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Wir Kassettenkinder (eBook)

Spiegel-Bestseller
Eine Liebeserklärung an die Achtziger
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
272 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44058-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir Kassettenkinder -  Stefan Bonner,  Anne Weiss
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Heute sind sie legendär: die Achtziger. Es war das Jahrzehnt, als wir mit dem Kassettenrekorder Mix-Tapes aus dem Radio aufnahmen und Dallas-Frisuren und Hawaiihemden trugen. Wer in dieser Zeit zwischen Bandsalat und Neuer Deutscher Welle, Indiana Jones und YPS-Heft, Atomwaffen und Ententanz aufwuchs, erlebte ein epochales, seltsam unbekümmertes, oft albernes Jahrzehnt, in dem alle trotz des drohenden Weltuntergangs durch sauren Regen und Kalten Krieg den Eindruck einer lustig-bunten Zeit hatten. Und: irgendwie fing irgendwann in jener Zeit die Zukunft an! Mit einem Augenzwinkern schauen Stefan Bonner und Anne Weiss, selbst Kinder der Achtziger, zurück auf das Jahrzehnt, das uns prägte wie kein anderes.

Stefan Bonner, Jahrgang 1975, studierte Germanistik, Anglistik und Geschichte in Bonn. Er arbeitete als Journalist und Verlagslektor, bevor er sich als Buchautor selbständig machte. Mit Anne Weiss schrieb er höchst erfolgreich mehrere Bücher, darunter 'Generation Doof', 'Wir Kassettenkinder' und 'Generation Weltuntergang'. 

Stefan Bonner, Jahrgang 1975, studierte Germanistik, Anglistik und Geschichte in Bonn. Er arbeitete als Journalist und Verlagslektor, bevor er sich als Buchautor selbständig machte. Mit Anne Weiss schrieb er höchst erfolgreich mehrere Bücher, darunter "Generation Doof", "Wir Kassettenkinder" und "Generation Weltuntergang".  Anne Weiss, Jahrgang 1974, studierte Sprachen und Kulturwissenschaften in Bremen. Sie arbeitete lange als Verlagslektorin und leitete eine Schreibschule. Inzwischen lebt sie als Autorin, Ghostwriterin und Coach in Berlin, entwickelt neben Sachbüchern auch fiktionale Formate und schreibt für verschiedene Magazine. Sie ist in Umweltinitiativen aktiv, setzt sich für Tierrechte ein und hält bundesweit Vorträge zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Mit Stefan Bonner zusammen schrieb sie höchst erfolgreich mehrere Bücher, darunter "Generation Doof", "Wir Kassettenkinder" und "Generation Weltuntergang". Zuletzt erschien von ihr bei Knaur "Mein Leben in drei Kisten".

1 Das Spiel unseres Lebens


Matschbrötchen im Hausmeisterkabuff, große Träume und das gute Gefühl, ohne Helm Fahrrad zu fahren

Der kleine Schotterweg, an dessen Ende die Schule lag, führte leicht bergab. Die abgewetzten Reifen unserer Fahrräder drehten sich mit jedem Meter schneller, in den Speichen klackerten die Kiesel, und das an manchen Stellen angerostete Gestänge ächzte, wenn wir durch ein Schlagloch fuhren. Der Geruch von Wald und frisch gemähter Blumenwiese lag in der Luft, doch das nahmen wir kaum wahr. Der Fahrtwind sauste in den Ohren, zerzauste unsere Haare und bauschte die T-Shirts auf. Wir nahmen die Hände vom Lenker, einer nach dem anderen – ein Feigling, wer es nicht tat –, und rasten auf der holprigen Piste dem Schulgelände entgegen. Gleich würde die Glocke schrillen. Wir würden unsere Freunde sehen, mit Papierkügelchen schießen und die große Pause herbeisehnen. Die Hände am Sattel oder die Arme ausgestreckt, genossen wir die warmen Sonnenstrahlen auf dem Gesicht und atmeten die letzten Meter Freiheit, bevor sich das Schultor für den Rest des Vormittags hinter uns schloss.

Gemessen an heutigen Sicherheitsstandards schwebten wir in Situationen wie diesen in den Achtzigern ständig in Lebensgefahr: Keiner von uns trug einen Helm. Niemand hatte sich mit Sonnencreme eingerieben. Und keines der Fahrräder, die wir gebraucht von den größeren Geschwistern und Nachbarskindern bekommen oder auf dem Trödelmarkt erstanden hatten, trug ein TÜV-Siegel, geschweige denn, dass irgendjemand in den zurückliegenden zwei Jahren mal die Bremsen überprüft hätte.

Doch darum sorgten sich weder wir noch unsere Eltern.

Wir fühlten uns sicher.

Natürlich war uns klar, dass wir hinfallen konnten und dass das dann wohl einigermaßen weh tun würde. Niemand rechnete jedoch ernsthaft damit, dass dieser Fall eintreten könnte – was er meistens auch nicht tat. Und wenn doch, dann hieß die zu ergreifende Maßnahme nicht Helm, sondern Pflaster.

Die Welt, in der wir aufwuchsen, erschien uns in etwa so geordnet und gesichert wie die Schrankwand im Wohnzimmer unserer Eltern. Darin gab es für jedes Ding einen festen Platz, und sie war nicht umgefallen, als wir im Kleinkindalter darauf herumgeturnt waren, weil Papa sie mit fetten Dübeln für die Ewigkeit an die Wand geschraubt hatte.

Die Schrankwand beherbergte alles, was unseren Eltern lieb und teuer war. Sie war eine Art überdimensionierter Setzkasten, in dem das Platz fand, was ein richtiges Leben ausmachte: die Rahmen mit dem Hochzeitsbild und den Familienfotos, bemalte Schalen und Kastagnetten aus dem letzten Spanienurlaub, die teuren Kristallgläser und daneben, hinter einer Schiebetür, Likör, Marillenbrand und Danziger Goldwasser. Sie zeigte eine Schau der Bücher, zu denen neben den Klassikern von Goethe und Schiller auch Werke von Johannes Mario Simmel wie Es muss nicht immer Kaviar sein und die Reportage Ganz unten des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff über miese Arbeitsbedingungen gehörten. Die Schrankwand offenbarte, dass unsere Eltern aktuelle Bestseller wie Das Parfum, Der Name der Rose und Das Geisterhaus genauso schätzten wie die sechsbändige Ausgabe des Brockhaus und Der große Konz – 1000 ganz legale Steuertricks.

Unser kindliches Schrankwanduniversum war eine heile Welt, wie wir sie danach nie wieder erlebt haben. Sie schien sogar ein Netz und einen doppelten Boden zu besitzen, falls doch mal etwas schiefging: Für zerbrochene Fensterscheiben gab es eine Haftpflichtversicherung, wie sie der nette Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer vertrieb, schlimme Halsschmerzen lutschte man einfach mit Kinder Em-eukal weg, und wer zu doof war, eine Schleife zu binden, bekam eben Turnschuhe mit Klettverschluss.

In dieser Welt galt es nicht nur als vollkommen normal, dass zu einer Familie Mutter und Vater gehörten, sondern auch, dass diese gemeinsam unter einem Dach lebten. Oft war es sogar so, dass Mütter zu Hause blieben, um die Kinder zu erziehen und den Haushalt zu schmeißen, während die Väter das Geld nach Hause brachten. Natürlich gab es auch mal eine Scheidung, vereinzelte Single-Haushalte – damals noch »ewige Junggesellen« genannt – sowie Frühformen der Patchworkfamilie und alleinerziehende Mütter, die arbeiten gingen. Frauen, die Karriere machten, besaßen hingegen Seltenheitswert.

Hatten sich die Eltern eines unserer Klassenkameraden scheiden lassen, kam uns das vor, als wäre in dessen Haus ein Meteorit eingeschlagen – es machte uns baff und betroffen.

Über solche Störfälle unterhielten sich unsere Eltern am Gartenzaun nur hinter vorgehaltener Hand und in jenem ehrfürchtigen »Hast du schon gehört!«-Ton, den sie immer draufhatten, wenn in der Nachbarschaft jemandem etwas Schlimmes passiert war. Es hatte beinahe den Anschein, als fürchteten alle, sich an den modernen Lebensformen anzustecken und damit eine unbekannte Variable in die feinjustierte Schrankwandwelt zu bringen.

Wir wuchsen in einem Haushalt auf, der umsichtig geplant wurde, in dem zwischen Schrankwand, Fernseher und Sofagarnitur fernab aller Gefahren und Widrigkeiten Geburtstage, Weihnachten und Silvester gefeiert wurden, mit Urlauben, die sicher wie auf Schienen verliefen, und mit dem Gefühl, dass dies auf unserem weiteren Lebensweg genauso sein würde.

Eingeschult zwischen Mitte der Siebziger und Mitte der Achtziger war die Schule nach der ersten Freude über die Schultüte mit Spielzeug und Süßigkeiten einfach eine Einrichtung, deren regelmäßiger Besuch außer Frage stand und mit einem klaren Versprechen verbunden war: Wenn wir die Hürden bis zur Mittleren Reife oder zum Abitur genommen hatten, würden wir eine solide Ausbildung machen oder studieren, eine Familie gründen und im besten Fall so lange die Karriereleiter hochklettern, bis wir nicht nur für unser Auskommen sorgen, sondern uns auch jede Menge schöne Dinge kaufen konnten, von denen wir durch die Werbung zu träumen gelernt hatten. Die Zukunft hatte in unserer Vorstellung eine so klare und bunte Fahrbahn wie das Spiel des Lebens. Glück und Zahltage inklusive.

Als Kind ist einem doch die Welt ziemlich klar

– und wenn man stirbt, weiß man gar nichts.

Hans-Joachim Kulenkampff

Das Spiel des Lebens war eine Institution. Ohnehin gehörten Spielerunden mit Eltern, Geschwistern und Freunden zu unserer Kindheit wie Schneemannbauen zum Winter und Fischstäbchen zu Spinat. Wenn es im Herbst regnete, stürmte oder schneite, versammelten wir uns nachmittags um den Esstisch, und die Deckenlampe aus Korb warf ihr kreisrundes Licht auf das Spielfeld. Zum Spielen gehörte immer auch allerhand Naschkram: Es steckte viel Spaß in Toffifee, wir knabberten Salzletten, und es gab ausnahmsweise süße Getränke wie Mirinda oder Zitronentee, den wir aus einem körnigen Pulver zusammenrührten, das an eine Substanz erinnerte, die wir im Chemieunterricht über den Bunsenbrenner hielten.

Solchermaßen kulinarisch ausgestattet, verbrachten wir gemeinsam viele Stunden im Märchenwald von Sagaland, machten in Scotland Yard an der Themse Jagd auf Mister X und ermittelten so lange als Detektive in Cluedo, bis wir herausfanden, dass es Oberst von Gatow mit dem Kerzenständer im Musikzimmer gewesen war. Beim Spielen machte das reale Leben für ein paar Stunden Pause. Wir konnten in eine Rolle schlüpfen und für eine Weile davon träumen, ein Meisterdetektiv zu sein oder, wie in Hotel und Monopoly, ein ausgefuchster Geschäftsmann, der ein Imperium erschuf.

Beim Spiel des Lebens war es genauso, und doch war es anders, viel mehr als nur ein Zeitvertreib: Das Brettspiel mit dem bunten Glücksrad, das anstelle von Würfeln den Spielverlauf bestimmte, war eine Verheißung. Es erzählte von dem Leben, das noch auf uns wartete, einem Leben, in dem anscheinend alles nach einem einfachen Fahrplan ablief, der perfekt in die sichere, geordnete Schrankwandwelt passte, in der wir aufwuchsen. Unser Werdegang folgte einem abgesteckten Parcours – einer gewundenen Straße, die auf dem Spielplan vorbei an weißen Plastikhäusern, aufgemalten Seen und Pferdekoppeln sowie über kleine Brücken führte. Es ging gleich gut los: »Du bekommst 3000, ein Auto und eine Autoversicherung.« So durfte das später im richtigen Leben auch gerne sein.

Alle Autos waren Cabrios, und wir setzten unsere Spielfigur hinein. Nachdem wir am Glücksrad gedreht hatten, mussten wir nicht lange warten, bis eine der Zahlen am klackernden Plastikzeiger stehenblieb. An der ersten Kreuzung konnten wir wählen, ob wir direkt arbeiten gehen oder lieber studieren wollten. Unsere Eltern hätten uns die Bedeutung dieser Wahl nicht eindrucksvoller verklickern können, als das Spiel es tat: Fast alle entschieden sich fürs Studium, weil dann Berufe wie Anwalt, Arzt oder Journalist winkten, die langfristig mehr Geld einbrachten. In Wirklichkeit machten später etliche von uns eine Ausbildung bei der Deutschen Bank, vielleicht weil sich nichts besser anfühlte, als Herr der ganzen bunten Scheine zu sein – bei der größten Spielbank Deutschlands.

Der erste Pflichtstopp für unseren Wagen war das Standesamt, wo der Nutzen der Ehe sofort klarwurde: »Du heiratest. Sammle Geschenke ein.« Obwohl gleichgeschlechtliche Partnerschaften in den achtziger Jahren kein Tabu mehr waren, hatte die Wahl des Lebenspartners im Spiel streng dem traditionellen Modell zu folgen: Jungs setzten ein rosafarbenes Püppchen neben sich, Mädchen ein hellblaues. Dabei...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 1980er • 1980er Jahre • 80er Buch • 80er Erinnerung • 80er Jahre • 80er Jahre Buch • Achtziger Jahre • Bandsalat • Bestseller • Erinnerungen • Generation Doof • Geschenk 50. Geburtstag • Geschenk Achtziger Jahre • Geschenk Erinnerungen • Geschenk fünftigster Geburtstag • Geschenk fünfzigster Geburtstag • Kassetten • Kassettenkinder • Kassettenrekorder • Musik 80er Jahre • Musik achtziger Jahre • Neue Deutsche Welle • Popkultur • Popkultur Buch • Retrobuch • Rückblick • Rückschau • Wir Kassettenkinder • witziges Geschenk
ISBN-10 3-426-44058-X / 342644058X
ISBN-13 978-3-426-44058-2 / 9783426440582
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