Der Weg zum Doktortitel (eBook)
290 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-43035-5 (ISBN)
Dr. Helga Knigge-Illner ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin sowie Autorin verschiedener Studienratgeber.
Dr. Helga Knigge-Illner ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin sowie Autorin verschiedener Studienratgeber.
Inhalt 6
Vorwort zur dritten Auflage 10
1Welche Motivation braucht es? –
16
Die Lust zu promovieren und andere Beweggründe 18
Die Promotion – ein Sprungbrett in die Karriere? 19
Welche Motive braucht es noch? 21
Der Doktorand als einsamer Einzelkämpfer – was die Arbeitssituation so belastend macht 28
»Lebensabschnitt Promotion« –
34
Der Doktorand und seine Diss –
45
Das Verhältnis zu Doktorvater oder Doktormutter 50
2Verschiedene Wege zur Promotion – neue Entwicklungen und Anforderungen 60
Die zwei Modelle des Promovierens 61
Strukturiertes Promovieren – weniger Probleme? Graduiertenkollegs, Graduiertenschulen und Graduiertenzentren 64
Internationalisierung und Promovieren –
77
Plagiate und die Sicherung guter
91
Kumulative Dissertation –
95
Promovieren mit Kind 99
Promovieren neben dem Beruf 111
Fazit: Wie Sie sich wappnen können – Strategien, die weiterhelfen 118
3Die Doktorarbeit »managen« – zwischen Zeitmanagement und Selbstorganisation 121
Vom Leid mit der Zeit – warum die Diss
123
Die Sache anpacken – vom Vorhaben zum Arbeitsprojekt 125
Die Finanzierung des Projekts – Wissenschaftliche Mitarbeiterstelle oder Stipendium? 132
Das Wichtigste: die eigenen Ziele 137
Realistische Arbeitsplanung und Zeitmanagement 139
Das Controlling der Promotion 152
Tipps für den Arbeitsalltag 155
Fazit: Gutes Selbstmanagement ist gefragt! 160
Exkurs: Promotionscoaching hilft Probleme bewältigen 162
4Erste Schritte des Projekts – Thema und Literatur in den Griff bekommen 177
Themensuche und Themenwahl 178
Das Exposé 191
Literaturauswertung – Lesen mit Ergebnis 193
Empfehlungen zum ökonomischen Lesen 195
Literaturverwaltung – die elektronische Kartei 198
Fazit: Zeitlimits als Selbstkontrolle 203
5Wissenschaftliches Schreiben als lebendiger Prozess – Schreibprobleme überwinden 204
Lust und Last des Schreibens 206
Das kognitive Modell des Schreibens 208
Schreiben und Persönlichkeit –
212
Das kreative wissenschaftliche Schreiben 213
Techniken des kreativen wissenschaftlichen Schreibens 215
Wissenschaftliches Schreiben lebendig gestalten 226
Schreiben in verschiedenen Arbeitsphasen 244
Feedback in der Überarbeitungsphase 250
Der Eintritt in die Scientific Community
255
6Zum krönenden Abschluss: Präsentation und Publikation 258
Präsentation und Selbstpräsentation 259
Zum Ende kommen – Tipps für die Schlussphase 264
Übungen zur Selbstbestärkung und Selbstbehauptung 265
Vorbereitung auf die Disputation 270
Grundprinzipien der Vortragsgestaltung 272
Die Phase »danach« – die Veröffentlichung und die weitere Perspektive 279
Literatur 286
Vorwort zur dritten Auflage
In Deutschland wird erstaunlich viel promoviert: Pro Jahr werden rund 25?000 Promotionen erfolgreich abgeschlossen. Damit liegt Deutschland im Verhältnis zu den Einwohnern an der Spitze der europäischen Länder und der USA. Fast jeder fünfte Hochschulabsolvent strebt den Doktortitel an (Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013). Was motiviert Menschen dazu, sich vier bis fünf Jahre lang auf ein Promotionsprojekt einzulassen, das bekanntermaßen nicht leicht zu bewältigen ist? Liegt der Anreiz im Doktortitel, der soziales Ansehen und eine aussichtsreiche Karriere verspricht? Oder ist es die Wissenschaft selbst, die den Geist zu diesem Projekt herausfordert? Auf diese Fragen geben Interviews mit Doktoranden, die nach ihren Motiven befragt wurden, in diesem Buch Antwort.
Als reizvolle Aufgabe mag das Promovieren zu Beginn des Projekts erscheinen. Später, im weiteren Verlauf des Arbeitsprozesses, treten jedoch die Belastungen in den Vordergrund und führen dazu, dass das Promovieren als ein 'hartes Geschäft' erlebt wird: Denn es fordert einen ganz, bringt viel Stress mit sich, ist sehr langwierig und führt an die Grenzen des Selbstbewusstseins. Um das Ziel trotzdem zu erreichen, braucht es eine starke und anhaltende Motivation.
Dieses Buch will nicht nur ein besseres Verständnis der Probleme von Promovierenden ermöglichen, sondern Ihnen auch die Einstellung vermitteln, dass viele Schwierigkeiten zu überwinden oder abzuwenden sind. Dazu ist es insbesondere notwendig, mit nüchterner Reflexion und adäquaten Handlungs- und Arbeitsstrategien an das Projekt heranzugehen. Solche hilfreichen Strategien, die ich in meiner Beratungstätigkeit mit Promovierenden - in Form von Workshops, Einzel- und Gruppencoachings - mit Erfolg erprobt habe, möchte ich Ihnen als Rüstzeug an die Hand geben. Sie sind gleichfalls geeignet, Ihre Arbeitsmotivation und auch die Lust an der Sache zu fördern.
Damit Sie wissen, welche Probleme auf Sie zukommen können, werden Sie anhand von zahlreichen Fallbeispielen und Berichten Genaueres über die Nöte der Doktoranden erfahren: Zum Beispiel über ihre Angst vor dem Schreiben, die mitunter Schreibblockaden hervorruft, ihre Unsicherheit bei einsamen Entscheidungen über die richtige wissenschaftliche Vorgehensweise und ihr häufig problematisches Verhältnis zu Doktorvater oder Doktormutter.
Manche der Probleme werden durch institutionelle Bedingungen hervorgerufen - durch die formalen und qualitativen Anforderungen an die Dissertation, die Art der Betreuungsstruktur beziehungsweise deren Wahrnehmung durch die persönlichen Betreuer -, aber auch durch die besondere Lebenssituation von Doktoranden in unserer Gesellschaft. Auch diese wichtigen Bedingungen wird das Buch in den Blick nehmen. Andererseits sind es spezielle psychische Konstellationen, die Promovierende anfällig machen für Belastungen durch ihre Doktorarbeit: ihr meist sehr hohes Ego-Involvement und ihre fast immer spannungsreiche emotionale Beziehung zu ihrer 'Diss'. Mit anderen Worten: Die Anforderungen des Promotionsprojekts treffen auf ein sensibles Ich, das sich schwer tut, die äußeren wie auch die inneren Maßstäbe zu erfüllen. Aus diesem Wechselspiel entwickelt sich die Brisanz der Probleme. Wenn Sie gerade eine Promotion planen, wird diese Betrachtung Ihnen helfen, im Voraus einzuschätzen, was da auf Sie zukommt: Dann können Sie sich entsprechend wappnen. Wenn Sie bei der Lektüre zu dem Schluss kommen, dass Sie sich lieber nicht darauf einlassen wollen, dann ist es womöglich auch besser so. Falls Sie gerade 'mittendrin' stecken, hilft das Buch Ihnen vielleicht zu verstehen, warum Sie mit Ihrer Diss solche Schwierigkeiten erleben. Es kann sicher auch tröstlich sein zu erfahren, dass ein Großteil Ihrer Probleme ganz normal ist und andere Doktoranden Ähnliches durchmachen! Aber Sie erfahren auch, wie Sie es besser machen können!
Durch Reformen des europäischen Wissenschaftssystems haben sich an den Universitäten auch die Betreuungsstrukturen für Doktoranden seit den neunziger Jahren verändert. Die Neuauflage nimmt Bezug auf diese aktuellen Entwicklungen. Mit den verschiedenen Formen der 'strukturierten Promotion' eröffnen sich neue Wahlmöglichkeiten: Doktoranden können selbst entscheiden, ob sie die traditionelle Form der sogenannten Individualpromotion - nach dem Meister-Schüler-Modell - bei ihrem ausgewählten Professor wählen oder einem Graduiertenkolleg beziehungsweise einer Graduiertenschule den Vorzug geben und damit im Rahmen eines kooperativen Forschungsprojekts an ihrer Dissertation arbeiten.
Kapitel zwei dieses Buches, das durch neue Themen wesentlich erweitert wurde, stellt die verschiedenen Wege vor, die zur Promotion führen, und macht deutlich, dass auch mit den strukturierten Programmen besondere und erweiterte Anforderungen an die Doktoranden gestellt werden: So zum Beispiel die frühzeitige Integration in die wissenschaftliche Gemeinde und die Weiterbildung in wissenschaftlicher und sozialer Kompetenz.
Als neues Thema werden auch die Anforderungen betrachtet, die infolge der zunehmenden Internationalisierung der Wissenschaft auf Doktoranden zukommen: die Organisation von Auslandsaufenthalten, die Kooperation mit internationalen Forschern und die Bildung von Netzwerken. Diese neuen Anforderungen sind Herausforderung und Chance zugleich, frühzeitig an der wissenschaftlichen Karriere zu arbeiten.
Ein weiterer, neu bearbeiteter Aspekt geht von der vieldiskutierten Entdeckung von Plagiaten in Doktorarbeiten von bekannten Politikern aus. Vertreter der Scientific Community trafen Maßnahmen zur 'Sicherstellung guter wissenschaftlicher Praxis', mit denen sich Doktoranden vertraut machen sollten. Sie sollten die verschiedenen Arten des Plagiierens kennen und Vorsichtsmaßnahmen treffen, denn manche Plagiate entstehen auch unbeabsichtigt.
Eine - zumindest in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern - neue Form der Promotion stellt die kumulative Dissertation dar, die es erlaubt, eine Reihe eigener, bereits publizierter Artikel zur Anerkennung als Promotionsschrift einzureichen. Das mag ein schnelleres Vorankommen ermöglichen, wenn man frühzeitig mit dem Publizieren begonnen hat. Zu diskutieren sind aber auch die Hindernisse und Nachteile dieser Promotionsmöglichkeit.
Am Ende des dritten Kapitels findet sich als ein weiteres neues Unterkapitel der Exkurs 'Promotionscoaching hilft Probleme bewältigen'. Er beschreibt die Probleme, die zum Gegenstand von Coachings werden können, und führt dessen Arbeitsweise und Wirkungen anhand von Fallbeispielen und Berichten vor Augen. Sollten Sie selbst bei Ihrer Arbeit in Schwierigkeiten geraten, die Sie allein nicht meistern können, wird Ihnen dieses Kapitel helfen, sich entsprechende Unterstützung zu suchen.
Zum Inhalt der einzelnen Kapitel
Im Fokus des ersten Kapitels stehen die Arbeits- wie auch die Lebenssituation von Doktoranden und deren Belastungsfaktoren und Defizite. Der Blick richtet sich auf den 'einsamen Einzelkämpfer am Schreibtisch' wie auch den Prozess der psychosozialen Entwicklung des Promovenden. Viele Fallbeispiele beleuchten die spannungsreiche Beziehung des Doktoranden zu seiner Diss und das häufig problemgeladene Verhältnis zu Doktorvater und Doktormutter.
Im zweiten Kapitel werden die zwei Grundmodelle des Promovierens - die Individualpromotion und das strukturierte Promovieren - und deren Varianten vorgestellt und hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile diskutiert. Gefragt wird dann, welche Chancen und Anforderungen sich aus neueren Entwicklungen wie der internationalen Kooperation der Wissenschaftler und der Möglichkeit der publikationsbasierten Promotion herleiten. Darüber hinaus wird auf das Problem des Plagiierens und empfehlenswerte Gegenmaßnahmen eingegangen.
Die weiteren Kapitel werden Ihnen in sehr konkreter Weise Strategien an die Hand geben, mit denen Sie die gefährlichsten Klippen umschiffen und Ihre eigenen Kräfte optimal nutzen können:
Die Strategie des Zeit- und Projektmanagements im dritten Kapitel soll Sie dazu motivieren, bewusst und ökonomisch mit Ihrer Zeit umzugehen und aus Ihrem Promotionsvorhaben ein realisierbares Projekt zu machen. Eine Reihe von Tipps soll Sie dazu anregen, Ihren Arbeitsalltag so zu gestalten, dass Ihre Arbeitsfreude erhalten bleibt.
Das vierte Kapitel behandelt die Arbeitsschritte des Projekts, mit denen Sie das Dissertationsthema und die Literatur in den Griff bekommen. Themensuche, Eingrenzung des Themas und die Anfertigung eines Exposés sowie Strategien effizienter Literaturbearbeitung und Literaturverwaltung stehen dabei im Mittelpunkt.
Kapitel fünf soll Ihnen die Anforderungen wissenschaftlichen Schreibens deutlich machen und Ihnen vielfältige kreative Übungen an die Hand geben, die die Arbeit an der Diss spannender machen können und Schreibprobleme verhindern und überwinden helfen.
Das letzte Kapitel soll Sie auf die mündliche Präsentation vorbereiten und Sie ermutigen, Ihre Arbeitsergebnisse frühzeitig vorzutragen. Die vorgeschlagenen Übungen fordern Sie dazu heraus, Ihre eigene Position zu beziehen und sie argumentativ zu verteidigen. Weitere Empfehlungen zeigen Ihnen, wie Sie sich für die Disputation rüsten können und Ihren Vortrag gestalten können. Abschließend wird auf die Phase 'danach'und die verschiedenen Möglichkeiten der Veröffentlichung eingegangen.
Abschließend möchte ich zur Sprachregelung anmerken: Ich verwende aus sprachökonomischen Gründen die Bezeichnung Doktoranden und meine damit selbstverständlich Doktorandinnen und Doktoranden. Es widerstrebt mir, das verkürzende und schwer lesbare Wortungetüm 'DoktorandInnen' zu benutzen. Aus stilistischen Gründen - zum Beispiel, um eine Charakterisierung prägnanter zu machen - spreche ich auch manchmal von dem Doktoranden und verwende die männliche Form als Repräsentanten für die 'Spezies' der Promovierenden. Ich hoffe, dass meine Geschlechtsgenossinnen mir dies nicht übel nehmen. Bei den Bezeichnungen Professor und Betreuer der Doktorarbeit gebe ich ebenfalls der Sprachökonomie den Vorrang und setze voraus, dass beide Geschlechter einbezogen sind. Den Begriff Doktorvater habe ich bei der Schilderung der besonderen Beziehung zwischen Gutachter und Doktorand bewusst bevorzugt und generalisierend verwendet, da er das patriarchalisch-autoritär geprägte Verhältnis, das auch die Beziehung zur Doktormutter beeinflusst, trefflich wiedergibt.
Helga Knigge-Illner
Berlin, im April 2015
1Welche Motivation braucht es? -
Probleme in der Arbeits- und Lebenssituation erkennen und bewältigen
Was treibt Doktoranden an zu promovieren? Ist es die Aussicht auf den Glanz des akademischen Titels vor dem Namen? Oder die Hoffnung, sich selbst auf diese Weise eine wissenschaftliche oder sonstige berufliche Karriere zu eröffnen? Oder gibt es vielleicht noch ganz andere Motive? Das Interesse an der Sache selbst oder ganz persönliche Beweggründe, wie beispielsweise den Drang, sich selbst zu beweisen, dass man zu Größerem fähig ist? Es lohnt sich, diese Motive genauer in den Blick zu nehmen, denn es gilt zu bedenken, dass das Promovieren keine leichte Sache ist. Im Gegenteil, das Projekt Doktorarbeit verlangt dem Doktoranden eine Menge ab: außer der nötigen intellektuellen Kompetenz einen hohen Arbeitseinsatz und große Ausdauer, denn eine Doktorarbeit zu verfassen, ist mitunter ganz schön langwierig und mühsam. Dafür braucht man ein gehöriges Maß an Motivation und verschiedene Motivationsquellen. Sich in die Wissenschaft zu vertiefen, einer eigenen Forschungsfrage nachzugehen und schließlich ein eigenes kleines Werk vorzulegen, enthält jedoch auch reizvolle Momente und ist eine positive persönliche Herausforderung. Deshalb sollten Sie Ihre eigenen Motive überdenken und prüfen, ob Sie auch für das gesamte Projekt Promotion die nötige Motivation mitbringen.
Anschließend betrachten wir die Arbeits- und Lebenssituation von Doktoranden. Wenn Sie sich rechtzeitig in diese Lage hineindenken, können Sie im Voraus abschätzen, was möglicherweise auf Sie zukommt, wenn Sie sich zu einer Promotion entschließen. Falls Sie bereits an Ihrer Dissertation arbeiten, werden Sie nach der Lektüre besser verstehen, warum Sie manchmal so sehr unter Ihrer Situation leiden und warum das Arbeiten Ihnen zeitweise so schwer fällt. Dieses Buch unterstützt Sie dabei, so manche Klippe zu umschiffen und zeigt Ihnen, wie Sie Defizite kompensieren können.
Die Arbeitssituation des Doktoranden erscheint vielen zunächst sehr verlockend, weil sie die Freiheit bietet, sich die Zeit selbst einzuteilen und sich völlig den eigenen wissenschaftlichen Interessen zu widmen. Die Kehrseite ist jedoch, dass man allein und ganz auf sich gestellt am Schreibtisch arbeitet und wenige Möglichkeiten hat, sich mit anderen auszutauschen. Manche Doktoranden verlieren sich dabei in Selbstzweifeln, Ängsten und Unsicherheit. Ihnen fehlt es an aufmunterndem Feedback und konstruktiver Kritik von Kollegen, und häufig wünschen sie sich eine intensivere Unterstützung durch ihren Betreuer.
Viele fühlen sich damit überfordert, ihre Arbeitsmotivation ohne fremde Hilfe aufrechtzuerhalten und die häufigen Schwankungen des Selbstwertgefühls auszugleichen. Ein Ausweg für sie besteht jedoch darin, sich aktiv um Unterstützung und Kooperation zu bemühen.
Abgesehen von dem langwierigen Arbeitsprozess des Promovierens ist aber auch der Lebensabschnitt an sich belastend. Der Doktorand macht in dieser Phase einen psychosozialen Entwicklungsprozess durch, der ihn dazu zwingt, seine Identität zu überdenken. Durch die Promotion rücken traditionelle soziale Rollenaufgaben wie Familiengründung, berufliche Festlegung und gesellschaftliche Etablierung meist in den Hintergrund. Die beruflichen Tätigkeiten, die ihnen offenstehen, bringen relativ wenig oder nur widersprüchlichen Statusgewinn ein: der gering entlohnte Dozent, der Doktorand mit einfachen oder wechselnden Jobs, der noch in Ausbildung befindliche Wissenschaftliche Assistent auf Zeit. Was der Doktorand in Bezug auf seine Arbeit an der Diss leistet, ist für Außenstehende schwer einzuschätzen und wird daher kaum angemessen gewürdigt.
Die Analyse wird deutlich machen, dass Doktoranden trotz mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung ein klares und starkes Identitätsgefühl besitzen, das sich auf den Wert ihrer wissenschaftlichen Arbeit und die damit verbundene schöpferische Leistung stützt. Persönlicher Ehrgeiz, starke Gefühle und hohe Ansprüche an sich selbst prägen das Verhältnis des Doktoranden zu seiner Diss, führen aber auch leicht zu Schwankungen des Selbstwertgefühls.
Abschließend wird die Beziehung zum Doktorvater beziehungsweise der Doktormutter in den Brennpunkt gerückt. Sie gestaltet sich in der Regel nicht konfliktfrei. Es wird erörtert, wie man sich aus der Abhängigkeit vom Urteil dieser Autoritätsfigur emanzipieren kann, um einen eigenen wissenschaftlichen Standpunkt zu beziehen.
Die Lust zu promovieren und andere Beweggründe
Gibt es eine Lust zu promovieren? Man könnte auf diesen Gedanken kommen, wenn man liest, dass in Deutschland viel promoviert wird, mehr als in anderen europäischen Ländern und auch als in den USA. Laut Statistischem Bundesamt (2013) sind es etwa 25?000 pro Jahr; im Jahr 2011 waren es sogar fast 27?000. Das bedeutet etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung besitzen einen Doktortitel, der OECD-Durchschnitt liegt nur bei 1,5 Prozent. Vereinfacht ausgedrückt: Bei Hundert Leuten, denen wir begegnen, treffen wir auf zwei oder gar drei Doktorinnen und Doktoren.
Was ist so reizvoll an der Vorstellung zu promovieren? Ist es das Wort selbst, das ja im ursprünglichen Sinn eine 'Beförderung' verspricht, den Aufstieg in eine höhere Position oder auch den Gewinn an gesellschaftlichem Status? Der Herr Doktor, insbesondere im weißen Kittel, genießt nach wie vor ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Der Doktortitel zeichnet - so hieß es früher - den 'Gelehrten' aus, der in der Wissenschaft bewandert ist. Heutzutage würde man eher von promovierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen sprechen. Mit der Promotion verbindet sich aber auch die Nähe zur Wissenschaft schlechthin, und Wissenschaft besitzt per se in unserer Gesellschaft einen hohen Wert. Das Eintauchen in die Wissenschaft entfacht die Neugier des Forschens, die Lust an der Auseinandersetzung mit Theorien, das Gewinnen von neuen Erkenntnissen. An die Wissenschaft angenähert hat man sich zwar schon während des Studiums und besonders beim Examen, aber es bleibt das Gefühl, nicht viel mehr als die Grundlagen und bestenfalls das wissenschaftliche Handwerk erlernt zu haben. Bei der Promotion geht es um mehr: um die eigene kreative Forschungsleistung, und das eigene - wenn auch kleine - wissenschaftliche Werk - möglichst in Buchform. Der Doktorgrad verleiht einem erst die höheren Weihen des Wissenschaftlers und Forschers!
Das mag die eine Seite der Attraktion des Promovierens sein. Der andere viel nüchterne Aspekt ist die Frage nach dessen Nutzen und Gewinn. Den Anreiz zu promovieren sehen viele darin, ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, den Doktortitel als Sprungbrett in die Karriere zu nutzen. Strebt man eine Stelle an der Hochschule oder in der Forschung an, so ist die Promotion eine selbstverständliche Voraussetzung. Aber als Promovierter kann man sich auch eine anspruchsvollere und höher dotierte Tätigkeit in anderen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft erhoffen: Eine Kunsthistorikerin verspricht sich zum Beispiel bessere Chancen für die Leitung eines Museums, ein promovierter Jurist für die Leitung der Rechtsabteilung eines Unternehmens oder den Eintritt in eine renommierte Kanzlei.
Die Promotion - ein Sprungbrett in die Karriere?
Ein Blick auf die Realität der Statistik bestätigt diese hoffnungsvollen Erwartungen: Studien zum Berufsverlauf und -erfolg (vgl. Enders und Bornmann 2001; BuWiN 2008; Briedis 2011 und 2012) machen Folgendes deutlich:
oBessere berufliche Chancen! Promovierte haben fünf, zehn und 15 Jahre später einen hochqualifizierten und gut bezahlten Job, mit dem sie sehr zufrieden sind. Das trifft auf 70 Prozent der Befragten zu. Nur 10 Prozent bedauerten später ihre Entscheidung zu promovieren. Festzustellen ist: Wer promoviert, macht nicht zwingend Karriere, aber er macht verglichen mit nicht Promovierten häufiger Karriere. Promovierte sind also nicht zum Taxifahren verdammt! Die Erwerbslosigkeit der Promovierten liegt noch unter der ohnehin schon niedrigen Quote der erwerbslosen Akademiker.
oDie Promotion zahlt sich aus! Jedoch nur in einigen Fächern: So bei den Wirtschaftswissenschaftlern und den Elektrotechnikern, nicht aber bei Mathematikern und Germanisten. Auch das Einkommen der promovierten Sozialwissenschaftler liegt nach 15 Jahren um 40 Prozent höher als das der Nicht-Promovierten.
oPromovierte sind mit ihrer Berufstätigkeit zufriedener! In den Interviews konnte ein höherer Grad der Zufriedenheit ermittelt werden.
oDeutliche Geschlechtsunterschiede auch hier! Promovierte Frauen erzielen im Durchschnitt niedrigere Einkommen als Männer. Bei den Frauen sind allerdings auch befristete und Teilzeitbeschäftigungen häufiger. Weiterhin sind bei ihnen auch Erwerbslosigkeit und Elternzeit deutlich häufiger anzutreffen.
Außerdem macht die Statistik deutlich, dass der Doktortitel generell als Eintrittsticket in eine höhere Karriere dient. Der Großteil der Promovierten ist späterhin nicht in Wissenschaft und Forschung, sondern in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen meist auf der Führungsebene tätig (Briedis 2012).
Allerdings ist die Bedeutung des Doktortitels für die berufliche Karriere in verschiedenen Fachgebieten und Arbeitsbereichen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Von Humanmedizinern wird immer noch ganz selbstverständlich der Doktorgrad erwartet - sowohl von Seiten der Institution als auch von Seiten der Patienten. Bei Zahnärzten und Tierärzten wird der Titel nicht mehr so zwangsläufig erworben. Chemiker und Physiker, die in der Industrie tätig sein wollen, verbessern ihre Chancen durch eine Promotion. Das trifft generell auf Juristen und Volkswirte zu, die in der privaten Wirtschaft eine höhere Führungsebene anstreben. Dass man sich für die Arbeit in Wissenschaft und Forschung auch mittels Promotion qualifizieren muss, ist allgemein bekannt.
Die besseren beruflichen Aussichten mögen manch einen darin bestärken, den Doktorgrad zu erwerben. Die Entscheidung für eine Promotion allein davon abhängig zu machen, erscheint jedoch bei genauerer Betrachtung problematisch. Fraglich ist, ob sich aus der allgemeinen statistischen Prognose die nötige individuelle 'Power' beziehen lässt, um das Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Denn von einem Doktoranden wird eine Menge an Energie, Ausdauer und Fleiß verlangt! Dafür sind ganz andere Motivationsquellen erforderlich.
Welche Motive braucht es noch?
Es gibt andere Gründe als die Karriereorientierung, verschiedene Neigungen und Wege, die Promovierende zu ihrer Entscheidung veranlasst haben. Und nicht immer sind es rationale Beweggründe. Ich habe Promovierende dazu in Interviews befragt. Die folgenden Beispiele spiegeln die unterschiedlichen Motivlagen und deren Vielschichtigkeit wider.
Beispiele?'Es hat sich so ergeben!'
oDie frisch diplomierte Psychologin Katja war auf Stellensuche. Sie wünschte sich eine praktische Tätigkeit als Klinische Psychologin beziehungsweise Psychotherapeutin. Ganz überraschend bekam sie eine Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Forschungsprojekt über Konfliktverhalten von Kindern angeboten. Es lagen bereits umfangreiche Beobachtungsdaten vor, die es nun auszuwerten galt. Das Thema sprach sie an, sie hatte sich während ihres Studiums schon damit beschäftigt und fühlte sich auch durch die erforderliche methodische und statistische Arbeit herausgefordert. Gleichzeitig fand sie die Aussicht auf fünf Jahre in einer festen Stelle mit einem sicheren, heimeligen Platz im Büro verlockend. Ursprünglich hatte sie nicht vorgehabt zu promovieren. Aber warum sollte sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, aus der Forschungsarbeit eine Doktorarbeit zu machen? Sie sagte zu. Mit der Zeit wurde ihr allerdings klar, dass dabei auch ein ganz persönlicher Anspruch mit im Spiel war, sie wollte schon ein eigenes Werk daraus machen.
oReinhard war seinem Professor in einem Hauptseminar am Ende des Studiums durch ein hervorragendes Referat und gute Diskussionsbeiträge aufgefallen. Nach dem Diplom in Betriebswirtschaftslehre bot der Dozent ihm eine Assistentenstelle an. Natürlich fühlte Reinhard sich geschmeichelt. Eigentlich hätte er eine Management-Aufgabe in der Wirtschaft wesentlich attraktiver gefunden. Andererseits bot die Stelle ihm eine gute Chance zur Weiterqualifizierung. Die Doktorarbeit kam ihm zunächst ganz nebensächlich vor. Er beschäftigte sich kaum eingehender mit der Themenwahl. Später wurde die Dissertation für ihn zu einer 'wenig sinnvollen und beschwerlichen Pflichtaufgabe', die er trotzdem zu einem erfolgreichen Ende führte
Erscheint lt. Verlag | 9.7.2015 |
---|---|
Zusatzinfo | 7 Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Bewerbung / Karriere |
Schlagworte | Arbeitssituation • Dissertation • Doktor • Doktorarbeit • Doktortitel • Hochschulprüfung • Projektmanagement • Projektplanung • Promotion • Promotionsthema finden • Promovieren • Prüfung • Rigorosum • Studienratgeber • Thema für Doktorarbeit finden • Themensuche Dissertation • Tipps rund ums Studium • Wissenschaftliches Arbeiten • Wissenschaftliches Schreiben |
ISBN-10 | 3-593-43035-5 / 3593430355 |
ISBN-13 | 978-3-593-43035-5 / 9783593430355 |
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