Licht aus dem Osten (eBook)
944 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-12281-9 (ISBN)
Peter Frankopan, geboren 1971, ist Professor fu?r Globalgeschichte an der Universität Oxford und zählt zu den profiliertesten Historikern unserer Zeit. Sein Buch «Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt» (2016) verkaufte sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal und stand auch in Deutschland lange auf der «Spiegel»-Bestsellerliste. 2019 erschien «Die neuen Seidenstraßen», das ebenfalls viel diskutiert und zu einem die Debatte prägenden Bestseller wurde - «ein Weckruf», wie der «Tagesspiegel» schrieb. Peter Frankopan bezieht in der internationalen Presse («New York Times», «Guardian», «China Daily» u.a.) regelmäßig Stellung zu aktuellen weltund geopolitischen Fragen.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 02/2017) — Platz 20
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 47/2016) — Platz 19
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 44/2016) — Platz 18
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 43/2016) — Platz 17
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 42/2016) — Platz 14
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 41/2016) — Platz 16
Peter Frankopan, geboren 1971, ist Professor für Globalgeschichte an der Universität Oxford und zählt zu den profiliertesten Historikern unserer Zeit. Sein Buch «Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt» (2016) verkaufte sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal und stand auch in Deutschland lange auf der «Spiegel»-Bestsellerliste. 2019 erschien «Die neuen Seidenstraßen», das ebenfalls viel diskutiert und zu einem die Debatte prägenden Bestseller wurde – «ein Weckruf», wie der «Tagesspiegel» schrieb. Peter Frankopan bezieht in der internationalen Presse («New York Times», «Guardian», «China Daily» u.a.) regelmäßig Stellung zu aktuellen weltund geopolitischen Fragen.
Vorwort
Als ich ein kleiner Junge war, zählte eine große Weltkarte zu meinen wertvollsten Besitztümern. Sie war an die Wand neben meinem Bett geheftet, und ich studierte sie jeden Abend vor dem Schlafengehen aufmerksam. Schon bald hatte ich mir die Namen und die Lage aller Länder eingeprägt, von denen ich mir die Hauptstädte merkte, sowie sämtliche Ozeane und Meere und die Flüsse, die in sie fließen. Die kursiv gedruckten Namen der großen Gebirgsketten und Wüsten fesselten mich, sie verhießen Abenteuer und Gefahr.
Als Teenager ärgerte ich mich dann immer mehr über den gnadenlos engen geographischen Fokus des Schulunterrichts, der sich auf Westeuropa und die Vereinigten Staaten konzentrierte und den Rest der Welt größtenteils gar nicht berührte. Wir hörten von den Römern in Britannien, von der normannischen Eroberung im Jahr 1066, von Heinrich VIII. und den Tudors, dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, der Industrialisierung im viktorianischen Zeitalter, der Schlacht an der Somme und dem Aufstieg und Fall des NS-Regimes. Ich schaute mir immer wieder die Karte an und sah riesige Regionen der Welt, die einfach völlig übergangen wurden.
Zu meinem vierzehnten Geburtstag schenkten mir meine Eltern ein Buch des Anthropologen Eric Wolf, das buchstäblich das Feuer in mir entfachte. Die akzeptierte und träge Geschichte der Zivilisation, so Wolf, halte sich an die Version, «wonach das antike Griechenland das alte Rom hervorgebracht hat, Rom wiederum das christliche Europa, das christliche Europa die Renaissance, die Renaissance die Aufklärung, und die Aufklärung politische Demokratie sowie die industrielle Revolution. Die Industrie wiederum soll – nachdem sie sich mit der Demokratie vermählt hat – die Vereinigten Staaten von Amerika gezeugt haben, die bekanntlich das Recht auf Leben und Freiheit sowie das Streben nach Glück verkörpern.»[1] Ich erkannte sofort, dass das genau die Geschichte war, die man mir erzählt hatte: das Mantra des politischen, kulturellen und moralischen Triumphs des Westens. Dabei hatte diese Version etliche Mängel; es gab andere Möglichkeiten, die Geschichte zu betrachten – Sichtweisen, die die Vergangenheit nicht aus der Perspektive des Siegers der jüngsten Geschichte wiedergaben.
Ich war begeistert. Auf einmal war offensichtlich, dass die Regionen, über die wir nichts erfuhren, verlorengegangen waren, erstickt von der uns hartnäckig eingebläuten Story vom Aufstieg Europas. Ich flehte meinen Vater an, mit mir die Hereford Mappa Mundi zu besichtigen, eine Weltkarte, die Jerusalem in den Mittelpunkt der Erde rückte, während England und andere westliche Länder an den Rand verwiesen wurden und so gut wie keine Bedeutung hatten. Als ich von arabischen Geographen las, deren Arbeiten Karten beigelegt waren, die auf den Kopf gestellt schienen und das Kaspische Meer zum Mittelpunkt hatten, war ich ebenfalls fasziniert – genau wie in dem Moment, als ich von einer bedeutenden mittelalterlichen Karte in Istanbul hörte, die eine Stadt namens Balasagun im Zentrum zeigte. Von dieser Stadt hatte ich noch nie gehört, sie erschien auf keiner aktuellen Karte, und bis vor kurzem war ihre frühere Lage nicht genau bekannt; dennoch galt sie einst als das Zentrum der Welt.[2]
Nun wollte ich mehr über Russland und Zentralasien wissen, über Persien und Mesopotamien. Ich wollte die Ursprünge des Christentums vom asiatischen Kontinent aus begreifen und wollte wissen, wie all die Menschen, die in den großen Städten des Mittelalters lebten, etwa in Konstantinopel, Jerusalem, Bagdad und Kairo, die Kreuzzüge wahrnahmen. Ich wollte etwas über die großen Imperien des Ostens erfahren, über die Mongolen und ihre Eroberungen, und verstehen, welchen Eindruck die Weltkriege hinterließen, wenn man sie nicht von Flandern oder von der Ostfront aus betrachtete, sondern von Afghanistan und Indien aus.
Ich hatte das große Glück, dass mir die Schule Gelegenheit bot, Russisch zu lernen. Mein Lehrer war Dick Haddon, ein brillanter Mann, der in der Marineaufklärung gedient hatte und glaubte, dass man die russische Sprache und duscha (Seele) am besten über ihre umfassende Literatur und Volksmusik verstand. Und ich hatte noch größeres Glück, als er anbot, allen Interessierten Arabischunterricht zu geben. Ein halbes Dutzend von uns machte er so mit der islamischen Kultur und Geschichte vertraut, und er führte uns die Schönheit des klassischen Arabisch vor Augen. Diese Sprachen eröffneten eine Welt, die nur auf ihre Entdeckung wartete – genauer, wie ich schon bald erkannte, auf ihre Wiederentdeckung durch uns im Westen.
Heute setzt man sich intensiv mit den absehbaren Folgen des raschen Wirtschaftswachstums in China auseinander, wo sich die Nachfrage nach Luxusgütern Voraussagen zufolge im kommenden Jahrzehnt vervierfachen wird, oder mit dem sozialen Wandel in Indien, wo mehr Menschen Zugang zu einem Mobiltelefon als zu einer Toilette mit Wasserspülung haben.[3] Aber keines der beiden Themen bietet einen guten Ansatzpunkt, um die Vergangenheit und Gegenwart der Welt zu erforschen. Jene Region, die zwischen dem Osten und dem Westen lag und die Europa mit dem Pazifik verband, bildete in Wirklichkeit jahrtausendelang die Achse, um die sich der Erdball drehte.
Diese mittlere Region zwischen Ost und West, die sich grob vom östlichen Ufer des Mittelmeers und vom Schwarzen Meer bis zum Himalaya erstreckt, mag als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Welt wenig verheißungsvoll erscheinen. Heutzutage beheimatet sie Staaten, die den Eindruck von Exotik und hinterster Provinz wecken, wie Kasachstan und Usbekistan, Kirgisistan und Turkmenistan, Tadschikistan und die Länder des Kaukasus; gemeinhin wird diese Region mit instabilen, gewalttätigen Regimen in Verbindung gebracht, die eine Gefahr für die internationale Sicherheit darstellen, wie Afghanistan, Iran, Irak und Syrien, oder die wenig Erfahrung mit demokratischen Gepflogenheiten haben, wie Russland und Aserbaidschan. Alles in allem handelt es sich dem Anschein nach um eine Region, in der eine Reihe gescheiterter oder im Scheitern begriffener Staaten liegt, angeführt von Diktatoren, die bei landesweiten Wahlen unglaublich hohe Zustimmung erhalten und deren Familien und Freunde eigene Interessen durchzusetzen verstehen, riesige Vermögen besitzen und politische Macht ausüben. Es sind Staaten, in denen Menschenrechte häufig mit Füßen getreten werden, in denen die freie Meinungsäußerung in Angelegenheiten des Glaubens, des Gewissens und der sexuellen Orientierung eingeschränkt ist und die Regierung diktiert, was in der Presse erscheinen darf und was nicht.[4]
Uns im Westen mögen diese Länder barbarisch erscheinen, aber sie sind keineswegs tiefste Provinz, kein unbekanntes Ödland. Genau genommen bildet die Brücke zwischen Ost und West exakt die Schnittstelle der Zivilisation. Diese Länder liegen nicht an der Peripherie der Weltpolitik, sondern mitten in ihrem Zentrum – und das schon seit Beginn der Geschichte. Hier finden wir die Wiege der Zivilisation, und viele glauben, dass hier sogar der Mensch erschaffen wurde: im Garten Eden, den «Gott der Herr pflanzte» mit «allerlei Bäumen, verlockend anzusehen und gut zu essen» und von dem gemeinhin angenommen wird, dass er in den fruchtbaren Landschaften zwischen Euphrat und Tigris lag.[5]
An dieser Schnittstelle von Ost und West wurden vor fast fünftausend Jahren große Metropolen gegründet; die Städte Harappa und Mohenjo-Daro im Indus-Tal waren Wunder des Altertums, mit Zehntausenden von Einwohnern und Straßen, die über ein hochentwickeltes Kanalisationssystem miteinander verbunden waren, wie man es in Europa noch Jahrtausende später nicht kannte.[6] Weitere Zentren der Zivilisation, wie Babylon, Ninive, Uruk und Akkad in Mesopotamien, waren berühmt für ihre Pracht und architektonischen Innovationen. Ein chinesischer Geograph, der vor über zweitausend Jahren schrieb, hielt fest, dass die Bewohner von Baktrien, das südlich des Flusses Oxus (Amudarja) im heutigen Norden Afghanistans liegt, legendäre Unterhändler und Kaufleute waren. Ihre Hauptstadt beherbergte einen Markt, auf dem eine riesige Vielfalt an Erzeugnissen angeboten wurde, die von fern hergeschafft worden war.[7]
In dieser Region sind die großen Weltreligionen entstanden; hier haben das Judentum, das Christentum, der Islam, der Buddhismus und der Hinduismus miteinander gerungen. Dies ist der Schmelztiegel, in dem Sprachgruppen miteinander wetteiferten, indoeuropäische, semitische und sinotibetische Sprachen neben den altaischen, türkischen und kaukasischen zu hören waren. Hier wurden große Imperien errichtet und zu Fall gebracht; die Nachwirkungen des Zusammenstoßes von Kulturen und rivalisierenden Mächten waren noch in Tausenden Kilometern Entfernung zu spüren. Versetzt man sich in diese Region zurück, eröffnen sich neue Möglichkeiten, die Vergangenheit zu betrachten. Es zeigt sich eine Welt, in der die Geschehnisse auf einem Kontinent Auswirkungen auf einem anderen hatten, in der die Folgen dessen, was sich in den Steppen Zentralasiens ereignete, noch in Nordafrika zu spüren waren, in der sich Ereignisse in Bagdad bis nach Skandinavien auswirkten, in der Entdeckungen in Amerika die Preise für Waren in China beeinflussten und die Nachfrage auf dem Pferdemarkt in Nordindien in die Höhe trieben.
Diese Erschütterungen breiteten sich entlang eines Netzwerks aus, das sich in alle Himmelsrichtungen erstreckte, über Routen, auf denen Pilger und Krieger, Nomaden und Kaufleute reisten,...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2016 |
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Übersetzer | Michael Bayer, Norbert Juraschitz |
Zusatzinfo | Zahlr. 4-farb. Abb.; mit 9 s/w Karten |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | Eurozentrismus • Hochkulturen • Islamische Welt • Mittlerer Osten • Naher Osten • Nahostkonflikt • Orient • Seidenstraße • Weltgeschichte • Weltreligionen |
ISBN-10 | 3-644-12281-4 / 3644122814 |
ISBN-13 | 978-3-644-12281-9 / 9783644122819 |
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