Privat- und Intimsphäre, denn schließlich werden in den Prozessen sehr persönliche Dinge aus dem Beziehungsleben thematisiert. Vertrauensschutz und Diskretion – so weit, so verständlich. Allerdings fragt man sich, warum die Beteiligten auch über den Prozess hinaus angehalten werden, die Details ihres Verfahrens für sich zu behalten.
In einem Ratgeber des Bistums Münster heißt es dazu: »In der Regel werden die Parteien selber daran interessiert sein, dass ihre Privatsphäre gewahrt bleibt, und auch selber auf die Zeugen einwirken, Verschwiegenheit im Freundes- und Verwandtenkreis zu wahren (…)« Man könne allerdings mitunter schwer verhindern, dass die Nachbarschaft oder Verwandtschaft von dem Verfahren erfahre. »Das Offizialat selber und seine Mitarbeiter werden die Verfahren nicht an die Öffentlichkeit bringen.« Warum schon die Information problematisch zu sein scheint, dass überhaupt ein Verfahren geführt wird, wird nicht erläutert.
Klar ist damit zunächst nur eins: Die Verfahren behandeln genau das Thema, das die katholische Kirche auch in Deutschland zurzeit schwer auf die Probe stellt. Es geht um die katholische Vorstellung von Liebe, Sex und Partnerschaft. Um den Umgang mit wieder verheirateten Geschiedenen. Und damit um eine Frage, die in den vergangenen Jahren wie zum Symbol für die Reformbereitschaft der katholischen Kirche geworden ist.
Kirchenrichterin Cäcilia Giebermann zieht vorsichtig die Spitze ihres rosafarbenen Blusenkragens unter dem schwarzen Jacket hervor. Sie hat ihre dunkelbraunen Haare zu einem festen Knoten gebunden, die beiden obersten Knöpfe ihrer auf Kante gebügelten Bluse trägt sie offen, die Perlenkette fällt kaum auf. Sie sitzt aufrecht an einem Tisch im Vernehmungsraum, dort, wo sie sonst den Klägern zuhört. Kaffee gebe es immer, sagt sie. Frische Blumen auch. Cäcilia Giebermann schaut sich an ihrem Arbeitsplatz um: ein Tisch, drei Stühle, ein Computer fürs Protokoll, ein Kreuz mit Palmzweig, das Kirchengesetz im Regal, nicht dicker als ein Gesangbuch. Ihre Handkanten liegen gerade auf dem Resopaltisch auf, als säße sie bei einem vornehmen Essen. Sie ist keine Frau ausladender Gesten, aber sie lächelt viel, die dunkeln Augen strahlen. Angst muss hier niemand haben, das sendet sie aus. Sie will erklären und berichten, was es heißt, Kirchenrichterin am größten deutschen Kirchengericht zu sein.
Das Kölner Kirchengericht liegt unweit des Doms, etwas zurückgelegen zwischen der Industrie- und Handelskammer und dem Diözesanarchiv, im selben Haus wie das Priesterseminar. Der kirchliche Nachwuchs geht hier im großzügigen Park spazieren. Die hohe Mauer lässt keine Blicke von außen zu, roter Backstein, eher Finanzamt denn Gericht. Auch kein holzvertäfelter Saal mit Richterbank: Das Kirchengericht ist ein langer Flur, am Ende ein Bücherregal, ein Kopierer, in den abgehenden, schmalen Büros überprüfen 22 hauptberufliche und 26 ehrenamtliche und nebenberufliche Mitarbeiter im Wechseldienst katholische Ehen auf ihre Gültigkeit. Allein am Kölner Kirchengericht arbeiten neben Cäcilia Giebermann sieben hauptberufliche und 21 nebenamtliche Kirchenrichter. Hinzu kommen weitere Vernehmungsrichter, die für die Beweisaufnahme zuständig sind. Sie befragen die Zeugen, nicht nur vor Gericht, sondern gegebenenfalls auch bei den Betroffenen zu Hause. Von 14000 Prozessen liegen bereits die Akten im Archiv.
Richterin Cäcilia Giebermann hat sich auf dieses Treffen vorbereitet, besser: Sie wurde auf dieses Treffen vorbereitet. Acht Monate hat es von der ersten Bitte um ein Interview mit einem Verantwortlichen des Kölner Kirchengerichts, das auch gefilmt werden soll, bis zu diesem Termin gedauert. Nun ist es so weit. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Zehn Minuten maximal soll das Gespräch dauern. Der Einwand, dass man so nicht in die Tiefe gehen könne, prallt ab, man will kein Risiko eingehen, so scheint es. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Cäcilia Giebermann bei dem Gespräch nicht allein ist, eine Pressereferentin des Bistums bleibt die ganze Zeit an ihrer Seite. Bereit, auf die Uhr zu achten und bei kritischen Fragen zu unterbrechen. Inhaltlich bitte auch nicht nach allem fragen: Cäcilia Giebermann wird auf keinen konkreten Fall eingehen. Keine Klarnamen von Paaren, nur allgemeine Fragen bitte.
Cäcilia Giebermann ist keine Frau, die sich aus der Ruhe bringen lässt. Sie spricht sehr bedacht, wählt ihre Worte sorgfältig. Ihre Betonungen lassen alles, was sie sagt, wie eine sonntägliche Lesung klingen. Wie kommt man zu diesem Beruf? Sie stamme aus einer katholischen Familie, schon ihr Großonkel sei Pfarrer gewesen, er solle demnächst seliggesprochen werden, das Verfahren laufe noch.
Eigentlich ist Cäcilia Giebermann Ärztin. Doch zusätzlich studierte die gläubige Katholikin und Mutter von fünf Kindern Kirchenrecht. »In beiden Berufen geht es um den Menschen. Als Ärztin habe ich gelernt, den Menschen zuzuhören, mich einzufühlen. Mir hilft die Verbindung aus meinen beiden Fächern hier sehr.« Seit fast 20 Jahren arbeitet sie am Kirchengericht in Köln, inzwischen hauptberuflich. Es gibt genug zu tun.
»Das ist ein sehr aufwendiges, ein sehr intensives Verfahren, das wir hier mit den Menschen führen«, erklärt Cäcilia Giebermann den Ehenichtigkeitsprozess im Detail. »Ich darf es einmal verstehbar machen: Die Menschen rufen hier an und bitten um Hilfe.« Als Erstes biete man ihnen ein Beratungsgespräch an. »Wenn sie dann hierherkommen, bitte ich sie in ein Gesprächszimmer, zum Beispiel hier in diesen Raum, und lasse sie erst einmal ankommen.« Sie lacht fröhlich auf. »Manche Menschen beginnen von sich aus zu erzählen, anderen stelle ich behutsam ein paar Fragen, und dann höre ich zu, oft stundenlang. Ich will in diesen Gesprächen verstehen, mit welchen Erwartungen und Wünschen ein Mensch in die Ehe gegangen ist. Was die Enttäuschungen waren, die er verkraften musste.« Die Menschen, die zu ihr kämen, seien in einer extremen Situation, in einem Moment, wo sie sich sehr öffnen und Privatestes preisgeben; da sei es wichtig, Ruhe auszustrahlen und zuzuhören. Habe sich derjenige am Ende des Gespräches entschieden, ein Verfahren zu führen, würden weitere Gespräche folgen. »Zum Beispiel fragen wir dann, ob ein Mensch wirklich reif war, eine Ehe zu schließen. Gerade heute wachsen viele ohne ein stabiles soziales Umfeld auf, gerade heute haben viele Menschen in ihrer Pfarrgemeinde keine gute Ehevorbereitung mehr. Aus diesen oder anderen Gründen kann es sein, dass der Mensch eine Ehe eingeht, ohne dass es eine eigenverantwortete Entscheidung war. Diese Ehe würde die Kirche für ungültig erklären.« Im Zweifelsfall hole man sich Hilfe von außen: »Es gibt psychologische, psychiatrische Gutachter, in Einzelfällen arbeiten auch Gynäkologen an den Verfahren mit.« Anschließend seien die sogenannten Ehebandverteidiger an der Reihe, sechs gebe es am Kölner Gericht. Sie verteidigten ausschließlich die Interessen der katholischen Ehe, argumentierten für ihren Erhalt und schrieben dazu abschließende, umfangreiche Anmerkungen. Am Ende entschieden die Richter allein auf Aktenbasis. Eine Verhandlung im klassischen Sinne gebe es nicht.
Alles, was Cäcilia Giebermann sagt, klingt großzügig, zugewandt. Im Gegensatz zu dem Herrn von der Beratungsstelle sagt sie »Gespräch« statt »Vernehmung«, »behutsame Fragen« statt »Beweisaufnahme«, »die Menschen« statt »Zeugen« oder »Kläger«. Das alles hört sich nach Kirche, nach Seelsorge an, nicht nach einem Gerichtsprozess. Der Widerspruch offenbart das Dilemma. Sich Menschen in Beziehungskrisen verständnisvoll zuwenden und anschließend nach strenger kirchlicher Lehre und Rechtsnorm ein Urteil fällen: Dieser Spagat ist die Aufgabe der Kirchenrichter, und die Frage bleibt, wie das im Detail funktionieren soll.
Das Gespräch mit Cäcilia Giebermann kippt, als es konkret wird. Eine Frage nach Elke Rogoskys Fall ist nicht gestattet, aber eine allgemeine Frage nach ihrem möglichen Klagegrund, dem »Kinderausschluss«, ist möglich. Darf man nach katholischem Verständnis heiraten, wenn man weiß, dass man keine Kinder bekommen möchte? Cäcilia Giebermann nickt, ihr scheint klar gewesen zu sein, dass diese Frage kommen wird. Sie muss nicht lange nachdenken: »Jeder Mensch wünscht sich, dass seine Partnerschaft gelingt. Wenn ein Partner am Anfang denkt, dass er dem anderen Partner den Wunsch nach eigenen Kindern nicht erfüllen will, dann fehlt seinem Eheversprechen etwas Wichtiges, und die Ehe hat vielleicht auch keine Chance zu gelingen, weil der andere sich ja Kinder wünscht. Eine Ehe, die keine Chance hat zu gelingen, würden wir für ungültig erklären.«
Und was, wenn der Partner sich ebenfalls keine Kinder wünscht? Wenn sich beide einig sind? »Das ist ein sehr...
Erscheint lt. Verlag | 13.10.2016 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Ehe-Scheidung • Eva Müller • Geheim-Prozesse • Gott hat hohe Nebenkosten • Katholisch • Kirchen-Gericht • Nichtigkeit-Verfahren • Paralleljustiz • Richter Gottes • Sexueller Missbrauch |
ISBN-10 | 3-462-31607-9 / 3462316079 |
ISBN-13 | 978-3-462-31607-0 / 9783462316070 |
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Größe: 1,2 MB
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