Die neuen Deutschen (eBook)
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-12441-7 (ISBN)
Herfried Münkler, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa «Die Deutschen und ihre Mythen» (2009), das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, sowie «Der Große Krieg» (2013), «Die neuen Deutschen» (2016), «Der Dreißigjährige Krieg» (2017) oder «Marx, Wagner, Nietzsche» (2021), die alle monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste standen. Zuletzt erschien «Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert», ebenfalls ein «Spiegel»-Bestseller. Herfried Münkler wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung und dem Carl Friedrich von Siemens Fellowship.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 43/2016) — Platz 20
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 42/2016) — Platz 15
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 41/2016) — Platz 10
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 39/2016) — Platz 5
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 38/2016) — Platz 3
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 37/2016) — Platz 3
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 36/2016) — Platz 9
Herfried Münkler, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa «Die Deutschen und ihre Mythen» (2009), das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, sowie «Der Große Krieg» (2013), «Die neuen Deutschen» (2016), «Der Dreißigjährige Krieg» (2017) oder «Marx, Wagner, Nietzsche» (2021), die alle monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste standen. Zuletzt erschien «Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert», ebenfalls ein «Spiegel»-Bestseller. Herfried Münkler wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung und dem Carl Friedrich von Siemens Fellowship. Marina Münkler ist Professorin für Mittelalterliche und Frühneuzeitliche deutsche Literatur und Kultur an der Technischen Universität Dresden. Sie ist Autorin kulturgeschichtlicher und politischer Bücher, darunter «Lexikon der Renaissance» (2000) und «Marco Polo» (2015). Gemeinsam mit Herfried Münkler veröffentlichte sie 2016 «Die neuen Deutschen. Ein Land vor seiner Zukunft», ein Buch, das zum «Spiegel»-Bestseller wurde und enormes Echo fand.
Einleitung: Pascals Wette
Der Flüchtling sei ein «Bote des Unglücks», heißt es bei Bertolt Brecht.[1] Das ist er zweifellos, und zwar nicht nur ein Bote seines eigenen Unglücks, sondern auch einer des Unglücks seines Landes, seiner Landsleute und der ganzen Region, aus der er geflohen ist. Denen, in deren Land er meist unerwartet kommt, ruft er das relative Glück ihres Lebens in Erinnerung: Was Frieden und Sicherheit, Ruhe und Wohlstand wert sind, wird uns häufig erst durch solche «Boten des Unglücks» wieder bewusst. Im Ankunftsland der Flüchtlinge löst das recht unterschiedliche Empfindungen und Reaktionen aus: Während die einen dankbar dafür sind, wie gut es ihnen geht, und diese Dankbarkeit in die Bereitschaft umwandeln, den Unglücklichen zu helfen, fühlen sich andere durch die ungebetenen Gäste gestört und hoffen, dass sie so schnell wie möglich wieder verschwinden. Für noch einmal andere sind die Flüchtlinge Eindringlinge, die man verjagen will, denen man gar Gewalt androht; als Zeichen, dass diese Drohung ernst gemeint ist, stecken sie die für sie vorgesehenen Unterkünfte in Brand.
So ist Deutschland seit dem Herbst 2015 zu einem gespaltenen Land geworden: Auf der einen Seite viele – und viel mehr, als man erwarten konnte –, die geholfen haben, wo und so gut sie konnten, und auf der anderen Seite eine mit dem anhaltenden Zustrom von Flüchtlingen wachsende Gruppe, die einfach die Grenzen schließen will und sich demonstrativ für unzuständig erklärt: Sollen, so ihre Forderung, die Flüchtlinge die Botschaft ihres Unglücks doch andernorts verkünden – hier wolle man sie nicht hören! Die gesellschaftliche Spaltung in der Flüchtlingsfrage hat inzwischen zu dramatischen Umbrüchen in der politischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland geführt; die Folgen werden für lange Zeit spürbar sein. Deutschland wird aus dieser Herausforderung als ein anderes Land hervorgehen. – Es steht vor seiner Zukunft und ringt mit der Frage, welche Zukunft es sein soll.
Wenn hier von den «neuen Deutschen» die Rede ist, so sind damit keineswegs nur die Neuankömmlinge gemeint, die sich irgendwie mit den Alteingesessenen arrangieren werden. Sicher, es geht zunächst um sie und um die Frage, wie sie sich erfolgreich integrieren können – wobei erfolgreich heißt, dass sowohl die Flüchtlinge als auch die bereits hier Lebenden davon profitieren. Doch es geht ebenso um die deutsche Gesellschaft, die sich angesichts des Umstands, dass sie sich seit längerem nicht mehr biologisch reproduziert, sondern auf Zuwanderung angewiesen ist, wenn sie ihre Bevölkerungszahl halten will, neu definieren und eine veränderte Identität entwickeln muss. Insofern gehören auch die alten Deutschen zu den «neuen Deutschen». In beiden Fällen ist die Frage offen, mit was für «neuen Deutschen» wir es in Zukunft zu tun haben werden: Bei den Neuankömmlingen geht es darum, ob sie sich in Deutschland einleben, hier Arbeit finden und die deutschen Grundwerte als die ihren annehmen werden – oder eben nicht, was hieße, dass sie sich in Parallelgesellschaften gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft abschotten würden. Das hätte dann zur Folge, dass sie mit Argwohn beobachtet würden und sie wiederum eine noch größere Distanz zur Bevölkerungsmehrheit suchten. Und bei den Alteingesessenen wird es darum gehen, ob sie die Flüchtlinge eher als Chance oder als eine Last und Bedrohung sehen und welche Schlussfolgerungen sie aus ihrer jeweiligen Sichtweise ziehen. Auf jeden Fall aber ist klar, dass sich die Integration, wenn sie erfolgreich verlaufen soll, über Jahre hinziehen wird und die mit ihr verbundenen Herausforderungen nicht mit ein paar Verwaltungsmaßnahmen zu bewältigen sind.
Die nachfolgenden Erkundungen sind von der Überzeugung getragen, dass die Neuankömmlinge eine Chance für unsere Gesellschaft darstellen; allerdings steht immer wieder die Beobachtung dagegen, dass die Migration kurzfristig eine enorme Belastung ist: für die Verwaltungen der Länder und Kommunen, die seit Monaten an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten; für den Staatshaushalt, aus dem die zusätzlichen Aufwendungen – inzwischen ist von bis zu 200 Milliarden Euro die Rede – finanziert werden müssen, die nötig sind, um die Menschen unterzubringen und zu versorgen, aber auch, um sie aus- und weiterzubilden. Diejenigen, die im Herbst und Winter 2015 nach Deutschland gekommen sind, waren nämlich nur in wenigen Fällen auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet. Also muss zunächst in ihre Befähigung investiert werden, und diese Investitionen, die sich im Übrigen nicht auf die Arbeitsqualifikation beschränken können, wenn eine nachhaltige Integration in die deutsche Gesellschaft stattfinden soll, werden sich über einen gewissen Zeitraum hinziehen. Es wird in einigen Fällen länger dauern, in anderen kürzer, und man muss davon ausgehen, dass sie mitunter auch erfolglos bleiben, weil die Voraussetzungen für eine Integration in den deutschen Arbeitsmarkt nachträglich nicht mehr herzustellen sind. Man sollte in dieser Frage nicht übertrieben optimistisch sein, sondern sich auch auf Enttäuschungen einstellen. Dennoch gibt es keinen Grund zu vorauseilendem Pessimismus. Ein solcher wäre nur gegeben, wenn man in den Neuankömmlingen ausschließlich eine Last und nicht die Spur einer Chance sehen würde.
Dafür, dass es in jedem Fall vernünftiger ist, die Flüchtlinge als Chance und nicht als Last zu betrachten und dementsprechend zu handeln, spricht ein einfaches Gedankenexperiment, das in der Philosophiegeschichte als «Pascalsche Wette» bekannt geworden ist. Der französische Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal hat diese Wette anhand des Problems entwickelt, dass die Existenz Gottes nicht zu beweisen ist: Wenn wir weder von der Existenz noch von der Nichtexistenz Gottes mit Sicherheit ausgehen können und die Wahrscheinlichkeit des einen wie des anderen als gleich groß zu veranschlagen ist – dann sind auch die Chancen, die Wette zu gewinnen, wenn man auf das eine oder andere setzt, exakt gleich. Was jedoch nicht gleich ist, so die Pointe von Pascals Überlegung, ist der jeweilige Einsatz: Wer gegen die Existenz Gottes wettet, gewinnt nichts, wenn er recht behält – verliert aber das ewige Leben, wenn er falschliegt. Während der, der auf die Existenz Gottes setzt, für den Fall, dass er die Wette verliert, nur nichts gewinnt – und alles gewinnt, wenn er richtigliegt.
Wenn wir das dieser Wette zugrundeliegende Kalkül auf die Frage nach dem Erfolg oder Scheitern der Flüchtlingsintegration übertragen, so ist es vernünftig, auf den Erfolg zu setzen, weil nur dieser einen gesellschaftlichen Ertrag hat – während der, der auf das Scheitern setzt, nichts gewinnt, sollte er recht behalten. In diesem Fall kommt noch hinzu, dass die Wettenden auf den Ausgang der Wette selbst Einfluss nehmen, denn selbstverständlich werden die, die auf Erfolg gesetzt haben, alles tun, um recht zu behalten, während die, die auf Misserfolg gesetzt haben, vernünftigerweise nichts für das Eintreten desselben tun werden, da die Kosten sie genauso treffen würden wie die, die auf das Gegenteil gewettet haben. Kurz: Wer auf das Scheitern der Integration setzt, verliert in jedem Fall, und nur wer auf den Erfolg setzt, hat eine Gewinnchance. In diesem Sinne hat die nachfolgende Argumentation ein durchgängiges Interesse am Erfolg, kann aber nicht grundsätzlich ausschließen, dass das Projekt scheitert.
Durch die Neuankömmlinge ist eine Situation entstanden, die, unabhängig von allem Abwägen, einen Gewinn für unsere Gesellschaft darstellt. Das ist schon aufgrund des Erfordernisses der Fall, über die eigene Kollektividentität neu nachzudenken und dabei zu klären, was für sie elementar und unverzichtbar ist und was eher einer vergangenen geschichtlichen Etappe angehört. Eine derartige kollektive Selbstreflexion hat, wenn sie nicht auf eine dauerhafte Spaltung der Gesellschaft hinausläuft, die Wirkung eines Jungbrunnens, in dem sich eine politische Ordnung ihrer selbst vergewissert und sich so erneuert. Solche Selbsterneuerungen sind sonst zumeist mit Krisen und Katastrophen verbunden, im deutschen Fall etwa mit verlorenen Kriegen. Es ist die Herausforderung durch das Fremde, die gegenwärtig an deren Stelle tritt, die Beschäftigung mit dem Anderen, aus der die Vergewisserung des Eigenen erwächst. Die Katastrophe der Anderen, von der die Flüchtlinge, die «Boten des Unglücks», künden, ersetzt die Erfahrung der eigenen Katastrophe – jedenfalls dann, wenn man der Botschaft der Flüchtlinge nicht mit mürrischer Gleichgültigkeit begegnet. Es wird deswegen nachfolgend immer auch das Fremde eine Rolle spielen: die Frage, wie mit ihm umzugehen ist, wie viel Fremdheit wir aushalten wollen und wo die Annährung der Fremden an unser Eigenes unverzichtbar ist. So hat die Debatte der zurückliegenden Monate etwa Klarheit über die individualistischen Grundlagen unseres Rechtsverständnisses geschaffen und gezeigt, dass dieses mit aller Entschiedenheit gegen gruppenbezogene Sonderrechte ethnischer oder religiöser Art verteidigt werden muss.
Es ist nicht so, dass die Flüchtlingskrise ein Land ereilt hat, das sich seiner selbst nicht sicher und von der Herausforderung restlos überfordert war. Die deutsche Gesellschaft hat den Stresstest vom Herbst 2015 durchaus bestanden. In jedem Fall hat sie das in einer für die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorbildlichen Form getan. Die Arbeit einiger Landesverwaltungen, die mit der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen deutlich überfordert waren, und einiger Landespolizeien, die nicht...
Erscheint lt. Verlag | 26.8.2016 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Culture Clash • Demographie • Flüchtlinge • Gesellschaftsordnung • Integration • Islam in Deutschland • Migration • Religion • Sozialstaat • Staat |
ISBN-10 | 3-644-12441-8 / 3644124418 |
ISBN-13 | 978-3-644-12441-7 / 9783644124417 |
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