It’s teatime, my dear! (eBook)
480 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-11133-5 (ISBN)
Vor über dreißig Jahren beschloss der Amerikaner Bill Bryson, England zu seiner Wahlheimat zu machen und für einige Jahre dort zu leben. Damals brach er auf zu einer großen Erkundungsreise quer über die britische Insel. Inzwischen ist er ein alter Hase, was die Eigentümlichkeiten der Engländer betrifft, aber dennoch entdeckt er immer wieder Neues, was ihn fasziniert und amüsiert. Kein Wunder also, dass es ihn reizt, diese Insel erneut ausgiebig zu bereisen. Von Bognor Regis bis Cape Wrath, vom englischen Teehaus bis zum schottischen Pub, von der kleinsten Absteige bis zum noblen Hotel, Bryson lässt nichts aus und beantwortet zahlreiche Fragen. Wie heißt der Big Ben eigentlich wirklich? Wer war Mr. Everest? Warum verstehen sich Amerikaner und Engländer nur bedingt? Bill Bryson will noch einmal wissen, was dieses Land so liebenswert macht, und begibt sich auf den Weg - schließlich ist er wieder reif für die Insel!
Bill Bryson wurde 1951 in Des Moines, Iowa, geboren. 1977 zog er nach Großbritannien und schrieb dort mehrere Jahre u. a. für die Times und den Independent. Mit seinem Englandbuch »Reif für die Insel« gelang Bryson der Durchbruch. Heute ist er in England der erfolgreichste Sachbuchautor der Gegenwart. Seine Bücher werden in viele Sprachen übersetzt und stürmen stets die internationalen Bestsellerlisten. 1996 kehrte Bill Bryson mit seiner Familie in die USA zurück, wo es ihn jedoch nicht lange hielt. Er war erneut »Reif für die Insel«, wo er heute wieder lebt.
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 21/2016) — Platz 17
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1. Kapitel
Scheiß auf Bognor!
Bevor ich zum ersten Mal nach Bognor Regis fuhr, wusste ich nur, wie man es schreibt und dass irgendein britischer Monarch zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit in einem Anflug von Bissigkeit auf dem Sterbebett, kurz bevor er seinen letzten Atemzug tat, die Worte »Scheiß auf Bognor!« gerufen haben soll. Um welchen Monarchen es sich dabei handelte und weshalb es sein letzter Wunsch auf Erden war, dass auf ein mittelgroßes englisches Seebad defäkiert werden solle, sind jedoch Fragen, die ich nicht beantworten konnte.
Der Monarch, das habe ich inzwischen erfahren, war König George V., und er soll angeblich 1929 nach Bognor gereist sein, und zwar auf Anraten seines Arztes Lord Dawson of Penn, der dem König vorschlug, eine Weile an der frischen Seeluft zu verbringen, da ihm das womöglich dabei helfen werde, sich von seinen starken Lungenbeschwerden zu erholen. Die Tatsache, dass Dawson zur Behandlung nichts Besseres einfiel als ein Tapetenwechsel, spiegelt vermutlich sein markantestes Merkmal als Arzt wider: Inkompetenz. Dawson war in der Tat so berüchtigt für sein medizinisches Unvermögen, dass ihm zu Ehren sogar ein Liedchen komponiert wurde. Sein Text lautete:
Lord Dawson of Penn
Hat viele Menschen getötet.
Deshalb singen wir
Gott schütze den König.
Für Bognor entschied sich der König nicht, weil es ihm besonders am Herzen lag, sondern weil sein reicher Busenfreund Sir Arthur du Cros dort einen herrschaftlichen Wohnsitz mit Namen Craigwell House besaß, den er dem König zur freien Verfügung stellte. Craigwell war dem Vernehmen nach ein hässlicher und unbequemer Zufluchtsort, und dem König gefiel es dort überhaupt nicht, doch die Seeluft tat ihm gut, und nach ein paar Monaten hatte er sich ausreichend erholt, um nach London zurückzukehren. Falls er Bognor mit irgendwelchen schönen Erinnerungen verließ, behielt er diese für sich.
Als der König sechs Jahre später einen Rückfall erlitt und im Sterben lag, gab ihm Dawson das leere Versprechen, es werde ihm bald gut genug gehen, um wieder in Bognor Urlaub machen zu können. »Scheiß auf Bognor!«, soll der König darauf erwidert haben und anschließend gestorben sein. Diese Geschichte wird fast immer als Fiktion abgetan, doch Kenneth Rose, einer der Biografen von König George V., ist der Ansicht, dass sie durchaus wahr sein könnte und sicher nicht dem Naturell des Königs widerspricht.
Aufgrund des kurzen Aufenthalts des Regenten stellte Bognor den Antrag, dass der Name der Stadt um das Wort »Regis« ergänzt werde. 1929 wurde diesem Antrag stattgegeben, sodass der absolute Höhepunkt des Seebads und der Beginn seines Niedergangs zeitlich fast genau zusammenfallen.
Wie ein sehr großer Teil der britischen Küste hat Bognor schon bessere Zeiten gesehen. Früher strömten fröhliche, gut gekleidete Besucher in Scharen in die Stadt, um dort ein unbeschwertes Wochenende zu verbringen. Bognor besaß ein Theatre Royal, einen prachtvollen Pavillon mit einer Tanzfläche, die als die beste in ganz Südengland galt, und einen hochgeschätzten, wenn auch nicht völlig korrekt bezeichneten Kursaal, in dem niemand von etwas geheilt wurde, sondern die Gäste zur Musik eines dort ansässigen Orchesters Rollschuh fahren und anschließend unter riesigen Palmen dinieren konnten. All das ist inzwischen längst Vergangenheit.
Der Pier von Bognor hat überlebt, allerdings nur mit Mühe und Not. Früher war er 300 Meter lang, doch verschiedene Eigentümer fanden Gefallen daran, ihn nach Brand- oder Sturmschäden zurechtzustutzen, sodass es sich bei ihm heutzutage nur noch um einen knapp hundert Meter langen Stummel handelt, der das Meer nicht mehr ganz erreicht. Lange Zeit wurde in Bognor ein sogenannter Vogelmenschen-Wettbewerb abgehalten, bei dem die Teilnehmer versuchten, am Ende des Piers mithilfe verschiedener selbst gebastelter Vorrichtungen abzuheben – mit Fahrrädern, an die seitlich Raketen geschnallt waren, und anderen Dingen dieser Art. Die Teilnehmer legten ausnahmslos nur eine lächerlich kurze Strecke zurück, ehe sie zur Freude der Zuschauermenge ins Wasser platschten, doch der gekürzte Pier sorgte schließlich dafür, dass sie auf eine Weise auf Sand und Kies bruchlandeten, die eher beunruhigend als amüsant war. Der Wettkampf wurde 2014 gestrichen und ist jetzt allem Anschein nach dauerhaft ein paar Meilen die Küste entlang nach Worthing umgezogen, wo die Preisgelder höher sind und der Pier tatsächlich bis ins Meer hineinragt.
In dem Bemühen, Bognors langsamen, sanften Niedergang umzukehren, rief der Arun District Council 2005 die Bognor Regis Regeneration Task Force ins Leben, mit dem Ziel, der Stadt Investitionen in Höhe von 500 Millionen Pfund zu verschaffen. Als klar wurde, dass eine Summe in dieser Größenordnung niemals zusammenkommen würde, wurde die Zielsetzung still und heimlich zuerst auf 100 Millionen Pfund und dann auf 25 Millionen Pfund herunterkorrigiert. Doch auch diese Beträge erwiesen sich als zu ehrgeizig. Letztlich kam man zu dem Schluss, dass eine Summe von ungefähr null Pfund ein realistischeres Ziel war. Als sich die Erkenntnis einstellte, dass dieses Ziel bereits erreicht worden war, wurde die Task Force aufgelöst, da sie ihre Arbeit erledigt hatte. Soweit ich es beurteilen kann, tun die Behörden nicht mehr für Bognor, als es auf Sparflamme köcheln zu lassen – wie einen Patienten, der künstlich am Leben gehalten wird.
Trotz allem ist Bognor gar nicht so übel. Es hat einen langen Strand mit einer geschwungenen asphaltierten Strandpromenade und einen Stadtkern, der zwar nicht floriert, aber zumindest kompakt und sauber ist. Ein kleines Stück landeinwärts vom Meer befindet sich ein bewaldeter Zufluchtsort namens Hotham Park, mit gewundenen Pfaden, einem kleinen Bootsteich und einer Spielzeugeisenbahn. Allerdings muss man sagen, dass das auch schon alles ist. Wenn man im Internet sucht, was man in Bognor unternehmen kann, erscheint der Hotham Park ganz oben auf der Liste. Die zweite Attraktion, die einem vorgeschlagen wird, ist ein Laden, der Elektromobile für Senioren verkauft.
Ich ging zum Meer hinunter. Etliche Leute schlenderten umher und genossen die Sonne. Uns stand ein herrlicher Sommer bevor, und bereits um halb elf vormittags zeigte sich, dass dieser Tag nach englischen Maßstäben brütend heiß werden würde. Mein ursprünglicher Plan war, am Ufer entlang Richtung Westen nach Craigwell zu spazieren, um mir anzusehen, wo der König gewohnt hatte, doch dieses Vorhaben wurde im Keim erstickt, als ich erfuhr, dass Craigwell 1939 abgerissen wurde und sein ehemaliger Standort heute irgendwo unter einer Wohnsiedlung begraben ist. Deshalb ging ich stattdessen die Promenade entlang nach Osten Richtung Felpham, da fast alle anderen Spaziergänger ebenfalls in diese Richtung gingen und ich annahm, sie wussten, was sie taten.
Auf der einen Seite befanden sich der Strand und das glitzernde Meer, auf der anderen stand eine Reihe schicker moderner Häuser, geschlossen von hohen Mauern umgeben, die sie vor den Blicken der Spaziergänger auf der Promenade abschirmen sollten. Den Eigentümern war es aber nicht gelungen, das offensichtliche Problem zu lösen, dass eine Mauer, die Passanten daran hindert hineinzuspähen, auch diejenigen, die sich hinter ihr befinden, daran hindert, nach draußen zu sehen. Wollten die Bewohner dieser stilvollen Häuser aufs Meer schauen, mussten sie sich in den ersten Stock begeben und auf den Balkon setzen, womit sie wieder unseren Blicken ausgesetzt waren. Wir konnten alles sehen: ob sie gebräunt oder blass waren, ob sie etwas Kaltes oder etwas Warmes tranken, ob sie eine Boulevardzeitung oder den Telegraph lasen. Die Leute auf den Balkonen taten so, als wäre ihnen das egal, doch man merkte, dass es ihnen nicht egal war. Schließlich war das auch ziemlich viel verlangt: Zunächst einmal mussten sie so tun, als ob ihre Balkone sie irgendwie unsichtbar für uns machen würden, und dann mussten sie auch noch so tun, als ob wir ohnehin nur ein so nebensächlicher Teil des Panoramas wären, dass sie eigentlich gar nicht zur Kenntnis genommen hätten, wie wir von dort unten zu ihnen hinaufblickten. Das war eine ganze Menge So-tun-als-Ob.
Als Test versuchte ich, Augenkontakt mit den Leuten auf den Balkonen herzustellen. Ich lächelte, als wollte ich sagen: »Hallo, da oben, ich sehe Sie!«, aber sie wendeten immer schnell den Blick ab oder täuschten vor, mich überhaupt nicht wahrzunehmen, da ihre gesamte Aufmerksamkeit irgendetwas in der Ferne am Horizont galt, in der Nähe von Dieppe oder möglicherweise Deauville. Manchmal denke ich, dass es ziemlich anstrengend sein muss, Engländer zu sein. Auf jeden Fall hatte ich keinen Zweifel daran, dass wir es auf der Strandpromenade viel besser hatten, da wir das Meer die ganze Zeit über anschauen konnten, ohne uns auf eine höhere Ebene begeben zu müssen, und nie so tun mussten, als könne uns niemand beobachten. Das Allerbeste war jedoch, dass wir letzten Endes in unsere Autos steigen und uns zurück zu einem Zuhause chauffieren konnten, bei dem es sich nicht um Bognor Regis handelte.
Mein Plan war, von Bognor aus mit dem Bus an der Küste entlang nach Brighton zu fahren, und ich war darauf insgeheim ziemlich gespannt. Diesen Küstenabschnitt kannte ich überhaupt nicht, und ich setzte große Hoffnungen in ihn. Ich hatte mir einen Fahrplan ausgedruckt und sorgfältig den Bus um 12:19 Uhr als den am besten für meine Zwecke geeigneten ausgewählt. Doch als ich in der Meinung, noch ein paar Minuten Zeit zu haben, zur Bushaltestelle schlenderte, musste ich mit leichtem Entsetzen feststellen, wie mein...
Erscheint lt. Verlag | 25.4.2016 |
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Übersetzer | Thomas Bauer |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Road to Little Dribbling |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber | |
Reisen ► Reiseberichte ► Europa | |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Schlagworte | Cornwall • eBooks • England / Großbritannien • Reise • Reisen • Schottland • Spiegelbestseller • Stonehenge • Wales |
ISBN-10 | 3-641-11133-1 / 3641111331 |
ISBN-13 | 978-3-641-11133-5 / 9783641111335 |
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